CLXXX. Eppstein Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band (1837) von Joseph Meyer
CLXXXI. Stolzenfels am Rhein
CLXXXII. Hirnischkretschen
  Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
[Ξ]

BURG STOLZENFELS
am Rhein

[123]
CLXXXI. Stolzenfels am Rhein.




Jede Gegend erhält einen eigenen, romantischen Reiz, wenn wir sie von einer Ruine des Alterthums herab übersehen; zumal eine Gegend wie diese. Was für Contraste des Leblosen und Lebendigen, der Zerstörung und des Gedeihens drängen sich dem Auge da auf, und welche Reihe anziehender Betrachtungen werden dadurch herbeigeführt!

Vor fünf und zwanzig Jahren stand ich auf der nämlichen Höhe und schauete mit Entzücken in das schöne Land. Mit einem Blicke übersah ich die Gegend von Coblenz, welche, wie ein blühender, duftender, üppiger Garten, von waldigen Höhen zum Schutz und zum Schmuck bekränzt, sich in dem südlichen Himmel sonnt. Wie jetzt zog der klare Strom in stiller Majestät durch das herrliche deutsche Land hin, und die Burgen und Berge, und die Städte und Landhäuser besahen sich wohlgefällig in seinem Spiegel. Keine Flagge wehte damals auf Ehrenbreitstein; mit finsterm Ernste blickten die verlassenen, unverwüstlichen Mauern von ihren Felswänden nieder in die schäumende Tiefe, wie die ewige Zeit auf das flüchtige Leben und Treiben der Menschen. – Napoleon! dachte ich damals und fluchte ihm, dem Tyrannen der deutschen Erde.

Es sind erst fünf und zwanzig Jahre; – eine Spanne Zeit! aber welcher unermeßliche Abgrund hat sich, scheidend, zwischen damals und jetzt gelegt. Wie ist Alles in ihr anders geworden! Meine damalige Furcht, meine späteren Hoffnungen, meine Wünsche, meine Erwartungen, – alle traf das nämliche Schicksal; nur mit dem Unterschiede, daß ich jene belache, diese beseufze. Ich selbst bin verändert. Ein fünf und zwanzigjähriger Flügelschlag gegen die niedrige Decke enger Verhältnisse hat meinem Geiste die Schwingen gestumpft und die Kraft zum Himmelsfluge ist hin. Wohl bewegt Furcht und Hoffnung meine Brust noch wie damals; aber wie haben ihre Gegenstände sich verändert! Noch fünf und zwanzig Jahre, und der kleinste Raum ist groß genug für Den, der die Erde zu klein hielt für die mögliche Wirksamkeit eines Menschen. Oder ich lebe noch und bin ein Greis, und denke über die Furcht und Hoffnung von jetzt, wie jetzt über die von damals! Wie gelassen werde ich dann am grünen Tische des Lebens stehen, ein nüchterner, kalter Zuschauer, wenn Gewinnsucht und Verzweiflung die Gesichter verzerren, und mit welchem selbstspöttischen Lächeln des kühnen Pointeurs gedenken, der dem bankhaltenden Schicksal so manchmal sein VA BANQUE! Hinwarf. Aber gereuen? Nein, gereuen wird es mich nicht! denn das Leben ist Handlung, und wehe Jedem, welcher das Schicksal nicht fordert, der, reinen Herzens, Kraft und Drang in sich fühlt es zu überwinden, und mit Kampfesfähigkeit ausgerüstet, Kampf und Sieg nicht sucht! – „Ein Krautkopf ist besser, als solch ein Ritter auf der Ofenbank,“ sagt Falstaff.

[124] Verzeih’, lieber Leser, die arge Abschweifung.

Die Burgruine Stolzenfels, eine der prächtigsten am Rhein, liegt bei dem Dorf Capellen auf einem Felsen, der sich kühn über den Strom herüberbeugt. Wohl verdient sie den stolzen Namen. Sie war in der Zeit ihres Glanzes, im 12. und 13. Jahrhundert, die gewöhnliche Sommerresidenz der Trier’schen Erzbischöfe, und viele Kaiser des Reichs in jener Zeit hielten hier Hoflager und Feste. Sie war der Schauplatz der überaus prächtigen Feierlichkeiten zur Verlobung der schönen Isabella, Tochter Königs Heinrich des Dritten von England, mit Kaiser Friedrich dem Rothbart, dem Hohenstaufener. In den Turniren, die hier gehalten wurden, soll, wie die Chroniken erzählen, mehr Blut geflossen seyn, als in manchem Treffen.

Das Schloß galt später mehr für ein Staatsgefängniß, denn für eine fürstliche Residenz, und hatte bis zu Ende des 17ten Jahrhunderts Trier’sche Besatzung. 1688 erstürmten die Franzosen die Veste, sprengten ihre Werke und steckten sie in Brand. Sie wurde nur zum Theil wieder hergestellt, verfiel von neuem und kam 1825 als Geschenk der Stadt Coblenz, an ihren jetzigen Besitzer, den Kronprinzen von Preussen, der ihre Restauration beabsichtigte, die großen Kosten derselben jedoch gescheut hat.

So wird Stolzenfels wohl Ruine bleiben und als solche die schöne Gegend noch in künftigen Jahrhunderten schmücken.