Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen: Dorfchemnitz

Textdaten
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Autor: M. G.
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Titel: Dorfchemnitz
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aus: Erzgebirgischer Kreis, in: Album der Rittergüter und Schlösser im Königreiche Sachsen. Band 4, Seite 113–116
Herausgeber: Gustav Adolf Poenicke
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Erscheinungsdatum: [1856]
Verlag: Expedition des Ritterschaftlichen Album-Vereins
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Erscheinungsort: Leipzig
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Dorfchemnitz.


Dorfchemnitz, vulgo Kämnitz genannt, liegt 2½ Meile südlich von Freiberg, an der Saidaischen und unweit der (auf dem hohen Kamme hinführenden) Rechenberger Strasse im anmuthigen Thale der Chemnitz, welche noch über dem Dorfe aus zwei fast gleich starken Bächen, dem Voigtsdorf’schen und dem Friedebach zusammenläuft und weit unterhalb des Dorfes und der Schaafbrücke links das Bächlein aus Wolfsgrund, rechts den Eppenfluss an der Grüne oder Gruna empfängt.

Die Chemnitz ist sehr forellenreich und ihre Benutzung zur Wiesenwässerung eine vorzügliche zu nennen.

Die Entstehung von Dorfchemnitz ist nicht zu ermitteln.

Als die ersten Besitzer des Gutes und Schlosses werden uns die Herren von Erdmannsdorf genannt. Schon im 12. Jahrhundert sind diese hier ansässig gewesen, was aus einem Gemälde in dem Erbbegräbnisse zu Dorfchemnitz sich entziffern lässt. Nach diesem Gemälde ist im Jahre 1133 ein von Erdmannsdorf, welcher gewöhnlich seine Morgenandacht vor einem Crucifix zwischen Dorfchemnitz und Voigtsdorf, ohnweit der Voigtsbrücke, verrichtete, betend von Räubern erstochen worden. Die von Erdmannsdorf oder Erdmarsdorf haben auch Dorfchemnitz bis zum 14. Jahrhundert noch besessen. Erst im Jahre 1364 oder 1365 ist das Gut durch Verheirathung mit einer gebornen von Erdmarsdorf oder Erdmannsdorf an Nicol von Hartitzsch, den Freiberger Bürgermeister gekommen. Letzterer ist vom Burggrafen Meinher VI. damit beliehen worden und ist solches in dieser Zeit als ein Zubehör der Herrschaft Frauenstein zu betrachten. Die Abstammung und die Geschichte der Hartitzschischen Familie haben wir schon bei Colmnitz näher erwähnt, weshalb wir zur bessern Belehrung darüber dahin verwiesen haben wollen.

Dorfchemnitz hat in der spätern Zeit zwei Rittergüter und jedes seinen besondern Besitzer gehabt, weshalb es auch in Ober- und Nieder-Dorfchemnitz eingetheilt wird.

Die Familie von Hartitzsch haben diese beiden Güter dann bald getheilt, bald wieder vereint besessen.

Im Jahre 1625 haben 3 von Hartitzsch in Dorfchemnitz gelebt, nämlich Hans Wolf von Hartitzsch auf Nieder-Dorfchemnitz, Melchior von Hartitzsch auf Ober-Dorfchemnitz und noch ein George Adolf von Hartitzsch auf dem Hammer allhier.

Im Jahre 1662 gehörte Nieder-Dorfchemnitz einem Wolf Siegmund von Hartitzsch, Kammerjunker und Amtshauptmann zum Frauenstein, so wie 1671 einer Anna Elisabeth von Hartitzsch. Christian Melchior von Hartitzsch war im Jahre 1668 mit Ober-Dorfchemnitz beliehen, welcher 100 Jahre geworden. Von diesem stammt George Adolph von Hartitzsch auf Dorfchemnitz, welcher mit einem Fräulein Anna Christiane von Schönberg vermählt war. Derselbe starb im Jahre 1726. Sein Nachfolger war Ferdinand Wilhelm von Hartitzsch auf Ober- und Nieder-Dorfchemnitz. Er hatte ein Fräulein von Meusebach zur Gemahlin. Sein Sohn Johann Adolph von Hartitzsch ist vor ihm gestorben. Daher wurde Julius Alexander von Hartitzsch auf Ober- und Nieder-Staucha, zugleich auch beliehener Besitzer von Ober- und Nieder-Dorfchemnitz. Derselbe ist zweimal verheirathet gewesen, das erste Mal mit einem Fräulein von Schönberg, das zweite Mal mit Fräulein Magdalena Elisabeth von Zehmen auf Stauchitz. Dieser starb im Jahre 1764 und seine Wittwe im Jahre 1785. Letzteren beiden sind deren Söhne als Gerichtsherren von Ober- und Nieder-Dorfchemnitz gefolgt, welche noch Ober- und Nieder-Voigtsdorf erbten.

Diese beiden Brüder, welche zwei Schwestern, Fräuleins von Gersdorf, aus dem Hause Pulsnitz, zu Gemahlinnen hatten, theilten sich später in die Güter; nämlich der jüngste George Adolph von Hartitzsch, Domprobst und Amtshauptmann bekam Ober- und Nieder-Staucha, welcher noch Heida und Knathewitz bei Wurzen sich kaufte. Der älteste aber, Hans Dietrich Alexander von Hartitzsch erhielt Ober- und Nieder-Dorfchemnitz [114] mit Ober- und Nieder-Voigtsdorf und kaufte sich noch dazu Röhrsdorf bei Königsbrück; dieser starb in Röhrsdorf 1820 und wurde nach Dorfchemnitz begraben; der jüngste, Georg Adolph hatte, drei Söhne, wovon der älteste, George Heinrich von Hartitzsch, Kammerherr und Hof- und Justizrath, Staucha bekam, welcher mit einer Gräfin von Holzendorf verehelicht war und in dieser Ehe drei Töchter erzeugt hat, Maria Louise, Pauline Agnes und Anna erzeugt hat. Der jüngste Sohn Julius Lieutenant, besass Haide und ist im Jahre 1816 gestorben; der zweite Sohn, Hans Adolph von Hartitzsch, vermählt mit der einzigen Tochter des Hans Dietrich Alexander von Hartitzsch‚ seines Oheims, Erdmuthe Friederike Elisabeth, ist nun seit 1814 Gerichtsherr von Dorfchemnitz und Voigtsdorf und besitzt auch Heide und Knathewitz. Alle 5 Kinder haben dieselben durch den Tod verloren und besitzen nur noch eine Pflegetochter, eine geborene Bose. Mögen sie noch lange zum Wohle ihrer Untergebenen leben und wirken. Dorfchemnitz hat gerade ihnen sehr viel zu verdanken. Von dieser Herrschaft werden Sonntags Arme gespeist; für arme Schulkinder ist das Schulgeld bezahlt, Zinsen und Abgaben sind stets in bedeutendem Maasse erlassen, zum Kirchen-, Orgel-, Pfarr- und Schulbau Beiträge geschenkt worden, so dass die ganze Umgegend dieser Familie ihre Liebe und Achtung im hohen Grade auf jegliche Weise erkennen zu geben sich bemüht.

Die Wirthschafts- und Stall-Gebäude des Rittergutes, mit welchen das früher von beiden Besitzern bewohnte Herrnhaus in eins gebaut ist, sind bedeutend gross und schliessen eine nach der neuesten Erfindung im Jahre 1836 angelegte Branntweinbrennerei in sich. Das eigentliche Schloss, so wie die übrigen Gebäude sind von dem jetzigen Herrn Besitzer sehr verbessert worden.

Ausserdem zeichnet sich das Rittergut durch seine vortrefflichen Waldungen aus, deren Holzschlag auf 80 Jahre angenommen ist. Herr Rittmeister von Hartitzsch, der derzeitige Besitzer und sein Vorbesitzer haben hierauf ihre ganze Aufmerksamkeit verwendet und keine Kosten gescheut. Man kann keck behaupten, das diesem Rittergute in dieser Hinsicht wohl wenige in Sachsen gleichkommen.

Zum Rittergute gehört auch ein grosser Obstgarten, welcher eine Masse veredelter Sorten Obst enthält, die vom Herrn Rittmeister von Hartitzsch entstammen.

Auf den früheren Landtagen sass der Rittmeister von Hartitzsch vom Jahre 1818 an als Besitzer des Ritterguts Voigtsdorf in der allgemeinen Ritterschaft und dann auf das Gut Knathewitz mit Haida im weiten Ausschuss. Nach früherer Landtagsverfassung bis zum Jahre 1831 war er, als Rittergutsbesitzer von Dorfchemnitz, zwar auch Landtagsfähig, erhielt aber, wie jene zu Weissenborn und Colmnitz‚ keine Auslösung, weil Dorfchemnitz halb amt- und nur halb schriftsässig war. Das Gut leistete ein Ritterpferd.

Die Zahl der Hufen betrug 29¾ wobei die beiden Pfarrämter zu 1 Hufe berechnet wurden; 2 Hufen sind dismembrirt worden. Ausserdem giebt es hier 24 Gartennahrungsbesitzer, 38 Hausbesitzer, 35 Häusler, 33 sogenannte Häusler auf dem Rittergutsboden, die früher Lehnhäusler waren. Ausserdem hat der Gerichtsherr 2 Lehnhäuser gekauft, wovon das eine zur Revierförsterwohnung eingerichtet worden ist, und das andere dem herrschaftlichen Bretmühlen-Pachter als Wohnung dient.

Die Schicksale des Ortes anbetreffend, so hat derselbe viele Kriegsdrangsale, Pest und Theurung zu ertragen gehabt. Im Jahre 1604 haben die Kaiserlichen geplündert. Im Jahre 1762 musste Dorfchemnitz in einem Tage an Lieferungen für 1200 Thlr. beschaffen. Im Jahre 1772 sind durch Theurung und Hungersnoth viele Menschen gestorben und am 23. August 1813 bivouakirten 11000 Mann Soldaten auf dem Marsche nach Dresden grösstentheils auf dem Pfarrgute. Die Soldaten hatten im Gottesackerhäuschen und in der Rittergutsscheune Feuer gemacht, ohne zu schaden. Dabei war ein schreckliches Regenwetter; alle Wohnungen, die nicht zu entfernt lagen, waren voll Soldaten und Pferde.

Auch mehrmals hat Dorfchemnitz durch starke Fröste mit grossem Misswachs auf den Fluren zu kämpfen gehabt und in den Jahren 1727 bis 1737 grosse Reparaturen und Bauten an Kirche, Pfarre und Schule unternehmen müssen. – Collator über Pfarre und Schule ist der jedes malige Besitzer des Ritterguts von Dorfchemnitz.

Wie die meisten alten Kirchen ist auch die von Dorfchemnitz in der Nähe des Schlosses gelegen, um sie vom Schlossherrn mit vertheidigen zu lassen. Die hiesige Kirche wurde im Jahre 1737 reparirt und von 1802–1804 durch gänzliche Umgestaltung in ein einfach-schönes Gotteshaus verwandelt. Die äussere Länge der Kirche beträgt 70 Ellen, die Breite 24 Ellen; doch ist das Innere ungleich kürzer, der Raum [115] desselben aber sehr wohl benutzt und die beiden Emporkirchen nebst 6 Betstübchen sind geräumig. Zu beiden Seiten der Kanzel, welche über dem Altare ist, sind die herschaftlichen Kapellen, links darunter der Beichtstuhl und die Kirchenstände für die Pfarrfamilie und rechts am Altare die Kirchenstände für die Kirchenvorsteher. Eine neue, sehr schöne Orgel ist der Kirche seit 1834 gegeben.

Der Kirchthurm ist gut und trefflich gebaut und einer der höchsten auf dem Lande. Der Kirchhof ist mit einer Mauer umgeben.

Auf den Kirchhof werden Wenige beerdigt, fast Alle auf den Gottesacker, der auf dem einen Pfarrgute liegt. Auf dem grössern Pfarrgute ist ein wüster viereckiger Fleck, der Pest-Gottesacker genannt. Mithin hat der Ort eigentlich 3 Begräbnissplätze.

An der nördlichen Seite der Kirche befinden sich 17 steinerne von Hartitzische Denkmäler, darunter das von Melchior von Hartitzsch, welcher 100 Jahre alt geworden ist.

Das Vermögen der Kirche besteht aus mehr als 2000 Thlr. Der grüne Ornat der Kirche ist ein Geschenk der Anna Christiana von Hartitzsch vom Jahre 1745. Der blaue Ornat ein Vermächtniss der Frau Magdalena Elisabeth von Hartitzsch vom Jahre 1731. Der jetzt verbundene blaue ist ein Geschenk des Herrn Rittmeister von Hartitzsch.

Die Pfarrwohnung ist im Jahre 1727 nach beendigten Prozess zwischen Pfarrer und Gemeinde in einem erhabenen Styl erbaut worden, die Gebäude mit ihren Umgebungen gehören zu den schönsten unter den geistlichen Wohnungen in Sachsen.

Die Schulwohnungen sind im Jahre 1716 und 1734, wo ein zweiter Lehrer hier angestellt wurde, verbessert und neu hergestellt. Die Zahl der Schulkinder beträgt jetzt an die 250 bis 260. Ausser diesen Gebäuden sind noch nennenswerth das sogenannte Jagdhaus mit seinem terrassenförmigen Blumen- und Gemüse- und schönen Obstgarten, zum Theil mit einem Fichtenzaun umgeben.

Ferner das vom Holzhändler Schmidt im Jahre 1838 erkaufte mit Gasthofs-Gerechtigkeit verbundene Erbgericht, wobei eine Oelmühle und eine neue Branntweinbrennerei angelegt ist; ausserdem befinden sich hier 2 Mahlmühlen und 1 Eisenhammer. Letztrer mag durch den früher hier auf Eisenstein betriebenen Bergbau entstanden sein. Im Orte wohnt auch ein Wundarzt, welcher zugleich Geburtshelfer ist, 2 Krämer, 2 Schmiede, 2 Fleischer, Tischler und andere Handwerker. Bemerkenswerth ist noch, dass hier sehr gute Spinnräder gefertigt werden, die durch einen gewissen Hedrich aus der Lausitz zuerst hier bekannt wurden.

Eingepfarrt und eingeschult ist ausserdem als Dorfantheil zu Dorfchemnitz gehörenden Neudorf, noch

Wolfsgrund.

Der Name rührt von dem Thale, worinnen in früheren Zeiten Wölfe sich aufgehalten und 2 Hütten am Ende nach Dorfchemnitz und nach Zethau zugestanden haben, zum Aufbewahren von Waffen, die beim Durchwandern des Waldes Jeder mitgenommen hat, um sich gegen die Wölfe zu vertheidigen. Wolfsgrund ist jetzt ein angenehmes Dorf und hat viel Obstbaumzucht.

Im hiesigen, an der Strasse von Sayda nach Mulda und Bobritzsch gelegenen Lehngerichte wurde bis jetzt alle 30 Jahre ein Rügengericht gehalten, woran auch der Pfarrer Theil nahm, und auf welches ein Schmauss folgte.

Dorfchemnitz grenzt östlich an Dittersbach, Nassau, wo die böhmische Mulde scheidet und an Clausnitz; südlich an Neudörfchen und über dieses hinaus an Friedebach; südwestlich an Voigtsdorf und Wolfsgrund, westlich an Zethau, nördlich an Mulda.

Dorfchemniz hat 144 mit Neudörfel 194 bewohnte Gebäude, 291 Familienhaushaltungen und 1340 Einwohner und gehört jetzt zum Gerichtsamt Sayda, zum Bezirksgericht Freiberg, zur Amtshauptmannschaft Freiberg, zum Regierungsbezirk Dresden.

Früher soll der Ort zwei Gemeinden gebildet haben, nach der Eintheilung in zwei Rittergüter, eine Annahme, die wohl nicht richtig ist. Noch viel weniger kann die Benennung Ober- und Niederdorf einen Grund für diese Eintheilung abgeben. Es giebt gar viele andere Orte in Sachsen, die in Ober- und Niederdorf eingetheilt sind, ohne deshalb in mehre Orte oder Gemeinden zu zerfallen. Dorfchemnitz ist seit undenklichen Zeiten mit Neudorf nur eine Gemeinde mit 1 Richter, 1 Kasse, und vor Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit, mit einer Gerichtsstätte gewesen.

Bemerkenswerth ist noch, das man hier Schörl und Turmalin im Gneiss, und in eben demselben oft sehr grosse Feldspathkrystalle, kalkigen Glimmer im Kalksteine des grossen Leithsberges und auf den Eisensteinlagern, [116] Hornblende und Hornblendeschiefer findet. Auf einigen Gütern wird auch Torf gestochen und ein kleines Torfmoor, worauf häufig die Wallblume wächst, befindet sich ¼ Stunde südwestlich von der Kirche.

Die vorzüglichsten Berge im Dorfe sind: im Nordwest der steile schönbewaldete hohe Buch oder Puchleithe, von wo aus man eine reizende Aussicht geniesst. Im Südwest die Viertelhüfner-höhe mit einer weiten Aussicht. An deren Abhange stehen die Ziegel und Kalköfen des Lehngerichts. Endlich in Nordost der Kamm, auf dessen Rücken die Strasse von Freiberg über Rechenberg nach Böhmen führt und deren höchste Koppe, Bellmannshübel genannt, die Schlösser Frauenstein, Lichtenwaldstein, selbst Freiberg erblicken lässt.

M. G.