Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Vorstadt von Alexandreia
Band V,2 (1905) S. 23392342
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4) Eine Vorstadt (κατοικία Strab. XVII 800, κωμύδριον Suidas s. Καλλίμαχος) von Alexandreia. Obwohl Reste oder Inschriften von ihr bisher nicht gefunden und auch schwerlich zu erwarten sind, läßt sich ihre Lage doch auf Grund der spärlichen, aber charakteristischen Schriftstellerzeugnisse [2340] (die Hauptstelle: Strabon a. a. O.) und der allgemeinen örtlichen Bedingungen mit Sicherheit bestimmen, wie das bereits Mahmoud-el-Falaki (Mémoire sur l’antique Alexandrie, 1872, 65f.) im wesentlichen richtig getan hat. E. lag außerhalb des Mauerrings etwa 1½ km südöstlich vom Kanobischen Tor am Nilkanal, und zwar innerhalb des kleinen, durch eine leichte Bodenerhebung (bis 12 m) bedingten, nach Norden offenen Bogens, den der von Schedia kommende Nilkanal beschrieb, bevor er nach seiner Gabelung in das eigentliche Stadtgebiet von Alexandreia eintrat. Nach dem heutigen Stand der Dinge bedeutet das: östlich von er Drehbrücke, auf der die Alexandrinische Verbindungsbahn den Mahmudîjekanal überschreitet, auf dem Gebiet, das von dem vizeköniglichen Jardin Pastré und dem Antoniadisgarten eingenommen wird. Die von Livius XLV 12 angegebene Entfernung (ad Eleusinem … qui locus quattuor milia ab Alexandrea abest) stimmt genau (4 römische Meilen = 5920 Meter) zur Entfernung dieser Stelle vom Pharos-Leuchtturm und bestätigt die Vermutung, daß die Entfernungen in Alexandreia vielfach vom Pharos aus berechnet wurden. Die erhebliche Bedeutung von E. beruhte darauf, daß es für die von Ober- und Mittelägypten nach Alexandreia Kommenden die gegebene Lande- und Ankunftsstelle war (vielleicht daher der Name, dessen von ἡ ἔλευσις -εως abweichende Akzentuierung und Flexion durch das Anklingen an die große attische Namensschwester genügend erklärt wird), und daß es dicht bei der Stelle lag, wo der Nilkanal sich in seine zwei nach Alexandreia und Kanobos führenden Arme gabelte. Wie noch heute alle Landeplätze, nicht nur im Orient, so zeichnete sich auch E. durch eine besonders große Zahl bedenklicher Vergnügungsstätten aus (Strab. a. a. O.), so daß wir in ihm die Bordellvorstadt von Alexandreia erkennen dürfen. Andererseits war dem Platz eine gewisse militärisch-politische Bedeutung eigen. E. war sozusagen das Wassertor von Alexandreia. Es ist kein Zufall, daß C. Popillius Laenas dem gegen Alexandreia anrückenden Antiochos IV. Epiphanes als Bevollmächtigter des römischen Senats gerade hier entgegentrat (Spätsommer 168 v. Chr.), um ihm sein dramatisch-barsches ,Bis hierher und nicht weiter‘ zuzurufen (Liv. a. a. O.; vgl. Mommsen Röm. Gesch. I 776), und es ist innerlich durchaus begründet, daß der mißglückte Aufstandsversuch des Dionysios Petosarapis (167 oder 166 v. Chr.) für Alexandreia und die Alexandriner beendet war, nachdem Dionysios sich bei E. schwimmend über den Kanal hatte hinüberretten müssen (Diod. excerpta ex cod. Escorial. 8 bei Müller FHG II p. IXf. = lib. XXXI frg. 15 a im Band V der Dindorfschen Textausgabe). Aber abgesehen von diesen beiden Histörchen, die die topographische Situation blitzartig beleuchten, und der Mitteilung, daß E. ein alexandrinisches Sankt Pauli war, erfahren wir nur noch eine Tatsache: der Dichter Kallimachos war, bevor er von Ptolemaios Philadelphos an den Königshof berufen wurde, in E. als Schullehrer tätig (γράματα ἐδίδασκεν Suid. a. a. O.). Die landläufige Annahme, daß in E. ein Mittelpunkt eleusinischen Kultes mit Tempeln und Festen gewesen sei, [2341] beruht nicht auf antiker Überlieferung, sondern ist aus der Namensgleichheit mit dem attischen E. von Neueren erschlossen. Wenn nun auch zugegeben werden muß, daß der Name E. für jeden Griechen des 4. Jhdts. mehr war als ein bloßer Name, und daß die Schöpfung eines Parallel-E. in die mehrfach nachweisbare Tendenz der ersten Ptolemaeer, alte griechische Kulte nach Ägypten zu verpflanzen, gut hineinpaßt, so mahnt doch die Tatsache des Versagens der Überlieferung zur Vorsicht. Insbesondere ist das Schweigen Strabons, dessen auf Autopsie beruhende Schilderung der Umgebung von Alexandreia bei aller Knappheit vorzüglich und erschöpfend ist, ein gewichtiger Grund gegen die Annahme. Vielleicht hat sich der ursprüngliche Gründungszweck infolge der tatsächlichen Entwicklung des Platzes rasch verflüchtigt. Jedenfalls müssen die auf unklaren topographischen Vorstellungen beruhenden Gründe, die man angeführt hat, abgelehnt werden. Das literarisch bezeugte Θεσμοφορεῖον (Polyb. XV 29. 33) darf nicht mit E. in Verbindung gebracht, sondern muß vielmehr dicht außerhalb des Kanobischen Tors gesucht werden. Ob die bekannte, jetzt im Sumpf steckende Tempelruine südlich von der Ramlehchaussee und etwa 700 Meter östlich von der Stelle des Kanobischen Tors (Mahmoud a. a. O. 66) mit dem Thesmophoreion zu identifizieren ist, muß vorläufig dahingestellt bleiben; topographisch würde nichts dagegen einzuwenden sein, andere Gründe sprechen aber dafür, in ihr das Lageion zu erkennen. Diese ganze Gegend gehört schon zur Vorstadt Nikopolis, dessen Heiligtümer von Strabon XVII 795 erwähnt werden, leider ohne Spezialisierung, aber mit dem bezeichnenden Zusatz, daß durch sie die alten Heiligtümer innerhalb der Stadt in den Hintergrund gedrängt worden seien. Zwischen der nordöstlichen Vorstadt Nikopolis, die sich am Meere entlang erstreckte, und der südöstlichen Vorstadt E. lag eine ausgedehnte Senkung, die jetzt, seitdem während der französischen Expedition die Dünen von Abukir durchstochen worden sind, durch sumpfiges Gelände und durch einen flachen See (See von Hadra) ausgefüllt ist. Im Altertum müssen hier das oft genannte στάδιον und der ἱπποδρόμος gewesen sein, und zwar wahrscheinlich der Hippodrom nördlich nach Nikopolis, das Stadion mehr südlich nach E. zu. Wenn Athenaeus XIII 576 F das Meer östlich von Alexandreia als ἡ πρὸς Ἐλευσῖνι θαλάσση bezeichnet, so ist das vermutlich nichts weiter als ein salopper Ausdruck für das ,östliche Meer‘ (d. h. östlich von der Pharosinsel), weil E. der bekannteste Platz östlich von Alexandreia war. Möglich ist auch, daß in späterer Zeit die beiden östlichen Vorstädte so zusammenwuchsen, daß man die Namen nicht mehr genau schied. Jedenfalls ist es verkehrt, zwei E. anzunehmen (Néroutsos-Bey L’ancienne Alexandrie auf der Karte; Sieglin auf seinem als Manuskript gedruckten Plan von Alexandreia). Die geistvolle, auf dem Scholion zu Kallim. hymn. VI 1 beruhende Vermutung (v. Wilamowitz bei Susemihl Anal. Alex. I p. XI), daß der sechste Hymnus des Kallimachos εἰς Δήμητρα für eine Feier der Göttin in der alexandrinischen Vorstadt E. gedichtet worden sei, als Kallimachos dort noch als Schulmeister [2342] wirkte, ist wegen der Lage des Thesmophoreion nicht haltbar (Susemihl hat sie neuerdings selbst zurückgenommen, Alexandrin. Literaturgeschichte I 358, 56); doch scheint mir der Kern dieser Vermutung, nämlich daß der Hymnus sich auf ein Alexandrinisches Fest bezieht, bestehen zu bleiben (dagegen Couat La poésie Alexandrine 223ff. Maass Hermes XXV 1890, 404. 1. Susemihl a. a. O.). Auch die sog. Theorengräber von Hadra, in denen Bestattungsvasen auswärtiger Festgesandter aus ptolemaeischer Zeit gefunden sind (Néroutsos-Bey a. a. O. 110ff. Merriam American journal of archaeology I 1885, 18ff.), beweisen nichts dafür, daß E. ein Alexandrinisches Kultzentrum gewesen sei. An sich konnten diese Festgesandten, von denen nicht einmal feststeht, daß sie zu Eleusinischen Festen nach Alexandreia gekommen sind, an jedem beliebigen Orte bestattet werden; und zweitens ist es nicht einmal sicher, daß die Grabvasen wirklich da gefunden sind, wo das alte E. anzusetzen ist. Daß bei E. Gräber sind, wie überall in der Umgebung des eingeengten Alexandreia (zu ihnen gehört z. B. das von H. Thiersch publizierte Grab im Antoniadisgarten), ist natürlich; aber die häufig angewendete Bezeichnung ,Friedhof von Eleusis‘ wirkt irreführend. Schließlich sei noch erwähnt, daß unter den bisher bekannt gewordenen Alexandrinischen Demennamen auch das Demotikon Ἐλευσίνιος erscheint (Mahaffy Flinders Petrie Papyri I nr. 13 [2] Z. 6, vgl. Wilcken Götting. gelehrte Anzeigen 1895, 138). Ob der Demos mit der Vorstadt etwas zu tun hat, ist zweifelhaft. Die alexandrinischen Demennamen sind nicht an Ort und Stelle gewachsen, sondern überwiegend gelehrte mythologische und topographische Übertragungen, die zum Teil deutlich die attische Etikette tragen (z. B. Σουνιεύς).

[Schiff. ]