Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Anpflanzungsrecht
Band V,2 (1905) S. 25132516
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Emphyteusis heißt wörtlich das Bepflanzungsrecht (gewöhnlich verdeutscht man es mit ,Anpflanzungsrecht', vgl. z. B. Lenel Edictum perpetuum 146). Es besteht in der Befugnis, ein landwirtschaftliches Grundstück im vollsten Umfange auszunützen. Es liegt daher in der Mitte zwischen dem Grundeigentum und dem Nießbrauchsrechte. Zu jenem fehlt ihm die Unverantwortlichkeit der wirtschaftlichen Maßregeln, da der Emphyteuta dem wahren Eigentümer für Verschlechterung verantwortlich ist, ja sogar deshalb sowie aus einigen andern Gründen vom Eigentümer ausgetrieben werden kann (sog. Privationsrecht) Nov. 120 c. 8. Nov. 7 c. 3, 2. Den Nießbrauch übertrifft es durch die Befugnis einer wirtschaftlichen Umgestaltung, die jedoch nicht in Entwertung des Grundstückes ausarten darf. Am schwierigsten ist seine Abgrenzung gegenüber der Pacht, mit der es den Zweck gemeinsam hatte, den Großgrundbesitzern eine Verwertung ihres Landes durch freie Landwirte statt durch Sklaven zu ermöglichen. Eine Ähnlichkeit mit der Pacht zeigt die E. dadurch, daß der Nutzungsberechtigte regelmäßige Abgaben zahlen muß, die pensio. reditus, vectigal oder canon heißen (das Wort vectigal leitet Mitteis von den ursprünglich üblichen Zinsen in Naturalien her, vectigal = Fuhre, vgl. Mitteis Zur Geschichte der Erbpacht im Altertum, Abhandl. Sächs. Ges. d. Wiss. XX [Leipzig 1901] 27).

Man kann daher allenfalls den emphyteuta (Erbzinsmann) den römischrechtlichen Erbpächter nennen, ein Seitenstück vielfältiger ähnlicher Erscheinungen des deutschen Rechts.

Der Abschluß der Entwicklung der E. gehört erst dem Iustinianischen Rechte an. Ihre Vorgeschichte ist darum in unzureichender Weise [2514] dargestellt worden, weil man sich ausschließlich an die eigentlichen Rechtsquellen hielt, während die neuere philologische Wissenschaft und nunmehr unter den Juristen auch Mitteis griechische und lateinische Inschriften mit heranzieht. Auf diese Weise hat man in der Erbpachtung ein gemeinsames Institut der gesamten römisch-griechischen Antike gefunden. Es hat sich dabei eine große Mannigfaltigkeit der Rechtsformen gezeigt, in denen innerhalb des römischen Reichs Nutzungs¬ und Bebauungsrechte über den Umfang eines bloßen Pachtrechts hinausgriffen, und zwar sowohl durch die unbeschränkte Vererblichkeit, als auch durch den dinglichen (d. h. auch gegen andere Personen als den Pächter gewährten) Rechtsschutz.

Die juristische Lehre beschränkte sich bisher darauf, die Entstehung der im Iustinianischen Rechte vorhandenen römischrechtlichen Erbpacht auf zwei Wurzeln zurückzuführen, auf die im Westreiche entwickelten agri vectigales (Gai. III 145. Hyg. de condic. agr. p. 116 und dazu Mitteis a. a. O. 12ff.) und auf die aus dem Latifundienwesen des Ostens in ähnlicher Weise entstandene E. Auf Grund der Ergebnisse neuerer historischer Forschungen sucht Mitteis darzutun, daß auch im Osten ein grundsätzlicher Dualismus der Vererbpachtungen sich findet. Die E., die aus der griechischen Erbpacht stammte und mit einer Kulturpflicht des Erbpächters belastet war, hatte neben sich eine von ihr verschiedene locatio perpetua, die namentlich der Zeitdauer nach über die vielfach zeitlich beschränkte E. hinausragte, ursprünglich mit einer Kulturpflicht nicht verknüpft und im Gegensatz zu der E. durch den festen Betrag Rente gegen Zinssteigerung geschützt war, ein Vorzug, der dann später auch auf die E. von Valentinian im J. 364 übertragen wurde (Cod. Theod. V 13, 15. Mitteis a. a. 0. 52 Tabelle nr. VIII).

So lange diese Zinssteigerungen noch möglich waren, erschien die E. für den Grundherrn als die vorteilhaftere Vergabungsform. Hiermit bringt Mitteis in Zusammenhang, daß sie sich für das Hausvermögen der regierenden Dynastie entwickelt hat, während die locatio perpetua den Staatsdomänen eigentümlich war. Allein die größere Vorteilhaftigkeit erklärt noch nicht, warum man diese günstigere Vergabungsform nicht auch den Staatsdomänen gönnte und warum schließlich die Festigkeit des Zinses auch das kaiserliche Familiengut ergriff. Das ius perpetuum besaß in dieser Festigkeit der Zinsrente einen Vorzug, der schließlich wichtiger erschien, als die Möglichkeit, sie zu erhöhen. Die Regelmäßigkeit des Einkommens entsprach den laufenden Bedürfnissen des Staatshaushalts und später auch der kaiserlichen Privatwirtschaft mehr und mehr. Daß schon bei den agri vectigales der canon eine der Grundsteuer ähnliche Funktion versehen hat. ist zweifellos (vgl. Matthiass Conrads Jahrb. f. Nationalökonomie XXIV 506ff. und Mitteis 8ff., der hier geradezu von ,Rentenkauf‘ redet).

Zu der E. rechnet man zuweilen ein Rechtsgebilde, das in den in neuerer Zeit entdeckten Inschriften von Ain Wassel (Bruns Fontes6 382) und Henschir Mettich, auch von Herodian II 4, 6 erwähnt ist. Es ist dies das den Okkupanten und Bebauern verlassener Ländereien gewährte [2515] ius possidendi ac fruendi heredique suo relinquendi. Mitteis (28ff.) will dies schlechterdings von der E. unterschieden wissen. Er bezeichnet dies Recht nach dem deutschrechtlichen bifang als Bifanksrecht und hebt hervor, daß es sich nicht, wie die E., auf einen Kontrakt gründet, sondern unmittelbar auf das Gesetz. Hierzu ist übrigens zu beachten, daß es dem Gesetzgeber nicht unmöglich ist, an urbar gemachten und in Pflege genommenen Ländereien statt des Eigentums auch ein bloß emphyteutikarisches Recht zu verleihen. Daß dies aber in den vorliegenden Fällen wirklich geschehen sei, ist freilich nicht erwiesen, und darum ist Mitteis zuzustimmen.

Ob die oströmische Jurisprudenz gegenüber der ursprünglichen Mannigfaltigkeit der Erbpachtsverhältnisse die beiden Hauptgruppen der E. und des ius perpetuum unter diesem technischen Namen so scharf unterschieden hat, wie es Mitteis tut, kann vielleicht bezweifelt werden. Daß aber der von ihm hervorgehobene Unterschied in den Erbpachtverhältnissen hinsichtlich der Dauer, der Bebauungspflicht und der Unabänderlichkeit der Rente tatsächlich bestanden hat, kann wohl kaum einem Zweifel unterliegen.

Das spätrömische Recht, das in allen Rechtszweigen dahin strebte, gegen die Mannigfaltigkeit des Überlieferten anzukämpfen, ließ auch bei der E. seine Vereinfachungsbestrebungen walten. Im Iustinianischen Rechte wird der ager emphyteuticarius von ager in perpetuum locatus nicht unterschieden. Dig. VI 3 si ager vectigalis, id est emphyteuticarius, petatur, ein Titel, dessen Inhalt nur von agri vectigales spricht (vgl. Lenel Ed. perp. 146ff., der zugleich über die formula der Klage seine Vermutungen aufstellt). Dig. II 8 qui satisdare cog. 15, 1: sed et qui vectigalem, id est emphyteuticum agrum possidet, possessor intellegitur (wahrscheinlich interpoliert). Auch in den Inst. III 24, 3 wird die conductio in perpetuum von der emphyteusis nicht unterschieden, auf die sich eine lex Zenoniana bezog (Cod. IV 66, 1), nach der der Vertrag mit dem Erbzinsmann weder nach den Regeln des Kaufes, noch nach denen der Miete, sondern völlig nach seiner Eigenart beurteilt werden sollte. Damit verlor der Erbzinsmann namentlich die Rechte auf remissio mercedis, die dem Pächter bei Unfällen zukamen, vgl. Cod. Theod. X 3 rubr. de locatione fundorum iuris emphyteutici et rei publicae et templorum.

Das neueste römische Recht brachte den emphyteuta namentlich dadurch in Abhängigkeit vom Grundherrn, daß dieser bei Veräußerungen des Gutes ein Vorkaufsrecht ausüben oder ein Fünfzigstel des vereinbarten Preises als Verkaufsabgabe verlangen konnte. Cod. IV 66 de emphyteutico iure c. 3 § 4.

Wir werden auf diese Entwicklung zurückblickend feststellen können, daß bei der Entwicklung des Instituts vornehmlich zwei verschiedene Bestrebungen wirksam waren, die man erst späterhin vereinte. Die eine suchte ein Seitenstück der Grundsteuer zu schaffen, d. h. öffentlichen Kassen eine feste Einnahmequelle zu schaffen, deren Bestimmtheit es ermöglichte, im voraus auf sie Haushaltungspläne zu bauen. Insoweit [2516] sollte der canon die Rolle einer Grundsteuer spielen. Darum wollte auch der Kaiser Zeno von der remissio mercedis nichts wissen.

Das andere Ziel der Erbpacht war eine bessere Verwertung des Großgrundbesitzes, die sich in den Formen der Bewirtschaftung durch Sklaven und durch gewöhnliche Zeitpächter nicht in zureichender Weise vollzogen zu haben scheint und folgeweise eine Verstärkung eines Rechtsschutzes für Zinsleute, die fremde Grundstücke urbar machen oder in Pflege nahmen. Im Laufe der Zeit scheint freilich die Nachfrage nach Erbpachtstellen mit dem Verschwinden freier Bauerngüter und der Abnahme des Verkehrs in stete Steigerung geraten zu sein, so daß die rechtliche Lage des Erbpächters in gewisser Hinsicht immer günstiger, in anderer aber an strengere Bedingungen geknüpft wurde, und zwar sowohl bei den eigentlichen Emphyteutae wie bei anderweitigen Verleihungen des ius perpetuum. Hieraus dürfte sich die Verschmelzung der verschiedenen Erbnutzungsformen erklären lassen, indem die spätrömische Gesetzgebung aus der Prüfung aller Erbpachtformen das allein behielt, was ihr für ihre Zeit das Beste zu sein schien.

Literatur. Matthiass Conrads Jahrb. f. Nationalökonomie XXIV 506ff. Mitteis Abh. der K. Sächs. Ges. d. Wiss. XX nr. 4 (= Zur Geschichte der Erbpacht, Leipz. 1901) und dazu Th. Mommsen Ztschr. d. Savignv-Stiftg. XXIII 441ff. L. Wenger DLZ 1902, 1520ff. Thumser Liter. Centralbl. 1903, 248. Die neuere, insbesondere die französische Literatur s. bei Mitteis a. a. O. 3, 1. 28, 1. Aus ihr ist hervorzuheben: Pernice Ztschr. d. Sav.-Stift. V 83ff. Weber Die röm. Agrargeschichte 1891, 173—178 und Seeck Bauer-Hartmanns Ztschr. f. Sozial- u. Wirtschaftsgesch. VI 305-368. Ältere Literatur s. bei Windscheid-Kipp Pand.8 zu § 219. Nach Mitteis erschien Rostowzew Philol. Suppl. IX 1902, 329ff. Kuze Darstellungen finden sich bei Sohm Institut.11 345ff. v. Czyhlarz Institut,5.6 142ff. Puchta-Krüger Institut. 10 237ff. R. Leonhard Institut 293ff.