Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Myth. Ahnherr d. lokrischen Stammes
Band XIII,2 (1927) S. 13631365
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Lokros. 1) Mythischer Ahnherr (κτίστης und συνοικιστής) des lokrischen Stammes (Herodian. I 203, 26. 30 Lentz). Sein Vater soll Physkos (Physkios die Hss. bei Plut. quaest. gracc. 15) gewesen sein. nach Hekataios bei Herod. II 947, 9 (Lentz) = FHG I 26 nr. 342. Ps.-Skymnos 590. Plut. a. a. O. Eustath. Il. 277, 17ff. (die zwei letzteren nach Aristoteles Ὀπουντίων πολιτεία frg. 561 Rose, d. h. aus Philippos von Opus, s. Philol. LXVII 407ff.), oder Amphiktyon, nach Schol. vet. Pind. Ol. IX 96 c (Drachmann). Der Name Amphiktyon soll es anschaulich machen, daß die [1364] delphische Amphiktyonie ihre älteste heilige Stätte beim Demeterheiligtum zu Anthele in Ost-Lokris hatte; L. als sein eigener Sohn, daß (nach Behauptung wenigstens der Lokrer selbst) die Amphiktyonie gewissermaßen eine Gründung der Lokrer war. Die Einschiebung des Physkos will nur die West-Lokrer, die bekanntlich einmal Physkeis hießen (s. Physkos u.), irgendwie genealogisch mit den Ostlokrern verbinden. L.s Mutter ist nicht bekannt, da aber die Physkos-Sage wohl eine Umbildung jener von L. ist, dürfen wir vielleicht sie in Chthonopatra sehen (wobei ein gewisser Anspruch auf Autochthonie erhoben wurde), die die Gattin des Amphiktyon und Mutter des Physkos war (Eustath. a. a. O.). Seine eigene Gemahlin soll Protogeneia geheißen haben, wenn man den Schol. zu Pind. Ol. IX 86ff. trauen darf, oder Kabye (wohl die Tochter des Epeierkönigs Opus, nach Aristoteles a. a. O.) nach Plutarch a. a. O. Nun aber sind die Erklärer, die alten sowie die jetzigen, in die heilloseste Verwirrung über Protogeneia und ihren Sohn Opus gebracht worden durch die kühnen Neuerungen von Pind. Ol. IX. Wie ich die Sache auseinandergesetzt habe (s. den Art. Kabye), hat die einheimische Sage nichts von der Tochter eines Epeierkönigs gewußt‚ sondern nur daß Opus (s. d.) Sohn einer Protogeneia (s. d.) war. Pindar aber, um die Ostlokrer irgendwie mit den olympischen Spielen zu verknüpfen, hat diese Tochter des Epeierkönigs Opus, der er selbst, wohl bemerkt, keinen Namen gibt, in die Sage eingeführt. Diese nennt nun Aristoteles Kabye (bezw. Kambyse), wohl aus epeischen Lokalsagen, und weil dann die Scholiasten, da die Eǒen von Protogeneia sprachen, auch diese epeische Gattin des L. Protogeneia tauften, aber weil sie keineswegs mit der älteren mythischen Gestalt dieses Namens gleichzustellen war, Protogeneia die zweite nannten, wonach ein zweiter Opus erforderlich wurde, geriet alles in Unordnung. Nun ist Protogeneia ein sinnloser Name für die Gattin eines Königs, der so weit von der Schöpfung der Menschen durch Deukalion und Pyrrha absteht, zu der die (erste) Protogeneia gehört, und dieser Name ist wohl nur aus dem Ausdruck Πρωτογενείας ἄστει für Opus bei Pindar v. 61f., und der Verschmelzung der alten Sage über Opus mit jener von L. entstanden. Denn es ist klar, daß L. Eindringling in eine ältere Sagenkette ist. Schon in der ältesten Gestalt der Sage (Hesiod. frg. 115 Rzach. 82 Evelyn-White) führt L. Leleger, und es wird öfters gesagt, daß diese Leleger nach ihm Lokrer hießen, so wohl Aristoteles frg. 560 (Strab. VII 32l. Steph. Byz. Φύσκος), und ausdrücklich Ps.-Skymn. 59l. Dionys. Kalliph. Anagr. 71. Plin. n. h. IV 27, oder daß der ehemalige Name Φυσκεῖς oder Φύσκοι (nach Physkos, s. d.) in Λοκροί verwandelt wurde (Aristot. a. a. O. Rhianos bei Steph. Byz. s. Φύσκος, vielleicht auch Theokr. IV 23; vgl. Philol. LXVII 426. 466f. Eustath. Il. 277, 17ff.). Auch in Elis, wo die Verwandtschaft mit L. außer Zweifel steht (Strab. IX 425; vgl. Swoboda o. Bd. V S. 2380), ist die Verbindung durch Namen wie Opus und Physkoa (s. d.) gemacht, nicht L. Das alles deutet darauf, daß der Name Λοκροί ziemlich spät für das Volksgebiet aufkam. Sohn des L. ist Opus, Eponyme der ostlokrischen Hauptstadt (Pind. [1365] Eustath. a. a. O. Plut. a. a. O., wo die Hss. zwar einen zweiten L. als Sohn von L. und Kabye angeben, was aber sicher in Ὀποῦς zu korrigieren ist; s. o. Art. Kabye). Nach Pindars Neuerung hat Zeus die Tochter des Königs Opus von Elis in das Mainalongebirge entführt, und das von ihm schon schwangere Mädchen dem kinderlosen L. als Gemahlin gegeben. Der Sohn wird dann nach der Mutter Vater Opus genannt. Infolge von Zwistigkeiten mit seinem Sohn Opus soll L. nach der Gegend westlich vom Parnass (Eustath.) oder εἰς τὴν ἑτέραν θάλασσαν (Plut.) eine Kolonie geführt haben, wo er die πόλεις Φυσκεῖς (sic) und Ὑάντειαν gründete, woran die Geschichte von dem Hagedorn (κυνόσβατος) und der κύων ξυλίνη angeknüpft worden ist (alles wahrscheinlich nach Aristoteles frg. 561). Das ist sehr ungeschickt ersonnen, da L. jetzt κτίστης der Stadt Physkos wird, obgleich er aus historisch gut erklärbaren Gründen Sohn des Physkos war, zumal die Geschichte von der κύων ξυλίνη ursprünglich ätiologische Sage über die Gründung der Stadt Kynos (s. d.) ist, wie v. Wilamowitz schon bemerkt hat, und in West-Lokris keinen richtigen Sinn hat. Die echte westlokrische Sage von der κύων ξυλίνη ist ganz anderer Art, da sich dort der Ausdruck auf den Weinstock bezieht, und mit Orestheus, Oineon und dem Dionysosdienst zu tun hat (Hekataios bei Athen. II 35 b. Paus. X 38, 1. Vgl. Weniger Art. Lokros und Höfer Art. Orestheus bei Roscher. In diesem Teil der Überlieferung haben wir aber eine viel spätere Umformung der Sage (doch vor der Zeit von Philippos aus Opus und Aristoteles), zugunsten der Westlokrer gegenüber den Ostlokrern. Ganz schematisch bleibt also die Gestalt des L.‚ und keine echten Sagen haften an ihr.