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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Hoher Beachtung Werth ist die folgende Album-Gabe:

„'Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei,
Und würd’ er in Ketten geboren?'

So sang der unvergeßliche Schiller.

Wollten doch Alle dem wahren Geist dieser Worte folgen, wahrlich es wäre mehr Freiheit unter uns. Lebte Schiller jetzt, sähe das allgemeine Ringen und Sehnen nach Freiheit, sicher würde er in das Chaos rufen: ,sucht erst unter Euch der Einheit Blüthe zu entfalten, dann reift die Frucht der wahren Freiheit – die des Geistes – sicher, und dann erst habt Ihr mich richtig erfaßt.’

Dem, was den Jüngling begeisterte, des Mannes Brust mächtig hob, dem zum Lohne verkündeter Wahrheit und vertheidigter Menschenrechte sieben Jahre lang Eingekerkerten Trost und Beruhigung gewährte, und dem Vertrauen auf den endlichen Sieg rechtlicher Freiheit zur festen Stütze diente – den Grundsätzen der Geistes- und Charaktergröße unseres unsterblichen Schiller – bringt, wenn auch mit zitternder Hand, an der Schwelle seines 75. Lebensjahres, dennoch mit inniger Pietät den Zoll seiner Verehrung anmit gerne dar

Bamberg, im März 1849.

vormals Professor der Rechtswissenschaften, dann erster Bürgermeister zu Würzburg, zuletzt Abgeordneter zur deutschen Nationalversammlung.“

Ebenso beachtenswert ist die folgende Inschrift eines ebenso edlen wie begabten Mannes, welchem die „Gartenlaube“ (Jahrgang 1869, Nr. 1, im Artikel „Banz und der Pater Roman“, S. 7) eine Erinnerung gewidmet hat:

„Schiller! Dein großer Geist hat alle Zeiten gelebt, auch die, welche Dein sterbliches Auge nicht sah, denn in der Seele des Dichters spiegelt sich das All, wie in der Natur. Der See, der, vom Föhn aufgewühlt, hier brandet, ist auch ein Beweis davon; Dein Fuß betrat nie sein Gestade und dennoch malt es uns Dein herrliches Gedicht so wahr, als habest Du die Farben dazu aus dem Duft seiner Berge und aus dem tiefen Grün seiner Fluth geschöpft. Theuer gemacht hast Du ihn dem Herzen aller Generationen und ihn mit jenem ewigen Glanz umwoben, welcher dem Morgenlicht gleicht, wenn es die hohen Firnen des Axenberges vergoldet. – Dieser See – o Schiller! – ist auch das Bild meiner Zeit; Baumgarten, der die Hände flehend nach einem Retter ausstreckt – ist er nicht Dein und mein Volk? Doch ihm erscheine kein Tell, es durch die Brandung zu steuern: – es vertraue der eigenen Kraft, die es – ach! so lange mißachtet hat. Nicht nach Frankfurt oder Berlin soll es sich umschauen nach seinen Helfern: daß sie dort nicht sind, fängt es endlich an – zu erkennen.

Dies in Dein Album, Schiller, von einem der Millionen Deiner Verehrer.

Coburg, im März 1649.

Christian Friedrich Winter, der Vater, Buchhändler und Bürgermeister in Heidelberg, ein tapferer Freiheitsmann, schrieb im März 1849 in’s Album:

„Frei muß man denken, streben und schreiben, das Gedachte, Gesprochene, Gedruckte verbreiten dürfen, wenn das Rechte, Gute und Wahre gedacht und ausgesprochen werden soll. Worte aus meiner Motion am 5. Juni 1819 für Preßfreiheit in der badischen Kammer.“

Dr. Christian Reinhold[WS 1], Professor der Rechte in Tübingen, theilt einen „Prolog“ mit, eine Dichtung, die ganz ein Gedankenspiegel jener Sturmperiode ist und von welcher wenigstens die erste Hälfte hier Platz finden muß.

März 1849.

„Was soll das Spiel in dieser wilden Zeit,
Wo Alles aus den Fugen scheint zu brechen?
Die Fürsten steh’n, die Völker kampfbereit,
Die Tänze schweigen, die Kanonen sprechen;
Im Osten grollt’s, der Czar ist nicht mehr weit.
Sein Pferd tränkt der Kosak in deutschen Bächen;
Und – während wir vor Stenographen hadern,
Spritzt schon das Blut der Freiheit aus den Adern.

Es war ein Frühlingleuchten angebrochen.
Die Feuerzeichen flammten auf den Bergen;
Den Diplomaten war in’s Herz gestochen.
Sie eilten, sich in Winkeln zu verbergen.
Man sah das Volk an die Paläste pochen.
Die Fürsten bebten zwischen ihren Schergen;
Nun that die harte Faust sich auf zum Segnen,
Und mit Versprechen fing es an zu regnen.

Das war die Zeit, wo Kronen wohlfeil waren.
Das Volk besann sich seiner Majestät,
Es kam, um’s alte Banner sich zu schaaren.
So wie ein einig Volk von Brüdern geht,
Das allzu lang der Trennung Schmach erfahren; –
Wie herrlich stand’s nun da, noch kaum geschmäht!
Was man schon lange nur auf Karten fand.
Da stand’s – das eine deutsche Vaterland.

Auf ewig schien der alte Haß verbannt,
Der uns’re Reih’n so blutig oft gespalten.
Dem Welfen reicht der Ghibellin die Hand,
Der Sachse will es mit den Schwaben halten.
Vereint steht Katholik und Protestant
Und läßt die Stirn den Jesuiten falten.
Ein Frühling war da lachend aufgesprungen,
Wie ihn kein deutscher Dichter noch besungen.“

Max Joh. Ganganelli Seidel, der Regisseur des Hoftheaters in Weimar, weihet dem Album einen „Nachruf an Schiller im Jahre 1849“ in Sonettform. Es ist ein Klagegesang auf die schon damals wieder gesunkene „Freiheit“, dessen letzte Verse lauten:

„Ist frei die Red’? Sind keine Kerker offen?
Sind Deutschlands Fürsten Eins mit ihrem Volke?
Dann hat das Volk auch Gutes nur zu hoffen!
Doch ach! – noch trübet manche finstre Wolke
Den Horizont; ‚Unsterblichkeit‘ hienieden,
Wie Dir, ist unsrer Freiheit nie beschieden.

Weimar, den 18. März.“

Carl Moering, k. k. Hauptmann im Geniecorps, Reichstagsabgeordneter für Wien in Frankfurt am Main, datirt:

„Am Tage der Zerreißung Deutschlands durch die Kaiserwahl, den 28. März 1849.“

Georg Waitz, der berühmte Geschichtsforscher, Abgeordneter des ersten holsteinischen Wahlbezirks der verfassunggebenden Nationalversammlung, schreibt prophetisch:

„Weimars Fürstentochter erzieht den Sohn, von dem Deutschland für das kommende Menschenalter die feste Leitung seiner Geschicke hofft. Wenn die Väter ihm Kraft und Treue zu überliefern haben, so möge der Sinn für die freie geistige Einigung der Nation, wie sie Weimar einst in dem Bunde der Dichter darstellte, ihm als ein mütterliches Erbe zufallen.

Geschrieben in Frankfurt in den Ostertagen 1849.“

Adolph Schoder, würtembergischer Regierungsrath, der charakterfeste und volkstreue Parlamentsmann von 1848, läßt sich vernehmen:

„‚An’s Vaterland, an’s theure schließ Dich an,
Das halte fest, mit Deinem ganzen Herzen.‘

(Schiller’s ‚Wilhelm Tell‘.)

Möchte diese Aufforderung in den jetzigen Tagen, wo entschieden werden soll, ob die von der deutschen Nationalversammlung beschlossene und verkündigte Reichsverfassung in’s Leben treten werde, in jedes Deutschen Brust dringen! Durch die Einführung dieser Verfassung erst wird den Deutschen das lang entbehrte Vaterland wieder geschenkt. Welcher Deutsche ein Vaterland will, der schaare sich um die Verfassung und unterordne seine persönlichen Ansichten über die beste Staatsform dem höheren Zwecke.

Frankfurt am Main, den 17. April 1849.

Adolph Schoder.“

Noch im April 1849 schreibt Eduard von Bauernfeld in Wien:

„Die deutsche Literatur war unser wahres Vorparlament, unsere geistige Freiheit der Vorläufer der politischen. Der Samen des Wortes, der von Luther und Hutten bis Goethe und Schiller und Börne in den deutschen Volksboden gestreut ward, ist zur vollen reifen Saat, gediehen, die jetzt nur – des Schnitters harrt.“

Ebenfalls vom April 1849 stammt die Inschrift des alten Justinus Kerner in Weinsberg:

„Du würdest, könnte man Dich wecken,
Zu schauen dieses Treiben an.
Erschauern tief und rufen dann:
‚Ja, ja! Der schrecklichste der Schrecken,
Das ist der Mensch in seinem Wahn!‘“

Jakob Venedey, einer der Führer der Linken im Frankfurter Parlament (vergl. „Gartenlaube“ 1871, S. 297), klagte im Juni 1849:

„Im März des Jahres 1848 sah es fast so aus, als ob das deutsche Volk zum Selbstbewußtsein erwacht wäre, im Juny 1849 lag es in Angst und Demuth wieder auf den Knieen, auf dem Bauche und winselte. Wenn heute ein Deutscher mit einem so großen und so feinen Herzen wie der Schiller lebte, es würde brechen bei dem Gedanken an die Schmach des deutschen Volkes. Der festeste Glaube schwankt, das unwandelbarste Vertrauen in die Zukunft Deutschlands bricht zusammen. Und doch hat ein Schiller dem deutschen Volke gelebt, und doch lebt ein Schiller im Herzen des deutschen Volkes! Der Same wird nie untergehen; wie wenig Früchte er auch bis jetzt getragen hat, er wird einst auf die rechten Felder fallen. Wer aber heute, im Juni 1849, Schiller’s Werke ohne Erröthen lesen kann – für den hat kein Schiller gelebt, kein Schiller gedichtet.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. gemeint ist Christian Reinhold Köstlin
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 535. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_535.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)