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CLXXXI. Stolzenfels am Rhein.




Jede Gegend erhält einen eigenen, romantischen Reiz, wenn wir sie von einer Ruine des Alterthums herab übersehen; zumal eine Gegend wie diese. Was für Contraste des Leblosen und Lebendigen, der Zerstörung und des Gedeihens drängen sich dem Auge da auf, und welche Reihe anziehender Betrachtungen werden dadurch herbeigeführt!

Vor fünf und zwanzig Jahren stand ich auf der nämlichen Höhe und schauete mit Entzücken in das schöne Land. Mit einem Blicke übersah ich die Gegend von Coblenz, welche, wie ein blühender, duftender, üppiger Garten, von waldigen Höhen zum Schutz und zum Schmuck bekränzt, sich in dem südlichen Himmel sonnt. Wie jetzt zog der klare Strom in stiller Majestät durch das herrliche deutsche Land hin, und die Burgen und Berge, und die Städte und Landhäuser besahen sich wohlgefällig in seinem Spiegel. Keine Flagge wehte damals auf Ehrenbreitstein; mit finsterm Ernste blickten die verlassenen, unverwüstlichen Mauern von ihren Felswänden nieder in die schäumende Tiefe, wie die ewige Zeit auf das flüchtige Leben und Treiben der Menschen. – Napoleon! dachte ich damals und fluchte ihm, dem Tyrannen der deutschen Erde.

Es sind erst fünf und zwanzig Jahre; – eine Spanne Zeit! aber welcher unermeßliche Abgrund hat sich, scheidend, zwischen damals und jetzt gelegt. Wie ist Alles in ihr anders geworden! Meine damalige Furcht, meine späteren Hoffnungen, meine Wünsche, meine Erwartungen, – alle traf das nämliche Schicksal; nur mit dem Unterschiede, daß ich jene belache, diese beseufze. Ich selbst bin verändert. Ein fünf und zwanzigjähriger Flügelschlag gegen die niedrige Decke enger Verhältnisse hat meinem Geiste die Schwingen gestumpft und die Kraft zum Himmelsfluge ist hin. Wohl bewegt Furcht und Hoffnung meine Brust noch wie damals; aber wie haben ihre Gegenstände sich verändert! Noch fünf und zwanzig Jahre, und der kleinste Raum ist groß genug für Den, der die Erde zu klein hielt für die mögliche Wirksamkeit eines Menschen. Oder ich lebe noch und bin ein Greis, und denke über die Furcht und Hoffnung von jetzt, wie jetzt über die von damals! Wie gelassen werde ich dann am grünen Tische des Lebens stehen, ein nüchterner, kalter Zuschauer, wenn Gewinnsucht und Verzweiflung die Gesichter verzerren, und mit welchem selbstspöttischen Lächeln des kühnen Pointeurs gedenken, der dem bankhaltenden Schicksal so manchmal sein VA BANQUE! Hinwarf. Aber gereuen? Nein, gereuen wird es mich nicht! denn das Leben ist Handlung, und wehe Jedem, welcher das Schicksal nicht fordert, der, reinen Herzens, Kraft und Drang in sich fühlt es zu überwinden, und mit Kampfesfähigkeit ausgerüstet, Kampf und Sieg nicht sucht! – „Ein Krautkopf ist besser, als solch ein Ritter auf der Ofenbank,“ sagt Falstaff.