Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Sohn d. Sophokles aus Athen
Band IX,2 (1916) S. 18981900
GND: 102396329
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2) Aus Athen (Suid. Ἰοφῶν), legitimer (Suid. a. a. O.) Sohn des Sophokles und der Nikostrate (Vit. Soph. 129, 52 W. Schol. Aristoph. Ran. 73. 78. Suid. s. Ἰοφῶν s. Σοφοκλῆς), Tragiker (Schol. Aristoph. Ran. 330. Suid. s. Ἰοφῶν).

Im J. 428 (Ol. 87, 4) errang I. nächst Euripides mit seinem Hippolyt und neben Ion als drittem Sieger den zweiten Preis (Hippol. Didask. ἐδιδάχθη ὲπὶ Ἐπιμείνονος ἄρχοντος ὀλυμπιάδι πζ’ ἔτει δ’. πρῶτος Εὐριπίδης, δεύτερος Ἰ., τρίτος Ἴων), so daß I.s Geburtsjahr sicherlich noch in die erste Hälfte des 5. Jhdts. v. Chr. anzusetzen ist. Daß er seinen Vater überlebt hat, ergibt sich aus den an den Lenäen 405 aufgeführten Fröschen des Aristophanes 73ff.; (οὐκ Ἰ.. ζῇ; – τοῦτο γάρ τοι καὶ μόνον ἔτ’ ἐστὶ λοιπὸν ἀγαθόν, εἰ καὶ τοῦτ’ ἄρα· οὐ γὰρ σάφ’ οἶδ’ οὐδ’ αὐτὸ τοῦθ’ ὅπως ἔχει), auf I.s Anteilnahme an der Ehrung des verstorbenen Sophokles weist die allerdings verderbte Stelle der Vita (128, 43 W.) Σοφοκλῆς–/Δεξίων (s. Kern o. Bd. V S. 287) ἱδρυνθεὶς ὑπ’ Ἰοφῶντος τοῦ υἱοῦ μετὰ τὴν τελευτήν) hin, Val. Max. VIII 7 ext. 12 läßt den I. dem Vater die Grabschrift setzen. Ein Sohn des I.‚ Sophokles mit Namen, erscheint im J. 375 auf einer attischen Weihung an Athene IG II 672, 37 φιάλαι δύ[ο ... ἃ]ς Σοφοκλῆς Ἰοφῶντος ἐκ Κολω[νοῦ ἀνέθηκεν]; Vgl. Wilhelm Theaterurkunden 177, l, ein dem Großvater gleichnamiger Enkel IG II 1177 Ἰοφῶν Σοφοκλέους ἐκ Κολωνοῦ ὑπογραμματε[ύς]. Über das Verhältnis des I. zu seinem hochbetagten Vater berichtet die Vit. Soph. 129, 51ff. W. nach Satyros in Übereinstimmung mit vielen, daß I. dem greisen Sophokles den Prozeß gemacht habe, und zwar vor den Geschlechtsverwandten (φράτορες) wegen seniler Geisteszerrüttung (ὡς ὑπὸ γήρως παραφρονοῦντι). Die Vita fährt fort: οἱ δὲ τῷ Ἰοφῶντι ἐπετίμησαν· Σάτυρος δέ φησιν αὐτὸν εἰπεῖν· ,εἰ μέν εἰμι Σοφοκλῆς, οὐ παραφρονῶ· εἰ δὲ παραφρονῶ, οὔκ εἰμι Σοφοκλῆς’ καὶ τότε τὸν Οἰδίποδα παραναγνῶναι. Satyros, der Peripatetiker, der in Alexandrien unter Ptolemaios Philopator (221–204) tätig war, schöpfte, wie durch den Euripidesbios nunmehr zur Evidenz erwiesen, aus den Werken der alten Dichter und fremden Anspielungen (s. Leo Nachr. d. Gött. Ges. d. W. 1912, 276). Die Quelle ergibt sich aus den sicherlich nicht ganz vollständigen, möglicherweise auch leicht verderbten Worten der Vita 129, 55 W. καί ποτε ἐν δράματι εἰσήγαγεν Ἰοφῶντα, wo das Subjekt fehlt und der Name des Stückes entweder ausgefallen – dann könnten die Φράτερες des Leukon gemeint sein – oder vielmehr verderbt: Δράματα ἢ Κένταυρος und Δράματα ἢ Νίοβος schrieb Aristophanes (s. Näke und Hermann bei Wolff a. a. O. 11f.). Auch wenn Aristophanes tatsächlich den Handel des I. mit seinem Vater in einer Komödie berührt hat, so befremdet doch das Schweigen über die Affäre in den Fröschen 73ff., wo Aristophanes dem I. keineswegs hold erscheint; befremden muß, daß bis in die letzte Lebenszeit des Sophokles der Verdacht bestand, I. erfreue sich der Beihilfe seines Vaters beim Dichten seiner Tragödien, und endlich auch des Phrynichos Worte in den Μοῦσαι, dem Gegenstück [1899] zu den Fröschen, μάκαρ Σοφοκλέης, ... εὐδαίμων ἀνὴρ καὶ δεξιός ... καλῶς ἐτελεύτησ’ οὐδὲν ὑπομείνας κακόν (frg. 31 Kοck) scheinen zum Kummer des Dichters am Ende seines Lebens wenig zu passen. Auch an der Behandlung des Falles vor den Φράτορες hat man Anstoß genommen und den Konflikt zwischen Vater und Sohn als von den Komikern entweder aufgebauscht oder erdichtet verworfen (Schöll a. a. O. 365ff. Wolff a. a. O. 17f‚). Gegen freie Erfindung, für die noch Kirchner a. a. O. eintritt, spricht außer dem Zeugnis des Satyros eine Notiz in Aristot. rhet. III 15. 1416a., 15, wo der 80jährige Sophokles offenbar vor Gericht erklärte, daß er zittere, οὐχ ὡς ὁ διαβάλλων ἔφη, ἵνα δοκῇ γέρων, ἀλλ’ ἐξ ἀνάγκης. Auch das Zitieren geistig Minderwertiger vor den Familienrat hat im altrömischen Brauch sein Analogon (Lex XΙΙ tab. 5, 7 a. Varr. r. r. I 2, 8), sodaß die Überlieferung der Vita nicht leichthin beiseite geschoben werden darf. Wenn freilich Cicero (de senect. 22) über den Grund des Zerwürfnisses zwischen Vater und Söhnen (I) zu berichten wußte (cum rem familiarem neglegere videretur) und den Zweck der Klage (illum quasi desipientem a re familiari removerent iudices), wenn Plutarch (an sen. resp. ger. 3, 785 a), Apuleius (apol. 37) und Ps.-Lucian. (macrob. 24) von einer Huldigung der Richter für den Dichter des ‚ἐὐίππου ξένε‘ erzählen, die beiden letzteren sogar von einer wirklichen oder drohenden Verurteilung des Sohnes wegen μανία bezw. dementia, so tragen diese Details teils den Stempel der Erfindung an sich, teils könnten sie erschlossen sein, so die Knickerigkeit des alternden Sophokles aus Aristoph. Pax 695ff. Über diese Affäre vgl. auch Welcker Griech. Trag. I 268. Bergk Vit. Soph. XVIII. Gallina Über die Tradition des Prozesses, welchen I. gegen seinen Vater S. angestrengt haben soll, Progr. des Untergymnasiums Trebitsch 1884.

Die Zahl der Dramen des I. gibt Suid. s. Ἰοφῶν auf 50 an, unter denen Titel wie Ἀχιλλεύς, Τήλεφος, Ἀκταίων, Ἰλίου πέρσις, Δεξαμενός und Βάκχαι ⟨ἢ⟩ Πενθεύς begegneten καὶ ἄλλα τινὰ κατὰ (μετὰ?) τοῦ πατρὸς Σοφοκλέους. Einzig aus den Βάκχαι hat Stob. ecl. ΙΙ 1, 9 drei Verse philosophischen Inhalts – über die Nutzlosigkeit, die Gottheit ergründen zu wollen (vgl. Cic. nat. I 22. Tert. nat. II 2 S. 183 Oehl.) –, welche die Agaue spricht, ausgehoben, während der Scholiast zu Aristoph. Ran. 330 das Myrtengeschenk des Dionysos an Hades auch durch einen Hinweis auf den Tragiker I. stützt. Aus dem Scholion, das mit dem beiläufigen Zusatz δηλοῖ δὲ καὶ Ἰ. ὁ τραγικός schließt, konstruierte Wolff (a. a. O. 22ff.) den Inhalt eines ganzen Satyrdramas des I.‚ betitelt Σεμέλη oder Σεμέλης ἀναγωγή. Eine wichtige Bereicherung hingegen erfährt unsere Kenntnis vom Schaden des I. durch Clem. Alex. strom. I 329, wo 1½ Verse auf Rhapsoden und ihresgleichen als σοφισταί aus den Αὐλῳδοὶ σάτυροι (vgl. Soph. Ἰχνευταὶ σάτυροι) des Ἰοφῶν ὁ κωμικός (ὁ τραγικὸς schon Casaubonus) zitiert werden.

Da die Liste der bei Suid. s. Κλεοφῶν genannten Tragödientitel sich teilweise mit der unter I. deckt, haben Welcker (Die griech. Trag. III 976f. 1000), Volkmann (De Suid. biogr. 33) [1900] und Wolff (a. a. O. 19), welche die alphabetische Liste s. Κλεοφῶν für die ursprüngliche hielten, geschlossen, daß die Dichter und ihre Werke bei Suidas vertauscht wurden, während Susemihl Jahresbericht XXXIV 1884, 1, 18 Κλεοφῶν für eine Verschreibung statt . erklärte; beide Vermutungen gleich unhaltbar, I.s Βάκχαι sind durch Stobaios gesichert, Kleophons umfangreiche dramatische Tätigkeit durch Aristoteles.

Im Wettstreit mit Euripides und Ion errang I. den zweiten Preis (s. o.), inwieweit dem jüngern Scholion zu Aristoph. Ran. 73 ἠγωνίσατο δὲ καὶ ἐνίκησε λαμπρῶς ἔτι ζῶντος τοῦ πατρὸς αὐτοῦ mit dem Vermerk, daß I. möglicherweise eine Tragödie des Sophokles aufgeführt habe, alte Überlieferung zugrunde liegt, ist nicht mehr zu entscheiden. So entzieht sich auch unserer Kontrolle die Behauptung der Vit. Soph. 13l, 87f. W., daß sich sogar der Vater mit dem Sohne gemessen habe: συνηγωνίσατο δὲ (Σ.) ... καὶ Ἰοφῶντι τῷ υἱῷ, während die Autorschaft des I. für die ausdrücklich als θεονυόμενον bezeichnete Antigone des Sophokles, wie sie Anecd. Oxon. IV 315, 31 (Cramer) andeutet, schon zeitlich undenkbar ist. Ob diese Nachricht vielleicht aus einer zweiten Aufführung oder Umarbeitung durch I. herausgesponnen ist, läßt sich nicht mehr entscheiden (s. Schneidewin-Nauck zu Soph. Antigone9 30).

Wie Zeitgenossen über I.s Leistungen urteilten, verrät Aristoph. Ran. 72ff. im Gespräch zwischen Herakles und Bakchos: ‚die Guten sind nicht mehr, und die geblieben, schlecht‘. Und als Herakles an I. erinnert, der noch lebe, hält Dionys mit seinem Urteil zurück: οὔ, πρίν γ’ ἂν Ἰοφῶντ’ ἀπολαὼν αὐτὸν μόνον, ἄνευ Σοφοκλέους ὅ τι ποιεῖ κωδωνίσω: boshaft spielt Aristophanes darauf an, daß I.s Stücke geistiges Eigentum des Sophokles sein könnten: diesen Gedanken führen und schmücken alte und junge Scholien zu v. 73. 75. 78 (hier wird I. ψυχρὸς und μακρός genannt) aus. Auf Sophokles’ wirksame Mitarbeiterschaft scheint ferner der Suidasartikel Ἰοφῶν hinzudeuten: καὶ ἄλλα τινὰ κατὰ (wo Porson μετὰ vermutete) τοῦ πατρὸς Σ. Daß I. bei seinem großen Vater in die Lehre ging, ist selbstverständlich, ebenso scheint es ausgeschlossen, daß bei allen 50 Tragödien Sophokles helfend eingriff: anderseits muß die Beihilfe außergewöhnlich groß gewesen oder doch erschienen sein, wenn Aristophanes die Selbständigkeit I.s so sehr in Zweifel ziehen konnte.

Uns ist ein Urteil über I. unmöglich. Immerhin dürfte es nicht reiner Zufall sein, daß die beiden einzigen Zitate philosophisch-sophistisches Gepräge tragen und dadurch dem Charakter der Euripideischen Tragödie sich nähern.

Literatur: Boeckh De tragoediae graecae primordiis 115. F. G. Welcker Die griechische Tragoedie III 975. Schoell Sophokles’ Leben und Wirken 390. Wolff De Iophonte poeta tragico, Misniae 1884. Kirchner Prosopographia Attica I 496. Christ-Schmid Gesch. d. gr. Liter.⁶ 389. Fragmente bei Nauck Fragmenta tragicorum graecorum² 761f. Critica bei Blaydes Adversaria in tragic. graec. fragm, Halle 1894. G. Papabasileios Κριτικαὶ παρατηρήσεις εἰς τοὺς Τραγικούς, Ἀθηνᾶ II (1890) 247ff.