Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Bischof v. Nyssa in Kappadokien, gest. 394 n. Chr.
Band VII,2 (1912) S. 18631864
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5) Gregorius, Bischof von Nyssa in Kappadokien, gest. ca. 394. Er wurde als ein jüngerer Bruder des Basilius d. Gr. (o. Bd. III S. 52f.) geboren, vielleicht erst gegen 340. Er ist ähnlich erzogen worden wie sein Bruder, war auch früher getauft worden, hat sich aber verheiratet und eine weltliche Laufbahn eingeschlagen. Um 371 hat ihm gleichwohl, nachdem die Freunde, vor allem Gregorius von Nazianz, kräftig auf ihn eingewirkt hatten, sein Bruder die bischöfliche Würde in Nyssa aufgedrungen, einer im Westen Kappadokiens am Halys gelegenen Stadt. Unter der Regierung des Valens wurde er von dort verdrängt, mußte sich eine Zeit lang versteckt halten, nach dem Sturz des Arianers aber hat ihn von 379 bis Ende 394, wo wir ihn zum letztenmal auf einer Synode in Constantinopel antreffen, niemand im Besitz von Nyssa gestört. Er ist zwar oft und auf lange Zeit von seiner Gemeinde getrennt gewesen, aber das hing mit kirchlichen Pflichten zusammen: er war ein überaus fleißiger Besucher der Synoden, z. B. 379 in Antiochien, 381, 382, 383 und 394 in Constantinopel, wurde auch nicht selten an den Hof gebeten, um priesterliche Akte zu vollziehen, und eine lange Reise durch Palästina und Arabien hat er um 380 auf den Wunsch einer Synode gemacht, um dort für Herstellung der kirchlichen Ordnung zu sorgen. Im Gesetz vom 30. Juli 381 (Cod. Theod. XVI 1, 3) wird er unter den Säulen der Orthodoxie aufgezählt; bei Lebzeiten des Basilius hat er wohl etwas im Schatten des größeren Bruders gestanden, der mit seinen diplomatischen Fähigkeiten keineswegs immer zufrieden war. Hieronymus vir. ill. 128 interessiert sich für ihn nicht entfernt so lebhaft wie für den Nazianzener, obwohl er auch ihn im J. 381 in Constantinopel kennen gelernt hat; und Rufinus hat wohl etwa zehn Meisterstücke von Basilius und von G. von Nazianz, aber keins von G. von Nyssa ins Lateinische übersetzt. Ein Mißgeschick hat ihn auch insofern verfolgt, als es bis heute noch keine, den Benediktinerausgaben etwa der beiden anderen Kappadozier gleichwertige Ausgabe seiner Werke gibt. Eine reichhaltige Sammlung von fast allem bislang Publizierten findet sich ja in Migne G. 44–46, aber einen Überblick über die Abstammung der Bestandteile gewinnt man nur mit Hilfe von Loofs Theol. Real-Encycl.³ VII 146f. Eine kritische Ausgabe von Forbenius 1855 und 1861 ist in den Anfängen stecken geblieben; eine wirklich neue Rezension hat nur der λόγος κατηχητικός (ὁ μέγας) in der Ausgabe von Srawley The catechetical oration of G. of Nyssa, Cambridge 1903, erfahren, dessen Text übernommen wurde von L. Méridier Discours catéchétique, Paris 1908. Von der Korrespondenz des Nysseners sind bloß 26 Briefe erhalten; von eigentlichen Reden auch nicht soviele wie bei G. von Nazianz. Seine Rede gegen die Wucherer mag als Beispiel einer Moralpredigt, die auf den Protomartyr Stephanus als Lob- und die 381 und 385 gehaltenen Leichenreden auf den Antiochener Meletios, auf die sechsjährige Prinzessin Pulcheria und die Kaiserin Flaccilla als Trostreden herausgehoben werden. Unter den [1864] asketischen Abhandlungen ragen hervor περὶ παρθενίας und περὶ τοῦ κατὰ θεὸν σκοποῦ, seine Vita Macrinae, Lebensbeschreibung seiner früh verstorbenen Schwester Macrina, ist auch mehr ein asketisch-ethischer Traktat als eine Biographie. G.s Methode in der Exegese leidet an allen Fehlern des Alexandrinismus, trotzdem findet er z. B. in der Auslegung des Vaterunsers sehr warme Töne und in der natürlich ganz mystischen Interpretation des Hohenliedes zeigt er, gegenüber einer massenhaften und festen Überlieferung, bemerkenswerte Selbständigkeit. Wie ein Grundriß der Glaubenslehre gibt sich die Oratio catechetica; in dem Dialog mit Macrina πεερὶ ψυχῆς καὶ ἀναστάσεως hat er auch die schwierige Dialogform leidlich geschickt bemeistert. Seine polemischen Abhandlungen: wider die Eunomianer zwölf Bücher, gegen den Apollinarismus ἀντιρρητικός, κατὰ εἱμαρμένης zugunsten der menschlichen Willensfreiheit gegen den astrologischen Wahn, gehören zu den besten Stücken dieser Gattung innerhalb der griechischen Literatur; G. kämpft wenigstens nicht mit Schimpfworten, sondern mit Gründen. Seine Rhetorik ist nicht so glänzend wie die des Nazianzeners, obwohl auch ihm das Ideal durch die Schule gegeben ist. Von der Metaphysik des Origenes, von der Gedankenwelt Platons und den Neuplatonikern steht er gar nicht so fern ab, wie die Kirche es später wünschte; er hat auch weit tiefere spekulative Bedürfnisse als seine berühmten Freunde. Jedenfalls ist er in den dogmatischen Formeln, die auch er ängstlich definierte und verteidigte, nicht untergegangen. Die Kirche hat von ihm nur aufgenommen, was er mit der Gemeinde-Orthodoxie gemeinsam hatte. Über seine Abhängigkeit von der rhetorischen Tradition vgl. J. Baurer Die Trostreden des G. von Nyssa in ihrem Verhältnis zur antiken Rhetorik, Marburg 1892; eine Menge von dogmengeschichtlichen Monographien über einzelne Punkte aus der Theologie oder Philosophie des Nysseners entschädigen uns nicht für den Mangel jeder befriedigenden Biographie: die bei Böhringer² 1876 stellt kaum eine Vorarbeit dar. Freilich muß der Verarbeitung zunächst die Herausgabe der Texte in zuverlässiger Form vorangehen.