Ueber die Lütticher Revolution

Textdaten
Autor: anonym
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Titel: Ueber die Lütticher Revolution
Untertitel:
aus: Braunschweigisches Journal, 3. Band, S. 81–102
Herausgeber: E. Chr. Trapp
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1790
Verlag: Verlag der Schulbuchhandlung
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Erscheinungsort: Braunschweig
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Quelle: Commons = UB Bielefeld
Kurzbeschreibung: Artikel über die Lütticher Revolution und den Umgang des Reiches mit dieser
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[81]
4.
Ueber die Lütticher Revolution.




Die Lütticher Revolution, die jetzt leider eine eben so unrühmliche als unglückliche Wendung genommen, hat, wie es mir scheinet, in dem größeren und nördlichen Theile unsers Vaterlandes bei weitem nicht so viel Eindruck gemacht und so viel Theilnehmung erregt, als sie billig hätte thun sollen. Die Ursachen davon lassen sich leicht angeben, und es liegen dieselben unstreitig der Hauptsache nach in der ganzen Staats-Verfassung von Deutschland, und dem äußerst geringen Grade von Patriotismus, der in diesem unsern Vaterlande herrscht – wenn man überhaupt von dem Deutschen als solchen sagen kann, daß er ein Vaterland hat, und was Patriotismus ist, weiß.

Aber selbst dies abgerechnet, scheint mir die Theilnehmung an dieser wichtigen Begebenheit doch noch zu geringe zu seyn – und ich glaube, wenn sich die nämliche oder eine ähnliche in Frankreich oder England zugetragen hätte, man würde weniger Gleichgültigkeit dagegen unter uns angetroffen haben.

Und doch ist die Sache an und für sich so äußerst wichtig – und jeder Deutsche, der für [82] das öffentliche Wohl und für bürgerliche Freiheit und Rechte in dem kleineren oder größeren Staate, worin er lebt, einigen Sinn hat, muß bei dem ganzen Gange, den diese Begebenheit[WS 1] genommen, des Beispiels wegen wenigstens, sich lebhaft bewegt und theilnehmend finden.

Bei dieser Ueberzeugung war mir die Schrift des Herrn von Dohm über die Lütticher Revolution eine höchst erfreuliche Erscheinung. – Herr von Dohm ist gerade der Mann, der die Aufmerksamkeit des Publikums erregen, und zugleich auf den rechten Punkt lenken konnte. Außer den übrigen Eigenschaften, die ihn dazu fähig machen, hat er eine so wichtige Rolle bei dieser Begebenheit selbst gespielt, daß niemand genauer und zuverläßiger davon unterrichtet seyn konnte und sein großer, freier, edler Sinn bürgt allein für die pünktlichste Treue seiner Darstellung, welche ihm außerdem sein äußerer Beruf in seiner ganzen Lage als eine nothwendige Klugheitsregel vorschreiben mußte.

So gerade und bieder sein Verhalten in dieser wichtigen Angelegenheit gewesen ist, und dem ihm von seinem Monarchen gegebenen Auftrage nach seyn mußte – eben so gerade und bieder konnte und mußte er darüber schreiben. Der ganze Ton, der in dieser Schrift herrscht, hat das unverkennbarste Gepräge lautrer Absichten, und reiner [83] Wahrheitsliebe und der Art von freimüthiger Zuversicht, die nur die Frucht von beiden seyn kann.

Unmöglich hätte ein Mann wie Dohm so schreiben können, wenn nicht die Schritte, die sein Monarch ihn thun hieß, seiner eigenen innigsten Ueberzeugung nach durchaus edel und würdig gewesen wären. Doch eine solche moralische Gewißheit, an die leider der Glaube der Menschen vorzüglich in allem, was Staatsgeschäfte betrift, gänzlich erstorben zu seyn scheint, würde wohl nur wenigen Lesern genügen – glücklicher Weise aber kann man dieselbe gänzlich bei Seite setzen, und darf seinen Glauben nur den öffentlichen Akten und den unleugbarsten Thatsachen, die fast immer durch das Zeugniß der Gegner, wo es noch eines Zeugnisses bedurfte, bewährt sind, nicht versagen.

Es ist nach allem, was man so sonnenklar in der Schrift des Herrn von Dohm siehet, das Verfahren des Preußischen Hofes in der Lütticher Sache dem gesunden Verstande, der natürlichen Gerechtigkeit und Billigkeit so gemäß, daß jeder Unparteiische ihm seinen zustimmenden Beifall unmöglich versagen kann. Außerdem ist es in der That ein sehr schönes, rührendes und merkwürdiges Beispiel, daß nur der unumschränkteste und in seiner Unumschränktheit sicherste Regent in der Welt, ohne irgend eine eigennützige Absicht, [84] und selbst unter der Gefahr mannigfacher Verdrüßlichkeiten und politischen Nachtheile, eine Nation mit ihren Gerechtsamen und Freiheiten gegen ihren Regenten in Schutz nimmt, und kein Werkzeug ihrer gewaltsamen, und als rechtmäßig vorgespiegelten Unterdrückung seyn will.

So kann ein Monarch handeln, der in seinem eigenen Lande nicht Despot seyn, und keinen Despotismus leiden will – in dessen Staate die Gesetze heilig, und gegen jeden Eingriff, selbst den seiner eigenen Willkühr gesichert sind, und in dem der ganze Gang und Mechanismus der öffentlichen Geschäfte die bürgerliche Freiheit und die Gesetzmäßigkeit erhält und befördert. O wolle Gott, daß ein solcher Geist der wahren Freiheit in diesem mächtigen und glücklichen Reiche von seinem Könige und dessen erstem Minister bis auf den niedrigsten Bürger herab sich stets erhalten und stets wachsen möge, daß keiner in ihm anders als nach Gesetzen handeln, und keiner sich anders als den Gesetzen gemäß behandeln lassen wolle!

So groß und edel nun aber auch die Absicht, und das Benehmen des Preußischen Monarchen und seines Herzbergs in der Lütticher Sache waren – und so wohlthätig der Erfolg derselben für das Land und den Bischoff von Lüttich hätten werden können – so sehr hat man gleichwohl [85] diese Absichten und dieses Benehmen zum Theil verkannt, und den glücklichen Erfolg derselben bisher gänzlich vereitelt. Selbst ein großer Theil des unparteiischen Publikums schien zu glauben, daß so weise, den Umständen angemessen und der natürlichen Gerechtigkeit und Billigkeit gemäß auf Preußischer Seite in dieser Sache verfahren sey: so habe man doch dem positiven Rechte, und den Gesetzen der Constitution von Deutschland dabei zuwider gehandelt. Ohne mich in die fein verwickelte Untersuchung, was in den Fällen, wo augenscheinlich das Summum jus summa injuria ist, zu thun sey, einzulassen, siehet man aus der Schrift des Herrn von Dohm, wie in der Lütticher Sache kein solcher Streitfall zwischen verschiedenen Pflichten und Rechtsarten Statt fand, und daß hier das Recht der gesunden Vernunft mit dem positiven Recht, durchaus zusammentraf.

Ich begnüge mich über die Veranlassung, die Gründe und den ganzen Gang der Lütticher Revolution nur eines und das andre, was mir die allerernsthafteste Aufmerksamkeit und Beherzigung zu verdienen und zu erfordern[WS 2] scheint, auszuheben.

Die erste Veranlassung zu den Streitigkeiten des Fürstbischoffs mit seinen Unterthanen, ist eine sehr unrühmliche und genugsam berüchtigte. Der Fürstbischoff, und bei erledigtem Sitze, das Kapitel, [86] maaßten sich an, das Recht und den Vortheil in Spa Hazard-Spiele und Bälle zu geben, an gewisse Particuliers zu überlassen. Ueber die Rechtmäßigkeit einer solchen, ohne Zuziehung der Stände ertheilten Spiel-Octrol, entstand ein Proceß bei dem Reichs-Kammergericht. Diese Streitfrage erhielt ein höheres Interesse, als sie auf die allgemeinere zurückgebracht wurde: ob der Fürst über Gegenstände der Polizei allein Verfügungen erlassen könne, oder zu denselben, wie zu allen neuen Modifikationen der bestehenden Freiheit des Bürgers, der Einstimmung der Stände bedürfte?

Dieser wichtige, den klaren Buchstaben der Constitution und der ununterbrochensten Observanz nach, so leicht zu entscheidende[1] Streit ist bis itzt, nach einem Verlauf von 5 Jahren, [87] vom Reichs-Kammergerichte noch nicht entschieden worden. Es hat solches bisher nur provisorische Verordnungen erlassen, die von beiden Theilen zu ihrem Vortheil erkläret werden.

Bekanntlich suchte inzwischen der Fürst durch Soldaten, und sogar Kanonen, die er nach Spa schickte, sein vermeintes Recht geltend zu machen, und alle Eingriffe in dasselbe abzuhalten. Das Interesse an diesem Streite verbreitete sich durch das ganze Land mit immer zunehmender Erbitterung. Die guten Bürger, sagt Herr von Dohm, denen die Quelle dieses Gewinns immer verächtlich, und wer ihn behaupten mögte, gleichgültig war, trauerten über die immer weiter gehende Trennung zwischen Fürst und Unterthanen, misbilligten, wenn letztere in dem Ausdrucke ihrer Unzufriedenheit zu weit gingen, und die Rathgeber des erstern sich zu gewaltsamen Maaßregeln verleiten ließen, welche durch den Gegenstand, den sie betrafen, noch gehäßiger wurden.

[88] Zu diesem Streite kam noch der Unwille der Stände über eine von dem Bischof einseitig geschlossene Verbindung mit Frankreich, welche die Werbung einer dem Reiche fremden Macht begünstige, und das Land in Gefahr setzte, die bei seiner Lage so wichtige Neutralität zu verlieren.

Auf das Volk machte die Wiedereinführung einer auf dem Landtage 1787 abgeschaften verhaßten Abgabe, einen so unangenehmeren Eindruck, je mehr es die dazu gegebene Einwilligung seiner, nicht auf einem Landtage versammelten, Deputirten als Folge ihrer Abhängigkeit vom Hofe ansah.

Zu alle dem kam noch die Brodtheurung, von 1788/89, von der ein durch offenbare Schuld des Fürsten zwischen ihm und den Ständen entstandener Streit für die Hauptursache gehalten wurde. In einer Stimmung der Gemüther, die eine natürliche Folge von allen diesem seyn mußte, kam die Nachricht von dem, was im Jul. 1789 in Paris vorgegangen war, nach Lüttich.

Bedurfte es mehr als eines solchen Anstoßes um einen Ausbruch zu beschleunigen, der nur verzögert, aber nicht länger zurückgehalten werden konnte?

Zwei Hauptpunkte bei der in Frankreich festgesetzten neuen Ordnung der Dinge mußten in Lüttich einen ganz besonders lebhaften Eindruck machen, die Theilnehmung der Geistlichkeit [89] an den Lasten des Staats, und die gleichere Repräsentation des Volks. Zwei Drittheile des Bodens im Hochstifte Lüttich gehören der Geistlichkeit, und diese Geistlichkeit ist von allen und jeden Abgaben fast ganz frei!!!

Die Repräsentanten der Nation bestehen aus den drei Ständen, dem Domkapitel, der Ritterschaft, und den Deputirten der Hauptstadt und 22 anderer von Alters her auf dem Landtage Sitz und Stimme habender Städte. Diese städtischen Deputirten sind die eigentlichen Vertreter des Volks. Nach der ursprünglichen Verfassung wurden sie von den Bürgerschaften dieser Städte gewählt. Aber der Bischof Maximilian Heinrich aus dem Hause Baiern, der zugleich Churfürst von Cölln und Bischof von Hildesheim war, misbrauchte seine Macht und fremde Truppen, um nach vorgegangenen langen innern Unruhen, durch ein eigenmächtig im November 1684 erlassenes Reglement, sich selbst die Ernennung der Hälfte des Magistrats der Hauptstadt beizulegen, und auch auf die Wahl der andern Hälfte sich einen solchen Einfluß zu verschaffen, daß die Mehrheit immer dem Bischof ganz ergeben seyn mußte; wobei er noch überdem jede ihm künftig gefällige Modifikation sich vorbehielt. Eine gleiche Veränderung wurde auch in den meisten andern Städten des Landes bald nachher vorgenommen. [90] Von dieser Zeit an sah man wol nicht mit Unrecht diesen dritten Stand als fast vernichtet an. Der Bischof hatte nun nicht mehr mit Vertretern des Volks, sondern mit Männern zu thun, die ihm ihre Stellen verdankten, und wegen ihres fernern Glücks ganz von ihm abhängig waren. Man weiß, wie sehr alle freie Staaten einer solchen Dependenz der Repräsentanten des Volks von der ausübenden Gewalt sorgfältig zu begegnen suchen, und wie verhaßt sie ihnen ist. Sie mußte es in Lüttich doppelt seyn, da sie durch Gewalt errungen, und mit dem Blute edler Bürger, deren Nahmen noch itzt ehrwürdig sind, besiegelt war. Wirklich war durch diese Veränderung das Gewicht, welches die Constitution in den drei Ständen der ausübenden Gewalt entgegengesetzt, fast ganz weggenommen, da die Bischöfe, sowie die Mehrheit im dritten Stande, auch meistens der im Kapitel versichert seyn konnten. Nicht minder nachtheilig war sie der durch eben diese Constitution in dem Gericht der XXII bestellten wachenden Oberaufsicht der richterlichen Gewalt, da allemal 14 derselben aus dem nun so abhängigen tiers état genommen wurden.

Linderung der Lasten des Volks durch Theilnahme der Geistlichkeit an denselben, und Herstellung seiner constitutionsmäßigen [91] Repräsentation, waren also die zwei Hauptwünsche der ganzen Lütticher Nation.

In Rücksicht auf den ersten Punkt kam der Fürst den Aeußerungen seines Volks zuvor, und lud die Geistlichkeit ein, die Abgaben gleich zu tragen, und ihren sie davon befreienden Privilegiis ganz auf immer zu entsagen. Zugleich schrieb er die lange gewünschte Versammlung der Stände aus.

So edelmüthig dies Betragen des Regenten war, so edelmüthig war auch die Art, wie die Nation solches aufnahm. Sie mischte unter ihren lebhaftesten Dank die Aeußerung des Wunsches ihre bürgerliche Freiheit durch Abschaffung des Reglements von 1684 wieder hergestellt zu sehen.

Dieser Wunsch[WS 3] äußerte sich wie bei einem ganzen Volk ein allgemein gewordener Wunsch sich äußern kann, stark und laut – aber ohne Beleidigung irgend eines Menschen. Er ward dem Fürsten von seinem Schwestersohn, dem Dohmherrn Grafen Geloes, und seinem Kanzler Baron de Slase vorgetragen. Er gab schriftlich seine Einwilligung zu Allem, was das Wohl seines Volks befördern, und dessen Wünsche erfüllen könne.

Hierauf legte der bisherige Magistrat seine Aemter nieder, das Volk schritt durch einstimmigen Zuruf zur Wahl eines neuen, und wählte Männer, die im Besitz der allgemeinen Liebe und [92] des allgemeinen Vertrauens standen. Der Fürst genehmigte Alles, und gab durch eine Reihe von ganz unzweideutigen Handlungen einen unwiderleglichen Beweis, daß diese Genehmigung keine Folge irgend einer Art von Zwang war, die mit Recht einen solchen Nahmen führen kann.

Er gab so gar aus eigener Bewegung die gerichtliche Erklärung ans Reich-Kammergericht, daß auch wegen seiner vorigen Rechts-Händel mit seinen Unterthanen Vergleich zu hoffen sey; mit der Bitte, im rechtlichen Verfahren inne zu halten, welche Bitte das R. K. G. verwarf. Wie er sein Land aus Sorgfalt für seine Gesundheit verließ, bezeugte er, ohne daß irgend etwas in der Welt, als sein freiester Wille ihn dazu bestimmen konnte, daß er keinesweges irgendwo Klage führen, noch zu irgend einer Beschwerdeführung Jemanden den Auftrag geben werde; sondern er erklärte vielmehr im Angesicht der ganzen Welt alle und jede Klagen für nichtig, die vielleicht in seinem Nahmen angebracht werden könnten.

Die beiden ersten Stände haben ihre Einwilligung eben so ausdrücklich, und durch die öffentlichen Handlungen bethätiget. Das Domkapitel sagt sogar in einem Receß von 2ten October: daß die Wiedereinsetzung der Stadt Lüttich in ihre Rechte, welche man ihr durch Gewalt und [93] Tirannei im Jahr 1684 geraubt habe, würde sehr gesetzmäßig gewesen seyn, und vom Reichs-Kammergericht und von der ganzen Welt hätte gebilligt weren müssen, selbst bei der Voraussetzung, daß sie wider den Willen des Fürsten geschehen sey.

Die ganze Sache ist also die, daß ein Volk seine natürlichen und positiven Gerechtsame, die ihm durch Gewalt und Tirannei geraubt waren, mit vollkommner Einwilligung seines Fürsten, auf dem natürlichen einfachen Wege, ohne alle bürgerliche Unordnungen und Tumulte, wieder erhält!

Alle Welt freute sich, und mußte sich freuen über eine so glückliche Begebenheit – alle Zeitungsschreiber drückten sogar ihre Freude darüber auf das lebhafteste aus – keine im mindesten beunruhigende Nachricht erscholl darüber im Publikum.

Unter diesen Umständen erließ das Kaiserliche und Reichs-Kammergericht zu Wezlar am 27 August ein Mandat an die ausschreibenden Fürsten des Niederrheinisch-Westphälischen Kreises (den Fürst Bischof von Münster, den Herzog von Jülich und den Herzog von Kleve) „mit erforderlicher Mannschaft, auf Kosten der Lütticher Rebellen, den Fürst Bischof mit seinen Räthen, [94] Dienern und treugebliebenen Unterthanen wider alle Gewaltthätigkeit kräftig zu schützen, öffentliche Ruhe und Sicherheit, besonders aber in der Hauptstadt, so wie im ganzen Lande, die Regierungs-Verfassung wieder in den Stand herzustellen, wie sie vor der Empörung gewesen, die abgesetzten Magistrats-Personen wieder in ihre Aemter einzusetzen, und darin bis zur neuen Wahl zu belassen, welche nach der bisherigen Form vorgenommen, und von welcher die tumultuarisch angestellten Personen ausgeschlossen seyn sollten, endlich gegen die Urheber der Rebellion zu inquiriren, sie in gefängliche Haft zu bringen, die Flüchtigen aber mit Steckbriefen- und Güterbeschlag verfolgen zu lassen.“

Ich halte jeden Ausdruck meiner Empfindungen über dieses Mandat zurück, und bemerke nur.

1) Ein freies Volk war seit hundert Jahren mit Gewalt unterdrückt, und seiner wesentlichen Rechte durch die alleroffenbarste Tirannei beraubt – ohne daß ein Reichs-Gericht ihm helfen konnte oder wollte.

2) Diesem Volke war die rechtliche Klage durch das Reglement von 1684 so gut als unmöglich gemacht. Ein Volk kann nur durch seine Vorsteher Prozesse führen, und die Existenz dieser Vorsteher war Gegenstand der Klage; der rechtliche Kläger war selbst getödtet.

[95] 3) Dieses Volk äußert auf die ihm einzig mögliche Art seine Wünsche, und bittet um die Einwilligung, die zu deren Erfüllung erforderlich war – und zwar mit einer Mäßigung und Ordnung, die vielleicht noch nie von so viel tausend zu solchem Zweck, und in solcher Stimmung versammelten Menschen bewiesen sind.

4) Alle bei der Sache interessirte Personen sind einstimmig – niemand wird in seinen Rechten gekränkt – und ein vor hundert Jahren einem ganzen Volke angethanes Unrecht, wird mit allgemeiner Einwilligung aufgehoben – eine recht und gesetzmäßige Constitution wird wieder eingeführt.

5) Dieses Volk soll klagen, wo nichts zu klagen ist, soll durch Reichs-Prozesse erzwingen, wollen, was ihm sein Fürst freiwillig zugesteht – soll eine Justitz suchen, deren wesentliche unüberwindliche Langsamkeit ihm durch traurige Erfahrung bekannt ist; da auf diesem Wege die einfache Frage: ob der Bischof allein eine Spiel-Octroi ertheilen könne, in mehreren Jahren nicht entschieden wurde, und die darüber erfolgten provisorischen Verordnungen so beschaffen waren, daß sie von beiden streitenden Parteien zu ihrem Vortheil erklärt wurden.

6) Gegen dieses Volk erfolgte ohne äußern Anlaß, ohne angebrachte Klage, ohne kundbar [96] sich äußernde Stöhrung des Ruhestandes, jenes schreckliche Mandat – da sonst in einem solchen Falle, nie ein Reichs-Gericht sich einer bloßen Untersuchung unterzieht.

7) Das Mandat erfolgte lediglich auf sogenannte allgemeine Nachricht und Notorität, die nothwendig ganz einseitig seyn mußten, und den öffentlichen Zeitungs-Nachrichten widersprechend waren, so wie der einzigen nach Wezlar gekommenen authentischen Nachricht: der gerichtlichen aus eigener Bewegung gegebenen Erklärung des Fürst Bischofs, daß auch wegen seiner vorigen Rechtshändel mit seinen Unterthanen Vergleich zu hoffen sey.

8) Am 18ten August wurde zu Lüttich die rechtmäßige Landes-Constitution, durch Vereinigung des Fürsten mit seinen Unterthanen wieder hergestellt – und schon am 27sten erfolgte zu Wezlar, das 40 - 50 Meilen von Lüttich entfernt ist, das Mandat des Reichs-Gerichts. Nur die ersten rohesten, unbestimmtesten, und mit den meisten Uebertreibungen beladenen Gerüchte, waren also der einzige Grund der Erlassung des Mandats.

9) Es ist das heiligste Natur- und Vernunfts-Gesetz, Niemand ungehört zu verdammen, und die Reichs-Gesetze schreiben den Reichs-Gerichten ausdrücklich vor, daß die Angeklagten mit [97] ihrem Bericht und Gegen-Nothdurft gehört, und bei dessen Unterbleibung den Mandaten keine Parition gleistet werden soll.

Hier soll auf ein unbestimmtes, glaubwürdig widersprochenes Gerücht, eine Handlung eines Fürsten und eines ganzen Volks vernichtet werden. Hier ward ein ganzes Volk unangeklagt und ungehört verdammt; hier fand keine Untersuchung, kein Bericht, keine Sonderung des Schuldigen und Unschuldigen Statt.

Das Mandat des Reichs-Kammergerichts, sollte einen Fürsten schützen, der keinen Schutz verlangte; setzte Magistrats-Personen ab, und behandelte dieselben als Verbrecher, die eine ganze Nation einstimmig erwählet, die der Fürst feierlich genehmigt, und denen er die höchsten Beweise seines Vertrauens und seiner Achtung gegeben, die er zur gemeinschaftlichen Berathung der Landes-Angelegenheiten berufen hatte. Das Mandat des Reichs-Kammergerichts verordnete eine Inquisition wider eine ganze Nation (denn diese hatten gefehlt, wenn gefehlt war) drang eine durch allgemeines Einverständniß aufgehobene, gewaltsame Verletzung der Constitution dem Lande wieder auf, und trug dreien großen Fürsten auf zum unabsehbaren Ruin dieses Landes ihre Truppen in dasselbe rücken zu lassen, und diese Truppen [98] selbst allen den Gefahren auszusetzen, welche der Widerstand eines für Freiheit und Leben kämpfenden zahlreichen und muthigen Volks mit Gewißheit voraussehen ließ.

War es nicht in einer so äußerst wichtigen Sache eben sowohl Pflicht, als bei der unbedeutendsten Kleinigkeit jeder vernünftige Mensch es für Pflicht hält – erst zu untersuchen, und dann zu richten und zu verdammen? Dieser der Vernunft und der Verfassung gemäße Weg wäre gewiss allem Uebel zuvorgekommen; aber er hätte keines gestiftet, er hätte Ruhe und Ordnung hergestellt, wenn sie gestöhrt waren: aber nicht sie unterbrochen, wenn sie es noch nicht waren; er hätte den Schuldigen (wenn er da war) von dem Unschuldigen gesondert, und dem Lütticher Lande nur Befestigung seines Wohlstandes gegeben, ohne ihm Verwirrung und Ruin zu drohen.

Ich habe nicht Lust die Empfindung meiner Leser zu erregen, und ihre Einbildungskraft zu erhitzen, durch eine Schilderung alles des Greuels und der Abscheulichkeiten, wodurch von dieser Zeit an eine der schönsten Provinzen Deutschlands zum Theil schon verwüstet ist, und immer mehr verwüstet werden wird.

[99] Eine ganze muthige brave Nation, wird auf Jahrhunderte ein Opfer – ein schuldloses Opfer, und wovon?

Was muß jeder Deutsche, der sein Vaterland liebt und schätzt, bei dieser Sache in so vielfacher Rücksicht empfinden?

Wie schmerzhaft muß es ihm seyn, wenn der Ausländer, durch diese Begebenheit veranlaßt, über ein seiner ursprünglichen Bestimmung nach ehrwürdiges Collegium so urtheilt, wie die Gazette de Paris: L’odieuse chambre de Wezlar, reste honteux de ces constitutions désastreuses, qu’enfanterent les siècles de Barbarie, jouit peut être d’un triomphe passager; mais probablement, en échouant, s’est couverte d’opprobre, et a provoqué sa déstruction.

Ueber das nachherige Verhalten des Herrn Fürst Bischofs kein Wort – das liegt aller Welt klar vor Augen, und ich mag den Eindruck, den es an und für sich schon macht, nothwendig machen muß, und zu allen Zeiten machen wird, bei meinem Leser und bei mir selbst nicht noch verstärken.

Auffallend sonderbar ist es, daß bei dieser Sache, viele und darunter selbst einige übrigens einsichtsvolle Männer, die schreienden Ungerechtigkeiten übersehen – gerade als wenn dieselben [100] so in den Lauf der Dinge gehörten, daß man sich nicht einmal darüber wundern oder dawider reden dürfte – über eine scheinbare Gesetzwidrigkeit in Rücksicht auf die Form und den Buchstaben, aber sehr viel Beschwerde erheben.

Vielleicht hat nie ein Monarch, in einer solchen Sache menschlicher, edler, uneigennütziger und weiser gehandelt, als der König von Preußen in der Lütticher Sache.

Es war, als könnte man ihm einen solchen Ruhm, den er bei den unparteiischen Zeitgenossen, und der Nachwelt sicher behaupten wird, gar nicht verzeihen. Man kann es ihm nicht vergeben, daß er sich nicht hat zum Werkzeug des Verderbens eines schuldlosen biedern Volks gebrauchen lassen wollen, und dagegen die eines Königl. Herzens unwürdige Beruhigung annehmen, dieses Verderben in bester processualischer Form bewirkt zu haben.

Uebrigens ist es für den, der Gerechtigkeit liebt, und dem das Wohl der Menschheit am Herzen liegt, eine überaus angenehme Entdeckung, daß unsere Reichs-Gesetze selbst dafür gesorgt haben, daß um der Form willen nicht die Sache zu Grunde gehe – und daß dieses Gesetz auf den Fall, wovon die Rede ist, gleichsam ausdrücklich gemacht zu seyn scheint.

[101] Es heißt: jeder Stand des Reichs soll gutwillig und beflissen seyn, eine dem Reiche drohende Gefahr, auch für sich selbst seines besten Verhaltens und Vermögens, vor dem, ehe die Sachen zu thätiger Beschädigung gelangen, abzuwenden; nach welcher jederzeit nach Gelegenheit der Sachen und Nothdurft, ein jeder sich dermaßen freundlich und mitleidentlich gegen den andern erweisen soll, wie ein jeder vermöge der natürlichen Völker- und gemeinen Rechte des heiligen Reichs-Landfrieden, Constitution, Ordnungen und Satzungen, auch christlichen brüderlichen Liebe zu thun schuldig und verbunden ist.

So also hat der König von Preußen auch den klarsten Buchstaben des Gesetzes erfüllet.

Daß die drohende Gefahr, wirklich da gewesen sey, wird itzt wohl niemand mehr bezweifeln – es ist aus dem Zeugniß der Gegner erwiesen, daß ein Bündniß zwischen den Brabantern und Lüttichern (welches in der Folge wegen der ganz entgegengesetzten Staats-Grundsätze, die die Belgier annahmen, zu Lüttichs Ehre und Glück nicht zu Stande kam) im Werke war – und die große Frage, worauf beinahe alles ankommt, ob, wie der Fürst Bischof und seine Anhänger behaupten, 11/12 seiner Unterthanen für ihn gewesen seyn, oder ob, wie der König von Preußen behauptete, es sich grade umgekehrt verhalten, [102] habe, ist jetzt durch den Erfolg auf eine solche Art entschieden, daß man weiter kein Wort darüber verlieren mag.

Eben so entschieden ist es nun auch durch den Erfolg erwiesen, daß der König von Preußen keinesweges den Richter in dieser Sache gemacht hat, oder hat machen wollen. Nachdem er alles, was Wohlwollen und Klugheit in einer solchen Angelegenheit zu thun heißen, vergeblich versucht hatte, hat er sie so gleich dem gewöhnlichen Gange überlassen – und sein ganzes Benehmen hat leider keinen weiteren Erfolg gehabt, als daß das Lütticher Land nicht einige Monate früher zu Grund gerichtet ward; hoffentlich aber, Deutschland auf die Mängel seiner Reichs-Justitz auf eine nachdrückliche Art aufmerksam gemacht ist, welche die heilende Hand beschleunigen wird.


  1. Der Grund-Vertrag dieser Constitution la paix de Fexhe bestimmt deutlich, daß die Gesetzgebung ohne die mindeste Einschränkung oder Ausnahme bei dem Bischof und den Ständen beruhe, und in des Herrn Hoffmann (welcher Agent des Königs und auch der Lütticher Stände zu Wezlar ist) gründlichen Schrifft C. F. Hoffmann de ordinum provinciae Leodiensis jure in legislatoria potestate, cum principe concurrendi in negotio regiminis et iustitiae [87] aeque ac poltiae. Wezlar 1788. ist sonnenklar und auf eine unwiderlegliche Art bewiesen, daß von den undenklichsten Zeiten her, seitdem man Gegenstände der Polizei gesetzgeberisch bestimmt hat, alle und jede dieselben betreffende Verfügungen nie anders als mit ausdrücklich darin bewirkter Zustimmung der Stände getroffen sind.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: dieseBegebenheit
  2. Vorlage: erfodern
  3. Vorlage: DieserWunsch