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reizen und die Empfindsamkeit seines Herzens zu erhöhen; seine Poesie erhielt aber Nahrung und Leben.

Im Herbst des Jahres 1788 bezog er die Landesuniversität Tübingen, wo er sich auf Wunsch seiner Mutter dem Studium der Theologie widmete, nicht aus innerem Beruf, aber auch nicht mit Widerstreben, wie von verschiedenen Seiten behauptet wird. Das Zusammenleben mit verschiedenen jungen Leuten, von denen einige später zu der größten Berühmtheit gelangten, übte einen vortheilhaften Einfluß auf sein ganzes Wesen aus. Mehrere bedeutende Jünglinge näherten sich ihm trotz seiner Zurückgezogenheit und schlossen sich ihm an. Diese Freundschaft gewann schon durch seine körperliche Schönheit etwas Idealisches, seine Studiengenossen haben oft von ihm erzählt, „wenn er vor Tische auf- und abgegangen, sei es gewesen, als schritte Apollo durch den Saal.“ Zu diesem anziehenden Aeußeren gesellte sich eine angeborene dichterische Melancholie, welche ihm einen eigenen, wunderbaren Reiz verlieh. Unter seinen Freunden nahmen die Studenten Ludwig Neuffer und Rudolph Magenau die erste Stelle ein; Beide beschäftigten sich, wie Hölderlin, mit Poesie und theilten sich gegenseitig ihre ersten Versuche mit. Unter den Ausländern zogen ihn Leo von Seckendorff und Sinclair, aus einer vornehmen schottischen Familie stammend, besonders an. Letzterer, ein bedeutender und interessanter Mann, der später die diplomatische Laufbahn einschlug, griff im ferneren Leben überaus thätig in Hölderlin’s Schicksal ein. Auch der berühmte Hegel, welcher in Tübingen damals Theologie studirte, trat ihm nahe. Hegel ließ damals seine künftige Bedeutung nicht im Entferntesten ahnen; man wußte nur, daß er sich viel mit Kant beschäftigte, außerdem galt er für einen eifrigen, feinen Tarokspieler, liebte die Gesellschaft und war in Betreff seines Umganges nichts weniger als wählerisch. – Mit Hölderlin verband ihn ein gleiches philosophisches Streben und seine Bekanntschaft mit den Griechen, namentlich mit Sophokles.

Hölderlin.

In solch’ anregender Umgebung mußte sich Hölderlin’s Geist immer freier und bedeutender entwickeln. Mit besonderer Vorliebe trieb er Philosophie und das Studium der alten Classiker, in die er sich nach und nach immer mehr versenkte, so daß er in einer mit der Gegenwart scharf contrastirenden Welt völlig heimisch wurde und eine fremde Denkweise sich zu eigen machte. Aber auch sein gesellschaftliches Talent entwickelte sich in gewinnender Weise. Eine ihn überall empfehlende Lieblingsbeschäftigung war die Musik; er nahm Unterricht bei dem berühmten blinden Flötenspieler Dulon, der sich einige Zeit in Tübingen aufhielt, und bald erklärte der Meister, daß sein Schüler nichts mehr bei ihm zu lernen habe. Mit seiner ersten Geliebten stand er als Student noch in Verbindung, aber da ihm die Schwierigkeit, sich mit dem Mädchen verbunden zu sehen, immer klarer entgegentrat, je älter er wurde, und da sich keine Aussicht auf eine frühzeitige Versorgung zeigte, wurde von ihm das ohnehin nur lockere Verhältniß aus der Jugendzeit gelöst. Eine neu aufkeimende Neigung zu der Tochter eines Tübinger Professors, welche er unter dem Namen Lyda besang, war nicht glücklicher, da die Eltern der Verbindung entgegen waren und jede fernere Annäherung abschnitten. – Diese Neigungen scheinen indeß Hölderlin nicht tiefer berührt zu haben; erst später sollte er die Gewalt der wahren Liebe kennen lernen, welche sein dämonisches Schicksal hauptsächlich mit herbeiführte.

Die heranbrechende französische Revolution übte einen mächtigen Einfluß auf Hölderlin und seine Studiengenossen. Wie überall in Deutschland wurde das welterschütternde Ereigniß besonders von der Jugend anfänglich mit Begeisterung aufgenommen; sie hoffte davon die Verwirklichung ihrer Ideale, die Wiederkehr der großen Vergangenheit, einen Freistaat im Sinne der Republik eines Plato, eine Wiedergeburt der Menschheit und Thaten, würdig des alten Sparta und Athen. Am Geburtstage der französischen Republik wurde von den Studenten auf dem Tübinger Marktplatze ein Freiheitsbaum errichtet und mit berauschender Freude umjubelt. Hegel galt für einen entschiedenen Republikaner und Hölderlin selbst erwartete für Deutschland einen ähnlichen gewaltigen Umschwung und eine Verjüngung der alten, verrotteten Zustände. – Der deutsche Geist brachte es jedoch nicht weiter, als zu einer Umwälzung auf dem abstracten Gebiete der Gedankenwelt; hier hatte Kant eine Revolution angeregt und einen Kampf hervorgerufen, an dem sich Hölderlin lebhaft betheiligte. Durch Jakobi’s Schriften wurde er auch mit Spinoza bekannt gemacht und schwärmte bald für eine pantheistische Weltanschauung, welche mit der von ihm bewunderten griechischen Götterwelt vollkommen harmonirte.

Aber weder die Politik noch die Philosophie waren im Stande, ihn der Poesie untreu zu machen; in ihr fand er die höchste Befriedigung, das Ziel seines brennenden Ehrgeizes. Nicht wenig trug zu dieser entschiedenen Richtung das Vorbild seines Landsmannes Schiller bei, dessen persönliche Bekanntschaft er bei einem Besuche desselben in Schwaben gemacht hatte. Deutlich tragen auch die ersten Gedichte Hölderlin’s die Spuren dieses Einflusses und das oft in einem Grade, daß man Schiller selbst zu hören glaubt, wenn Hölderlin in seinem Gedichte „das Schicksal“ singt:

Mit ihrem heil’gen Wetterschlage,
Mit Unerbittlichkeit vollbringt
Die Noth an einem großen Tage,
Was kaum Jahrhunderten gelingt.
Und wenn in ihren Ungewittern
Selbst ein Elysium vergeht,
Und Welten ihrem Donner zittern –
Was groß und göttlich ist, besteht.

So verfolgte Hölderlin immer mehr eine Richtung, welche ihn seinem eigentlichen Berufe, der Theologie, entfremdete und überhaupt an die Stelle des praktischen Lebens eine Welt der Ideale setzte. Im Herbst 1793 verließ er die Universität, unentschieden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_165.jpg&oldid=- (Version vom 20.3.2023)