Rede am Grabe des ehrbaren Jünglings Leonard Ueberl, den 14. Mai 1830

Textdaten
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Autor: Johann Martin Rauch
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Titel: Rede am Grabe des ehrbaren Jünglings Leonard Ueberl, den 14. Mai 1830
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aus: Sechs kurze Trauerreden. Bei Beerdigungen gesprochen. S. 12–17
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Entstehungsdatum: 1831
Erscheinungsdatum: 1834
Verlag: Alois Attenkover
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Erscheinungsort: Ingolstadt
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Quelle: Scans auf Commons
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[12]

II.

Rede am Grabe der ehrbaren Jünglings Leonhard Ueberl, den 14. Mai 1830.


Statutum est hominibus, semel mori. Hebr. 9. 27.

Es ist den Menschen aufgesetzt, einmal zu sterben.


Sterben, – scheiden von dieser Welt, getrennt werden von Allem, was uns auf dieser Erde lieb und theuer war, – sterben, sage ich, ist allgemeine Schuld aller Menschen, die ein jeder abzutragen hat. „Es ist den Menschen aufgesetzt, sagt der hl. Paulus, einmal zu sterben.“ Wann aber die Stunde eines jeden kommt, und wie weit seine Lebensdauer hinausgestellt ist, das weiß kein Mensch, das steht bei Gott, der das Leben gegeben, der es also auch, wenn es ihm gefällt, wieder nehmen kann.

Da diese Stunde der Auflösung so ungewiß ist; so kann sie alle Tage kommen, kann kommen, wann wir es am wenigsten vermuthen; daher fodert uns die heil. Schrift ernstlich auf, „zu wachen und zu beten, weil wir [13] weder den Tag, noch die Stunde wissen.“ Dem Tode ist keiner zu arm, und keiner zu reich; keiner zu niedrig und keiner zu angesehen; keiner zu alt und keiner zu jung; er reißt mit unerbittlicher Strenge den Säugling von der Mutterbrust; er raubt den Kindern ihre Eltern, und macht Eltern kinderlos, und merkt nicht auf die Thränen und Klagen der verlassenen Wittwen etc.

Von dieser Wahrheit sehen wird uns heute wieder aufs Neue überzeugt.

Wir haben hier so eben einen Jüngling beerdigt, der, der einzige Sohn einer trostlosen Wittwe, die einzige Stütze ihres Alters war. Und sieh, der Tod hat ihn schnell und unvermuthet hinweggenommen; und wir sehen unvermuthet hinweggenommen; und wir sehen trauernd und weinend die trostlose Mutter mit ihrer noch übrigen kleinen Tochter vor uns.

Meine Lieben! es ist dieses ein harter Schlag, es ist ein grosses Elend, das nur diejenigen zu fühlen vermögen, die sich in die Lage dieser verlassenen Wittwe ganz versetzen können. – – Aber tröste dich, liebe Mutter! Du hast dem Herrn den einzigen Sohn, den du hattest, zum Opfer gebracht; Er hat ihn gegeben, Er hat ihn genommen, Er wird ihn dir ernst wieder geben. Und, was Gott thut, ist doch alles gut. Er hat ihn hinweggenommen aus einer bösen [14] Welt, noch ehe er mit derselben recht vertraut wurde; Er hat ihn dem Verderben entrissen, dem die heutige Jugend mit blinder Wuth entgegen rennt. –

Wenn er gleich vor wenigen Tagen noch vielleicht nicht an seinen nahen Tod dachte; so war er doch willig und ergeben in den Willen des himmlischen Vaters, und verlangte selbst, als er seine Stunde kommen sah, nach den Tröstungen unserer heiligen Religion; und der Herr erfüllte sein Verlangen, und ließ ihn erst nach empfangenen heiligen Sterbsakramenten ruhig in ein anderes Leben hinüberschlummern. – Dies sey dein größter Trost, betrübte Mutter, daß dein einziger Sohn, der seit dem Tode seines Vaters (6 Jahre) unermüdet für dich sorgte, und durch gute Aufführung dein Herz bisher erfreute – dies sey dein größter Trost, sage ich, daß dieser dein einziger Sohn, wie ich gewiß glaube, auf eine bessere Stätte jenseits versetzt worden ist. Und er hat, wenn er gleich in der schönsten Blüthe seines Lebens, (in einem Alter von 22½ Jahren) von hinnen schied, vielleicht doch eine lange Reihe von Jahren erfüllt. –

Doch, auch an Euch muß ich mich wenden, theuere Versammelte! und besonders an Euch, die der Herr mit Kindern gesegnet hat. Ach, [15] verwendet doch alle Euere Sorge auf eine gute, christliche Erziehung Euerer Kinder! warnet sie frühzeitig vor dem Bösen, haltet sie mit Ernst und Strenge zurück von allen unerlaubten Bekanntschaften, von den unsinnigen Weltfreuden, von der tollen Tanzwuth; denn ich sage euch, ein schreckliches Gericht wird über Euch ergehen, wenn der Herr die Kinder von Euch fordert, die er Euch anvertraut hat, und die durch Euere Nachlässigkeit in der Erziehung, durch Euer eigenes böses Beispiel in Rohheit, in Sünde und Laster heranwuchsen, und ewig zu Grunde gingen. Ach, bedenket es oft, recht oft, daß Ihr euern Kindern keinen grössern Schatz hinterlassen könnet, als eine gute, christliche Erziehung. Alle andere Schätze, Reichthum und Ansehen, sind eitel und nichtig, und helfen nichts! „Was nützt es dem Menschen, sagt Christus, wenn er die ganze Welt gewinnt, an seiner Seele aber Schaden leidet?!“ – Eine gute Erziehung ist aber mehr, als je in unsern Tagen nothwendig, da beinahe Alles verdorben scheint, da die bösen Beispiele und Verführungen zahllos sind, da, wenn es möglich wäre, selbst die wenigen Auserwählten verführt würden, da Gottesfurcht und Religion beinahe ganz verschwunden, und an ihre Stelle Unverschämtheit [16] und Gottlosigkeit nicht nur bei der Jugend, sondern auch bei den meisten Eltern, getreten sind! –

Ihr aber, Jünglinge und Jungfrauen! die noch diesen schönen Namen verdienen, sehet hier das Grab eines Jünglings, der in Euern Jahren, und unter Euch heranblühte, und bedenket, daß auch Euch die Hand des Todes unvermuthet überraschen könnte; bedenket, daß der Mensch, wie Gras ist, das heute steht, und morgen in den Ofen geworfen wird. Bewahret deshalb das Kleid der Unschuld und Tugend, damit Ihr dem Herrn, wenn er kommt, mit brennendem Lichte entgegen kommet, und vor seinem Richterstuhl nicht zittern dürfet. –

Ihr aber, die ihr bisher, wie Roß und Maulthier gelebt, die Ihr Euch im Genusse sinnlicher und unerlaubter Gelüste glücklich schätztet, die ihr die Tugend mit Füssen tratet, und fromme und tugendhafte Jünglinge und Jungfrauen verlachtet und verspottetet, weil sie nicht auch in Euern bösen Wandel einstimmten, Ihr Verblendeten! sehet hier aus den umliegenden Gebeinen, was aus Euerm sündhaften Fleische wird, das ihr so sehr zieret und pfleget; sehet hier, in Moder und Fäulniß verwandelt sich über kurz oder lang eure Sinnlichkeit, [17] in der Ihr alles Glück zu finden glaubet! – Kehret um, und laßt Euch warnen! beweinet mit Thränen inniger Reue Euere Schandthaten, und thut Busse, damit Ihr dem Strafgerichte Gottes entgehet, das Euch sonst bald übereilen wird. Noch ist es Zeit, jetzt ist es für Euch noch Tag, da Ihr wirken könnet, es bricht aber die Nacht des Todes herein, da niemand mehr wirken kann.

So laßt uns denn nun alle mit dem Gedanken an unsre eigene Auflösung die Seele dieses abgeschiedenen Jünglings der Barmherzigkeit Gottes empfehlen, und, damit der Herr ihm seine, auf dieser Erde begangenen, und vielleicht noch nicht genugsam abgebüßten Sünden, gnädig verzeihen, und, wenn es noch nicht ist, ihn bald zur Anschauung seines göttlichen Angesichtes zulassen wolle, – für ihn ein andächtiges „Vater Unser und Ave“ beten.