CLXXXI. Stolzenfels am Rhein Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band (1837) von Joseph Meyer
CLXXXII. Hirnischkretschen
CLXXXIII. Die Nikolskoy-Kirche in Petersburg
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HIRMKRETSCHEN
an der Elbe

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CLXXXII. Hirnischkretschen.




Die Landschaftnatur hat das Große, daß sie nirgends klein ist, und das Eigenthümliche, daß sie niemals ermüdet. Am Sternen- und Wolkenhimmel, auf Bergen und an Strömen, in Felsen-Thälern und auf blumigen Wiesen geht nichts Einförmiges vor, und wenn auch die Contouren Familienähnlichkeiten zeigen, so wird doch der Beschauer an ihrer Ausfüllung niemals den Reiz der Abwechselung vermissen.

Aber was der Natur gelingt, wird ihrer Nachbildnerin, der Kunst, unendlich schwer. Im kleinen Bilde treten die Umrisse fast allein vor’s Auge, und sind in einer Reihe solcher Bilder die Haupt-Charakterzüge gleich, so wird sie unfehlbar übersättigen. Darum werden lange Serien von landschaftlichen Darstellungen einer und derselben Gegend selten gefallen, und wohl in keiner Beziehung gilt das „VARIETAS DELECTAT“ unbestrittener.

[125] Der Stahlstich hieneben ist der fünfte aus der sächsischen Schweiz in diesem Werke. Hirnischkretschen, der südliche und schönste Endpunkt der berühmten Gegend möge die Reihe auf passende Weise schließen.

Hirnischkretschen liegt schon auf böhmischem Gebiet. Nur für das Mauth- und das Herrenhaus, (jetzt ein vortrefflicher Gasthof), ist an der prächtigen Elbe Raum, die hier durch die böhmische Felsmauer sich den Weg nach Sachsen brach. Dicht hinter den Gebäuden steigen die Steinwände 300–400 Fuß hoch senkrecht auf. Das Dorf selbst, (welches nichts Merkwürdiges enthält), liegt seitwärts in einem finstern Thale, vom Kamnitzbach bewässert. Brausend sucht der Bach den Strom, der ihn verschlingt.

Der Gasthof ist der gewöhnliche Ruhe- und Erholungspunkt für die Reisenden nach einer mühevollen, aber lohnenden Bergwanderung, und in der schönen Jahreszeit trifft man darum hier fast immer ein buntes Gewühl von fröhlichen Menschen. Nachtlager wird gemeinlich in Schandau gehalten und die Fahrt dorthin gegen Abend zu Wasser gemacht. Sie ist, günstigen Himmel voraussetzend, eine der genußreichsten Partien der ganzen Tour. Man übersieht den Strom auf einer großen Strecke und ein herrlicher Anblick ist’s, wenn die scheidende Sonne ihren großen Spiegel, in dem sie den langen Tag über sich beschaut hatte, wie oben den Himmel, mit Rosen- und Purpurstreifen färbt, während sie die stolzen, mit Berg, Wald und Felsen geschmückten Ufer noch mit ihren letzten goldnen Strahlen bestreut. Bald sieht man Schandau mit dem blinkenden Kirchthurm und den hervorragenden Felsen der Schrammsteine am Winterberge, geröthet und gehoben und glänzen wie von allgemeiner Freude. Hinunterwärts aber streckt in seiner ganzen Majestät der hohe Lilienstein sein dunkles Haupt, wie ein ungeheures Trauerdenkmal, in die Wolken, dicht neben der Königin des Tages wallendem Feuergrab. –