Siebzig Jahre im Dienst der Waffen und der Ehre
Siebzig Jahre im Dienst der Waffen und der Ehre.
Es war eine laue Sommernacht; ich fuhr in das kleine mecklenburgische Städtchen Parchim ein, der Mond schien hell und senkte seinen Strahlenkranz verschönend auf die Häuserreihen des Ortes. Da hielt mein Kutscher plötzlich, mit der Peitsche nach einem Standbilde deutend, welches sich auf einem freien Platze erhob.
„Un dat is nu uns’ Moltke,“ erklang es aus dem Munde des biederen Mecklenburges. „Unser Moltke!“ – ich hätte den Mann dafür umarmen mögen, stieg aus und schaute mit Ehrfurcht zu der Statue des großen Mannes auf. Wie feierlich alles ringsum da lag, als ob die Stadt den großen Sohn, der in ihren Mauern das Licht der Welt erblickt hatte, dadurch ehren wollte! Unser ist er, allen, allen gehört er an, dem Kaiser und dem König, den geeinten deutschen Fürsten, dem gesammten Heere, dem ganzen Vaterlande, dem alten biederen Rosselenker auf dem Kutscherbocke und mir selbst! „Unser Moltke!“ Wer nennt ihn anders? Der älteste Greis, das Kind auf dem kleinsten entlegensten Dorfe weiß, wer unser Moltke ist und was er für das Vaterland gethan hat!
Heute nun steht er 70 Jahre im Dienste der Waffen und der Ehre! Siebzig Jahre, ein langer, langer Zeitraum, der so Großes in sich birgt, wie es das deutsche Vaterland noch nie erfahren hat.
Ich ging in das einfache Gasthaus des Städtchens, da schauten mich schon wieder seine Denkeraugen an. Die Bildnisse dreier Männer, die für ewige Zeiten im Buche der Geschichte, im Gedächtnisse des Volkes ein Kleeblatt von unerreichbarer Menschengröße bilden werden, hingen dort an der Wand. Der große Kaiser, ihm zu seiten der Fürst Bismarck und unser Moltke. Zieht durch das weite deutsche Vaterland, geht übers Meer, bis dahin, wo nur noch eine deutsche Zunge klingt, und dieses Dreigestirn fehlt fast in keinem Hause, bald als Kunstwerk von höchstem Werthe, bald einfach schlicht, bald kaum noch erkennbar, nur noch ein schwacher Abglanz der Züge dieser Männer, doch überall als Zeichen treuer Liebe und Verehrung.
Der eine von ihnen hat nun sein trauernd Volk verlassen, ist eingerückt zur großen Armee. Die beiden anderen leben noch, [158] ergraut zwar im Dienste des Vaterlandes, doch jünglingsfrisch an Geist und Thatkraft und so ergeben dem Enkel ihres heimgegangenen Kaisers wie einst diesem selbst.
Soll ich erzählen, was unser Moltke gethan hat? Ein jeder weiß es und man müßte Bücher schreiben, wenn man nur annähernd das berichten wollte, was er geleistet hat, und dennoch, heute an seinem Ehrentage, verlangt es ein Bedürfniß des Herzens, sein thatenreiches Leben flüchtigen Blickes zu streifen.
Das mecklenburger Land, das uns schon „den alten Blücher“ gegeben, hat uns auch Helmuth Karl Bernhard von Moltke geschenkt. In Parchim erblickte er am 26. Oktober des Jahres 1800 das Licht der Welt, lebte dann mit seinen Eltern auf dem Lande und von 1803 bis 1807 in Lübeck, der alten Hansastadt. Da sah er, wie 1806 am 6. November die Franzosen die ehrwürdige Stadt und auch sein Vaterhaus in wilder Wuth plündernd überfielen, und wohl mag den Knaben damals schon der Wunsch beseelt haben, den Franzmann einst dafür zu strafen. Nun, wahrhaftig, er hat’s ihm heimgezahlt!
Die Erziehung des Knaben machte seine Entfernung aus dem väterlichen Hause nöthig und er sowohl wie sein jüngerer Bruder wurden bei dem Pastor Knickbein in Hohenfelde untergebracht. Das war eine schöne Zeit und Helmuth hat sie nie vergessen, denn seine „Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839“, jene Meisterwerke deutscher Sprache, voller Verständniß für die damaligen Verhältnisse im Orient, reich an tiefen Gedanken, gewürzt mit feiner Satire und gutem Humor, hat er dem ehrwürdigen Herrn mit folgenden Worten überschickt:
„Meinem lieben Lehrer und väterlichen Freunde, dem ich so vieles verdanke, sende ich dies, mein Erstlingswerk, als ein schwaches Zeichen meiner Verehrung. H. von Moltke.“
Doch lange sollte diese schöne Zeit in Hohenfelde nicht dauern, denn bald brachte der Vater, der dänische Generallieutenant Viktor v. Moltke, die beiden Söhne nach Kopenhagen in die Landeskadettenakademie, um sie zum dänischen Kriegsdienste ausbilden zu lassen. Moltke selbst sagt als reifer Mann über jene Zeit, daß seine Erziehung eine strenge, ja eine fast zu strenge gewesen sei; desto freundlicher gedenkt er der schönen Stunden, welche er im Hause des Generals Hegermann-Lindencrone verleben durfte. Im Jahre 1818 bestand er mit Auszeichnung die Offiziersprüfung, mußte ein Jahr als Hofpage dienen und rückte endlich am 8. März 1819 als Lieutenant in das „oldenburgische Infanterieregiment“ ein, welches in Rendsburg garnisonirte. Unsere Illustration zeigt neben einem Porträt des Feldmarschalls aus neuester Zeit, nach einer Photographie von Loescher und Petsch in Berlin, auch ein Bildniß des jungen dänischen Lieutenants v. Moltke in sorgfältiger Holzschnittausführung nach einem feingemalten Medaillonporträt, dem einzigen Jugendbilde Moltkes, welches, soweit bekannt, existirt und dessen Benützung uns durch die Güte eines Freundes der „Gartenlaube“ gestattet wurde. Die jugendlichen Züge lassen schon denselben energischen Schnitt und geistvollen Ausdruck erkennen, welche den Kopf des späteren Schlachtenlenkers charakterisiren. Dem jungen Lieutenant gaben schon damals eiserner Fleiß, energischer Wille, Dienstkenntniß, gepaart mit Freundlichkeit und regem kameradschaftlichen Gefühle, eine hervorragende Stellung unter seinen Kameraden und gewannen ihm doch zugleich ihre Herzen. Die Aussichten in Dänemark waren aber trübe, Norwegen war an Schweden abgetreten worden, und man verringerte zwar dem entsprechend die Armee, behielt aber das Offiziercorps in voller Stärke bei. Das war kein Feld für einen Geist, wie er in dem jungen Moltke schlummerte. Er erbat seinen Abschied, über welchen unsere Leser unter „Blätter und Blüthen“ dieser Nummer interessante Einzelheiten finden.
Von Geburt ein Deutscher, fühlte und dachte Moltke deutsch, und somit wandte er sich nach Preußen, legte dort eine vorzügliche Offiziersprüfung ab und trat im Jahre 1822 als Sekondlieutenant im 8. Leibinfanterieregiment, welches damals, wie noch heute, in Frankfurt an der Oder lag, ein. Mit regem Eifer widmete er sich dem täglichen Dienste, betrieb aber dabei doch noch seine kriegswissenschaftlichen Studien. Schon 1823 besuchte er die allgemeine Kriegsschule, jetzt Kriegsakademie zu Berlin. Neuere Sprachen, Militärwissenschaften, die Geschichte beschäftigten seinen nimmerrastenden Geist, und schon im Jahre 1831 erschien eine Schrift von ihm, worin er lebhaft für Kaiser Joseph II. – „dem die Weltgeschichte noch eine große Ehrenerklärung schuldig sein dürfte“ – eintrat. Ein Jahr später – man bedenke, Moltke war noch Sekondlieutenant – wurde er zum großen Generalstab kommandirt und schon im nächsten in denselben eingereiht. Um diese Zeit veröffentlichte er eine zweite Schrift, über Polen.
Moltkes Drang, die Welt zu sehen, nicht um sich in ihr zu vergnügen, sondern um seine Kenntnisse und seinen Blick zu erweitern, war ein unbegrenzter, und so nahm er Urlaub, um den Orient zu bereisen. Seine Abwesenheit sollte ursprünglich nur von kurzer Dauer sein, währte aber schließlich vom Jahre 1835 bis 1839. Aus dieser Zeit, während deren er in der Türkei die eingehendsten militärischen Studien machte, im Auftrage der Regierung die Festungen besichtigte, zur Neugestaltung der türkischen Armee beitrug und dem Sultan bei den in diese Zeit fallenden Kämpfen als Generalstabsoffizier diente – er focht am 27. Juni 1839 in der Schlacht bei Nisib mit – stammen jene schon erwähnten Briefe aus dem Orient. An Erfahrungen und Ehren reich, kehrte Moltke im Herbste 1839 nach Berlin zurück. Das, was er in der Ferne gelernt hatte, ist der Heimath zugute gekommen. Sein freier Blick, seine Gewandtheit in Benutzung des Terrains hatten sich dort mehr und mehr erweitert, und dieser Schule mögen zu einem großen Theile die Lorbeeren mit zu verdanken sein, welche die preußische Armee bei Königgrätz und die deutsche auf den französischen Schlachtfeldern sich errungen hat. Jetzt erschienen von seiner Hand Karten von Konstantinopel, von den Befestigungen des Bosporus und von Klein-Asien, die von seinem Talent als Zeichner, von seiner Gabe scharfer Auffassung beredtes Zeugniß ablegten. 1840 wurde er zum Generalstabe des 4. Armeecorps versetzt und zwei Jahre später zum Major befördert. Um diese Zeit war es, daß der nicht mehr junge Offizier der lieblichen Mary Burt die Hand zum Ehebund reichte. Wohl mancher erinnert sich noch des jungen Paares, wie es in Berlin durch den Thiergarten schritt: er groß, stramm militärisch, und sie blond, zart, wie eine Blüthe an seinen Arm geschmiegt.
Es konnte nicht ausbleiben, daß die Bedeutung dieses Mannes in den höchsten Kreisen mehr und mehr anerkannt wurde. So kam es, daß er 1845 zum persönlichen Adjutanten des Prinzen Heinrich von Preußen, eines Onkels des Königs Friedrich Wilhelm IV., der sich vielfach in Rom aufhielt, ernannt wurde. Moltke fand hierdurch Gelegenheit, dort eingehenden topographischen Studien obzuliegen, infolge deren seine „Wanderungen um Rom“ entstanden.
Im Jahre 1848 wurde er Chef des Generalstabes in Magdeburg, und hier hatte ich das Glück, ihn im Hause meiner Eltern zu sehen. „Moltke hat zugesagt,“ hörte ich meine Mutter voller Freude zu meinem Vater sagen. Er kam wirklich, und selbst mir, dem Knaben, fiel es auf, wie klug sein Auge blickte, wie fein und geistreich seine Züge waren und wie sein Erscheinen einen wahren Glanz über den kleinen Kreis verbreitete. Voller Andacht lauschte ich, wie er vom Orient erzählte und von Rom, wo während seiner Anwesenheit Gregor XVI. gestorben war und Graf Mastai-Ferretti als Pius IX. den päpstlichen Stuhl bestiegen hatte.
„Du mußt nun zu Bett, mein Sohn!“ sagte meine Mutter.
„So was höre ich in meinem ganzen Leben nicht wieder, Mama,“ bat ich dagegen.
Ein freundliches Lächeln umspielte Moltkes Mund, er legte ein gutes Wort für mich ein, und wirklich durfte ich bleiben.
Im Jahre 1855 wurde der nunmehrige Generalmajor zum ersten persönlichen Adjutanten des damaligen Prinzen Friedrich Wilhelm von Preußen, des späteren Kaisers Friedrich III., ernannt, siedelte mit ihm nach Breslau über, war sein Begleiter nach Rußland, London, Paris und Italien. Alle diese Reisen gaben ihm abermals Gelegenheit, die fremden Armeen und fremdländisches Leben kennen zu lernen und die Welt mit neuen litterarischen Schätzen zu bereichern.
Das Jahr 1857 sollte ein entscheidendes für Preußen werden; König Friedrich Wilhelm IV. erkrankte, der Prinz von Preußen übernahm die Stellvertretung und ein Jahr später die Regentschaft. Da wurde Moltke sein Generalstabschef, und fortan waren diese beiden Helden unzertrennlich im Frieden wie im Kriege.
Von jetzt an genügte Moltke nicht mehr das reine militärische Wissen, seine hohe Stellung machte auch diplomatische Gewandtheit nothwendig und mehr als einmal fand er Gelegenheit sich als gewandten Staatsmann zu zeigen. Das Jahr 1864 [159] rückte heran, mit ihm der Krieg des verbündeten Preußens und Oesterreichs gegen Dänemark, und General Moltke war es, dem die Stelle des Chefs der operierenden Armee übertragen wurde. Wäre es nach ihm gegangen, hätte Oesterreich sich nicht eifersüchtig gegen seine Vorschläge gestemmt, so wäre auch Fünen in die Hände der verbündeten Armee gefallen; so blieb es bei der Besetzung Jütlands und dem Uebergange nach Alsen, der am 29. Juni erfolgte. Wir treffen Moltke, der inzwischen zum General der Infanterie ernannt worden war, danach auf den blutigen Gefilden Böhmens wieder. Am 3. Juli 1866, als ihm der große Schachzug, die drei preußischen Armeen auf einem Punkt bei Königgrätz zusammenzuführen, hier mit ihnen zu siegen und sie wiederum zu theilen, gelang, sah ich ihn zum zweiten Male in meinem Leben. In welchem Sinne Moltke den Sieg von Königgrätz auffaßte, das zeigt am besten sein Ausspruch: „Es steht zu hoffen, daß das Ergebniß dieses beispiellos schnell und glücklich verlaufenen Feldzuges eine segensreiche Zukunft für Deutschland und die heranwachsende Generation herbeiführen wird.“ Es ist das eines der geweihten Worte des großen Schlachtenlenkers und was er sagte, ist eingetroffen, freilich erst, nachdem noch mancher Tropfen edlen deutschen Blutes vergossen worden war. Groß war der Antheil, der von dem Ruhm des Krieges auf ihn fiel – und wie bescheiden blieb er!
„Ich habe eine Antipathie gegen Lobhudeleien; es macht mich für einen ganzen Tag verstimmt, so etwas zu hören,“ so sprach einst Moltke! Das Vaterland erwies sich ihm dankbar durch eine reiche Dotation, für welche er sich das Gut Creisau kaufte, dessen Beschreibung in Bild und Wort die „Gartenlaube“ im Jahrgang 1887 brachte. Dort pflegt er als einsichtiger, thätiger Landwirth einen Theil des Jahres zu verbringen, ein Fürsorger für seine Untergebenen und freundlicher Nachbar für die angrenzenden Besitzer. Da kam der Schatten, der sich unerbittlich auch auf sein Leben senkte. Als im Jahre 1868 der Weihnachtsbaum mit seinem Lichterglanz die Welt verschönte, trat der Todesengel in sein Haus und nahm ihm die Gefährtin seines Lebens, die er so sehr geliebt. Sie schlummert in dem Mausoleum zu Creisau, welches dereinst auch des Gatten sterbliche Reste umschließen soll.
Alles, was Moltke bis dahin gethan, war nur ein Vorspiel von Größerem, das er noch vollbringen sollte. Auf Frankreichs Schlachtgefilden führten Tausende und Abertausende treuer deutscher Krieger den Plan aus, den er so fein ersonnen. Und wie das Generalstabswerk des Krieges 1870/71 in der Einleitung sagt: „Zu den Aufgaben des Generalstabes im Frieden gehört es, für alle wahrscheinlichen kriegerischen Eventualitäten die Gruppirung und den Transport der Truppenmassen in detaillirter Weise zu bearbeiten und die Entwürfe dafür im voraus bereitzuhalten,“ so hat es Moltke gethan, und das Kriegsexempel, welches der große Rechenmeister im Frieden aufgestellt, es hat genau gestimmt! Am 19. August des Jahres 1870, am Tage nach der Schlacht bei Gravelotte, sah ich ihn wieder: schwerverwundet lag ich in dem Städtchen Gorze, als er an der Seite des Königs ernst, schweigend wie immer, an mir vorüberfuhr. Dann kam der große Tag von Sedan, der 2. September 1870; Frankreich lag danieder, im Schlößchen Donchery begannen die Kapitulationsverhandlungen und Moltkes eisenfestes Wort: Niederlegung der Waffen und Kriegsgefangenschaft der ganzen französischen Armee sammt den Offizieren! erschallte über das weite Erdenrund.
Und endlich – Paris gefallen, endlich der langersehnte Friede, Deutschland geeint und auf König Wilhelms Haupt die deutsche Kaiserkrone! War’s Wirklichkeit? War’s nur ein Traum? Kaum konnte man es fassen! Und doch war’s so. Das gesammte deutsche Volk hatte am großen Werke mit geholfen, doch welchen Männern der erste Lorbeerkranz gebührte, das sagten Kaiser Wilhelms Worte: „Sie, Kriegsminister von Roon, haben unser Schwert geschärft, Sie, General von Moltke, haben es geleitet, und Sie, Graf von Bismarck, haben seit Jahren durch die Leitung der Politik Preußen auf seinen jetzigen Höhepunkt gebracht.“
So sprach der Kaiser. Und was hatte er selbst zur Erhebung des Vaterlandes gethan? Davon sprach der Held nichts. Der kaiserliche Löwe mit dem weichen Kinderherzen that ja auch, wie Moltke es von sich sagte, „nur seine Pflicht.“ Der 16. Juni des Jahres 1871 brach sonnengoldig an und die Truppen zogen in die preußisch-deutsche Hauptstadt ein; da sah ich den Grafen Moltke mit dem güldenen Feldmarschallstabe wieder. „Unser Moltke“, entschlüpfte es jubelnd meinen Lippen; doch wer hörte wohl mein schwaches Wort, das Tausende und Abertausende gleichzeitig in die Lüfte riefen?
Nun kamen friedliche, wenn auch nicht weniger arbeitsame Zeiten für den kriegsgefeiten Mann. Er wurde Ehrenbürger der ersten Städte Deutschlands, Mitglied des Herrenhauses, ein neu erbautes Fort in Straßburg und eine Korvette bekamen seinen Namen, er erhielt die Kanzlerstelle des preußische Ordens vom Schwarzen Adler, begleitete den Kaiser bei jedem Manöver, reiste nach Italien, Schweden und Dänemark. Und dabei leitete er, jetzt unter der Beihilfe des Generalmajors Grafen von Waldersee, immer noch mit demselben Fleiß wie früher, die Geschäfte des Generalstabes. Er sitzt im Reichstag, meist schweigend und zuhörend, doch wenn er sich erhebt und wenn er spricht, dann lauscht jedes Ohr gespannt den ehernen Worten, die wie wohlgezielte Schwerteshiebe niederfallen. So konnte sich z. B. niemand dem gewaltigen Eindrucke verschließen, welchen die denkwürdigen Worte des greisen Feldmarschalls in der Reichstagssitzung vom 4. Dezember 1886 ausübten, mit denen er seine berühmte Rede für die Erhöhung der Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres schloß: „Die ganze Welt weiß, daß wir keine Eroberungen beabsichtigen; mag sie aber auch wissen, daß wir das, was wir haben, erhalten wollen, daß wir dazu entschlossen und gewappnet sind!“[1]
Ein schweres Jahr für Deutschland brach herein, das Jahr 1888! Zwei Kaiser schieden, Moltke stand an zwei geweihten Grabesstätten. Er liebte beide, den heimgegangenen Vater wie den Sohn, so innig, sein Herz war mit den Entschlafenen so eng verbunden, ihr Heimgang war ein harter Stoß für den greisen Mann und er erbat sich von dem jungen Herrscher, Kaiser Wilhelm II., die wohlverdiente Ruhe. Doch Kaiser Wilhelm, und das ganze deutsche Volk mit ihm, mochten den vielbewährten Rath des Feldmarschalls Grafen von Moltke noch nicht missen; so entbürdete ihn der Monarch nur des größten Theiles seiner Arbeitslast und setzte ihn an die hohe Stelle, welche einst Kaiser Friedrich als Kronprinz eingenommen hatte, indem er ihn zum Vorsitzenden der Landesvertheidigungskommission ernannte.
Als solcher feiert der Feldmarschall Graf von Moltke jetzt sein siebzigjähriges Dienstjubiläum; wir aber rufen laut den Wunsch unserer Herzen ihm zu: „Bleib uns noch lange, was Du uns immer warst, bleib unser Moltke!“ E. von Wald-Zedtwitz.
- ↑ Vergl. Jahrgang 1887, S. 45, der „Gartenlaube“.