Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Etruskische Namensform für den Gott Neptunus
Band XVII,1 (1936) S. 142143
Neptun (Mythologie) in der Wikipedia
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neθun(u)s. Etruskische Namensform für den Gott Neptunus, dessen Kult in Etrurien verbreitet war. Die Sage macht ihn zum Stammvater der Könige von Vei, deren einer, Halaesus, Sohn des Neptun, Falerii gründet. Serv. Aen. VIII 285. In der etruskisch-italischen Überlieferung ist Neptunus mit dem Meergott Poseidon verschmolzen. Münzen von Vetulonia, Populonia, Volterra zeigen seine Symbole: Dreizack, Anker, Seepferd, Delphin. K. O. Müller Etrusker II² 53ff. und Art. Neptunus. Demgegenüber sind die nicht sehr zahlreichen Belege des etruskischen Namens n. wichtig, weil sie zum Teil auf eine andere ursprünglichere Bedeutung hinweisen. Den üblichen Typ zeigt unter ihnen nur ein Vulcenter Spiegel des Vatikanischen Museums aus dem 3. Jhdt.: Gerhard Etr. Sp. Taf. LXXVIII (3, 77f.) = CII 2097: neθuns im Streit (?) mit der Göttin θesan; zwischen ihnen der Sonnengott uśil. Die Szene ist nicht gedeutet, vgl. Myth. Lex. Art. usil, und u. Art. θesan. Deecke Myth. Lex. III 1, 302 mit älterer Literatur. Furtwängler ebd. 201ff. Körte Etr. Sp. V 65. Helbig Führer I³ 644. Als Wettergott wird n. durch die Leber von Piacenza bezeugt (3. Jhdt.): dort findet sich in der Region 15 (zwischen Gallenblase und bobus caudatus) der Buchstabe n.; auf der Gallenblase selbst steht neθ. Beide Abkürzungen wird man zu neθuns zu ergänzen haben, da die Gallenblase nach Plin. n. h. XI 195 von den Haruspices dem Gott Neptunus geweiht war; vgl. auch Cic. div. 32. Auf der babylonischen Tonleber ist an gleicher Stelle von Überschwemmungen die Rede. Thulin Etr. Disciplin II 21.

Eine Gemme des freien Stils aus Vulci, jetzt im Pariser Münzkabinett, zeigt den Gott in seiner ursprünglichen griechischen Funktion: als Spalter der Erde, um Wasser zutage zu fördern. Furtwängler Ant. Gemmen Taf. XVII 5 und Bd. III 202 (s. auch 450). Babélon-Blanchet Cat. des bronzes ant. pl. 5, 16: neθunus, jugendlich und bartlos, in der Rechten den Dreizack:, die Chlamys über dem Rücken, stemmt sich mit dem rechten Fuß gegen einen Felsen, aus dem Wasser herabfließt. Nach Furtwängler ist keine griechische Darstellung dieser Szene bekannt.

Die ,Genitivform‘ neθunsl findet sich eine Reihe von Malen auf der Leinwandrolle von Agram, jenem späten aber längsten etruskischen Text, den wir besitzen. Der Name erscheint hier immer verbunden mit Formen vom Wortstamm fler: flere, fleres, flerχνa, flerχνe, neθunsl, CIE suppl. Fasc. I. VIII 3. 11, γ 3. IX 7. 14. 18. 22. XI 16? Vermutlich ist von einer Weihung oder Spende für den Gott die Rede. [fler-es = νotum, sacrum oder dgl. An die von Herbig Herm. LI 465ff. vertretene Bedeutung ,Bronze(bild), Statue‘ vermag ich schon deshalb nicht zu glauben, weil das Wort flere die Aufschrift einer Travertintafel bildet; [143] Gammurrini Not. d. scav. 1892, 378.] Daß der Gott Neptunus in diesem Text sakralen Charakters, der sich vermutlich auf Sepulcralriten bezog (nach Herbig eine Art Totenbuch) so häufig vorkommt, ist wichtig für die Frage nach der ursprünglichen Bedeutung des etruskischen Gottes, der in der Gestalt des Meergottes Poseidon-Neptunus aufging. Handelt es sich um eine chthonische Gottheit? Ist sie mit dem vorgriechischen(?) Poseidon (s. d.) zu verbinden? Die Wandinschrift eines Grabes in Tarquinii lautete nach Piranesi neθuni aisaru! Es ist daran zu erinnern, daß Neptunus zu den alten Lectisterniengöttern gehörte. Nach Nigidius bei Arnob. III 40 berichtete die etruskische Diseiplin von vier Gattungen der Penaten: solchen des Iupiter, des Neptunus, der Unterirdischen und der sterblichen Menschen. Wissowa Ges. Abh. 100. Es wäre zu untersuchen, ob die von Furtwängler hervorgehobene Vermengung der Attribute des Zeus und des Poseidon in einer ursprünglich anderen Bedeutung der letzteren in Etrurien begründet sein kann.

n. gehört zu den relativ zahlreichen etruskischen Götternamen auf -ns, wie fufluns, selvans, seθlans u. a. m. (der ,Genitiv‘ auf -l wie fufluns-l, selvans-l, cilens-l u. a.). neθunus der Gemme ist zu spät und vereinzelt, um Schlüsse auf die Geschichte des Namens an diese Form zu knüpfen. Es kann sich um eine Mischform handeln.

Das Verhältnis der etruskischen Form neθuns zu lat. Neptunus ist umstritten. Etruskischen Ursprung des Namens vertritt Thulin 26, 3. Ihm folgt Körte Röm. Mitt. XX 364, 3. Thulin verbindet mit N. den Stadtnamen Nepete (heute Nepi). Doch vgl. zu Nepete W. Schulze Eigennamen 567, 3. Für indogermanische Herkunft ist neuerdings Ribezzo eingetreten. Riv. Indo-Gr.-It. XII 75f. S. auch Battisti Studi Etruschi IV 455. Vgl. weiteres unter Neptunus. Über etr. -θ- gegenüber lat. -pt- vgl. eine Erklärungsmöglichkeit bei Fiesel Erg.-H. z. KZ 5.