Seite:Die Gartenlaube (1876) 740.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

nur noch flüstern und lispeln. Und dennoch brachte er jede schmerzlosere Minute am Arbeitstische zu, denn die Noth pochte an’s Fenster und preßte ihn auf’s Herz. Hatte doch ihn und die Seinen noch das Schwerste getroffen: sein Schwiegervater war am letzten März 1873 plötzlich gestorben. So war auch die letzte Stütze seiner Lieben gebrochen, und er mußte allein für ihre Zukunft sorgen. Heldenmüthiger, als er, hat noch Niemand sein letztes und größtes Werk geschaffen: seinen „Fritz Reinhardt“, das größte Epos des deutschen Lehrerlebens.

Auf dem Schmerzenslager, noch unter den Nachwehen eines furchtbaren Krankheitsanfalles leidend, schrieb er mir am 16. December 1873 mit Bleistift eine Schilderung dieses seines letzten Heldenkampfes, die es werth ist, so laut und weit wie möglich verbreitet und dem deutschen Volke an’s Herz gelegt zu werden. Möge Niemand, der durch die Schicksale des Mannes nun zur Theilnahme für ihn erwärmt ist, diesen im letzten Band seiner gesammelten Werke abgedruckten Brief ungelesen lassen. – Als endlich seine Arbeitskraft der Krankheit und der Anstrengung völlig erlag, war es die in unserem Volke, und namentlich in den vermögenden Kreisen viel zu wenig gewürdigte und unterstützte Schillerstiftung, welche Noth und Sorgen von seinem Sterbebette zu bannen und ihn selbst für die Zukunft der Seinen zu beruhigen suchte. Auch die Besprechung seiner Schriften in der „Gartenlaube“ gehörte zu seinen letzten Freuden; die Erinnerung daran verwebte sich noch mit seinem letzten Traum. Als er am 16. März 1874 früh erwachte, sagte er zu seiner Gattin: „Heute oder morgen werde ich sterben – ich weiß es ganz gewiß: ich habe heute im Traume meine Todesanzeige in der ,Gartenlaube‘ gelesen.“ Wenige Stunden darauf war er entschlafen. Der Friedhof zu Davos birgt das einsame Grab des Dichters; möge wohlverdiente Liebe und Verehrung es bewahren, pflegen und schmücken! – Heinrich Schaumberger’s Wittwe lebt mit dem Söhnchen Karl in Coburg.

Wenn die Werke dieses Dichters noch nicht die Verbreitung gefunden haben, die ihnen gebührt, so trägt nicht die Kritik die Schuld. Die Presse hat mit einer Einstimmigkeit, wie sie nur den bevorzugtesten Schöpfungen zu Theil wird, sich über den hohen Werth von Schaumberger’s Dichtungen ausgesprochen. Organe wie die „Neue Freie Presse“, die „Blätter für literarische Unterhaltung“, der „Bildungsverein“ (Centralblatt für das freie Fortbildungswesen in Deutschland) und viele andere Zeitschriften haben ihn mit unseren besten Volksschriftstellern, mit Heinrich Zschokke, Franz Ziegler, Berthold Auerbach, Fritz Reuter und Jeremias Gotthelf verglichen und neben ihnen nicht zu leicht befunden. „Neben Heinrich Zschokke,“ sagt die „Neue Freie Presse“, „ihm, dem mit Unrecht zurückgesetzten, unerreichten Meister der novellistischen Composition, besitzt unsere Literatur kaum einen zweiten Erzähler, der wie Heinrich Schaumberger so durch und durch gesund, so erfrischend, so herzaufregend, so lebenskundig, so gemüthsvoll und so versöhnend gedichtet hat.“ Und die „Blätter für literarische Unterhaltung“ stellen Schaumberger’s „Charaktertypen“ hinsichtlich der „plastischen Kraft der Lebenswahrheit“ noch über die so berühmt gewordenen Figuren der Auerbach’schen Dorfgeschichten.

Auffallender Weise hat man gerade einen Dichter von der nächsten geistigen Verwandtschaft mit Schaumberger unerwähnt gelassen: Otto Ludwig von (dem nur wenige Stunden von Schaumberger’s Heimathsdorfe Weißenbrunn, dem „Bergheim“ seiner Erzählungen, entfernten) Eisfeld. Wem die Gestalten in der „Heiterethei“, „Zwischen Himmel und Erde“ und im „Erbförster“ vor Augen treten, der wird sofort erkennen, daß beide Dichter auf einem Heimathboden stehen und daß es Volksgenossen sind, die beide in ihrer Urwüchsigkeit vor uns hinstellen, beide mit der strengen und unerbittlichen Consequenz der Ursachen und Folgen und beide in der richtigen, echten, poesievollen und bilderreichen Volkssprache. Nur Eines scheidet sie. Während Ludwig’s Dichtungen (namentlich die dramatischen) zum Theil einen unversöhnenden, ja oft fast unerquicklichen Eindruck hinterlassen, legen wir jedes Buch Schaumberger’s mit dem wohlthuenden Gefühle sittlich erhebender Herzensbefriedigung aus der Hand.

Bei den „Bergheimer Musikantengeschichten“, deren köstlicher Humor an die lieblichsten Volksidyllen Jean Paul’s (ohne deren Gelehrsamkeitsballast) erinnert, versteht sich der versöhnende Schluß von selbst. – Großartig wirkt, er in „Vater und Sohn“, der Darstellung eines Eheunfriedens, der durch die unerschütterliche Bravheit des „Sohnes“ nach furchtbaren Stürmen besiegt wird. – Weit schwerer hatte sich selbst den versöhnenden Schluß der Dichter in der Erzählung „Zu spät“ gemacht, in welcher er den Uebermuth eines reichen Bauernsohnes gegen ein von ihm wahrhaft geliebtes, armes, aber charaktervolles Mädchen bis zur Vereinsamung seines ganzen Lebens büßen läßt. In dieser Erzählung geht er aus dem Rahmen der Heimath heraus und führt uns mit demselben Gestaltungsgeschick auch nach Amerika. – Seine umfangreichste Arbeit, der dreibändige Roman „Fritz Reinhardt“, verließ ebenfalls diesen Rahmen insofern er das Leben „der „Hauptstadt“ (Coburg) mit in seine Kreise zieht. Ludwig Würkert, der vielerfahrene Kämpfer auf dem Gebiete der Kirche und Schule, nennt denselben „eine seltene Perle“, ein „Bild der Wahrheit voll Reichthum und Tiefe“, ein Muth- und Trostbuch, das er jedem deutschen Lehrer an’s Herz legt, und wie alle Beurtheiler beklagte auch dieser Greis das allzu frühe Ende eines solchen hoffnungsreichen Lebens. – Als die herrlichste, poesievollste von allen Schöpfungen Schaumberger’s gilt uns seine Erzählung „Im Hirtenhaus“, die den Sieg einer sittlich reinen Familie im tiefsten menschlichen Elend schildert und als illustrirtes Volksbuch, wie Marlitt’s „Goldelse“ und Auerbach’s „Barfüßele“, in Aller Hände kommen sollte. Es genüge hier der Hinweis auf das Urtheil in Rudolf Gottschall’s „Blättern für literarische Unterhaltung“, welches lautet: „Schaumberger’s ,Im Hirtenhaus‘ ist eine Volkserzählung ersten Ranges, welche die höchste Beachtung des Publicums aller Bildungsstufen als eine seltene Gabe verdient.“

Wir dürfen nun wohl hier wiederholen: Wenn die Werke eines solchen Dichters noch nicht die Verbreitung gefunden haben, die ihnen gebührt, so trägt nicht die Kritik, nicht die Presse die Schuld, sondern das Publicum. Wir klagen die Leihbibliotheken-Wirthschaft an, die dem Reichsten gestattet, für Groschen zu genießen, was seinen Bücherschrank schmücken sollte; wir klagen die Roman-Colportage-Wirthschaft an, die dem Volke entsittlichenden Schund für Summen aufhängt, für deren Hälfte es das Edelste, erwerben könnte. Und wenn der blasirten Vornehmheit so reine und gesunde Kost, wie Heinrich Schaumberger’s Schriften sie darbieten, zu gewöhnlich ist, so mögen die Volksbibliotheken an ihre Pflicht gemahnt sein, dem Verherrlicher des Volkslebens eine warme Stätte in dem Herzens des Volkes zu sichern: das würde sein schönstes Denkmal sein.


Aus der Geschichte des Traurings.
Von Moritz Busch.

Warum begleitet unsere kirchliche Trauungen ein Ringwechsel des sich verehelichenden Paares? Und warum sollen die Ringe nach altem Herkommen (nicht blos im größten Theile Deutschlands, sondern auch anderwärts, z. B. in England) an den vierten Finger der linken Hand gesteckt werden, die doch sonst nicht als die vornehmere angesehen wird?

Die zweite Frage wurde früher mit der Meinung beantwortet, daß von jenem Finger eine Blutader bis zum Herzen reiche, verständiger aber erklärt sich die Sitte daraus, daß mit der linken Hand und deren letzten Fingern weniger, als mit den übrigen Greifwerkzeugen des Menschen gearbeitet und so der Ring weniger der Gefahr ausgesetzt, wird, beschädigt zu werden. Die erste Frage wird mit der Erklärung, der Ring bedeute, da er kein Ende habe, die Ewigkeit, der Wechsel die Austauschung von Liebe und Gegenliebe, nicht vollständig erledigt. Diese Erklärung ist sinnreich, erbaulich und der christlichen Auffassung der Ehe sehr angemessen, aber geschichtlich nicht zu begründen. Der Trauring oder vielmehr der Verlobungsring – denn mit der

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 740. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_740.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)