Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Aufstellung in Abteilungen für die Abstimmung
Band V,1 (1903) S. 11721175
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Discessio. A. In Comitien. Behufs Abstimmung fordert der Vorsitzende Magistrat durch einen apparitor (accensus, praeco, Varro de l. l. VI 38. 95), zu Varros Zeit durch einen der den Consul begleitenden Auguren oder auch durch irgend eine andere Persönlichkeit die Bürger auf, sich nach Abteilungen zu ordnen. Liv. II 56, 12 si vobis videtur, discedite, Quirites. Ascon. in Cornel. p. 63 K. cum id solum superest, ut populus sententiam ferat, iubet eum is qui fert legem discedere, quod verbum ... significat .. [ut] in suam quisque tribum discedat, in qua est suffragium laturus. Liv. III 11, 4. Cic. de leg. III 11 lex recitata est, discedere et tabellam iubebo dari – Dion. IV 84. X 41 giebt den Ausdruck wieder mit διίστασθαι κατὰ φράτρας (φυλάς) – sonst auch discurrere in tribus ad suffragium ferendum, Liv. XXV 2, 7. Nach Entfernung der nicht Stimmberechtigten (populus summovetur Liv. II 56, 10. III 11, 4. XXV 3, 15. Cic. pro Flacc. 15) werden die Abteilungen zum suffragium (s. d.) berufen. Mommsen St.-R. III 398.

B. Im Senat. Nach Gell. XIV 7, 12 sind die Angaben des Varro, Tubero und Capito über die Formen, in denen Senatsbeschlüsse (s. den Art. Senatus consultum) zu stande kommen, einander widersprechend: quod ait [Varro] senatus consultum duobus modis fieri solere aut conquisitis sententiis aut per discessionem, parum convenire videtur cum eo quod Ateius Capito ... scriptum reliquit. Nam in libro ... Tuberonem dicere ait, nulluni senatus consultum fieri posse non discessione facta, quia in omnibus senatus consultis, etiam in iis quae per elationem (Mommsen [1173] a. a. O. 984 A. bestreitet, dass man an dieser verderbten Stelle per relationem einsetzen dürfe, eher perlatione oder perrogatione) fierent, discessio erat necessaria; idque ipse Capito verum esse affirmat. Bereits F. Hofmann Der römische Senat 27 stellte fest, dass keineswegs, wie Gellius meint, Varro die d. bei Senatsbeschlüssen per singulorum sententias exquisitas als ausgeschlossen betrachte, vielmehr Fälle genug für diesen Brauch in letzterer Hinsicht bekannt seien, so Cic, pro Sest. 74; Phil. VI 3. XIV 21; ad Att. I 14. Caes. b. G. VIII 53. Plin. ep. II 12. IX 13. VIII 14. Sehr lehrreich ist im letzteren Briefe der Bericht über eine Senatsverhandlung, welche die Bestrafung der der Ermordung ihres Herrn, des Consuls Dexter, verdächtigen Freigelassenen erörterte. Die Umfrage hat drei verschiedene Vota ergeben: a) alius hos post quaestionem supplicio liberandos, b) alius in insulam relegandos, c) alius morte puniendos arbitrabatur. Über jedes derselben musste d. stattfinden. Plinius beanstandet, dass die für Tod und die für Relegation Stimmenden auf einer Seite Platz nehmen (una sedebant) und stellt folgerichtig, da die drei Vota durchaus verschieden seien (quarum sententiarum tanta diversitas erat, ut non possent esse nisi singulae) die Forderung: ut qui capitali supplicio adficiendos putabant, discederent a relegante, nec interim contra absolventis mox dissensuri congregarentur, quia parvulum referret, an idem displiceret quibus non idem placuisset, sucht dann seine im weitern juristisch bedenkliche Auffassung in dem Schreiben an Aristo, da Zweifel über die Handhabung der Geschäftsordnung (lex de senatu habendo) entstanden waren, auch mit dem Wortlaut der Formel (s. u.) zu begründen. D. war also zur Herbeiführung aller Senatsbeschlüsse nötig. Man schritt sofort dazu – sofern niemand Einspruch erhob (consule oder numera Cic. ad Att. V 4, 2. Fest, p. 170. Hist. Aug. XXX tyr. 21) –, wenn, wie bei untergeordneten Vorlagen wohl meist, das Stimmverhältnis klar schien (si omnes consentirentur, Varro bei Gell. a. a. O. Liv. XLII 3 cum priusquam referretur, appareret, quid sentirent patres, relatione facta in unam omnes sententiam ierunt) oder dem Vorsitzenden es aus besonderen Gründen gelang, eine Umfrage zu vereiteln, so, als es sich um die Kriegserklärung gegen Caesar handelte, Dio XLI 2 διαψηφίσεως δὲ ἐπὶ τούτοις οὐ κατ’ ἄνδρα, μὴ καὶ δι’ αἰδῶ ἢ καὶ φόβον τινὰ παρὰ τὰ δοκοῦντά σφισιν ἀποφήνωνται, ἀλλ’ ἐν τῇ ἐπὶ τάδε καὶ ἐπ’ ἐκεῖνα τοῦ βουλευτηρίου μεταστάσει γενομένης, dann Cic. Phil. I 3 de qua (dictatura tollenda) ne sententias quidem diximus; scriptum senatus consultum quod fieri vellet attulit, quo recitato auctoritatem eius .. secuti sumus. Ebenso fand D. statt, nachdem der Geschäftsordnung gemäss nach dem Vortrage des Vorsitzenden Beamten die Meinungsäusserung der Mitglieder erst durch Umfrage (s. den Art. Sententia) an alle mit umständlichen Namensaufruf ermittelt worden war (perrogare Liv. XXIX 19, 10. Tac. hist. IV 9. Suet. Aug. 35. Hist. Aug. Comm. 19. Dionys. XI 21 ἐπειδὴ πάντες ἀπεδείξαντο τὰς ἑαυτῶν γνῶμας καὶ τέλος ἔδει τὰ βουλεύματα λαβεῖν . . . λόγον ἀπεδώκαμεν ἅπασι τοῖς βουλομένοις ἀπὸ τῶν πρώτων ἄχρι τῶν νεωτάτων ἐν τῷ προσήκοντι καλοῦντες [1174] ἕκαστον τόπῳ). Weshalb auch in diesem Falle die eigentlich überflüssig scheinende D. vorgenommen ward, hat seinen Grund darin, dass diejenigen Mitglieder des Senates, welche bei der Umfrage verfassungsgemäss nicht zu berücksichtigen waren (pedarii, s. d.), ihrer Ansicht bei der D. Geltung verschaffen konnten. Hofmann a. a. O. 28ff. Bei manchen Vorlagen, wie bei Zuerkennung einer supplicatio, war D. nicht gebräuchlich, daher Cic. Phil. III 24 fugere festinans s. c. de supplicatione per discessionem fecit, cum id factum esset antea numquam; ebenso, missbilligt Tiberius, dass ein S.C. über die sibyllinischen Bücher per discessionem gefasst sei, Tac ann. VI 12.

Dieser Vorgang (d. facere Cic. pro Sest. 74; Phil. VI 3. XIV 21; ad fam. I 2, 2. Caes. b. G. VIII 52. 53. Senec. de vita beata 2. Plin. epist. IX 13, 20; griechisch μετάστασις ἐπὶ τάδε καὶ ἐπὶ ἐκεῖνα Dio XLI 2 [s. o.]. Plut. Pomp. 58) vollzog sich äusserlich in folgender Weise. Der Vorsitzende in der Mitte des Sitzungssaales erhebt sich und fordert die Anwesenden auf, sich an zwei entgegengesetzten Stellen des Saales nach Für und Wider dem Antrage zu sondern. Die Formel lautet bei Fest. p. 261: qui ,hoc‘ censetis, illuc transite, qui ,alia omnia‘ in hanc partem, abweichend bei Plin. ep. VIII 14, 19: qui ,haec‘ censetis, in hanc partem, qui ,alia omnia‘ in illam partem ite qua sentitis (nach Mommsen a. a. O. 991, 5 soviel wie ,in die euch bewusste Hälfte des Saales‘). Festus will die Worte alia, omnia erklären: his verbis praeit ominis videlicet causa ne dicat qui non censetis, was Mommsen 991, 5 mit Recht beanstandet. Die Ordnung wird gewesen sein, dass, wo der Antragsteller sass, die Anhänger des Antrags sich niedersetzten (Liv. VII 35, 2 rechts vom Vorsitzenden), Plin. ep. VIII 14, 20; von ihnen sagte man pedibus in sententiam ire, Sallust. Cat. 50. Liv. IX 8, 13. XXII 56, 1. XXVII 34, 7. Tac. ann. XIV 49. Gell. III 18, kurz in sententiam ire Cic. ad fam. I 2, 2; Phil. XI 15. Liv. XXIII 10, 4. XLII 3, 10, currere in sententiam Cic. ad Att. I 20, 4, d. facere in sententiam Cic ad Att. XII 21, 1, in sententiam discedere Liv. III 41, 1. XXX 23, 8. Gell. III 18, 6, oder sequi aliquem (sententiam aliquam) Cic. de or. III 5; Phil. VI 3. Plin. ep. II 11, 22. Suet. Tib. 31: cum s. c. per d. forte fieret, transeuntem eum in alteram partem, in qua pauciores erant, secutus est nemo. Mommsen a. a. O. 992, 5. 6. Für die Erklärung gegen den Antrag finden sich die Wendungen in alia omnia ire, Cic. ad fam. VIII 13, 2. X 12, 3. Caes. b. G. VIII 53, und relinquere aliquem, Cic. ad fam. X 12, 3. Plin. ep. II 11, 22. VIII 14, 25. Der Vorsitzende wies wohl auch mit der Hand noch die einzunehmenden Plätze an, Plin. ep. VIII 14, 20: consul ubi quisque remanere quo transgredi debeat, non tantum sollemnibus verbis sed manu gestuque demonstrat. Man setzte sich nieder; gesprochen ward nicht, sowenig wie bei der militärischen Abstimmung, Liv. VII 35, 2. Wer auf der richtigen Seite sass, konnte bleiben, die andern wechselten die Plätze. Plin. ep. II 11, 22: cum discessio fieret, qui sellis consulum adstiterant, in Cornuti sententiam ire coeperunt: tum illi qui se Collegae adnumerari patiebantur [1175] in diversum transierunt; Collega cum paucis relictus. Zur Vereinfachung des Geschäftsganges nahm man auch, wenn die Art und Weise der Fragestellung bekannt war, von vornherein schon seinen Sitz auf der betreffenden Seite (Cic. ad Q. fr. II 1, 3; vgl. Suet. Caes. 14), denn unbedingt bestimmte Plätze hatten die Senatoren nicht, Mommsen 992.

Entscheidend für die Abstimmung war das bei der D. abgegebene Votum; es stand natürlich frei, hiebei anders zu stimmen, als bei der Umfrage, wenn jemand vielleicht durch die Ausführungen eines nach ihm zum Worte gekommenen Senators anderer Ansicht geworden war. Stellen für solch mutare sententiam bei Hofmann 28, 7. Mommsen 990, 6. Das Ergebnis stellt der Vorsitzende durch Auszählung, wenn nötig, fest oder mit den Worten: haec pars maior videtur, Senec. de vita beata 2. In der Kaiserzeit war es möglich, dass bei Voten, die dem Kaiser unangenehm sein mussten, die Consuln nicht die Entscheidung der Abstimmung verkündeten, um ein gültiges SC. zu verhindern und erst den Verlauf dem Kaiser meldeten, Tac. ann. XIII 26. XIV 49.

Litteratur: Fr. Hofmann Der röm. Senat zur Zeit der Republik 26–33. Lange R. Alt. I³ 562. II³ 405. 413f. 488. 522. Mommsen R. St.-R. III 398. 983–985. 990–994. Willems Le sénat de la rép. rom. II 178–180. 196. Herzog Röm. Staatsverf. I 887. 923. Madvig Verf. und Verw. I 258. 317.