102) Domitia Lepida, Tochter des L. Domitius
[1512]
Ahenobarbus (Nr. 28) und der älteren Antonia (Antonio, minor irrig Tac. ann. XII 64), Schwester des Cn. Domitius Ahenobarbus (Nr. 25) und der Domitia (Nr. 91), Enkelin der Octavia und daher Grossnichte des Augustus (Tac. a. a. O.). Aus welchem Grunde sie das den Aemiliern eigentümliche Cognomen Lepida führte, wissen wir nicht. Sie muss um einige Jahre älter gewesen sein als Iulia Agrippina (geboren 15 oder 16 n. Chr.), da ihr um das J. 40 bereits eine Enkelin (Claudia Octavia) geboren wurde (als ungefähr gleichaltrig mit ihrer sobrina prior Agrippina bezeichnet sie Tac. ann. XII 64; der Vater Agrippinas, Germanicus, und Lepida waren Geschwisterkinder). Wahrscheinlich in der ersten Zeit des Tiberius (14–37 n. Chr.) vermählte sie sich mit (M. Valerius) Messalla Barbatus, dem sie Valeria Messalina gebar (vgl. Tac. ann. XI 37. Suet. Claud. 26; s. o. Bd. III S. 2891f.). Ihr Gatte, der sonst nicht erwähnt wird, scheint früh gestorben zu sein; in zweiter Ehe dürfte sie Faustus Cornelius Sulla, Consul 31 n. Chr., geheiratet haben, dessen Sohn Faustus Cornelius Sulla Felix (Consul im J. 52, demnach, da er als Verwandter des kaiserlichen Hauses den üblichen Altersnachlass von fünf Jahren erhalten haben wird, vermutlich um 24 geboren) als ἀδελφός der Messalina bezeichnet wird (Zonar. XI 9 nach Dio, vgl. o. Bd. IV S. 1517f. Nr. 378. 391). Auch Fausta Cornelia (o. Bd. IV S. 1600 Nr. 437) war vielleicht eine Tochter des Faustus Sulla und der Lepida. Der Bruder Lepidas, Cn. Ahenobarbus (Nr. 25), dessen Gewinnsucht ihren Spott herausforderte (Suet. Nero 5), soll zu ihr, wie seine Ankläger im J. 37 vorbrachten, in unzüchtigen Beziehungen gestanden haben (Suet. a. a. O.). Als er im J. 40 starb und seine Witwe, ihre Cousine Agrippina, verbannt wurde, nahm Lepida beider Sohn, den jungen L. Domitius Ahenobarbus, zu sich, verwendete jedoch wenig Sorgfalt auf seine Erziehung, da sie diese angeblich einem Tänzer und einem Barbier überliess (Suet. Nero 6). Im J. 41 gelangte der Gemahl ihrer Tochter Messalina, Ti. Claudius Nero Germanicus, zur Regierung; Agrippina wurde aus dem Exil zurückgerufen und Lepida, deren zweiter Gatte bereits gestorben war oder sich von ihr getrennt hatte, in dritter Ehe mit C. Appius Iunius Silanus (Consul 28) vermählt (Dio LX 14, 3; vgl. Sen. apocol. 11, wo Silanus als socer [Suet. Claud. 29 irrig als consocer] des Claudius bezeichnet wird). Doch schon im folgenden Jahre fand Silanus ein gewaltsames Ende (s. o. Bd. III S. 2793f.); da Messalina an seinem Untergang einen wesentlichen Teil der Schuld trug, sagte sich Lepida von ihr los (vgl. Tac. ann. XI 37 und Nipperdey-Andresen z. St.). Erst der Sturz Messalinas (im J. 48) rief sie wieder an die Seite der Tochter, der sie vergebens zusprach, dem Todesurteil durch Selbstmord zuvorzukommen (Tac. ann. XI 37). Sie bestattete den Leichnam Messalinas (Tac. ann. XI 38). Als Claudius im J. 49 Agrippina zur Gattin wählte und das Jahr darauf ihren Sohn, L. Domitius Ahenobarbus, unter dem Namen Nero Claudius Drusus Germanicus Caesar adoptierte, verschärfte sich der natürliche Gegensatz zwischen Lepida und Agrippina. Beide missgönnten einander den Einfluss auf den jungen Nero, dessen Liebe sich
[1513]
Lepida durch Liebkosungen und Geschenke zu erhalten suchte. Kaum eine gemeinsame Action der Lepida und des Narcissus, durch die dem Enkel Lepidas, Britannicus, die Thronfolge vor Nero gesichert werden sollte (Schiller Nero, Berlin 1872, 87), sondern hauptsächlich die mütterliche Eifersucht wird Agrippina veranlasst haben, im J. 54 bei ihrem Gatten das Todesurteil gegen Lepida zu erwirken. Als officielle Motive der Anklage, die anscheinend vor dem Kaisergericht erhoben wurde (vgl. Schiller a. a. O.), gab man an, dass Lepida durch Zaubermittel das Leben Agrippinas bedrohe und durch ihre undisciplinierten Sclavenscharen in Calabrien – wo sie demnach grosse Besitzungen zu eigen hatte – den Frieden Italiens störe. Nero selbst legte gegen seine Vatersschwester Zeugnis ab (Suet. Nero 7); sie erhielt, obwohl sich Narcissus, dem sie wohl als Rivalin Agrippinas erwünscht war, für sie einsetzte, den Befehl zum Tode (Tac. ann. XII2 64. 65). Lepida scheint die Eigenart ihres Hauses nicht verleugnet zu haben; Tacitus sagt von ihr, sie sei inpudica, infamis, violenta gewesen und habe mit Agrippina nicht blos in Schönheit, Reichtum und Adel der Geburt, sondern auch in allen Lastern gewetteifert (ann. XII 64).