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CLVIII. Venedig: – Die Piazetta und der Dogenpallast.




Siehe, im Arme Neptun’s, die bleiche, herrliche Meerbraut,
     Die mit der Römer Gewalt paarte der Tyrier Glück;
Siehe die Herrscherin einst auf allen Meeren und Küsten
     Dreier Theile der Welt, die um ihr Gold sie berückt;
Siehe Venetia’s Leu, der wider die Heere der Moslims
     (Candia bezeugt’s und Lepant’!) unser Europa geschirmt.
Zwar ist gestorben der Leu, es horstet im Rachen der Adler;
     Doch ist sie Königin noch, wenn auch als Sklavin sie dient.


Die vorliegende Ansicht ist einzig in ihrer Art. Diese den Fluthen entsteigenden Palläste, diese Monumente sind das offene Buch von Venedig’s ereignißvoller Geschichte. Sie machen Alles glaublich, was die Historiker des Mittelalters von seiner Pracht gesagt haben, was sie von seiner Macht, seinem Reichthume und der Größe seines Handels erzählen.

Jene lange, dem Meere zugekehrte Fronte, im arabischen Prachtstyl, ist der Pallast des Dogen, der ehemalige Sitz der ausübenden Gewalten der einst so mächtigen Republik. Von da gingen die Beschlüsse des Senats aus, welche im Mittelalter oft die Schicksale der Reiche lenkten. Neben an ist die Piazetta, gleichsam die Staatspforte Venedig’s, auf deren breiten, in die Fluthen hinabführenden Marmorstufen die fremden Fürsten und Gesandten landeten, wenn sie kamen, die Freundschaft der Republik zu suchen. Hier hatte diese auch die Zeugnisse ihrer Herrlichkeit aufgestellt. Jene 2 Säulen am Eingang, 40 Fuß hoch und 8 Fuß dick, jede aus einem Stück orientalischen Porphyrs, zierten einst die Einfahrt der Dardanellen, von wo sie die Venetianer weg- und als Trophäen mitnahmen, als sie im 12ten Jahrhundert das griechische Reich gedemüthigt hatten, und Constantinopel selbst ihnen als Eroberer gehuldigt. Auf der einen war die colossale Bronzbildsäule des heiligen Antonius, des ältesten Schuhpatrons Venedig’s. Der geflügelte Löwe, Attribut des Evangelisten Markus, des neuen Schutzheiligen der Republik, schmückte die andere. Als die Franzosen, 1797, dem Staate ein Ende machten, nahmen