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in der Sonne strahlende Stadt auf der Offenbarung Johannis Kap. 18 vom Fall Babylons und von dem neuen Jerusalem Kap. 21. Der darüber in den Wolken schwebende Verkünder der Wahrheit scheint durch das Bekenntnis Nebukadnezars zu dem König des Himmels veranlaßt zu sein, indem er Daniel 4, 34 sagt: „Denn all sein Tun ist Wahrheit und seine Wege sind recht und wer stolz ist, den kann er demütigen.“ – Für uns mag der gesamte Inhalt der bildlichen Ausstattung des Spiegels nicht klar und durchsichtig genug sein und auch den gedanklichen Zusammenhang vermissen lassen, bei einem solchen Werk des Kunsthandwerks, bei dem der größte dekorative Reichtum erstrebt und auch erreicht wurde, wird dies doch wohl nicht allzu sehr ins Gewicht fallen.

Für die kunstgeschichtliche Betrachtung erscheint die Frage wichtiger, wo das Stück in Deutschland seinen Ursprung hatte. Dafür ist zunächst die Stadt Lüneburg, soweit wir über deren Goldschmiedekunst durch die Reste des Lüneburger Ratssilbers unterrichtet sind, auszuschalten, ebenso auch das benachbarte Hamburg mit seinem das deutsche Küstenland beherrschenden Jakob Mores d. ä. Mit der Kunstweise in Süddeutschland steht das Relief des Spiegeldeckels in etwas näherem Zusammenhang, doch erhebt sich dagegen die stolze, edle und freie Haltung aller Gestalten, die sichere Beherrschung aller Körperformen und Bewegungen über das, was dort auch in den besten Erzeugnissen der Zeit erreicht wurde. Nur die Kunstweise des Warburger Meisters Anton Eisenhoit hat damit Verwandtschaft, wie sie uns bisher fast ausschließlich in den sechs Altargeräten, die für den Fürstbischof von Paderborn, Theodor von Fürstenberg (1546–1618) 1588–1590 entstanden sind und noch im Besitz der Familie auf Schloß Herdingen in Westfalen erhalten blieben, seit 1879 bekannt ist. Das läßt sich auch an einzelnen Eigentümlichkeiten erkennen. Die Ornamentik unseres Spiegels ist beeinflußt von dem flämischen Rollwerkstil, der sich, unter römischem Einfluß in den figuralen Bestandteilen, verbunden mit einem aus dem deutschen Rollwerk entstandenen barockeren grotesken Schweifwerk kraftvolleren Schwungs vlämischer Art entsprechend seit Cornelis Bos, Cornelis Floris und Hans Vredemann de Vries entwickelt hatte und in den Kupferstichen des Adriaen Collaert in Antwerpen gerade zur Zeit der Tätigkeit Eisenhoits mit ganz verwandten Zügen ausgestattet wurde. Man denke z. B. an die Tierköpfe, die nach außen aus den Rollköpfen des Schweifwerks herausragen, dann aber auch an die Gestalten, die sich durch die Umklammerung des Rollwerks hindurchwinden, wie