Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Sohn Geskons, Enkel Hamilkars I., König d. Karthager 410 v. Chr.
Band VII,2 (1912) S. 23182320
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2) Sohn Geskons, Enkel von Hamilkar I., König (d. h. Suffet der Karthager im J. 410, als das Hilfegesuch der Einwohner von Egesta gegen die griechische Stadt Selinus anlangte. Von den karthagischen Behörden zum Feldherrn bestellt, unterbreitete er zunächst den Streitfall zwischen Segesta und Selinus den Syrakusanern zur Entscheidung, sandte aber dann Egesta ein Hilfskorps von 5000 Libyern und 800 Kampanern. Gleichzeitig begann er gewaltige Rüstungen, die er auch noch im Winter 410/9 fortsetzte, Diod. XIII 43, 5-44, 6. Im Frühjahr 409, wahrscheinlich Anfang Mai, setzte er dann mit einem bedeutenden Heer - die Zahlenangaben bei Timaios (100 000 Mann) und bei Ephoros (200 000 nach Diod. XIII 54, 5) sind natürlich gewaltig übertrieben - nach Sizilien über und landete am Kap Lilybaion. Nach Erstürmung des Kastells Mazara schloß er Selinus vollständig ein und eroberte es nach neuntägiger, mit unerhörter Heftigkeit geführter Bestürmung. Die Bevölkerung ward vernichtet; nur wenige entkamen. Diesen gestattete er die Rückkehr und übergab ihnen ihre geplünderte und der Mauern beraubte Vaterstadt, die von nun an den Karthagern Tribut zahlte (Diod. XIII 54, 1 -59, 3). Fraglich ist, ob die Zerstörung der Tempel auf H. zurückgeht; der Befund der noch vorhandenen Ruinen deutet mehr auf eine Zerstörung durch Erdbeben, vgl. Benndorf Die Metopen von Selinus 9ff. Freeman Hist. of Sicily IV 474.

Nach der Einnahme von Selinus wandte sich H. gegen die Stadt Himera an der Nordküste, die er, verstärkt durch bedeutende Scharen von eingeborenen Sikulern, ebenfalls einschloß. Gleich im Anfang waren die Karthager durch eine Mauerbresche eingedrungen, wurden aber von den Bürgern wieder herausgetrieben, die nunmehr ihrerseits Zuzug aus den anderen Griechenstädten - 4000 Mann unter Diokles - erhielten. Daraufhin unternahmen sie einen Ausfall, der zuerst sehr glücklich verlief, dann aber durch H.s persönliches Eingreifen mit schweren Verlusten für die Griechen zurückgewiesen ward. Nunmehr beschlossen die Bürger auf Diokles’ Rat, in der Nacht abzuziehen; einem Teil gelang es, zu Lande unbemerkt zu entkommen, die andern bestiegen die gerade von Syrakus anlangende Flotte. Unmittelbar darauf ward die von Verteidigern entblößte [2319] Stadt erstürmt und dem Erdboden gleich gemacht. 3000 Gefangene ließ H. an der Stelle abschlachten, wo sein Ahn geendet hatte; die geraubten Kunstwerke wurden nach Karthago geschleppt (Cic. in Verr. II 2, 86). Dann löste H. das Heer auf und ging unter Zurücklassung einer starken Besatzung nach Karthago zurück, frühestens Ende August 409 (Diod. XIII 59, 4-62, 6).

Diese Unternehmung H.s war das erste Zeichen eines Umschwungs in der auswärtigen Politik Karthagos, die seit der Niederlage bei Himera 480 sich jedes Eingreifens auf Sizilien enthalten hatte. Die Ursache dazu lag offenbar in dem Zusammenbruch der Macht Athens vor den Mauern von Syrakus, der sofort die griechenfeindlichen Gewalten im Osten wie im Westen auf den Plan brachte. Der Ausgang des Feldzugs von 409, der wohl zunächst eine Art Versuch im großen darstellte, hatte der Kriegspartei recht gegeben, und nun rüstete man sich in Karthago, den Feldzug in größerem Maßstabe zu wiederholen. Auch diesmal ward H. zum Feldherrn erwählt, doch ließ er sich seines hohen Alters wegen seinen Neffen Himilkon als Mitfeldherrn beigeben. Nach sorgfältigen Vorbereitungen erschien er im Frühjahr 406 mit einem noch größeren Heer als das erste Mal in Sizilien und wandte sich sofort gegen Akragas, das er zum Anschluß oder wenigstens zur Neutralität aufforderte. Nach der Zurückweisung seiner Anträge rückte er mit dem ganzen Heere an und schloß die Stadt ein, starb aber gleich im Anfang der Belagerung an der Pest etwa Juni 406 (Diod. XIII 80, 1-7. 85, 1 - 86, 3).

Quellen. Hauptquelle ist Diodor im XIII. Buch, der wie die Heereszahlen erweisen, durchweg auf Timaios beruht; einzelnes bei Frontin. strat. III 10, 3-4 (beidemal handelt es sich nach Meltzer Gesch. d. Karth. I 510 um dieselbe Sache). — Neuere Darstellungen bei Holm II 80. 421-424. Freeman Hist. of Sicily III 446-524 (mit guter Karte). Meltzer Gesch. d. Karth. I 254-274. 509-511. Beloch Griech. Gesch. II 83ff. Meyer Gesch. d. Altert. V 62-73. Für die Topographie immer noch maßgebend Schubring Topographie von Akragas 19. 66, doch vgl. Holm a. a O. 426 Taf. IX. Freeman IV 728. Schneck Akragas-Girgenti, Breslau 1911, 26.

Chronologie. Auszugehen ist von der Einnahme von Akragas, die nach Diodor XIV 91, 1 kurz vor der Wintersonnenwende erfolgte. Die Belagerung hatte nach Diod. a. a. O. im ganzen acht, nach dem Interpolator bei Xen. I 5, 21 nur sieben Monate gewährt, woraus Meltzer I 510 mit Recht schließt, daß die Einnahme im achten Monat stattfand, die Belagerung demnach im Mai begonnen haben muß. Fraglich ist das Jahr, insofern Diodor die Vorgänge unter Kallias 406/5 erzählt, während Xen. a. a. O. das Jahr des Antigenes 407,6 angibt. Beide Angaben sucht I Meyer V 65 in der Weise in Einklang zu bringen, daß er annimmt, Xenophon habe den Anfang, Diodor das Ende der Belagerung im Auge. Diese würde danach in das julianische J. 406 fallen, und dazu stimmt dann genau Diod. XIII 905, wonach die Einnahme von Akragas fast 260 Jahre vor die Eroberung Karthagos fällt (Ende 406 bis Mitte 146 = ὕστερον ταύτης τῆς ἁλώσεως σχεδὸν [2320] ἑξήκοντα καὶ διακοσίοις ἔτεσιν). Nicht ganz so glatt ist das Jahr des ersten Kriegszuges zu gewinnen. Diodor erzählt die Vorgänge unter Diokles 409/8; also nach seiner Rechnung begann der Feldzug im Frühling 409. Gegen diesen Ansatz hat Beloch Einspruch erhoben: da im J. 409 die Flotte der sizilischen Griechen noch im Osten tätig sei, so müsse H.s erster Kriegszug ins J. 408 verlegt werden, denn es sei doch undenkbar, daß Syrakus und Selinus im Angesicht der furchtbaren, sie bedrohenden Gefahr nicht schon spätestens im Frühjahr 409 ihre Schiffe heimbeordert hätten. Dagegen ist zu sagen, daß nach Xen. hell. I 2, 10 kurz nach der Schlacht bei Ephesos, die entweder Juni 410 oder 409 anzusetzen ist, der Untergang von Selinus bereits bekannt war. Andererseits hatte H. seine Vorkehrungen in solcher Stille getroffen, daß man Anfang 409 weder in Syrakus noch in Selinus etwas von den Schrecknissen ahnte, die das Jahr bringen sollte, und deswegen ruhig die Schiffe bei der peloponnesischen Flotte beließ. Erst der Fall von Selinus und der Vormarsch auf Himera belehrte die Politiker von Syrakus eines besseren, und nun riefen sie die Flotte zurück, die dann noch rechtzeitig vor dem belagerten Himera eintraf. Vgl. über diese Verhältnisse Lenschau Philologus VIII Suppl.-Bd. 325ff. (1900). Schwierigkeiten dagegen machen die Worte Xenophons hell. I 1, 37 καὶ ὁ ἐνιαυτὸς ἔληγεν, ἐν ᾧ Κaρχηδόνιοι Ἀννίβα ἡγουμένου στρατεύσαντες ἐπὶ Σικελίαν δέκα μυριάσι στρατιᾶς aἱροῦσιν ἐν τρισὶ μησὶ δύο πόλεις Ἑλληνίδας Σελινοῦντα καὶ Ἱμέραν. Am besten fährt man, wenn man mit Meyer a. a. O. diese Worte als eine Interpolation desselben Mannes ansieht, der unmittelbar darauf in I 2, 1 hinter τῷ δὲ ἄλλῳ ἔτει sicher falsch das Olympiadenjahr 93, 1 und den Namen des Archons Euktemon 408/7 interpolierte: denn dann ist der ἐνιαυτός in I 1, 37 eben das Jahr, das Euktemon 408/7 voraufgeht, nämlich Diokles 409/8, und somit stimmten der Interpolator, der ja auf Timaios zurückgeht, und Diodoros hier überein. Allein möglich bleibt es doch, daß I 1, 37 echt ist, und dann ist mit dem ἐνιαυτός eben das den Ereignissen von I 2 vorausgehende Kriegsjahr gemeint, also je nachdem man die Ausfahrt Thrasylls mit Haacke in das Frühjahr 410, oder mit Dodwell (nach Dionys. zu Lys. or. 32) unter Glaukippos 409 setzt, entweder das Kriegsjahr 411/0 oder 410/9. Dann würde man eben einen Irrtum Xenophons anzunehmen haben, der diese in dem entfernten Sizilien spielenden Vorgänge nicht genau mehr zu datieren vermochte. Zweifellos richtig ist, wie auch Meltzer hervorhebt, das ἐν τρισὶ μησί: fiel Selinus Ende Mai, so kann Himera Anfang bis Mitte August zerstört sein. Umso eher erklärt sich das Erscheinen der noch im Juni bei Ephesos tätigen Flotte der Syrakusier vor Himera, und ebenso begreift man, warum H. nach der Einnahme von Himera den Feldzug abbrach: offenbar langte die Zeit Ende August zu einem größeren Unternehmen nicht mehr. Doch kann der frühe Abbruch auch mit dem oben betonten Charakter des Krieges als eines Versuchs im großen erklärt werden ; insofern war der Zweck erreicht, als der ganze Verlauf des Krieges die innere Schwäche Siziliens deutlich offenbart hatte.