Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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L. Brachte eine Lex sacrata ein
Band IX,1 (1914) S. 851853
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2) L. Icilius. Beim J. 298 = 456 berichtet Liv. III 31, 1 kurz und knapp: de Aventino publicando lata lex est; erst bei der Einsetzung der Decemvirn und nur gelegentlich trägt er 32, 7 Namen und Art des Gesetzes nach: ne lex Icilia de Aventino aliaeque sacratae leges abrogarentur. Auch nach Dionys X 32, 4 war das Gesetz eine Lex sacrata, und zwar in Centuriatcomitien beschlossen und aufgezeichnet auf einem Bronzepfeiler im Dianatempel auf dem Aventin; von den Kämpfen um das Gesetz und von den sonstigen inneren Wirren dieses Jahres weiß Dionys zwar viel zu erzählen, nennt aber bezeichnenderweise den Urheber des Gesetzes nur mit seinem Gentilnamen, obwohl er ihn gleich darauf beim nächsten Jahre mit Pränomen und Nomen einführt (s. u.). Demnach war ein altes Gesetz de Aventino publicando, auf dessen Inhalt und Bedeutung hier nicht eingegangen werden kann (vgl. u. a. Ed. Meyer Kl. Schr. 367. Rosenberg Herm. XLVIII 371ff.), erhalten, das vielleicht nicht einmal über das Jahr, jedenfalls nicht über den Antragsteller Auskunft gab; doch eine alte geschichtliche Überlieferung setzte es ins J. 298 = 456 und bezeichnete es mit einem plebeischen Geschlechtsnamen, so daß man mit Wahrscheinlichkeit den Urheber in einem Volkstribunen vermuten durfte. Seine Persönlichkeit hat erst die späte Annalistik auszugestalten gesucht, ist aber in den Anfängen dieses Versuchs stecken geblieben. Erstens hat Dionys die innere Geschichte der J. 298 = 456 und 299 = 455 breit ausgeführt und dabei zum Führer des während beider Jahre fungierenden Collegiums der Tribunen den einzigen gemacht, dessen Name gegeben war (vgl. X 31, 2: Ἰκίλλιος ὂς ἡγεῖτοτοῦ ἀρχείου v [vgl. Nr. 5]; 33, 1: οἱ περὶ Λεύκιον Ἰκίλλιον τὸ δεύτερον ἀρχεῖν ἑξῆς αἱρεθέντες; vgl. 31, 3. 32, 1. 40, 2: I. ab Sprecher); schon das Fehlen des Parallelberichte bei Livius erweist die Ungeschichtlichkeit der ganxen Darstellung, so daß auf ihre Wiedergabe verzichtet werden kann. Zweitens haben Livius und Dionysios gleichmäßig [852] den bekannten plebeischen Namen I. benutzt, um eine Nebenperson in der berühmten Erzählung von Verginia, nämlich den Verlobten des Mädchens, damit auszustatten, ohne aber diesen Mann ausdrücklich mit dem Urheber des Gesetzes über den Aventin zu identifizieren. Nur bei der Einführung weisen sie mit einer gewissen Schüchternheit auf seine Vergangenheit hin, Liv. III 44, 3: (Verginius) desponderat filiam. L. Icilio tribunicio, viro acri et pro causa plebis expertae virtutis (vgl. 7: sponsi Icilii populare nomen), Dionys. XI 28, 2: ἣν ἐνεγγυήσατο Λεύκιος εἰς τῶν δεδημαρχηκότων υἱὸς Ἰκιλίου τοῦ πρώτου τε καταστησαμένου τὴν δημαρχικὴν ἐξουσίαν κτλ. (vgl. Nr. 5); alles weitere erzählen sie ohne Rücksicht darauf so, wie es eben für jeden Bräutigam Verginias passend wäre: Gemeinsam mit dem mütterlichen Großvater des Mädchens P. Numitorius eilt er zu ihrem Schutze herbei und ) erreicht durch sein mannhaftes Auftreten wenigstens die Vertagung des richterlichen Urteils (Liv. III 45, 4-46, 9; vgl. 47, 3. 7. 48, 1 mit stärkerer Hervorhebung des I., Dionys. XI 28, 7. 30, 1. 31, 3ff. mit solcher des Numitorius); er sendet seinen (nur hier erwähnten) Bruder und Numitorius seinen Sohn ins Lager, um den Vater Verginius eilends herbeizuholen (Liv. 46, 6. Dionys. 33, 3; vgl. 37, 7); nach der Ermordung der Jungfrau ruft er wieder mit Numitorius zusammen das Volk zur Rache und zur Freiheit auf (Liv. 48, 7. 9. 49, 2f. Dionys. 38, 2); bei Dionys. XI 46, 5 ist er es dann schließlich auch, der den falschen Ankläger M. Claudius zur Verantwortung zieht, während Liv. III 58, 10 eher an den Vater Verginius denken läßt; diese Abweichung ist von geringem Belang gegenüber der Übereinstimmung in allem andern, was doch erst einem späten Entwicklungsstadium der Sage angehört (vgl. o. Bd. III S. 2700f.). Drittens hat Livius, ganz abgesehen von der Verginiaepisode, diesen I. wegen seines Namens zu einem Hauptführer der Plebs beim Sturze der Decemvirn gemacht. Schon wo er erzählt, daß Ap. Claudius sich populär zu machen suchte, um seine Wiederwahl zum Decemvir für das zweite Jahr zu erreichen, läßt er ihn inter tribunicios Duellios Iciliosque auftreten (III 35, 5, nicht richtig verwendet von Ed. Meyer a. O. 359, 1); eine leise Erinnerung an diese politische Rolle des I. bewahrt er auch in der Verginiaerzählung (46, 2, auch 48, 9); besonders aber stellt er ihn dann dar als Hauptanstifter der Sezession auf den Aventin (51, 7–10), als Wortführer der Plebs bei den Verhandlungen mit den Gesandten des Senats (53, 3–5), als einen der neugewählten Volkstribunen (54, 11) und als den Antragsteller bei den wichtigen Beschlüssen über die Straflosigkeit der Sezession (54, 14) und über den Triumph der neuen Consuln L. Valerius und M. Horatius (63, 8, vgl. noch. 65, 9). Von diesem ganzen Teile der angeblichen Geschichte des I. weiß wiederum Dionys nichts, dessen Bericht freilich unvollständig erhalten ist; es ist daher alles Erfindung einzelner später Annalisten, und zwar haben diese im allgemeinen die Namen der hier vorkommenden Plebeier aus der ersten Tribunenliste abgeleitet (vgl. Niese De annalibus Romanis observationes I p. VIIIf.; o. [854] Bd. V S. 1781f.; s. auch u. Nr. 5) und zur Hervorhebung des I. die besondere Anregung durch die Tradition von der Lex Icilia de Aventino publicando empfangen. Der Urheber dieses Gesetzes, der Verlobte der Verginia, der Führer der Plebs bei der zweiten Sezession sind drei Gestalten von ungleichem Ursprung und Wert; die Gleichheit ihres Namens mußte bei der ohnehin vorhandenen Gleichheit der Zeit zu einer vollständigen Gleichsetzung geradezu auffordern; aber sie konsequent durchzuführen haben Livius und Dionys entweder nicht gewagt oder nicht vermocht.