Schwere, Elektricität und Magnetismus/§. 14.

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§. 14.
Die anziehende Masse ist über eine Fläche ausgebreitet. Die Gleichung:


 Wir betrachten den abstracten Fall, dass die Masse über eine Fläche stetig vertheilt ist. Ein Punkt der Fläche habe die Coordinaten . Die Dichtigkeit an dieser Stelle sei . Wir verstehen darunter den Quotienten, der sich ergibt, wenn die Masse des an anstossenden Flächen-Elementes durch den Inhalt dieses Elementes dividirt wird. Die Dichtigkeit soll in keinem Punkte der Fläche unendlich gross sein und, wenn nichts anderes ausdrücklich gesagt ist, sich überall stetig ändern. Dann haben wir


(1)


und die Integration ist über die ganze anziehende Fläche zu erstrecken.

 Liegt der angezogene Punkt ausserhalb der anziehenden Fläche in endlichem, wenn auch noch so kleinem Abstände von derselben, so haben und ihre Derivirten bestimmte, endliche Werthe, und die Untersuchung bietet nichts neues dar. Wir wenden uns deshalb zu dem Falle, dass der Punkt in der anziehenden Fläche selbst liegt, oder dass er auf der Normale von der einen oder von der anderen Seite in die Fläche hineinrückt.

 Von jedem Punkte der Fläche aus verläuft die unbegrenzte Normale nach zwei entgegengesetzten Richtungen, die wir als positiv und negativ unterscheiden. Ist für irgend einen Punkt der Fläche festgesetzt, nach welcher Seite hin die Normale positiv genannt werden soll, so hat man damit über die positiven Normalen aller anderen Punkte der Fläche entschieden. Verschiebt man nemlich die positive Normale eines Punktes so, dass ihr Fusspunkt in der Fläche sich bewegt und sie selbst stets normal zur Fläche bleibt, so fällt sie der Reihe nach mit den positiven Normalen aller der Punkte zusammen, welche ihr Fusspunkt in der Fläche durchläuft. Um einen Punkt herum, in welchem die Fläche stetig |[47]gekrümmt ist, kann man auf derselben immer in endlichem Abstande eine Begrenzung so zeichnen, dass die positiven Normalen aller Punkte des umgrenzten Gebietes spitze Winkel mit einander bilden.

 Auf der unbegrenzten Normale einer Fläche wollen wir von dem Fusspunkte aus eine veränderliche Strecke mit bezeichnen. Die Grösse ist positiv oder negativ, je nachdem die Strecke von dem Fusspunkte aus auf der positiven oder auf der negativen Normale abgetragen ist. Auf jeder Normale gibt es hiernach nur eine Richtung der wachsenden , und in dieser Richtung ist der positive Zuwachs zu rechnen.

 Wir legen nun den Anfangspunkt der Coordinaten in den Punkt der Fläche, in welchen der angezogene Punkt hineinrücken soll. Die Axe der positiven werde in die positive Normale gelegt, die Axen der und der in die Tangentialebene. Es sei der Winkel, welchen die auf errichtete positive Normale mit der Axe der positiven einschliesst. Um den Anfangspunkt der Coordinaten herum grenzen wir ein endliches Gebiet der Fläche so ab, dass innerhalb desselben endlich und stetig variabel ist. Der Theil der Potentialfunction , welcher von diesem Gebiete herrührt, werde mit , der übrige Theil mit bezeichnet. Für die anziehende Masse, von welcher herrührt, ist der Punkt ein äusserer und daher ist die Function mit allen ihren Derivirten endlich und stetig variabel. Es kömmt also nur noch auf an.

 In der Ebene führen wir Polar-Coordinaten ein, so dass




Für einen Punkt innerhalb des Gebietes, welches den Anfangspunkt der Coordinaten in sich enthält, kann man ein angrenzendes Flächenelement ausdrücken durch



Alsdann findet sich


(2)


Das Gebiet, von welchem herrührt, habe in der Ebene eine Kreisfläche vom Radius zur Projection. Dann ist in (2) die In- |[48]tegration von bis in Beziehung auf und von bis in Beziehung auf auszudehnen. Nun lässt sich leicht zeigen, dass einen bestimmten, endlichen Werth hat. Denn zunächst ist die Function innerhalb der Integrationsgrenzen überall endlich. Für wird freilich auch , wenn man den angezogenen Punkt auf der Normale des Anfangspunktes der Coordinaten in diesen selbst hineinrücken lässt. Aber der Bruch kann in die Form gebracht werden



Für ist auch . Lassen wir nun auch in Null übergehen, so nimmt der positive Bruch die Form an. Welchen Werth er aber auch haben möge, so sieht man doch, dass nicht unendlich werden kann. Die Function unter dem Integralzeichen in (2) ist also innerhalb des Integrationsgebietes überall endlich, und deshalb hat auch das Integral einen durchaus bestimmten endlichen Werth.

 Behält man auf der Fläche dasselbe abgegrenzte Gebiet, von welchem die Potentialfunction herrührt, bei, lässt aber den angezogenen Punkt von aussen her an eine andere Stelle dieses Gebiets rücken, so nimmt auch einen anderen, jedenfalls aber einen bestimmten, endlichen Werth an. Es lässt sich demnach eine Grösse angeben, die nicht unendlich gross ist und so beschaffen, dass



an welcher Stelle des abgegrenzten Gebietes der angezogene Punkt liegen möge. Wird dieser Punkt unendlich wenig in der Fläche verschoben, so gilt für die dadurch entstehende Aenderung um so mehr die Ungleichung



Die Grösse lässt sich aber kleiner und kleiner machen und dem Grenzwerthe Null unaufhörlich annähern. Dazu hat man nur nöthig, den Radius unaufhörlich abnehmen zu lassen. Folglich ist



|[49]Von ist schon oben nachgewiesen, dass es endlich und stetig variabel ist. Folglich ist auch



d. h. die Function ist endlich, wenn auch der Punkt in die anziehende Fläche hineinfällt, und der Werth von ändert sich stetig, wenn der Punkt in der Fläche stetig verschoben wird. Bezeichnen wir mit eine unendlich kleine Verschiebung in der Fläche, so hat der Differentialquotient einen bestimmten, endlichen Werth. Er ist nur unendlich wenig von den Werthen verschieden, welche derselbe Differentialquotient annimmt, wenn der Punkt auf der einen oder auf der anderen Seite unendlich nahe an der Fläche liegt. Der Differentialquotient ist identisch mit der Componente der Anziehung in der Richtung von , so lange der Punkt nicht in der Fläche liegt. Fällt aber der Punkt in die Fläche, so ist zwischen dem Differentialquotienten und der Componente der Anziehung zu unterscheiden. Jener behält, wie eben bewiesen, einen bestimmten angebbaren Werth. Diese wird völlig unbestimmt, weil das Integral, durch welches sie ausgedrückt wird, jede Bedeutung verliert, sobald der angezogene Punkt in die anziehende Fläche fällt.

 Fasst man aber eine Verschiebung auf der Normale ins Auge, so findet sich, dass die Componente der Anziehung in der Richtung dieser Verschiebung und die Derivirte in derselben Richtung identisch sind, falls der Punkt auf der positiven oder der negativen Normale der Fläche unendlich nahe genommen wird. Legt man ihn aber in die Fläche selbst, so hat die Componente der Anziehung einen bestimmten Werth, die Derivirte ist dagegen völlig unbestimmt.

 Um dies zu beweisen, errichten wir auf der Stelle, in welche der Punkt hineinrücken soll, die Normale und tragen auf ihr die unendlich kleinen Strecken und ab. Die Componente der Anziehung in der Richtung der positiven Normale werde resp. mit bezeichnet, je nachdem der angezogene Punkt auf der Normale in ihrem Fusspunkte liegt oder um die Strecke oder von dem Fusspunkte entfernt. Ein Flächenelement, in dessen Begrenzung der Fusspunkt der Normale

|[50]liegt, werde mit bezeichnet. Wir nehmen die Begrenzung von zur Directrix einer Cylinderfläche, deren Erzeugende zu der Normale parallel läuft, und legen zwei Schnittebenen rechtwinklig zur Normale (Fig. 8) im Abstande und resp. von dem Fusspunkte.
Fig. 8.
Dadurch werden zwei unendlich kleine cylindrische Räume abgegrenzt, deren gemeinschaftliche Basisfläche ist, und die nach der Seite der positiven und resp. der negativen Normale zu liegen. Auf jeden dieser beiden Räume wenden wir den Satz von Gauss (§. 12) an. Der Beitrag, welchen die cylindrischen Mantelflächen zu dem Integral liefern, kann vernachlässigt werden, weil wir die Höhe so klein nehmen, dass das Verhältnis der Mantelflächen zu unendlich klein wird. Betrachten wir zuerst den Cylinder, welcher nach der Seite der positiven Normale liegt, so liefert die Basisfläche zu dem Integral den Beitrag



denn die auf nach dem Innern des Cylinders gezogene Normale fällt mit der positiven Normale der anziehenden Fläche zusammen. Die Gegenfläche liefert den Beitrag



denn ihre nach dem Innern des Cylinders gezogene Normale fällt in die Richtung der negativen Normale der anziehenden Fläche. Im Innern des Cylinders ist keine anziehende Masse vorhanden, sondern nur in seiner einen Begrenzungsfläche . Das Quantum dieser Masse ist , wenn mit die Dichtigkeit im Fusspunkte der Normale bezeichnet wird. Der Satz von Gauss lautet hier also



und daraus findet sich


(3)


 In derselben Weise wenden wir den Satz von Gauss auf den zweiten Cylinder an, der nach der Seite der negativen Normale liegt. Hier ergibt sich



d. h.


(4)


|[51]  Die Componente der Anziehung in der Richtung der positiven Normale nimmt also sprungweise um ab, wenn der angezogene Punkt von der Seite der negativen Normale in die Fläche eintritt, und aufs neue um , wenn er aus der Fläche nach der Seite der positiven Normale austritt.

 Was nun den Differentialquotienten betrifft, so hat man


(5)


Denn so lange der Punkt ausserhalb der Fläche liegt, haben die ersten Differentialquotienten von einerseits und die Componenten der Anziehung andererseits bestimmte, endliche Werthe, und wo dies der Fall ist, gelten die Gleichungen (5). Fällt aber der Punkt in die Fläche hinein, so hat der Differentialquotient keinen bestimmten Werth mehr. Er ist gleich oder gleich , je nachdem man den Punkt auf der positiven oder auf der negativen Normale in deren Fusspunkt hineinrücken lässt, d. h. eben: sein Werth ist unbestimmt.

 Aus den Gleichungen (3), (4), (5) folgt noch


(6)


Der Differentialquotient nimmt also sprungweise um ab, wenn der Punkt von der Seite der negativen Normale nach der Seite der positiven Normale durch die Fläche hindurchgeht.