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X. Kapitel
Gleichsetzung des H. mit andern Göttern oder Heroen und Unterscheidung mehrerer H.
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aus: RE:Herakles
Seite: 1103–1109
von: Otto Gruppe
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[1103]

Mit der Verbreitung der griechischen Sage wurde deren berühmtester Held in den Barbarenländern den größten Helden und Göttern, von denen die Einheimischen wußten, gleichgesetzt, z. B. dem

  • Andossos in Gallien, o. S. 998, 84.
  • Aretos in Makedonien, o. S. 954, 28.
  • Arsaphes, vgl. Wilcken Arch. f. Papyrusforsch. II 312. 317 und o. S. 980, 67.
  • Artagnes (Verethragna ?) in Kommagene, o. S. 985, 25ff,
  • Belos, Inschr. Arch. f. Papyrosf. II S. 450 nr. 87. Cagnat Inscr. ad res Rom. pert. I 1092. Vgl. o. S. 1001, 42.
  • Chnuphis? Reitzenstein Poimandr. 165.
  • Chonsu in Ägypten, o. S. 987, 8. 2
  • Dagon in Askalon, o. S. 984, 29.
  • Dorsanes, angeblich in Indien, o. S. 986, 11; der Name stammt vielleicht eigentlich aus der kilikischen Alexandersage, vgl. Höfer in Roschers Myth. Lex. IV 325, 51 ff. *Harpokrates in Ägypten, o. S. 987, 19.
  • Ilunnus in Gallien, o. S. 998, 36 u. Bd. IX S. 1091.
  • Mars in Rom (Varro sat. ἄλλος οὗτος Ἡρ. bei Macr. Sat. III 12, 6; vgl. Serv. Aen. VIII 275).
  • Melkart in Tyros, o. S. 983, 33. Lagrange Ét. sur les rel. sémit. 308ff. Nach Dussaud Not. de myth. syr. 142ff. erfolgte die Gleichsetzung in Kypros.
  • Milkom, o. S. 985, 12.
  • Morreus, 980, 30, s. Sandan.
  • Oglaios oder Ogmios (so ist nach Pallu de Lessert Bull. soc. antiqu. de Fr. 1909, 384ff. auf Grund mehrerer Inschriften für das überlieferte Ὄγμιος zu lesen), o. S. 998, 25.
  • Osorthon (Osorchon, Osthoron) in Ägypten, o. S. 987, 29.
  • Sandan, Sandes, o. S. 980, 36.
  • Verethragna s. Artagnes.
  • Zalmoxis? Porph. v. Pyth. 14.

Weit größer wird diese Zahl, wenn der Synkretismus der Kaiserzeit, wie er namentlich in dem Hymnos bei Nonn. Dionys. XL 369 (Fr. Braun Hymnen bei Nonn. von Panop. 11) hervortritt, mit berücksichtigt wird. Damit würde freilich sehr Verschiedenartiges zusammengestellt werden; denn während die spätere Religionsmengung aus dem Bestreben hervorgeht, einen Allgott zu gewinnen, ist die Ursache der vorher genannten Gleichsetzungen der Wunsch der Barbaren, ihre Überlieferungen an die griechische anzuknüpfen. Sie entstammen auch, obwohl zum Teil ebenfalls erst spät bezeugt, meist einer früheren, der hellenistischen oder einer noch älteren Zeit; die Gleichsetzung des H. mit dem Stadtkönig von Tyros scheint sogar bis in die Wende des 7./6. Jhdts. hinaufzugehen. So sehr sich aber jene früheren Gleichsetzungen nach der Art und meist auch nach der Zeit ihrer Entstehung von dem pantheistischen Synkretismus des ausgehenden Altertums unterscheiden, so ist dieser doch durch sie vorbereitet worden und hat an sie angeknüpft, und es ist nicht immer möglich, sie zu unterscheiden. Das gilt namentlich von den beiden [1104] wichtigsten Anschauungen der H.-Vorstellungen des späteren Altertums, der Auffassung des H. als Sonnen- und als Zeitgott. Schon der tyrische (vgl. Nonn. Dion. XL 370) und der gaditanische (Macrob. Sat. I 20, 12) Melkart und mehrere der ägyptischen Götter, die dem H. gleichgesetzt wurden (vgl. Plut. Ἴσ. 41), z. B. Sarapis in der Inschrift eines Askaloniten (Arch. f. Papf. II 450 nr. 87; vgl. Dussaud Not. de myth. syr. 77), konnten als Sonnengötter gefaßt werden. Ob die Gleichsetzung des H. und Helios auch in den Kult von Troizen und Megalopolis eingedrungen ist (o. Bd. VII S. 73, 6ff.), ist nicht völlig sicher; dagegen ist sie oft in der späteren Theologie ausgesprochen (z. B. Eustath. Od. IX 347 p> 1632, 26), und zwar bisweilen in der mystisch-pantheistischen Auffassung, mit der das spätere Altertum die Sonne als äußeres Zeichen der Weltseele, als τὸν ἐν πᾶσι καὶ διὰ πάντων ἥλιον (Macrob. Sat. I 20, 11) faßte. Vielleicht liegt ein Sonnengott dem ältesten H. des ,Götterkatalogs‘ (u. S. 1110, 10), dem Sohne des ältesten Zeus, dem Enkel des Aither, zu Grunde, denn von demselben Zeus soll Helios (Cic. deor. nat. III 54. Ampel. IX 1) abstammen (freilich auch Proserpina und Liber, wie es nach Cic. a. O. 53 scheint). Auf den Sonnengott bezieht es sich wahrscheinlich auch, wenn H. ἄλκιμε τιτάν (Orph. hymn. XII 1; vgl. Ἀργ. 1057) oder χρόνου πάτερ (Orph. hymn XII 3) angeredet wird. Die 12 Athloi wurden als das Durchwandeln der 12 Tierkreisbilder gedeutet (Orph. hymn. XII 12. Euseb. praep. ev. III 11. 18 nach Porphyr. Io. Lyd. mens. IV 46 = 67 S. 121, 11 W.); als Sonnengott sollte H. die Hydra (Schol. Hesiod. Θεογ. 313), den Augeias, die Dämmerung (Io. Lyd. a. O.), und den Geryones, das τριμερὲς τοῦ χρόνου (Tzetz. chil. 324), besiegt, auch die Alkestis befreit und damit dem Weltall (Admetos) die im Winter erloschene Zeugungskraft wiedergeschenkt (Io. Lyd.) haben. Daß in den H.-Mysterien die Männer Frauenkleider anziehen, wird erklärt ἅτε δὴ ἐξ ἀγριότητος καὶ ἀγονίας τῆς κατὰ τὸν χειμῶνα ἀρχομένου τοῦ σπερματιοῦ τόκου θηλύνεσθαι (Io. Lyd. 120, 10). Dies Fest soll im Frühjahr gefeiert sein. Timomachos bei Lyd. a. O. 120, 9 (vgl. Euseb. a. O.) deutet den Namen H, indem er ihn auf τὴν περὶ τὸν ἀέρα κλάσιν bezieht, welche die Sonne im Kreislauf der Zeiten vollbringe. Diese Vorstellung bildet den Übergang zu der, daß H. die Zeit sei. Sie war am ausführlichsten dargestellt in der unter dem Namen des Hieronymos und Hellanikos verbreiteten Theologie des Orpheus (Damask. de princ. 381 = frg. 36 Ab.). Hier war geschildert, wie aus der Verbindung von Erde und Wasser ein schlangenförmiges, geflügeltes Urwesen mit drei Köpfen, einem Stier-, einem Löwen- und einem Gotteskopf entstanden sei, dessen Namen χρόνος ἀγήραος (so Lobeck Agl. 485 und Kroll Rh. Mus. 1897, 290; cod. ἀγήρατος) oder H. war; mit ihm soll Ananke oder Adrasteia gewesen sein. In dem offenbar auf dieselbe Quelle zurückgehenden Parallelbericht bei Athenag. πρ. 18 (frg. 39 Ab.; vgl. Geffcken Zwei griech. Apol. 197ff.) und dem von Norden Herm. 1892, 614 herausgegebenen Schol. zu Greg. von Nazianz fehlt der Stierkopf. Die Bedeutung der nächsten Zeugungen des H.-Chronos ist dadurch verdunkelt, daß Damaskios [1105] die von ihm vorgefundenen Vorstellungen in ein ihnen ganz fremdes neoplatonisches System zwängt; schließlich wird das Weltei hervorgebracht, aus dem sicher, wie Athenagoras berichtet, Himmel und Erde, wahrscheinlich auch Phanes hervorgehen. Die Entstehung dieser Theogonie, über die viel, zuletzt von Eisler Weltenmantel und Himmelszelt II 387ff. (s. dagegen Berl. phil. Woch. 1911, 19ff.) gestritten ist, läßt sich zur Zeit nicht erklären; als sicher kann gelten, daß altorphische Überlieferungen mit irgend welchen barbarischen vermischt sind und daß es sich nicht um einen willkürlichen und vorübergehenden Einfall eines einzelnen, sondern um eine in der orphischen und in der von ihr abhängigen Literatur weit verbreitete Lehre handelt, die nicht nur mit dem Sonnen-H. (o. S. 1104) verknüpft wurde, sondern auch auf die Deutung der Mythen (z. B. der Heraufholung des Kerberos, Lyd. de mens. IV 46 = 67 W.), Namen (τριέσπερος, ebd.) und Abzeichen (z. B. der Pappel, Prob. Verg. Ecl. VII 61; Pappel und Keule Schol. Verg. Georg. II 66 bei Thilo-Hagen III p. 287 und u. S. 1113,40) des Gottes eingewirkt hat. Welche Gottheit es war, die durch ihre Gleichsetzung mit H. diese eigenartige Umdeutung herbeiführte, wissen wir nicht; der Schol. Serv. Georg. II 66 bei Thilo-Hagen III 2 p.287 spricht von einer babylonischen Stadt Enneapolis, wo H. als Zeitgott verehrt werde. Einzelne Züge in dem Bericht des Damaskios erinnern an Sanchuniathons Kosmogonie, an ägyptische Schöpfungssagen, auch an den eranischen Zrvan; vielleicht waren verschiedenartige orientalische Vorstellungen miteinander vermengt worden, ehe sie in die orphische Theogonie aufgenommen wurden. Zweifelhaft ist die Zeit dieser Umbiegungen. Sie muten zunächst sehr fremdartig an, und es scheint fast undenkbar, daß sie vor dem starken Eindringen orientalischer Vorstellungen während der hellenistischen Zeit entstanden seien. Aber schon Eurip. Ἡρ. μ. 776 stattet den Chronos mit dem ῥόπαλον, dem charakteristischen Attribut des H., aus. In zwei kosmogonische Mythen, die Prometheus- und die Gigantensage, war H. schon weit früher übernommen worden: in jener erscheint er als Befreier des Dulders von dem Adler und auch – was nicht hätte bezweifelt werden sollen – von den Fesseln bei Hesiod. Θεογ. 526f. (der aber 616 der noch auf unteritalischen Vasenbildern und bei Hor. c. II 13, 37 überlieferten Sage folgt, daß Prometheus nicht erlöst sei. Deshalb und weil 534 sich an 522 zu schließen scheint, wird vielfach, zuletzt von E. Schwartz S.-Ber. Akad. Berl. 1915, 136, die Befreiung des Prometheus für eingeschoben gehalten), Aisch. Προμ. 774, frg. 199, Pherekyd. I 79, 33 und vielen anderen; die Kunstdarstellungen (Terzaghi Studi e mater. III 203ff.) gehen bis in den Anfang des 6. Jhdts. zurück; vgl. z. B. Benndorf Griech. und sic. Vasenb. 54, 2 S. 105f.; Arch. Ztg. 1858 Taf. 114, 2. Nicht ganz so alt bezeugt ist H., der Gigantenkämpfer; er wird, wenn von Alkyoneus (Pind. Nem. IV 25; Isthm. VI 32) abgesehen wird, zuerst bei Pind. Nem. I 67. VII 90. Soph. Τρ. 1058f. Eurip. Ἡρ. μ. 177. 1272 erwähnt, doch reichen die sf. Vasenbilder, die den Helden oft neben oder hinter Zeus auf dem Wagen stehend, auch mit Athena und andern Gottheiten, seltener [1106] (z.B. Mon. ant. R. Acc. Linc. 1906, Taf. XXI b S. 402 aus Gela) allein zeigen (Mayer Gigant. und Tit. 293ff.), hoch in das 6. Jhdt. hinauf; und das Nebeneinanderstehen der kyzikenischen und der pallenischen Gigantensage weist der beiden zugrunde liegenden Sagenform ein vielleicht noch höheres Alter an. Nun zeigen zwar die Kunstwerke bei beiden Abenteuern H. durchaus in der Gestalt des Heros, und die Dichter haben sowohl die Tötung des Adlers als den Gigantenkampf mit andern Zügen des Heros H. verknüpft: jene mit der Hesperidensage (o. S. 1071, 42), diesen mit der Zerstörung Troias und den koischen Abenteuern des Helden. Denn diese Begebenheiten schließen sich nicht nur äußerlich aneinander (Apollod. II 138), sondern sie sind auch innerlich insofern verbunden (Mayer Gig. und Tit. 178), als Hypnos, der den Göttervater eingeschläfert und dadurch den von Hera erregten Sturm ermöglicht hat (Hom. Il. XIV 249), dem H. gegen Alkyoneus hilft, indem er den Riesen in Schlaf sinken läßt (o. Bd. I S. 1582); auch begleitet Telamon den H. wie bei dem troischen Abenteuer, so auch in Kos und beim Kampf gegen Alkyoneus (Pind. Nem. IV 25; Isthm. VI 35). So fest ist die Gigantomachie mit der menschlichen Natur des H. verbunden, daß sogar ein Orakelspruch erfunden wird, wonach die Götter nur dann der Giganten Herr werden können, wenn ein Mensch ihnen helfe; daran knüpft sich dann die Sage, daß Zeus die von Ge gegen diese Gefahr ihren Söhnen bereitete Heilpflanze selbst geschnitten und darauf den H. durch Athena zu Hilfe entboten habe (Apollod. I 35. Bei Schol. Pind. Nein. I 67 lautet das Orakel vielmehr dahin, daß zwei Halbgötter – gemeint ist außer H. Dionysos – den Göttern beistehen müssen; das ist in dieser Form wenigstens minder passend). Aber gerade diese Begründung der Teilnahme des H. läßt erkennen, daß die Griechen selbst sie befremdlich fanden. In der Tat wird der Gigantensieg des H. nicht nur durch eine allegorische Auslegung dieses, z. B. durch die Erklärung des H. als virtus deorum (Macrob. Sat. I 20, 8) weggedeutet, sondern auch geradezu von dem argivisch-thebanischen Helden gesondert. Dies Gefühl des Anstoßes, den die Sage erregte, ist begreiflich, da durch sie die Überwindung der die Weltordnung bedrohenden Urwesen in eine unverhältnismäßig späte Zeit verlegt wurde, und es erhebt sich die Frage, ob nicht auch der Dichter, der den H. in die Prometheus- und die Gigantensage einführte, den Mythos selbst so umgeformt hatte, daß von Rechts wegen sein H. ein anderer hätte sein oder werden müssen als der argivische oder thebanische, nämlich ein Urwesen wie in der Kosmogonie des Iustin (o. S. 984, 14). Der Grund einer solchen Umgestaltung des H. könnte kaum ein anderer gewesen sein als die Gleichsetzung des H. mit einer orientalischen Gottheit. Wie der phoinikische Gott, nach dem die Säulen am Weltende in Spanien hießen, nicht bloß durch H., sondern auch durch das Urwesen Briareos wiedergegeben werden konnte (o. S. 1000, 27). das dann dem H. gleichgesetzt wurde (Klearch. FHG II 330, 56 bei Zenob. V 48), so kann auch der Gigantensieger H. aus einem orientalischen Mythos stammen; ja, es ist nicht ausgeschlossen, daß der H., [1107] der die Riesen überwindet, und H.-Briareos auf denselben phoinikischen Mythos zurückgehn. In der Tat sind beide Sagen innerlich nächst verwandt; wie Briareos den Göttern gegen die Titanen, so hilft H. ihnen ohne Vorteil für sich gegen die Giganten. Daher ist die Vermutung wenigstens erwägenswert, daß Ionier oder andere Griechen aus Kleinasien oder den vorgelagerten Inseln in einer ihrer Handelsniederlassungen schon um die Wende des 7./6. Jhdts. einen orientalischen Gott kennen lernten, der als Gott der Zeit gedeutet werden konnte, und ihn aus irgendwelchen Gründen ihrem H. gleichsetzten. Wenn ein Dichter dieses Kulturkreises mit der Besiegung der Giganten und der Befreiung des Prometheus durch H. den Gedanken ausdrücken wollte, daß nur mit Hilfe der Zeit die wilden Urgewalten bezwungen und die in Banden liegende menschliche Gesittung befreit werden konnte, so entfernte er sich nicht aus den Bahnen, in denen sich die Theogonien des 7. und 6. Jhdts. bewegten. Möglich bleibt daneben freilich, daß beide Sagen die orphische Vorstellung von H.-Chronos nicht sowohl voraussetzten als vielmehr vorbereiteten und ermöglichten. – Auch der später als Zeitgott gedeutete Kronos scheint vereinzelt dem B. gleichgesetzt worden zu sein. In Rom, dessen Saturndienst Hercules mit vertriebenen Epeiern eingeführt haben sollte (Dion. ἀρχ. I 34. Macrob. Sat. I 7, 27), opferte man beiden Göttern mit unbedecktem Haupt, also nicht nach römischem Ritus; und der Tempel sowohl des H. (Plin. n. h. X 79) wie des Saturn (Io. Lyd. frg. Caseol. μην. IV S. 171, 4 W. nach Phylarch. FHG I 343, 34 und Menandr. ebd. IV 447, 6; doch vermutet Lobeck Agl. II 1096 eine Verwechslung von Saturn und Hercules) war Fliegen und Hunden unzugänglich. Die Epeier als Stifter des römischen Saturndienstes scheinen darauf hinzuweisen, daß dieser einmal mit dem Kronosdienst von Olympia ausgeglichen sei, und in der Tat findet sich hier nicht nur H. als Stifter des Dienstes für Zeus Apomyios (o. S. 1010, 19), sondern es wird neben H. auch Kronos verehrt, ja dieser erscheint gewissermaßen mit H. ausgeglichen, da Zeus wie mit diesem (Schol. Lykophr. 41) auch mit jenem (Paus. V 7, 10. VIII 2, 2) gerungen haben soll. In Spanien sollen die Säulen des H. vorher Säulen des Kronos geheißen haben (Eustath. und Schol. Dion. περιήγ. 64), daraus folgt doch wohl, daß der phoinikische Gott, den die Griechen hier durch H. ersetzten, von anderen als Kronos gefaßt wurde. In der Tat wird von dem phoinikischen H. ebenso wie von ihrem Kronos berichtet, daß er Menschenopfer empfing (Plin. n. h. XXXVI 39), und ein Teil der für Olympia und Rom bezeugten Vorstellungen findet sich auch in Phoinikien selbst; deshalb hat M. Mayer, der auf diese Beziehungen des H. zu Kronos eingegangen ist (in Roschers Myth. Lex. II 1492ff), phoinikischen Ursprung dieses erschlossen, und in neuerer Zeit weisen Dussaud Not. de myth. syr. 146ff. und Lagrange Ét. sur les rel. sém. 104ff. 308ff. darauf hin, daß der göttliche Stadtkönig von Tyros sowohl dem Kronos wie dem H. gleichgesetzt wurde. Nach diesem Muster sind vielleicht auch in Olympia Kronos und H. zeitweilig bis zu einem gewissen Grad verschmolzen, und diese Vermischung mag – als [1108] Ursache oder Folge – damit zusammenhängen, daß der dortige ,idaiische‘ H. dem tyrischen gleichgesetzt wurde (o. S. 981, 61ff.). Eine Verschmelzung der tyrischen Überlieferung mit der delischen hat vielleicht um 400 (Gruppe Handb. 242f.) stattgefunden, und schon die Kypseliden (o. S. 921, 43) haben wahrscheinlich den tyrischen H. mit dem Palaimon des Isthmions verschmolzen. Da die großen griechischen Agonalstätten sich in den zu ihrem Ruhm gedichteten Mythen zu überbieten suchten, reichen vielleicht auch die später fast unkenntlich gewordenen Beziehungen zwischen Olympia und Tyros bis in den Anfang des 6. Jhdts. hinauf.

Wie diese verhältnismäßig leicht abzusondernden Vorstellungen sich aufeinander gelagert haben, so hat das Bild von H. schon bald nach seiner Entstehung die größten Umwandlungen durchgemacht, die zwar weniger deutlich hervortreten, weil sich schließlich eine die Gegensätze ausmerzende oder mildernde Gesamtüberlieferung durchsetzte, die aber einst weit auseinanderstrebten. Die thebanischen, lokrisch-thessalischen und kleinasiatischen H.-Sagen haben die argivischen nicht sowohl erweitern als vielmehr verdrängen wollen. Schon den Alten entgingen die in ihnen enthaltenen Widersprüche nicht, und so verfielen sie auf den Ausweg, die Überlieferung zu retten, indem sie mehrere gleichnamige Götter oder Heroen annahmen (z. B. Plin. n. h. XI 52. Tac. ann. II 60. Macrob. Sat. I 20, 6. Eustath. Il. V 638f. p. 589, 41, Od. XI 600 p. 1702, 51. Die Überlieferung über das Sprichwort ἄλλος οὗτος Ἡρ. sammeln Leutsch-Schneidewin zu Diogen. I 63. Paroemiogr. I 190f. – Vieles andere wird im folgenden erwähnt werden). Dies scheint schon früh geschehen sein: den H. von Olympia von dem argivischen zu sondern, lag ein erkennbarer Grund nur nach der Niederwerfung von Argos vor, als arkadische und elische Geschlechter sich der Herrschaft über den Sportplatz bemächtigt hatten. Der erste, bei dem die Unterscheidung bestimmt ausgesprochen wird, ist Herodot (II 43f.): er sondert den ägyptischen, auch in Tyros und Thasos verehrten Gott, der 17000 Jahre vor Amasis gelebt habe, von dem weit jüngeren Thebaner, dessen beide Eltern von ägyptischen Vorfahren abstammten und daher dem Sohne einen ägyptischen Namen gaben. Diese Sonderung wird zwar von Plut. Herod. malign. 13f. deshalb zurückgewiesen, weil keiner der alten Dichter sie kenne, hat aber doch später vielfach Beifall gefunden (vgl. z. B. Diod. I 24. Sext Empir. III 36 p. 398, 32 B., vgl. auch Timag. FHG III 323, 7 bei Amm. Marc. XV 9, 3), bisweilen mit dem Zusatz, daß auf Alkmenes Sohn Eigenschaften des Gottes, nach dem er hieß, übertragen seien (Korn. 31); dadurch war es möglich, bei H. die allegorische und die historische Mythendeutung zu vereinigen. Entstellt erscheint diese Sonderung bei Malal. VI S. 161 ed. Nieb., wo von dem ersten H., dem Sohn des Zeus Pikos und der Alkmena, dessen Nachkomme, der in Lato τῆς Θηβαίδος geborene, in Spanien erzogene, vor Eurystheus nach Italien geflüchtete H. unterschieden wird. Den meisten Späteren genügt diese Zweiteilung nicht mehr. Könige wurden nach Plut. adul. et amic. 12 [1109] als Ἡρακλεῖς, ἐὰν παλαίσωσι, bezeichnet; viele besonders starke Männer waren von Schmeichlern oder Bewunderern H. genannt worden (Verrius Fl. bei Intp. Serv. Aen. VIII 203, Serv. Aen. XI 262); Varro soll ihrer 43 aufgezählt haben (Serv. Aen. VIII 564; die Stelle scheint nicht ganz in Ordnung). Überliefert ist es von dem boiotischen Kraftmenschen Sostratos (Luk. Δημ. βίος 1), von Titormos (Ael. v. h. XII 22), Themison, dem vergötterten Liebling des Antiochos (Pytherm. FHG IV 488, 2 bei Athen. VII 35 p. 289 f), Rusticellus (Varro bei Plin. n. h. VII 83), Caligula (Philo leg. 11), Nero (Suet. 53), Domitian (Mart. IX 64f. 101), Commodus (Dio Cass. LXXII 15. 18, 2. 20, 3. Herodian. I 14. 8. [1110] Hist. aug. Comm. 8f. Münzen von Kyzikos und Iuliopolis), dem zu Ehren der Monat September Hercules genannt wurde (Hist. aug. a. O. 11), Maximinus Thrax (Hist. aug. Max. 4. 6); über den Herculeus Maximianus vgl. Riewaldt Diss. phil Hal. XX 3, 1912, 336f., der über die ganze Sitte dieser Benennung bei römischen Kaisern ebd. 282ff. handelt. Kleiner als bei Varro war die Zahl der unterschiedenen H. in dem ,Götterkatalog‘, dem wahrscheinlich im 1. Jhdt. v. Chr. verfaßten Verzeichnis gleichnamiger Götter (Michaelis De orgine indic. deor., Berl. Diss. 1898. Bobeth De indicib. deor., Leipz. Diss. 1904). Von den verschiedenen Fassungen dieser Aufzählung sind für H. nur drei überliefert:

Cic. nat. deor. III 16, 42,
vgl. Arnob. IV 15
Lyd. mens. IV 46 = 67 S. 121,
26ff. W.
Ampel. l. m. IX 12
1. S. des ältesten Zeus und der *Lysithoe. 1. S. des Zeus und der Lysithoe. 1. S. des Zeus.
2. S. des Nilus, Ägypter 2. S. des Neilos. 2. S. des Nilus, Ägypter.
3. einer der Idaei Digiti 3. S. des Hellen und der Anchiale 3. (verderbt).
4. S. des Zeus und der Asteria, in Tyros
besonders verehrt, V. der Karthago
4. S. des Zeus und der Ägypterin Thebe. 4. S. des Cronius und der Carthere, in
Karthago verehrt.
5. Belos, Inder 5. S. des Libanos und der Nyssa. Inder 5. S. des Libanos.
6. S. des Zeus und der Alkmena. 6. S. des Zeus und der Alkmene 6. S. des Zeus und der Alkmena.
7. S. des Zeus und der Maia.

Vgl. noch den angeblichen Herodot (ὁ σοφώτατος in dem namenlosen byzantinischen Geschichtsauszug Cramer An. Paris. II 381), der καὶ ἄλλους Ἡρακλεῖς ἱστορεῖ γεγενῆσθαι ἑπτά. Die drei erhaltenen Fassungen lassen sich unter Anrechnung erheblicher handschriftlicher Irrtümer, die ohnehin angenommen werden müssen, als unabhängige Auszüge aus derselben Vorlage bezeichnen. Der erste H., der als Sohn des Zeus Αἰθήρ oder wahrscheinlicher als Enkel des Αἰθήρ bezeichnet wird, scheint aus einer Kosmogonie zu stammen, die, wie die orphische Theogonie des Hieronymos und Hellanikos (o. S. 1104, 53), den H. zu den Urwesen rechnete; der bei Lydos überlieferte Name der Mutter, den Creuzer auch bei Cicero eingesetzt hat, ist vielleicht verderbt. Der tyrisch-karthagische H., der sonst oft dem Idaios und auch dem Ägypter gleichgesetzt wird, scheint im Götterkatalog von beiden getrennt gewesen zu sein, doch weist die Angabe des Lydos, der an Stelle des Sohnes der Asteria einen Sohn der Ägypterin Thebe nennt, darauf hin, daß auch hier ein Ausgleich versucht war, wobei freilich auffällt, daß das Verzeichnis zwei ägyptische H. nennt; im allgemeinen ist nämlich die Sonderung nach den Ländern erfolgt, wie auch bei zahlreichen andern Schriftstellern gelegentlich der phoinikische, ägyptische, libysche, indische, germanische, gallische H. als besondere Götter oder Heroen genannt werden.