Sponsel Grünes Gewölbe Band 2/Der Inhalt des Grünen Gewölbes – Übersicht über den II. Band des Tafelwerkes – Spiegel

Limoges und andere Emails Das Grüne Gewölbe: eine Auswahl von Meisterwerken in vier Bänden. Band 2 (1928) von Jean Louis Sponsel
Spiegel
Reliefs
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SPIEGEL

Wir haben bisher gesehen, wie in der Ausstattung der Wohnräume mit Ziergefäßen aller Art seit dem 16. Jahrhundert in Deutschland ein großer Luxus getrieben wurde und wie daneben ein dem praktischen Gebrauch bestimmtes Instrument, die Uhr, eine Hauptbedeutung besaß. Ein sodann nicht minder oft in Anspruch genommenes Hausgerät war der Spiegel. Von jeher ist der Spiegel zugleich auch als Ziergerät künstlerisch ausgestattet worden. Aus dem Altertum sind am bekanntesten die etruskischen Handspiegel mit auf den Rückseiten oft vorzüglichen eingegrabenen Zeichnungen. Wir werden noch im 3. Band einige der kostbarsten Hand- und Standspiegel, auch kleinerer Wandspiegel, des Grünen Gewölbes kennen lernen, an denen immer größerer Aufwand zu ihrer künstlerischen oder kostbaren Ausstattung getrieben wurde. Von den größeren Wandspiegeln haben zwei Stücke der Sammlung besonderen künstlerischen Wert und verdienen größere kunstgeschichtliche Beachtung.

[82] Der Wandspiegel von Theodor de Bry auf Tafel 43 ist ein Werk, dessen Verzierung abweicht von der zur Zeit der Renaissance üblichen Ausstattung, an der plastisch vortretende Verzierungen nicht fehlen dürfen. Er hat noch die meiste Verwandtschaft mit einem breiten Bilderrahmen. Das eigentliche Spiegelfeld ist klein (24x20 cm), der Rahmen aber ist breit. Das Spiegelfeld ist durch einen Deckel verdeckt, das Ganze bildet so eine Ziertafel als Wandschmuck von 51x47 cm Flächengröße. Sein Verfertiger war, so viel wir wissen, im Hauptberuf Kupferstecher, sein umfangreiches Werk läßt auch darauf schließen, daß er ausreichende Arbeit gefunden hat. Sein Verkehr mit Silberschmieden mag ihn zu dieser Gelegenheitsarbeit veranlaßt haben, an der er seine Eigenschaft als Kupferstecher nicht verleugnet. Die ganze Verzierung ist nur zeichnerisch empfunden, wie bei den antiken etruskischen Spiegeln, dabei zeigt er sich hier in der Hauptsache als Ornamentist. Die fünf figuralen Darstellungen, mit denen er in ovalen Rahmen die Groteskdekoration des Rahmens und des Spiegeldeckels unterbricht, sind nicht seine eigenen Erfindungen. Auf dem obersten und dem mittelsten Bildfeld ist neben der eigenen Signatur TBfe. das Monogramm QMAS beigefügt. Die Darstellungen sind Grabstichelarbeiten des Kupferstechers. Das Monogramm deutet auf den Erfinder dieser fünf Kupferstiche, oder richtiger Silberstiche. Da nun beide Signaturen in Spiegelschrift eingegraben sind, so könnte man annehmen, die Platten seien ursprünglich für den Papierabdruck, auf dem dann die Schriftzeichen richtig zu Gesicht kommen, bestimmt gewesen. Dagegen spricht aber ihre ovale leicht gewölbte Fläche und die dafür ungewöhnliche Verwendung von Silber. Man kann also die Spiegelschrift auch aus der Gewohnheit des Kupferstechers erklären. Da nun alle Darstellungen, außer der obersten mit dem von Putten gehaltenen leeren Wappenschild, die Verwendung von Spiegeln illustrieren, und da auch das oberste Feld ohne eine solche Darstellung doch auch mit beiden Monogrammen signiert ist, so ist unverkennbar, daß alle fünf ovale Felder schon in der Vorzeichnung als Verzierung eines Spiegels erfunden sind. Nun besteht noch eine Schwierigkeit. Das Monogramm des Zeichners der fünf ovalen Felder könnte vielleicht auf den Antwerpener Maler Quinten Massys gedeutet werden, dessen Lebenszeit, 1466–1530, ist aber so viel früher als die des Theodor de Bry, 1528–1598, daß dadurch eine Zusammenarbeit beider ausgeschlossen ist. Das Monogramm wird also auf einen anderen Zeichner hinweisen. Auf den Silberschmied, der den Rahmen gemacht hätte, kann es nicht gedeutet werden, [83] dieser hätte sich durch seinen Meisterstempel kenntlich machen müssen. Es ist immerhin auffällig, daß Th. de Bry, der ja hinreichend zu figuralen Darstellungen befähigt war, hier die Erfindungen eines anderen verwendet hat, doch kann er dazu dadurch veranlaßt worden sein, daß jener mit diesen Zeichnungen ihm die Anregung zu der Arbeit gegeben hat. Auch die als Flächendekoration erfundene Verzierung der ornamentalen Ausstattung weist nicht auf einen Silberarbeiter als den Erfinder. So ist also die gesamte Ausführung als ein Werk des Theodor de Bry anzuerkennen. Der Hauptreiz des Spiegelrahmens als eines Werkes des Kunsthandwerks liegt in seiner Ornamentation. Diese ist aus Silberblech ausgesägt und auf die flache oder gewölbte Holzunterlage aufgelegt. Man kann in dieser ungewöhnlichen Verzierung einen Vorläufer der Verzierung von Boulemöbeln erblicken, bei denen nur der geringe Unterschied ist, daß die ausgesägten Ornamente in Möbelfurniere aus Holz oder Schildpatt eingelegt sind. Die ausgesägte Ornamentik, durch sorgfältige Innenzeichnung mit dem Grabstichel bereichert, besteht auf den flachen Feldern aus meist aus Vasen auf steigenden Ranken mit Blattumhüllungen und Blüten und dazwischen verteilten Tieren, menschlichen und Groteskfiguren, auf den gewölbten Halbrundstäben aus Rollwerk mit Ranken, bei dem äußeren breiteren mit aufgesetzten Rosetten, kleinen Fröschen und Eidechsen, bei den schmaleren nur mit aufgesetzten Rosetten. Die vier Felder des Deckels haben im Mittel Medaillons mit Cäsarenköpfen. Auf farbige Wirkung ist Bedacht genommen, indem das Silber nur in den ovalen Feldern vergoldet ist. Die Gesamtwirkung ist stilvoll ausgeglichen.

In stärkstem Gegensatz zu dem Flächenstil jenes Spiegels steht der in reichstem Maß architektonisch-plastisch belebte Wandspiegel des Anton Eisenhoit (Tafel 44). Dieser ist nach Ausweis zweier Jahreszahlen in dem Jahr 1587 in Arbeit gewesen, doch sicher schon früher begonnen, 1592 war er vollendet. Der Spruch auf der Rückseite des Spiegels, der ein Zitat aus Galenus mit den Worten „Hilf uns die heilige Dreifaltigkeit“ beendet, war der Wahlspruch der 1568 geborenen und 1622 verstorbenen brandenburgischen Prinzessin Sophie, der Gemahlin des 1591 verstorbenen Kurfürsten Christian I., der Mutter des Kurfürsten Christian II. und Johann Georg I. Im Jahr 1582 vermählt, war sie schon 1591 Witwe. Der Spiegel ist also erst nach dem Tod ihres Gatten in Dresden abgeliefert worden. Aus dem darauf angebrachten Wahlspruch der Kurfürstin ist aber zu schließen, daß er für sie, und dann wohl von ihrem Gatten, bestellt worden war, wohl schon bald nach der Eheschließung. Das Inventar [84] der Kunstkammer von 1610 besagt, der Spiegel sei von einem Lüneburger erkauft worden. Als Hainhofer 1629 in Dresden den Spiegel sah, da erfuhr dieser, daß der Spiegel „zu Lünenburg solle sein gemacht worden“ (ed. Doering. S. 172). Allem Anschein nach hat diese Angabe bisher die Forschung nach dem Künstler nicht weiter dringen lassen. Die Vermutung, daß dieser in der Stadt Lüneburg tätig gewesen sei, mußte ja eine starke Stütze erhalten, als bekannt wurde, einen wie großartigen Silberschatz die früher durch ihren Salinenbetrieb zu den reichsten Städten Deutschlands zählende Stadt Lüneburg besessen hatte, von dem die spärlichen, aber künstlerisch hervorragenden Reste, 36 Stück, 1874 nach Berlin gelangten. Im Jahr 1610 besaß Lüneburg noch 255 Stück dieser silbernen Geräte. Man konnte also annehmen, daß einer der vielen Verfertiger des Lüneburger Ratssilberzeugs, die man zumeist in der Stadt selbst oder in Hamburg voraussetzen konnte, auch den Spiegel im Grünen Gewölbe gemacht habe. Doch mit den im Berliner Schloßmuseum aufgestellten Stücken jenes Silberschatzes sind Zusammenhänge nicht wahrnehmbar. Dagegen bestehen so starke Anklänge an die seit der Ausstellung westfälischer Altertümer in Münster 1879 bekanntgegebenen Werke des aus Warburg stammenden Meisters Anton Eisenhoit (1544–1603), daß er als der Verfertiger des Dresdner Spiegels zu erkennen ist.

Nun finde ich auch eine Erklärung dafür, daß der Verkäufer 1610 als „Lüneburger“ bezeichnet wurde, woraus 1629 gemacht wurde, der Spiegel solle zu Lüneburg hergestellt sein. Das Inventar der Kunstkammer von 1610, S. 166, gibt von ihm folgende Beschreibung: „Großer von Silber vnd vergüldter Spiegell mit böhmischenn steinenn gezierett, darahn die gantze Prophezeihung Danielis vonn denn Vier Monarchien, auch des Römischen Reichs vnd dero darein gehörigen Königreichenn, Lendern vnd Provincien Wappen, ist von der Churf. S. Wittwe vonn einem Lüneburger erkauftt wordenn.“ Hainhofer beschreibt den Inhalt des Spiegels 1629 etwas genauer, und erwähnt an einem: „Die statue Danielis, oder der Traum Nebucadnezars, samt derselben explication, als den vier Monarchien, vnderschidner Reich wappen, vnd andern alles köstlich von getribner arbeit, so vil tausent Gulden kostet, mit gar schönen stainen aufs fleissigst gezieret, mit großer verwunderung zu sehen vnd zu Lünenburg solle sein gemacht worden.“ Die eine Angabe von 1610 schließt die andere von 1629 nicht aus, nur hat Hainhofer den ihm gemachten mündlichen Mitteilungen einen Sinn untergelegt, der 1610 noch nicht so niedergeschrieben [85] war. Das Inventar besagt nur, der Spiegel sei von einem Lüneburger erkauft worden, nicht aber, daß der Hersteller auch ein Lüneburger war. Hainhofer versetzt jetzt auch den Verfertiger nach Lüneburg. Damit meint er wohl die Stadt Lüneburg. Jedermann aus dem Herzogtum Lüneburg war aber damals ein Lüneburger, auch der Herzog selbst. Ein Schwager der Kurfürstin Sophie war Herzog Heinrich Julius von Braunschweig-Lüneburg, Bischof von Halberstadt, 1564–1613. Er war seit 1585 mit einer Schwester des Kurfürsten Christian I. verheiratet. Als diese schon 1587 gestorben war, nahm er 1590 Elisabeth von Dänemark zur Gattin. Er war bekanntlich einer der bedeutendsten und gelehrtesten Männer seiner Zeit, hervorragender Jurist, in allen mathematischen und alchymistischen Wissenschaften bewandert, Sprachenkenner und Dichter von bürgerlichen Dramen, einer der eifrigsten Förderer der hochdeutschen Sprache. Schon als Kind zum Bischof von Halberstadt postuliert, trat er in seinem Bistum 1578 die Regierung an, darauf 1589 in seinem Herzogtum Braunschweig, wo er sich durch eine allzu glänzende Hofhaltung in Schulden und in Händel mit den Ständen stürzte, die zum Krieg mit der Stadt Braunschweig führten. Zum Austrag dieser Streitigkeiten ging er 1607 zu Kaiser Rudolf II. nach Prag; hier ward er der Mittelpunkt der dort ansässigen Gelehrten und Künstler und vertrauter Ratgeber des Kaisers als „des Geheimen Rats oberster Direktor“. Mit großem diplomatischen Geschick wußte er dort die religiösen und politischen Streitigkeiten zu schlichten. Vorzeitig starb er dann in Prag 1613 und wurde zu Wolfenbüttel in der von ihm erbauten Marienkirche beigesetzt. Als Dramendichter und Anhänger der hochdeutschen Sprache ist er hervorgetreten, besonders hat er auch auf die Entwicklung der Baukunst tätigen Einfluß ausgeübt, so bei dem Spätrenaissancebau der Universität Helmstädt, deren erster Rektor er war. So ist es nur natürlich, daß er auch am Kunsthandwerk reges Interesse nahm und da die Stadt Warburg zu dem benachbarten Bistum Paderborn gehörte, so kann ihm die Tätigkeit des Warburger Silberschmieds Anton Eisenhoit nicht unbekannt geblieben sein. Philipp Hainhofer sah 1629 in der Schloßapotheke zu Dresden „Herzog Hainrich Julij von Braunschweigg feldapotecklein ganz mit silber eingerüstet vnd 2000 thaler werth“ (ed. Doering S. 204). Diese Feldapotheke, als solche daran erkennbar, daß der kleine mit zwei Flügeltüren versehene Kunstschrank außen völlig schmucklos gelassen ist, ein Werk Eisenhoits, befindet sich im Grünen Gewölbe (I, 35) (Abb. Bd. I Tafel 18). Er ist es offenbar gewesen, der seinem [86] Schwager, dem Kurfürsten Christian I. v. Sachsen, die Bestellung und Erwerbung des Spiegels, dessen Vollendung sich jahrelang hinzog, besorgt hat. Er hat wohl auch dann die Bezahlung vermittelt.

Wir wissen nun von Anton Eisenhoits Leben nicht allzuviel. Er ist zu Warburg in Westfalen 1544 zur Welt gekommen, hielt sich nach Ausweis seiner Kupferstiche längere Zeit in Rom auf, von wo er seine ausgezeichnete Schulung als Silberschmied und seine vollendete Herrschaft über die Formen menschlicher Körper und des Ornaments mit nach Deutschland zurückbrachte. Im Jahre 1585 wird er durch Kupferstiche als wieder in Deutschland tätig nachgewiesen. Damals mag er auch dem Herzog Heinrich Julius, dem Bischof von Halberstadt, seine Dienste angeboten haben und ihm die Feldapotheke angefertigt haben, die später nach Dresden kam. Dann hat er von 1588 bis 1590 die auf Schloß Herdringen in Westfalen befindlichen sechs Altargeräte für den Fürstbischof von Paderborn, Theodor von Fürstenberg (1546–1618) ausgeführt, einen Kelch von 1588, ein Kruzifix von 1589, einen Weihwasserkessel mit Wedel und die Deckel zweier Meßbücher. Da diese gesicherten Werke nicht gestempelt sind, so hat es den Anschein, daß er hierbei als in fürstlichen Diensten der Zunft nicht unterworfen war, falls überhaupt in Warburg oder an dem Ort seiner Tätigkeit eine solche Zunft bestand. Dasselbe würde dann auch für die beiden nicht gestempelten Dresdner Werke, die Feldapotheke und den Wandspiegel, zur Erklärung dienen.

Ebenso wie an den Deckeln der beiden Meßbücher, bei denen doch die Buchform bestimmte Grenzen setzte, hat der Rahmen des Spiegels einen übergroßen Formenreichtum. Was dort nur in flachem Relief dargestellt werden konnte, ist hier in halbrunden Figuren geleistet. Dabei ist doch das architektonische Gerüst des Ganzen wohl erkennbar. Dieses hat die Gestalt der damals in ähnlichem Reichtum entwickelten Wandepitaphien. Was alles an Figuren in dieses Gerüst hineingesetzt ist, das macht einen sehr kriegerischen Eindruck, der allegorische Sinn des Ganzen, der noch zu besprechen ist, ist in den einzelnen Szenen nicht allenthalben klar ausgedrückt. Wichtiger war dem Künstler, sein Gestaltungsvermögen so reich und mannigfach als nur möglich zur Erscheinung zu bringen. Da ist unten in einer Schlußvignette das Parisurteil, als Ursache des Kriegs, schon von stark bewegten Ranken umfaßt, aus deren seitlichen Schnecken Adlerköpfe hervorwachsen. Ähnliche schneckenartige seitliche Abschlüsse bilden am Gurtgesims Platz für sitzende antike Krieger, am Kranzgesims [87] entwickeln sich daraus nackte kriegerische Halbfiguren. Wie diese Voluten in der Höhlung mit Trophäen bedeckt sind, wie sich Schlangen um ihre Ranken winden und allerlei Rollwerk, das ist nur ein Beispiel der überall üppig wuchernden Formenphantasie. Mit zierlicheren Rollwerkmotiven umspinnt diese die beiden Nischen seitlich der den Spiegel flankierenden vorgekröpften Säulen, ohne daß dadurch die in den Nischen stehenden antiken Krieger, ebensowenig wie die Sitzfiguren, in ihrer Wirkung beeinträchtigt werden. Prächtig, wie diese freistehenden Säulen von vorgerollten Bügeln mit Büsten getragen werden und wie von ihren Kapitellen aus mit Masken und Drachenköpfen ausgestattete Voluten das Kranzgesims umfassen. Die unter dem Gurtgesims und der Schlußvignette eingeschobene Zone ist etwas überschattet von dem im Bogen ausladenden Mittelteil des Gesimses. Sie ist gegliedert in eine Halle zwischen zwei Nischen, darin auf Sockeln als dekorative Statuen charakterisiert der in Fesseln gehaltene Staat, die Zeit und der Friede, umgeben von den Genien der Gerechtigkeit und von Glaube, Liebe und Hoffnung. Die seitliche Ornamentik ist mit ihrem Gemisch von Pferdebüste, Volute mit Frauenbüste, Frucht und Vase und Festons schon überreich. Doch mußte sie noch verziert werden mit einem farbigen Glasfluß in Kastenfassung. Solche auch größere Glasflüsse sind auch sonst noch aufgesetzt, doch ist damit der Gesamteindruck unnötig noch unruhiger geworden. Das gleiche gilt für die Reihen von ovalen Glasplättchen mit den Wappen der Königreiche in Hinterglasmalerei, die am Gurt- und am Kranzgesims angebracht sind, ebenso für die Reihe noch kleinerer solcher ovaler Scheiben mit den acht christlichen Tugenden unter der Zone des gefesselten Staates.

Der Giebelaufbau des Spiegels mit seinem aufsteigenden Rollwerk wird fast verdeckt von den davorgesetzten Gestalten und einer großen die Mitte einnehmenden Scheibe mit Hinterglasmalerei, darin Christus am Kreuz vor dem Reichsadler, umgeben von den Wappen aller deutschen Staaten; diese ist von zwei hohen Obelisken flankiert. Den packendsten Schmuck aber bilden die beiden nach außen sprengenden Reiter in antiker Kriegertracht. Darin offenbart unser Meister, daß er über alle Schwierigkeiten der Darstellung mit spielender Sicherheit Herr ist. In würdevoller Haltung ragt in der Mitte empor ein Ritter in antiker Rüstung. Er steht auf einer kleinen Scheibe mit Hinterglasmalerei, die das ewige Reich des himmlischen Jerusalem zeigt, umgeben von den Bahnen der Himmelsgestirne. Im Gegensatz hierzu sollen [88] die beiden berittenen Krieger und die beiden in der Nische stehenden Krieger, wie oben die runden, unten die rechteckigen Glasscheiben bei diesen erkennen lassen und durch Beischriften besagen, die vier antiken Monarchien vorstellen. Über der großen runden Glasscheibe und an die kleine angelehnt sind zwei Friedensengel schön hingelagert, vor die große Scheibe aber ist noch in Relief eine auf Trophäen thronende Viktoria zwischen zwei zu Boden gesunkenen Feinden gesetzt.

Hat man das alles mit den Augen verfolgt und sich dabei hin und her leiten lassen von der künstlerischen Würdigung so vieler prächtiger Einzelheiten und ihres rauschenden Zusammenklanges zu der Deutung ihres Sinnes und Zusammenhangs, dann bietet das Reliefbild des Spiegeldeckels der Betrachtung eine geschlossenere Szene dar, Tafel 45. Im Hintergrund rechts das Strafgericht über das apokalyptische Babel, links gegenüber das von der Sonne bestrahlte himmlische Jerusalem. Davor, in höherem getriebenem Relief, teils aufgesetzt, symmetrisch komponierte Gestalten: Unten in der Mitte am Boden liegend Mendacia, die Lüge unter der gefesselten Weltkugel, auf ihr knieend der klagend emporblickende Genius der Zeit. Zu beiden Seiten stehend die Personifikationen des Kriegs und des Friedens. In den Lüften schwebend der Genius der Wahrheit den Sieg verkündend. Alle Gestalten wieder von einer erstaunlichen Sicherheit der Darstellung zeugend, im Ausdruck zuweilen schon Manier, auch die Verhältnisse nach dem Zeitgeschmack in die Länge geraten. Eine Kunst der Überreife, aber doch ein Können allerersten Ranges.

Die mit einer silbervergoldeten Platte bedeckte Rückseite des Deckels hat einen ovalen Ausschnitt für eine Glasplatte mit Hinterglasmalerei auf Goldgrund, die zwischen roten Linien folgende Inschrift enthält:


Galenus •/ In • Oratione •/• Svasor: ad Artes •/• Capi(te): Quinto •
O • Mensche • Besichstv • Deine •/ Gestalt • Im • Spiegel klar/
So Bedencke • Deinen • Sundtliken • / Standt • Auch • Forwar /
Befindestv • Dir • Schon • Weis • Vnd •/ Wolgestalt/
So • Thv • Avch • Was • Godt • Vnd • Deinem • Negesten • Wohlgefalt /
Mangelt • Dir • Aber • Ahn • Weisheit / Vnd • Sconheit /
So • Erstate • Svlchs • Mit Tvgenden / Vnd Beschedenheit /
Also • Wirdt • Godt • Dir • Wol • Geben / Gvte Gelegenheit /
Dartzv • Hilf • Dv • Heilige / Drifalticheit
  Amen /15 • 92.

Es ist wenig wahrscheinlich, daß Christian I. oder seine Gemahlin von den Schriften des 200 n. Chr. verstorbenen Leibarztes Galenus des Kaisers Commodus [89] eine eingehendere Kenntnis gehabt hätten, ebensowenig auch Anton Eisenhoit. Dagegen ist es durchaus wahrscheinlich, daß der gelehrteste Mann seiner Zeit, Herzog Heinrich Julius, diese philosophischen und grammatischen Schriften studiert hatte. Und da er auch Dichter war, so dürfen die deutschen Reime, die den Inhalt des Zitats wiedergeben, als sein Eigentum angesehen werden. Die Bitte der Schlußzeile des Gedichts aber, die auch schon auf einer Medaille der Kurfürstin Sophie von Tobias Wolf 1589 angebracht ist, konnte ihrem Schwager als deren Wahlspruch nicht unbekannt sein. Hat aber Herzog Heinrich Julius so einen Beitrag zu dem Spiegel geliefert, dann ist es auch gar nicht unwahrscheinlich, daß er an dem allegorischen Inhalt und der Komposition des Spiegels beteiligt war.

Diese allegorische Bedeutung der gestaltenreichen Ausstattung des Wandspiegels war auch der Kurfürstin-Witwe Sophie von Sachsen und ihren Nachkommen wohlbekannt und wurde zugleich mit der Abgabe des Spiegels an die Kunstkammer mitgeteilt und in deren Inventar eingetragen.

Nach den Angaben des Inventars und den Beischriften auf vier Glasplatten des Spiegels bezieht sich die Allegorie nur auf das siebente Kapitel des Propheten Daniel, auf das in diesem Kapitel Daniels erzählte Traumgesicht Daniels von den vier aus dem Meer entstiegenen verschiedengestaltigen Tieren, das auf die vier weltlichen Königreiche gedeutet wird, und dem Menschensohn, dem im Himmel das ewige Königreich verliehen wird. Die vier hintermalten Glasscheiben unter den vier Rittern zeigen die vier Tiere aus dem Traum Daniels, jene sind also die Herren der vier weltlichen Königreiche, der Ritter aber, der vor der Spitze des Spiegels steht, ist nach Hainhofers Auslegung die Statue aus dem Traum Nebukadnezars, die nach Daniels Auslegung gleichfalls die vier weltlichen Königreiche vorstellt. Zu diesen vier Königreichen kommt nun noch die Darstellung aller übrigen Königreiche der Erde durch die Wappenscheiben an den beiden Gesimsen, über denen die runde Wappenscheibe mit allen Gliedern des Hl. Römischen Reichs Deutscher Nation unter dem Zeichen Christi als die größte erscheint. In dem ganzen Zusammenhang kann damit nur das Königreich gemeint sein, das nach Daniel 2, 44 von Gott über alle errichtet wird, um ewiglich zu bleiben. Die Darstellung auf dem Deckel des Spiegels bezieht sich in dem Relief des Vordergrunds auf das Gericht, das auch bei Daniel verkündet wird über den letzten Herrscher der Welt. Im Hintergrund beruht die Gegenüberstellung der brennenden Stadt gegen die [90] in der Sonne strahlende Stadt auf der Offenbarung Johannis Kap. 18 vom Fall Babylons und von dem neuen Jerusalem Kap. 21. Der darüber in den Wolken schwebende Verkünder der Wahrheit scheint durch das Bekenntnis Nebukadnezars zu dem König des Himmels veranlaßt zu sein, indem er Daniel 4, 34 sagt: „Denn all sein Tun ist Wahrheit und seine Wege sind recht und wer stolz ist, den kann er demütigen.“ – Für uns mag der gesamte Inhalt der bildlichen Ausstattung des Spiegels nicht klar und durchsichtig genug sein und auch den gedanklichen Zusammenhang vermissen lassen, bei einem solchen Werk des Kunsthandwerks, bei dem der größte dekorative Reichtum erstrebt und auch erreicht wurde, wird dies doch wohl nicht allzu sehr ins Gewicht fallen.

Für die kunstgeschichtliche Betrachtung erscheint die Frage wichtiger, wo das Stück in Deutschland seinen Ursprung hatte. Dafür ist zunächst die Stadt Lüneburg, soweit wir über deren Goldschmiedekunst durch die Reste des Lüneburger Ratssilbers unterrichtet sind, auszuschalten, ebenso auch das benachbarte Hamburg mit seinem das deutsche Küstenland beherrschenden Jakob Mores d. ä. Mit der Kunstweise in Süddeutschland steht das Relief des Spiegeldeckels in etwas näherem Zusammenhang, doch erhebt sich dagegen die stolze, edle und freie Haltung aller Gestalten, die sichere Beherrschung aller Körperformen und Bewegungen über das, was dort auch in den besten Erzeugnissen der Zeit erreicht wurde. Nur die Kunstweise des Warburger Meisters Anton Eisenhoit hat damit Verwandtschaft, wie sie uns bisher fast ausschließlich in den sechs Altargeräten, die für den Fürstbischof von Paderborn, Theodor von Fürstenberg (1546–1618) 1588–1590 entstanden sind und noch im Besitz der Familie auf Schloß Herdingen in Westfalen erhalten blieben, seit 1879 bekannt ist. Das läßt sich auch an einzelnen Eigentümlichkeiten erkennen. Die Ornamentik unseres Spiegels ist beeinflußt von dem flämischen Rollwerkstil, der sich, unter römischem Einfluß in den figuralen Bestandteilen, verbunden mit einem aus dem deutschen Rollwerk entstandenen barockeren grotesken Schweifwerk kraftvolleren Schwungs vlämischer Art entsprechend seit Cornelis Bos, Cornelis Floris und Hans Vredemann de Vries entwickelt hatte und in den Kupferstichen des Adriaen Collaert in Antwerpen gerade zur Zeit der Tätigkeit Eisenhoits mit ganz verwandten Zügen ausgestattet wurde. Man denke z. B. an die Tierköpfe, die nach außen aus den Rollköpfen des Schweifwerks herausragen, dann aber auch an die Gestalten, die sich durch die Umklammerung des Rollwerks hindurchwinden, wie [91] sie schon von Cornelis Bos verwendet wurden. Mit solchen Gebilden an der Ornamentik des Spiegels stimmen Motive überein, die Eisenhoit schon an den beiden Meßbüchern des Paderborner Fürstbischofs verwendet hatte, die man in der Lichtdruckveröffentlichung von Julius Lessing (die Silberarbeiten des A. E. aus Warburg) vergleichen kann. Daran findet man auch schon die gleiche Bildung der Hände, wie sie auf dem Spiegeldeckel der Genius der Zeit und die nackte Gestalt links von ihm mit ihrer übertriebenen Einbiegung der Fingerglieder in den Gelenken besonders kennzeichnend sehen lassen. Eine besondere Eigentümlichkeit des Spiegelrahmens besteht darin, daß alle seine Figuren, die anscheinend vollrund vortreten, nicht gegossen, sondern getrieben sind, während man sich dazu an anderen Orten schon des Gusses bediente. Der Meister bekundet darin eine ganz hervorragende Kunstfertigkeit, die so von keinem anderen gleichzeitigen Silberschmied auch nur erstrebt wird. Gegossen sind nur die kleinen architektonischen Glieder. Einen direkten Anhalt für die Heimat des Künstlers bietet die Umschrift der großen Glasscheibe mit dem Wappen des Römisch-deutschen Reiches, diese lautet: „Hemmel:vnd:erde : werdth : vorgan : Godes wordth blifth b(ei)hstan.“ Die Sprachform Hemmel statt Himmel, blift statt bleibt deutet auf Westfalen.