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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

neuer Auflagen beliebter Poeten vorlegen, Mirza-Schaffy in Diamant- und Perlschriften, Geibel, Heine und was auf dem Parnaß seit lange anerkannten Ruf hat. Zuletzt kommen dann die eleganten Ladenhüter an die Reihe, neue Gedichte und Dichtungen mit Goldschnitt, in zierlichen Einbänden, auf Velin- oder sonstigem mit feinem Farbenhauch schimmernden Papier. Da wird gewählt, bisweilen gekauft, selten gelesen. Das ist das Loos der neuen Ausstellungslyriker; die ungebundenen, broschirten Poeten verstauben indeß melancholisch in ihren Fächern. Keine Zeit war der Lyrik so ungünstig wie die gegenwärtige: sie hat kein Echo bei der Nation; ist es da ein Wunder, wenn begabte Dichter in äußerer Noth und innerem Schmerz verkommen?

Sie haben gewiß nichts von der Lebenstragödie des jüngstverstorbenen Schweizer Dichters Heinrich Leuthold gehört. Auch er ist dem Wahnsinn und traurigen Tode verfallen. Wie oft schon hat sich das willkürliche Spiel von Vorstellungen, das dem Dichter eigen ist, in jenes unwillkürliche verwandelt, aus welchem der Wahnsinn spricht! Der Herrscher im Reiche der Phantasie ist dann deren Sclave geworden; dieses Loos hat einen Tasso, einen Lenau und manche dunkle poetische Existenz getroffen. Gegenüber der Gleichgültigkeit und Nichtachtung der Welt ist der Größenwahn eine oft nothwendige Reaction, wenn die dichterische Schöpfungskraft nicht ganz erlahmen soll. Heinrich Leuthold war ein Jünger der Münchener Dichterschule, er hat in Gemeinschaft mit Emanuel Geibel treffliche Uebersetzungen französischer Lyriker und doch erst in diesem Jahre einen größeren Band eigener Gedichte herausgegeben; er ist ein Sänger von meistens untadelhafter Form, der die persische Ghasele beherrscht, wie die antike Ode, und nur hier und dort mit einem Anflug schweizerischer Derbheit den edlen, harmonischen Guß seiner Verse unterbricht. Dann merkt man, daß sein Thyrsus ursprünglich ein Alpenstock ist. Deshalb haben seine Gedichte neben dem schwermüthigen und resignirten Zug auch einen trotzig herausfordernden und wenden sich vielfach mit satirischer Herbheit gegen eine Zeit der „Literaturfabriken“ und gegen das „dampfkraftfrohe Geschlecht“. Von dem Beruf des Dichters hat Leuthold die höchste Meinung; er hebt, mit einer classischen Wendung, die an Platen’s geflügelte Worte erinnert, hervor:

„Wie der Genuß, der Seele Wohllaut hinzustreun
Im Liede, eine göttliche, erhabene Verschwendung ist –“

und in dem folgenden Ghasel preist er den Triumph des echten Dichters über die kalte Gleichgültigkeit, den Neid und die Rohheit der Zeitgenossen:

„Dem Dichter ward ein karges Loos; die Nüchternen verhöhnen ihn,
Es kehrt die Welt sich ab von ihm; nur schöne Frau’n verwöhnen ihn,
Doch wenn kein irdisch Weib ihm je das Herz erschloß mit keuschem Kuß,
In heiliger verschwiegner Nacht umarmen die Camönen ihn.
Ihn lehrt ein Gott der Dinge Maß; er lauscht entzückt dem Sphärenchor;
Wie Offenbarungen des Alls umrauscht ein Meer von Tönen ihn.
Entsinkt der Muth ihm, richtet neu ein hohes Vorbild ihn empor,
Verwandter Seelen Kampf und Leid erheben und versöhnen ihn.
Dem Ew’gen dient er, lebt nur halb der Zeit, die oft ihn ganz verkennt,
Doch ehrt die Nachwelt seinen Staub, und späte Enkel krönen ihn.
Mag Neid ihm, mag die Rohheit drohn, ihm ziemt zu lächeln ihres Wahns,
Vor ihrem giftgetränkten Pfeil beschirmt der Schild des Schönen ihn.“

Gewiß, verehrte Freundin, dieses Selbstbewußtsein ziert den echten Dichter in einer Zeit, in welcher von den feilen Herolden des Tagesruhms manche geschickte Routiniers für gottbegnadete Poeten ausgegeben werden, während die echten Talente von Neid und Rohheit in den Staub gezerrt werden. Das Maß des Schönen und die Empfänglichkeit dafür scheint ganz verloren gegangen zu sein, und selbst die schönen Frauen, welche „die Dichter verwöhnen“, wo finden sie sich, außer der einen am baltischen Gestade?

Und diesem schweizer Poeten, der in seinen Liedercyklen „Von der Riviera“ und „Die zerfallene Vigne“, in diesen anmuthigen Erinnerungsblättern italienischen Lebens, der in seinen Ghaselen und Oden des Liedes Wohllaut so verschwenderisch ausstreut, ihm hat das Leben nur herbe Dissonanzen geboten, und er ist zu Grunde gegangen in geistiger Verstörtheit.

Auch Hermann Lingg, verehrte Freundin, ist wieder in der Arena der Lyrik erschienen; Sie werden in seinen „Schlußsteinen“ eine Mosaik sehr ungleichartiger Gedichte finden. Einige sind mit der Adlerfeder geschrieben, mit welcher der Dichter seine ersten gedankenreichen Oden verfaßt hat; andere sind allzu flüchtig hingekritzelt; es fehlt ihnen Reinheit und Harmonie, ja bisweilen die unerläßlichste Feile. Sehr schöne Gedichte enthalten die Liebeselegien: „Vergilbte Blätter“. Da findet sich oft der ergreifende, prägnante Ausdruck echter Empfindung:

„Weil du mir zu früh entschwunden.
Blieb ein unerfülltes Glück
Ungenoss’ner schöner Stunden
Ruhelos in mir zurück.
Ungeküßte Küsse leben
In getrennten Herzen fort,
Und die Lippe fühlt noch beben
Das zu früh verstummte Wort.“

Schön ist auch das Gedicht, welches die Trennung von der Geliebten, die innere Trennung besingt, seit jenem sonnenlosen Tag, als er den Abgrund erkannte, der sich zwischen ihnen aufthat. Doch wenn ich Sie auch einladen möchte, nur bei dem Schönen zu verweilen, zu welchem auch mehrere Balladen, besonders das schwunghafte Gedicht „Die Kämpfer von Eleusis“, und sociale Romanzen, wie „Der Ball der Armen“, zu rechnen sind: ganz kann ich es Ihnen doch nicht ersparen, auch einen Blick zu werfen auf jene Schattenseiten der Sammlung, die sich allzu sehr dem Blick aufdrängen, um übersehen zu werden. Der Mangel an Selbstkritik ist bei einem hervorragenden Talent doppelt bedauerlich.

Bald spricht der Dichter wie ein Prophet in begeisterten Hymnen; bald stammelt er wie ein unmündiges Kind in Fibelversen:

„Man kann nur reine Freude haben,
Getrübte sind schon keine mehr“

oder:

„Wer kennt denn wirklich die Natur?“

In dem Gedichte „Der Kampf um’s Dasein“, der an einer Stelle „um’s Dasein das Gerauf“ genannt wird, finden sich die Verse, welche an die bekannte Manier von Wilhelm Busch erinnern:

„Man sieht dann in die Kammern,
Worin der Mord entsteht.“

Und der Schlußvers der Ballade: „Ein Gang im Park“ lautet:

„ … bis der Tod sie trennte,
Bis der ein’ des andern Brust durchsticht;
In dem nämlichen Momente (!)
Löscht auch oben aus ein schwankend Licht.“

Es kann nur in Deutschland vorkommen, daß ein Dichter neben den schönsten so schlechte Verse der Welt übergiebt. Hat denn unser Poet keinen Freund, der den „schlafenden Homer“ weckt? Seine Gegner könnten sonst boshaft genug sein, den Vers des Dichters auf ihn selbst anzuwenden:

„Es flattert wohl im Windeshauch
Von einem todten Schmetterlinge
Ein Flügel noch und schimmert auch,
Doch ist es nicht mehr eine Schwinge.“

Und das wäre grausam ungerecht gegenüber den genialen poetischen Würfen, welche die Sammlung enthält.

Erst neulich sprach ich Ihnen, verehrte Freundin, von dem Romandichter Wilhelm Jensen; heute mache ich Sie aufmerksam auf das Sommernachtsgedicht „Holzwegtraum“, das Jensen vor Kurzem verdeutlicht hat. Es ist ein echt romantischer Sommernachtstraum; alles erscheint darin in phantastisch duftigen Umrissen, und es singt und klingt darin märchenhaft wie in den Poesien von Brentano, Tieck und Arnim. Doch nicht wie sein Held geht die Muse des Dichters auf den Holzwegen der alten Romantik; es ist nicht die alles auflösende Ironie, der sie huldigt, sondern aus diesem Silberflor traumhafter Beleuchtung tritt ein allgemein gültiger, echt poetischer Grundgedanke hervor; es ist eine Feier von Lied und Liebe, allerdings in romantischer Form, in verdämmernden Umrissen, in träumerischer Fassung.

Der Held ist ein armer Geiger, der sich in die Tochter seiner Wirthin verliebt, aber von dieser als „dummer Junge“ tractirt wird und aus seiner Mansarde in den Wald wandert. Dort spielt er und schläft ein; doch er hat mit seinem Spiel Wunder gethan: er hat die Elfenprinzessin aus den Zähnen eines Unholds errettet. Das erfährt er im Traume; er sieht die Hochzeit der Elfenprinzessin mit an, die vor dem Kelch der weißen Wasserrose getraut wird. Zum Dank für seine Errettung weihen die Elfen und Blumengeister seine Saiten zu sieghaften Klängen. So schmilzt er das Herz eines alten Geizhalses, der anfangs den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 775. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_775.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)