Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Bischof v. Nazianzos in Kappadokien, gest. 390 n. Chr.
Band VII,2 (1912) S. 18591863
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4) Gregorius, Bischof von Nazianzos (= Diokaisareia) in Kappadokien, gest. 390. Eine Art Autobiographie hat G. in einem Gedicht περὶ τὸν ἑαυτοῦ βίον (de se ipso), das 1949 jambische Senare umfaßt, hinterlassen: 98 andere Carmina behandeln Einzelheiten aus seinem Leben; und seine Briefe und Reden steuern auch noch allerhand Detail bei, so daß wir die Dürftigkeit der Mitteilungen über ihn in den kirchenhistorischen Werken des 4. und 5. Jhdts. verschmerzen können. G. wurde geboren zu Arianzus, einem seiner Familie gehörigen Landgut in der Nähe der kleinen kappadokischen Stadt Nazianz, im J. 329. Seine Eltern hießen Gregorius und Nonna, beide gebildete Menschen aus wohlhabenden Familien. Sie hatten schon lange in kinderloser Ehe gelebt; auf G. folgten dann noch eine Schwester Gogonia und ein Bruder Caesarius. Der Vater war noch um 325 Heide (allerdings Hypsistarier) gewesen, fast 50jährig meldete er sich, dem Wunsch seiner Gattin nachgebend, als Katechumene, wurde bald darauf getauft und auch – schwerlich genau nach den kanonischen Vorschriften – zum Bischof von Nazianz erhoben. So ist der gefeiertste Lehrer der griechischen Kirche, den sie früh mit dem Titel des ,Theologen‘ ehrte, als ,Sohn eines Bischofs‘ auf die Welt gekommen. In der Provinzialhauptstadt Caesarea besuchte er die Schule; die höchste Ausbildung sollte, nachdem er auf Reisen in Palästina und Ägypten die Welt kennen gelernt hatte, Athen ihm spenden. Mindestens von 353 bis 357 hat er hier geweilt, den Prinzen Iulianus, den späteren Kaiser, kennen gelernt und mit dem ihm schon von Caesarea her bekannten Basilius (d. Gr.) Herzensfreundschaft geschlossen. Eine Fracht derselben, doch weiß man nicht aus welcher Zeit, ist die von Basilius und G. gemeinsam hergestellte Sammlung von Perlen aus den Werken des Origenes, beste Ausgabe The Philocalia of Origen by J. Arm. Robinson 1893. Von 357 bis etwa 362 hat er als Privatmann bei den Eltern in Nazianz, wo er nunmehr die Taufe empfing, sich aufgehalten, mit der Absicht, dem ihm von der Mutter früh eingeimpften mönchischen Ideal nachzuleben, aber schon durch den Familienbesitz zu allerlei Verwaltungsgeschäften gezwungen; wiederholt hat er den damals in die Einsamkeit am Irisfluß geflohenen Freund Basilius aufgesucht. Wahrscheinlich 362 hat sich G. auf den Wunsch seiner Mitbürger von dem alten Vater zum Presbyter weihen lassen, gleich darauf ist er, von Reue und Scham ergriffen, aus Nazianz verschwunden, hat aber noch vor Iulianus Tod, also im Sommer 363, sein Amt wieder aufgenommen und in einer berühmt gewordenen Rede (or. 2) seine ,Flucht‘ verteidigt. In die 10 Jahre seines Presbyterats, von 362–372, fällt ein Teil seiner schriftstellerischen Leistungen; doch hat [1860] er nicht bloß seine theologische Bildung jetzt vollendet, seine dogmatische Position endgültig gewonnen und sich die große Bibelkenntnis angeeignet, die er besitzt, ohne sich eigentlich zum Schriftausleger berufen zu fühlen, sondern auch in die kirchlichen Streitigkeiten eingegriffen, meist im Interesse der Versöhnung. Sein und seiner Freunde stiller Einfluß hat in den 20 Jahren von 362 bis 381 die Provinz Kappadokien aus einer Brutstätte des radikalen Arianismus zur hohen Schule eines vornehmen, konzilianten und doch festen Jungnicänismus umgewandelt. Daß im J. 370 auf den erledigten Metropolitenstuhl in Caesarea Basilius erhoben wurde – auch der Vater Gregorius hat ihn ordinieren helfen –, war mit das Werk unseres G.: der Dank, den ihm Basilius dafür erstattete, indem er ihn nämlich 372 unversehens zum Bischof in Sasima, einem erbärmlichen Dorf, das bisher nie einen Bischof besessen hatte, ernannte, fand bei G. nicht das erwünschte Verständnis. Er fühlte sich lediglich als das Opfer von Basilius’ Ehrgeiz, der nach der Teilung der Provinz Kappadokien, wobei dem neuen Metropoliten in Tyana die Mehrzahl der Bischofssitze zugefallen waren, die Zahl seiner Suffragane zu vermehren strebte. Selbst die Bitten seines Vaters konnten ihn nicht bewegen, das bischöfliche Amt in Sasima wirklich zu übernehmen. Vielmehr blieb er in Nazianz, half dem Vater dort noch in seinen Amtsgeschäften und führte nach dessen Tod dieselben allein weiter – auf Wunsch der Nazianzener, ohne sich übrigens als Bischof von Nazianz zu gerieren. Als man ihn drängte, Farbe zu bekennen, floh er, da er wohl einsah, daß er in den Augen des Basilius nur Bischof in Sasima sein könne, nach dem isaurischen Seleukia; und über fünf Jahre hin hat sich Nazianz ohne Bischof beholfen. Anfang 379 aber bot sich dem G., als der Tod des arianerfrenndlichen Valens die kirchenpolitische Lage von Grund auf verändert hatte, die Aussicht auf eine große Zukunft. Er ging nach Constantinopel und predigte dem kleinen Häuflein der nicänisch Gesinnten in dem Bethaus Anastasia – vor den Mauern der Stadt – allsonntäglich das reine Evangelium, während fast die ganze Stadt unter dem Bischof Demophilus zur homöischen Partei schwur. Seinen Anhängern, deren Zahl die Anziehungskraft von G.s Kunst und Geist mit jedem Sonntag mehrte, galt er als der orthodoxe Bischof von Constantinopel; daher sie alle es als freche Intrusion abwehrten, als ein Protegé des Petrus von Alexandrien, der cynische Philosoph Maximus, mit dem Anspruch auf die bischöfliche Würde in der Hauptstadt 380 auftrat. Der Kaiser Theodosius behandelte jedenfalls auch den G. als legitimen Anwärter auf die höchste kirchliche Würde im Ostreich, denn ihm ließ er die den Arianern abgenommene Apostelkirche im November 380 ausliefern. Eine der ersten Handlungen des großen Konzils in Constantinopel im Mai 381 war die Erhebung G.s auf den bischöflichen Stuhl von Constantinopel: noch unter dem Vorsitz des B(ischofs) Meletios von Antiochien wurde diese Aufgabe erledigt. Bald darauf aber starb Meletios; G., der nunmehr den Vorsitz auf der Synode zu führen hatte, erkrankte, und über der Frage nach dem für Meletios zu bestimmenden Nachfolger [1861] in Antiochien kam es zwischen G. und der Mehrheit der Synodalen zum Bruch. Im Interesse der Versöhnung hatte G. den bisherigen Gegenbischof des Meletios in Antiochien, den Altnicaener Paulinus vorgeschlagen. Nicht bloß die syrischen Bischöfe wollten davon nichts wissen, andere Rivalitäten enthüllten sich nun, und im Zorn über den Eigensinn und Egoismus seiner Amtsgenossen warf ihnen G. die eben empfangene Würde vor die Füße; er erbat vom Kaiser seine Entlassung und zog sich nach der Heimat zurück. Die Synode wählte an seiner Stelle den kilikischen Laien Nektarios (381–397). Ein paar Jahre hat G. dann wieder Nazianz regiert, aber mit wachsendem Unmut über die rücksichtslose Agitation der Apollinaristen in seiner Gemeinde; und als es ihm endlich gelungen war, dort die Wahl eines Gesinnungsgenossen, Eulalius, durchzusetzen, zog er sich vom öffentlichen Leben, wahrscheinlich auf sein Landgut in Arianz, zurück und ist daselbst, in den letzten Jahren viel von Krankheit, über die er schon in Constantinopel nicht selten klagte, gepeinigt, wohl im Winter 389/90 gestorben (nach Hieronymus ein Triennium vor Abfassung des noch im J. 392 publizierten Werks De viris illustribus), G.s Werke füllen in Mignes Patrologia G. 4 Bde., 35-38. Im wesentlichen wird da ein Abdruck der Benediktinerausgabe (Clemencet und Caillau) 1778–1840 geboten. Von einzelnen Werken sind seitdem verbesserte Sonderausgaben erschienen, so von orat. 27–31: The five theological orations of G. by Naz. Edited by A. J. Mason, Cambridge 1899; von orat. 7 und 43: F. Boulenger Gr. de Naz. Discours funèbres en l’honneur de son frère Césaire et de Basile de Césarée, Paris 1908; die zwei rhythmischen Gedichte von W. Meyer Abh. Akad. München, Philos. Kl. XVII 2, 1885 Beil. I 400–409. Doch ist eine neue Gesamtausgabe dringend notwendig; die von byzantinischen Gelehrten verfaßten Glossen und Kommentare zu G., die jetzt zum großen Teil seine Werke füllen, sind ebenfalls nur mangelhaft ediert und haben ihre Aufgabe nicht lösen können, weil sie schon verdorbene Texte wie wir vor sich hatten: über die Absichten, die G. mit den wechselnden Formen seiner ,Lieder‘ verfolgte, wird erst zu urteilen sein, wenn wir die ursprünglichen Formen kennen. Im allgemeinen ahmt auch in ihnen G. die klassischen Muster nach, geht aber doch auch eigene Wege. – Wenn wir von dem absehen, was entweder nur in Übersetzung erhalten oder zweifelhaften Ursprungs ist, vollends von dem, was, wie namentlich das spätmittelalterliche Drama Christus patiens nur durch offenkundige Unterschiebung oder infolge von Namensverwechslung unserem G. zugeschrieben worden ist, so besitzen wir von ihm Briefe, Gedichte und Reden. Fast 250 Briefe, doppelt so viel Gedichte, darunter freilich auch ganz kurze Epigramme, 45 Reden, von denen einige entweder überhaupt nie wirklich gesprochen oder doch nachträglich erheblich umgeschrieben worden sind. In diesen Reden offenbart G. eine ungeheure Vielseitigkeit; bald ist er Lob-, bald Trostredner, bald Verteidiger, bald Ankläger – so die λόγοι στηλιτευτικοί wider den toten Kaiser Iulian –, bald Exeget, bald Dogmatiker, bald Moralist, bald Kirchenpolitiker. [1862] Eins bleibt er immer: Rhetor, leider auch in seinen Briefen und seinen Gedichten, die darum so wenig poetisch wirken. In seinen eigentlichen Reden stört die Kunst ja nicht immer und er ist auch kein Schönredner; er versteht es z. B. in den theologischen Reden, die Lehre von der Gottheit des Sohnes und des heiligen Geistes in vollendeter Klarheit zu entwickeln, und wo er selber in Affekt gerät, weiß er den Leser auch mit sich zu reißen. Aber die gelehrten Reminiszenzen, die Anspielungen nicht etwa bloß auf die biblischen Bücher, sondern nicht minder auf die klassischen Mythen und Philosophen, die massenhaften aus der Schule mitgebrachten Kunstmittel, besonders auch Wortspiele und Häufung von fernliegenden Bildern ziehen die Aufmerksamkeit des Lesers immer wieder von der Sache fort auf die Form und auf die Person des Redners: er arbeitet so viel mit Pathos bei Kleinigkeiten, daß man ihm die tiefe Leidenschaft nicht glaubt, auch wo sie hingehörte. Von den drei großen Kappadokiern macht dieser G. am stärksten den Eindruck des Dekadenten, trotzdem er an geistigen Gaben hinter den beiden anderen wahrlich nicht zurücksteht. Aber er hat literarisch für die Kirche ausschließlich gearbeitet in Formen, die sich das Christentum nicht erschaffen hatte und die G.s Art am wenigsten günstig lagen: er will die Blüte griechischer Kultur und zugleich die der neuen christlichen Geistesbewegung in Vereinigung darstellen. Dieser Aufgabe ist er nicht gewachsen. – Nicht bloß im Morgenland aber ist G. die von allen Parteien anerkannte Autorität schon um 400 gewesen und es allezeit geblieben, sondern auch die Latiner reißen sich um ihn. Hieronymus (vir. ill. 117) rühmt den vir eloquentissimus als seinen Lehrer, speziell im Schriftverständnis – in der Tat hatte er von 379–381 in Constantinopel seines Verkehrs genossen –, und berechnet den Umfang seiner Werke auf 30 000 Zeilen. Er nennt dann eine Reihe von libri, z. B. Laudes Athanasii, Adversus Eunomium libri II, wobei es sich um Reden handelt, sonst nur einem Liber hexametro versu virginitatis et nuptiarum contra se disserentium: secutus est Polemonium dicendi χαρακτῆρα. Noch begeisterter feiert Rufinus um 399 den G. in der Praefatio zu seiner Übersetzung von 9 (er selber sagt: etwa 10) Reden des Nazianzeners: G. ist ihm gleich unerreicht oder doch unübertroffen im Leben wie in Beredsamkeit, in fides wie in scientia. Diesem Werk des Rufinus, das leider eine höchst mangelhafte Wiedergabe des Originals darstellt, verdanken dann die späteren lateinischen Verehrer des Kappadokiers G., wie schon Augustinus, so Leo d. Gr., Vigilius von Thapsus, Facundus von Hermiane, ausschließlich ihre Bekanntschaft mit seiner Weisheit. Siehe die Ausgabe von Engelbrecht im Corp. scr. eccl. lat. 46, 1910, die einzige brauchbare des lateinischen G. G.s Reden waren gewiß sehr schwer so zu übersetzen, daß die Übersetzung ähnlich wirkte wie das Original; Rufinus hat ihn aber auch weniger übertragen, als in seiner Muttersprache nachgeahmt. Vgl. die freilich längst nicht mehr genügende Biographie von Ullmann 1825 (1866). J. R. Asmus Greg. v. Naz. und sein Verhältnis zum Origenismus, theolog. Studien und Kritiken 1894, [1863] 314ff. X. Hürth De Greg. Naz. orationibus funebribus (Dissert. Argentor. XII 1907.