RE:Consolatio ad Liviam

Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Gedicht auf den Tod des Drusus
Band IV,1 (1900) S. 933947
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Consolatio ad Liviam. Publii Ovidii Nasonis Consolatio ad Liviam Augustam de morte Drusi Neronis filii eius qui in Germania morbo periit, so lautet mit unerheblichen Varianten in unserer Überlieferung der Titel eines 237 Distichen umfassenden Gedichtes auf den Tod des Drusus. Erhalten ist es nur in Ovid- oder Miscellanhandschriften aus dem Ende des 15. oder Anfang des 16. Jhdts. (Dresdensis, Urbinas, Laurentianus [934] XXXVI 2 u. a.) und aus diesen in die eine Editio princeps des Ovid (Rom 1471) geflossen (die Bononiensis enthält das Gedicht nicht; siehe über all dies K. Schenkl Wiener Studien II 56ff. gegen Baehrens PLM I 97ff.). Über den ästhetischen Wert des Werkes sind ebenso wie über seine Datierung sehr verschiedene Ansichten laut geworden. Am längsten ist man sich darüber klar, dass es nicht von Ovid herstammen kann, der in ihm ausgeschrieben ist (s. u.) und es unter seinen Werken auch da nicht nennt, wo seine Anführung so gut wie unumgänglich gewesen wäre (trist. II 61ff. 547ff.). Aber während es nun Scaliger ebenso wie die zwei Elegien auf den Tod des Maecenas (s. u.) dem Albinovanus Pedo zuschrieb – übrigens völlig unbegründeterweise – und N. Heinsius es als ein poematium quantivis pretii und einen insignis thesaurus wenigstens in die Zeit dieses Dichters setzte (C. Pedonis I Albinovani elegiae III, Amsterdam 1703, p. **4), erklärte es M. Haupt für ein im Durchschnitt nur mittelmässiges, stellenweise abgeschmacktes und mit Formfehlern behaftetes Product eines italienischen Humanisten des 15. Jhdts. (Epicedion Drusi, Rectoratsprogramm v. Leipzig 1849 = Opusc. I 815ff.).

Von der ästhetischen Seite ist gegen Haupts Urteil, zumal er dem Gedichte doch nicht alle lumina abspricht, gewiss nichts einzuwenden. Der Dichter wiederholt sich (v. 6 149f.; 130 193; 209f. 465f.), widerspricht sich (95ff. ,die Mutter war nicht einmal bei ihm, als er starb‘, aber 393f. als Tröstung für die Mutter ,sie hat ihn wenigstens nicht sterben zu sehen brauchen‘), weiss bisweilen den Übergang nicht zu finden (299–328 an Drusus Gattin Antonia gerichtet, dann 329–40 ,er wird in ein glückliches Jenseits eingehen‘, darauf 341f. haec, optima mater, debuerant luctus attenuasse tuos), gefällt sich in geschmacklosen Übertreibungen (226 Tiberinus weint, dass der Fluss überzutreten droht, ähnlich 435). Bisweilen hat ein Gedanke nicht für ein ganzes Distichon ausgereicht; dann ist der Pentameter nur eine schwache Wiederholung des Hexameters (78), oder ein an sich guter Vers muss als unpassender Flicken dienen (100).

Diese ästhetischen Bedenklichkeiten aber können unmöglich gegen den antiken Ursprung der Consolatio beweisen, da Haupts sonstige Argumente zuerst von F. Th. Adler (Programm von Anklam 1851), dann von E. Hübner (Herm. XIII 145ff.) und Schenkl a. O. in allem Wesentlichen widerlegt worden sind. Die Art der Überlieferung zunächst kann an sich das Gedicht nicht verdächtigen. Auch Tacitus’ kleine Schriften kennen wir nur durch Hss. des 15. Jhdts: ebenso steht es, wenn man von II 7 absieht, mit den Silven des Statius. Und wie für diese ausdrücklich berichtet wird, dass sie erst durch Poggios Fund bekannt geworden sind, so wird es auch seine Richtigkeit haben, wenn der Laurentianus in einer Vita des Ovid über die Consolatio bemerkt: nuper inventa est (Hübner Herm. XIII 427). Was Sprache und Metrik des Gedichtes angeht, so genügt es, abgesehen von dem, was weiterhin zur Sprache kommen muss, gegen Haupt auf Adler und Hübner zu verweisen; über die Metrik siehe jetzt auch L. Müller De re metr.² [935] 34f. Es ist ferner dem Verfasser nicht ein Verstoss gegen Geschichte und Antiquitäten nachgewiesen (über v. 417ff. s. u.), und wenn er auch, wie Haupt 349ff. meint, die meisten seiner Angaben aus Cassius Dio, Lucan, Seneca, Servius, Sueton, Tacitus zusammengestoppelt haben könnte, so ist diese Annahme doch nicht nur an sich unwahrscheinlich, sondern wird direct widerlegt durch einige Einzelheiten, den Fluss Isargus (Eisack) v. 386, den unsere Quellen bei Gelegenheit der Züge des Drusus gegen die Raeter und Vindeliker nicht erwähnen und der ein merkwürdig glücklicher Treffer des Fälschers wäre, da das sog. Tropaeum Alpium (Plin. n. h. III 136) unter zahlreichen anderen Völkernamen auch Isargi bietet (Haupt 352. Hübner 237), ferner die dakischen Appuler v. 387f., deren Kenntnis gewiss nicht aus Ptolem. geogr. III 8, 8 geschöpft ist (Hübner a. O.), endlich die eversi in funere fasces v. 142, die nur bei Tac. ann. III 2 eine, den italienischen Humanisten erst 1508 bekannt gewordene Parallele haben. Wenn v. 161 ausdrücklich hervorgehoben wird, dass Drusus eigentlich im Claudiergrabe liegen müsste, so ist auch das ein gutes Zeugnis für die Sachkunde des Verfassers. Die Thatsache, dass Drusus ἐς τὸ Αὐγούστου μνῆμα κατετέθη ist freilich auch durch Cass. Dio LV 2 bekannt (vgl. Ο. Hirschfeld S.-Ber. Akad. Berl. 1886, 1152); das Auffällige der Sache zu bemerken, wäre aber dem Humanisten schwerlich beigekommen. Dagegen scheint mir der Bericht über die dem Todesfall vorausgegangenen Prodigien v. 401ff. so wenig zum Beweise für wie gegen die Echtheit dienen zu können; was der Consolator mehr hat als Cass. Dio LV 1, kann einfache Erdichtung sein, kann aber auch den πολλὰ ἄλλα σημεῖα des Dio entsprechen; die Nichterwähnung der wunderbaren Frauengestalt (Dio § 3) beweist allerdings wenigstens das, dass der Consolator nicht von Dio abhängig ist. Aber es kommt auf einen solchen einzelnen positiven Beweis für den antiken Ursprung mehr oder weniger nicht an, denn der wichtigste ist unerschütterlich: die Consolatio steht ganz deutlich im Zusammenhang der antiken Schultradition über die Epicedien, wie sie sich unter dem Einfluss der älteren philosophischen Trostschriften einer-, der rednerischen Behandlung des Stoffes andererseits gerade etwa um Christi Geburt entwickelt hat. Es zeigt sich das weniger im Verhältnis der Disposition des Ganzen zu den rhetorischen Vorschriften, z. B. des Ps.-Menander und Ps.-Dionys, als in den einzelnen τόποι und Wendungen, für die sich in den übrigen antiken Consolationen vielfache Parallelen finden. Im allgemeinen ist das schon mehrfach ausgesprochen worden, z. B. von Ribbeck Röm. Dicht. III 138 und Vollmer Statius Silven p. 316f., aber zum Vergleich im einzelnen hat man nur Seneca (Adler 14. G. Wieding De aetate consolationis ad Liviam, Diss. Kiel 1888, 44f). und etwa Statius (O. Schantz De incerti poetae consolatione ad Liviam deque carminum consolatoriorum apud Graecos et Romanos historia, Diss. Marburg 1889) angezogen. Daher stehe hier ein eingehenderer Vergleich der Consolatio mit der Parallellitteratur, zumal er ein Urteil über die Anordnung des Gedichts und seine geringe Originalität ermöglichen wird. Es kam dabei weder darauf an, Vollständigkeit [936] auch nur annähernd zu erreichen, noch der Geschichte der einzelnen Gedanken nachzugehen, sondern nur darauf, ihren Gebrauch im selben Zusammenhang und möglichst in den Consolationen des 1. Jhdts. zu constatieren.

Es scheiden sich – entsprechend den Vorschriften der rhetorischen Theorie (Ps.-Dionys. 25ff. Us. Ps.-Menander III 418ff. Sp.) – ein enkomiastisch-threnetischer (χρὴ γὰρ τὰ κεφάλαια μὴ καθαρεύειν τῶν θρήνων, ἀλλὰ κἂν γένος λέγῃς θρηνεῖν κἂν ἕτεροόν τι κεφάλαιον Men. p. 419, 21) und ein paramythetischer Teil (v. 329ff.); im ersteren sondert sich aus die von den Rhetoren vorgesehene (Men. 421, 32. 436, 11: nach dem Enkomion διαγράψεις τὴν ἐκφοράν, τὴν σύνοδον τῆς πόλεως) und bei Statius stehende Schilderung der Bestattung (167–264). ,Wer könnte Deinem Schmerz gebieten wollen, Livia‘, beginnt der Dichter, ,da Du den einen von Deinen zwei Söhnen verloren hast? (et quisquam leges audet tibi dicere flendi v. 7 im Ausdruck sich nahe berührend mit Stat. s. V 5, 60f. nimium crudelis qui dicere legem fletibus aut fines audet censere dolendi; der Gedanke natürlich häufig, s. z. B. Stat. II 6, 1 und mehr bei Vollmer 318). ,Freilich, bei den Schmerzen anderer tapfere Worte zu sprechen ist leicht‘ (ῥᾷον παραινέσαι ἑτέροις ἐστὶν ἢ αὐτὸν παθόντα καρτερεῖν in der nach den üblichen philosophisch-rhetorischen Recepten für die παραμυθία φυγῆς gefertigten Unterhaltung Ciceros mit Philiskos, Cass. Dio XXXVIII 18; öfter nimmt der Gedanke die Wendung ,beim Unglück anderer hattest Du tapfere Worte, habe sie jetzt im eigenen‘, Stat. s. V 5, 45ff. Buresch Leipz. Stud. IX 99). Nun folgt ein Stück ἐγκώμιον für Drusus (bis v. 20), wobei die Vorschrift nicht vergessen ist ἐπαινεταὶ δέ εἰσιν αἱ πράξεις καὶ εἰ μόνος ἔπραξέ τις ἢ πρῶτος (Theon progymn. II p. 110, 21 Sp.); s. v. 19 ignotumque tibi meruit, Romane, triumphum protulit in terras imperiumque novas. Wenn sich daran der Gedanke schliesst ,Du, Mutter, schicktest Dich schon an, ihn freudig zu empfangen, stelltest Dir schon vor, wie Du ihm entgegengehen, ihn küssen, ihm erzählen, Dir von ihm erzählen lassen würdest‘ (bis v. 36f ähnlich weiterhin in der Anrede an Antonia v. 311–314), so scheint der Dichter hier sich einer andern Lection der Rhetorenschule erinnert zu haben, in der von den προπεμπτικά die Rede gewesen war. Denn genau so malt sich Statius im Propempticon III 2, 127ff. (Vollmer zu v. 134) das Wiedersehen mit dem Freunde aus. ,Vergebens war die Hoffnung‘ fährt der Dichter fort, ,Dich haben, Livia, all Deine Tugenden vor der invidia Fortunas nicht schützen können‘ (bis v. 58, vgl. 371–376). Unter den Vorzügen der Livia erscheint hier, dass sie ihre Macht gegen niemand gemissbraucht habe, was anderwärts unter den Tugenden des Toten aufgeführt wird: Senec. Polyb. 3, 2 nemo potentiam eius iniuria sensit, numquam ille te (Polybius) fratrem ulli minatus est. Eleg. in Maec. I 15 omnia cum posses tanto tam carus amico, te nemo sensit velle nocere tamen (s. u.); der τόπος von der Fortuna ist einer der üblichsten, siehe ausser den Grabinschriften, auf die ich für diesen wie für andere Punkte nur im allgemeinen verwiesen haben will, z. B. Senec. Polyb. 2, 2 iniquissima omnium [937] iudicio Fortuna u. s. w. (vgl. noch insbesondere munere tuo tantam venerationem receperat, ut felicitas eius effugeret invidiam mit consol. v. 57 quid si non habitu sic se gessisset in omni, ut sua non essent invidiosa bona). Ebd. 2, 7 quo melior enim est quisque, hoc saepius ferre te (Fortuna) consuevit sine ullo delectu furentem (consol. v. 373 furibunda). Stat. s. V 1, 143ff. piumque intravit vis saeva larem. Theophr. bei Plut. ad Apoll. 104 D. Menand. p. 435, 9 χρὰ τοίνυν ἐν τούτοις τοῖς λόγοις εὐθὺς μὲν σχετλιάζειν ἐν ἀρχῇ πρὸς δαίμονας καὶ πρὸς μοίραν ἄδικον u. s. w. ,Und Augustus, der wie von einer Burg auf das menschliche Treiben herabschauen sollte (zum Bilde Vollmer 352), muss eben auch leiden, dass die Seinigen sterben (Senec. Polyb. 3, 5), und wie oft hat er’s gelitten‘ (ebd. 15, 2ff. und besonders 16, 4 ostendere quam nihil sacrum intactumque sit Fortunae u. s. w.). ,Auch der Bruder ist vom Verlust schwer getroffen (v. 84ff.), aber er hat doch wenigstens Drusus sterben sehen und Drusus bis zum letzten seine Augen auf ihn gerichtet‘ (dergl. Schilderungen stehend bei Statius, Vollmer zu II 1, 148; was Statius gewöhnlich damit verbindet, dass der Sterbende noch zuletzt den Namen des Überlebenden murmelt, dieser seinen letzten Hauch auffängt, bringt die Consolatio in anderem Zusammenhange 97f. 307f.( vgl. Senec. ad Marc. 3, 2. Quintil. inst. VI prooem. 11 f.). ,Dagegen die Mutter hat ihm leider beim Scheiden nicht beigestanden‘ (Plut. ad Apoll. 117 B ἐὰν μέν γὰρ ἐν ἀποδημίᾳ τις ὢν ἀποθάνῃ, στένουσιν ἐπιλέγοντες· δύσμορος, οὔτ’ ἄρα τῷ γε πατὴρ καὶ πότνια μήτηρ ὄσσε καθαιρήσουσιν; bei dem in v. 100 eingeschobenen utilior patriae quam tibi, Druse, tuae [ähnlich v. 270. 458] mag man an die Vorschrift des Theon a. O. 110, 15 denken, zu den καλαὶ πράξεις, die im ἐγκώμιον und also natürlich auch im Epicedion hervorzuheben wären, gehörten die ἃς ἄλλων ἕνεκα καὶ μὴ ἑαυτῶν πράττομεν). ,Die Mutter klagt nun um ihn wie Philomele, Alkyone, die Schwestern des Meleager, Mutter und Schwestern des Phaethon‘ (bis v. 112); die Hälfte dieser Exempla bezeichnet Statius V 3, 84ff. als in den Epicedien abgebraucht, vgl. III 3, 175 (5, 57f.). Senec. Herc. Oet. 186ff. (Octav. 7ff.). V. 121ff. folgt dann die Klage der Livia in directer Rede; ich hebe daraus hervor den τόπος 129ff. (vgl. 193ff.): ,Ist das der Lohn meiner Frömmigkeit? Dies Unglück veranlasst mich, an der Existenz der Götter zu zweifeln‘ (Ovid. am. III 9, 36ff. Quintil. VI prooem. 4 nullam in terras despicere providentiam tester u. s. w. Lucian Iupp. trag. 19. Claudian. in Ruf. I 12ff.). Hiernach beginnt, wie schon gesagt, die Schilderung des Funus, die genau chronologisch verläuft von der Absicht der Soldaten an, den Drusus in Germanien zu bestatten (vgl. Senec. Polyb. 15, 5), bis zum Verbrennen des Körpers. Unterbrochen wird der Zusammenhang durch die Verse 221–252: Tiberinus will ictu fluminis den Scheiterhaufen löschen, Mars hält ihn zurück. Hierauf zunächst eine Rachedrohung an die Germanen 271–282, dann eine kurze Schilderung des trauernden Tiberius, eine längere der Antonia, wobei nicht vergessen ist, was die Rhetoren lehren: wenn man sich an die Gattin des Toten wendet, soll man ἐξαίρειν πρότερον τὸ πρόςωπον τῆς γυναικὸς [938] ἵνα μὴ πρὸς φαῦλον καὶ εὐτελὲς διαλέγεσθαι δοκῇς πρόσωπον (Menand. 421, 19). Im paramythetischen Teil bringt dann der Dichter die sattsam bekannten Tröstungen dieser Litteraturgattung in solcher Fülle, dass er fast denen zuzuzählen ist, die wie Cicero in der Consolatio omnia genera consolandi colligunt (Cic. Tusc. III 76). Ich scheide hier mit beigesetzten Ziffern das einzelne schärfer, als es der Dichter gewollt hat; für ihn bildet z. B. 369f. den unmerklichen Übergang von nr. 3 zu 5: 1) V. 329ff. ,Drusus wird ins Gefilde der Seligen eingehen und von seinen Ahnen freudig als ihrer wert empfangen werden‘. Οὐ δεῖ θρηνεῖν· πολιτεύεται γὰρ μετὰ τῶν θεῶν, ἢ τὸ Ἠλύσιον ἐχει πεδίον Menand. 421, 16, vgl. 414, 16, natürlich eins der ältesten und verbreitetsten consolatorischen Argumente, Plat. apol. 40 C u. s. w. Hypereid. epit. 35ff., späterhin z. B. Ovid. am. III 9, 59ff. Senec. Polyb. 9, 3; Marc. 25. Stat. s. II 7, 107ff. Vollmer zu V 1, 253. 3, 19 (auch II 1, 194ff. gehört hierher). Plut. Apoll. 120 B. Ael. Aristid. XII 88. Bücheler zu Anthol. epigr. 423, 4. – 2) V. 345ff. ,Du, Livia, in Deiner Stellung darfst dem Schmerze nicht nachgeben‘. Vgl. Senec. Polyb. 5, 4f. 6, 1ff. Hieron. ep. 60 = Migne L. 22, 598f. (aus Cic. consol., vgl. Cic. ad Brut. I 9, 2. Buresch a. O. 100. 103) in te oculi omnium diriguntur ( v. 351 ad te oculos auresque trahis u. s. w.), domus tua et conversatio quasi in specula constituta ( v. 349 posuit te alte Fortuna, locumque tueri iussit honoratum) magistra est publicae disciplinae. Quidquid feceris, id sibi omnes faciendum putant ( 355 melius per te [?] virtutum exempla petemus). – 3) V. 357ff. ,Thou know’st ’t is common – all that live must die; das Weltall selbst muss einst zu Grunde gehn‘. Auch dieser Gedanke ist in seinem ersten Teile einer der den Consolatoren geläufigsten, Plut. Apoll. 106 C κοινὸν καὶ πολλῶν τὸ συμβεβηκός. Menand. 414, 3. Buresch 32, 3. Vollmer zu Stat. II 1, 218; mit demselben Ausdruck wie cons. 359 (tendimus huc omnes) Senec. Polyb. 11, 4 omnes in eundem locum tendimus; epist. 99, 7 observa hunc comitatum generis humani eodem tendentis. Plut. Apoll. 113 C πάντες ἐπὶ ταὐτὸν ἔρχονται. Auch die besondere Ausführung ,auch die mächtigsten Reiche gehen zu Grunde, nun beklage Du Dich über Dein persönliches Schicksal‘ findet sich wieder (Serv. Sulpic. epist. ad fam. IV 5, 4. Senec. Polyb. 11, 4), oder dass das Leid des einzelnen gleichgültig ist, wenn man es an der Vergänglichkeit des Alls misst (Senec. Polyb. 1, 2; epigr. VII H. Stat. II 1, 211). – 4) V. 369f. ,Das Leben ist nur ein Darlehen‘. Axioch. 367 B, dann z. B. Senec. Marc. 10, 2. Plut. Apoll. 106 F und überaus oft, s. Gercke Tirocinium philol., Berlin 1883, 55, Buresch 104, 3 und besonders Wendland Beitr. z. griech. Philos. u. Religionsgesch. 59, etwas modificiert Anthol. epigr. 1001. – 5) V. 371ff. An den Gedanken von der Allmacht der Fortuna (s. o. zu v. 41ff.), die so viel Leid bringt, knüpft sich hier der weitere ,oft hat sie Dir doch auch Gutes gethan‘, wie ähnlich unten v. 411ff. Gleiches für die Zukunft vorausgesagt wird. Vgl. Senec. Polyb. 18, 3 multa providit Fortuna quibus hanc emendaret iniuriam, multa etiam nunc dabit quibus redimat. Plut. ad uxor. 611 B δεινόν ἐστιν ἑτέρους [939] μὲν ἡδέως ἂν ἑλέσθαι τὴν σὴν τύχην καὶ τούτου παρόντος ἐφ’ ᾧ νῦν ἀνιώμεθα, σὲ δ’ ἐγκαλεῖν καὶ δυσφορεῖν παρούσης καὶ μηδ’ ἀπ’ αὐτοῦ τοῦ δάκνοντος αἰσθάνεσθαι πηλίκας ἔχει τὰ σῳζόμενα χάριτας u. s. w. – 6) V. 393ff. ,Du hast ihn nicht sterben zu sehen brauchen‘. Dass dies üblicher Trost war, ergiebt sich aus dem Klagegrund Plut. Apoll. 117 B ἐάν (τις ἀποθάνῃ) ἐπὶ τῆς οἰκείας πατρίδος παρόντων τῶν γονέων, ὀδύρονται ὡς ἐξαρπασθέντος καὶ τὴν ἐν ὀφθαλμοῖς ὀδύνην αὐτοῖς ἀφέντος. – 7) V. 399ff. ,Du warst auf den Schlag durch Prodigien u. a. vorbereitet‘: quae multo ante praevisa sunt, languidius incurrunt Senec. Marc. 9, 2; illis gravis est (Fortuna) quibus est repentina u. s. w. Helv. 5, 3. – 8) V. 411ff. ,Der andere Sohn wird Dir bleiben und Freude machen‘, s. o. unter 5) und vgl. noch Senec. Polyb. 12, 1. Plut. Apoll. 118 B φροντίσαντες τῆς τῶν συμβιούντων ἡμῖν σωτηρίας; ad uxor. 611 B ἐννόει μᾶλλον ὡς ζηλουμένη διατελεῖς ἐπὶ τέκνοις καὶ οἴκῳ καὶ βίῳ. – 9) Wenig geschickt lässt nun der Dichter ein bereits v. 103 kurz angedeutetes Motiv folgen, das Statius wiederholt effectvoll, nur eben nicht inmitten der paramythetischen Gedanken verwertet. ,Du hast mit dem Toten sterben wollen und wider Deinen Willen haben Dich Augustus und Tiberius retten müssen‘. So will sich oft bei Statius der Leidtragende töten und wird nur mit Mühe von seinen Begleitern daran gehindert (Vollmer zu II 1, 25. V 1, 199 u. ö.). Hiernach begreift sich der Widerspruch zwischen unserer Stelle und dem was Senec. Marc. 3f. von der Standhaftigkeit der Livia beim Tode des Drusus erzählt. Da Marcia die Livia familiariter coluit (ad Marc. 4, 1), muss Senecas Bericht der zutreffende sein; dem Consolator war die Wahrheit entweder unbekannt oder sie schien ihm nicht rührend genug, in jedem Fall hat er für sie eingesetzt, was ihm die Rhetorenschule bot. – 10) V. 427ff. ,Lass das Weinen, es bringt den Toten doch nicht zurück‘. Natürlich wieder ein Satz aus dem eisernen Bestand der Consolationen, das alte οὐ γάρ τις πρῆξις πέλεται κρυεροῖο γόοιο, das z. B. bei Properz IV 11, 1ff. wiederklingt, dann Senec. Polyb. 2, 1. 4, 1; Marc. 6, 2 si nullis planetibus defunda revocantur . . . desinat dolor qui perit. Oxyrhynch. Papyr. I 115 ἀλλ’ ὅμως οὐδὲν δύναταί τις πρὸς τὰ τοιαῦτα· παρηγορεῖτε οὖν ἑαυτούς. Wenn als Beispiel nutzloser Klage Thetis genannt wird, so geschah auch das offenbar gewöhnlich in diesem Zusammenhang (ebenso wie Achilles stehend ist als Exemplum jung Verstorbener, Ps.-Dionys. p. 30, 10 Us. Ovid. am. III 9, 1. Dio Chrys. Melanc. B 12). Stαt. V 1, 35. Kaibel Epigr. 191, 5ff. μητρὶ λιπὼν βαρὺν πόνον. ἀλλὰ τί θαῦμα< καὶ Θέτις Αἰακίδην κλαῦσεν ἀποφθίμενον. Plaut. Truc. 730 wird, wer facta infecta verbis facere postulat, mit der klagenden Thetis verglichen. – 11) V. 445ff. Endlich wird der Schatten des Verstorbenen selbst heraufbeschworen, um die Mutter aufzurichten. Auch das ist nicht nur bei Statius häufig (Vollmer zu II 1, 226), sondern findet sich auch bei Senec. Marc. 26 (nur erscheint statt des beklagten Sohnes der Marcia ihr Vater); auch Plut. Apoll. 121 F ist im Sinne des verstorbenen Sohnes gesprochen und die Corneliaelegie reiht sich ebenfalls diesem Zusammenhange ein. – 12) Auch das einzelne, was der Dichter nun den [940] Toten sagen lässt, sind Schulreminiscenzen. ,Mein Leben war nur kurz, aber man muss die Thaten zählen, nicht die Jahre‘. Vgl. v. 285f. 339f. (wo das überlieferte viri natürlich zu halten ist, credent gehört ἀπὸ κοινοῦ zum Hexameter und zum Pentameter, s. etwa Vollmer zu silv. IV 4, 102). Senec. epist. 93, 2 longa est vita si plena est; ebd. 4 actu vitam metiamur, non tempore; Marc. 24, 1 incipe virtutibus illum, non annis numerare. Quintil. declam. IV 11 infirmae prorsus terrenaeqae mentis est ut numeretis annos, ego virtute consenui. Anthol. epigr. 1057, 12 mente senes, aevo sed periere [brev]i u. ö. Plut. Apoll. 111 B τὸ γὰρ καλὸν οὐκ ἐν μήκει χρόνου θετέον, ἀλλ’ ἐν ἀρετῇ. Ebd. D μέτρον γὰρ τοῦ βίου τὸ καλόν, οὐ τὸ τοῦ χρόνου μῆκος. Zum Ausdruck vgl. noch Vollmer zu silv. II 1, 38. – 13) V. 467f. Dann mahnt der Verstorbene die Mutter selbst, das Weinen zu lassen, ganz in Übereinstimmung mit der rhetorischen Vorschrift und dem Usus, s. Vollmer zu s. II 6, 93. Die Verse 469–474 schliessen mit einem Hinweis auf das, was der Livia geblieben (vgl. zu v. 411ff.), das Gedicht ab. Auch hier noch einmal eine der üblichen Wendungen 469: haec sentit Drusus, si quid modo sentit in umbra, das alte εἴ τις αἴσθησις ἐν Ἅιδου (Isokr. IX 2 u. s. w., vgl. Gercke a. O. 30ff.), das z. B. noch Octavia 13 si quis remanet sensus in umbris, Anthol. epigr. 1147 si quid Manes sapient (Bücheler p. 200 zu 428, 14) wiederklingt.

Es kann danach wohl gar kein Zweifel sein, dass der Consolator nicht mühselig gesammelte Lesefrüchte bietet, sondern aus der Fülle der antiken Consolationentechnik schöpft. Es gilt auch von der Form, was Bücheler (Philol. Kritik, Bonn 1878, 21) vom Stoff gesagt hat: ein paar Einzelheiten konnte der Humanist wohl aus seiner Lectüre schöpfen, alle in solcher Gesamtheit nicht. Aber aus welcher Zeit des Altertums stammt denn nun die Consolatio? Man glaubt heutzutage allgemein, sie nicht als das ansehen zu dürfen, wofür sie sich giebt, ein Gedicht, das der Livia kurz nach dem Trauerfall überreicht worden sei, wie man der Octavia carmina celebrandae Marcelli memoriae composita zu überreichen versucht hatte (Senec. Marc. 2, 5). Dazu wird man durch drei Gründe bestimmt: 1) v. 283ff. sollen sich auf die Weihung des Dioskurentempels durch Tiberius im J. 6 n. Chr. beziehen, 2) der Dichter soll nicht blos frühere Dichtungen Ovids, sondern auch die letzten einschliesslich der erst 13 n. Chr. veröffentlichten ersten drei Bücher ex Ponto nachgeahmt haben, 3) er soll von Senecas Consolationen abhängig sein. Wir werden eine richtige Schätzung dieser Argumente gewinnen müssen, ehe es möglich sein wird, den thatsächlich vorhandenen Anhaltspunkten für die Datierung des Gedichtes ihr Recht zu verschaffen. Was das erste angeht, so ist zuzugeben, dass man am Wortlaut der Verse 283ff. weder deuteln noch ändern darf; insbesondere ist v. 284 durch Ovid. fast. V 552 gegen jede Änderung geschützt. Und auch das steht fest, dass die Weihinschrift, die Tiberius im J. 6 n. Chr. am Castortempel anbringen liess, ausser seinem Namen auch den des toten Bruders nannte (Cass. Dio LV 27, vgl. Suet. Tib. 20), wie das z. B. auch auf der Inschrift CIL IX 2443 geschehen ist. Aber wenn die Quellen das als [941] etwas Besonderes hervorheben, so liegt das – eine Auffassung, die ich Wissowa verdanke (vgl. seine Analecta Romana topographica, Halle 1897, 16) – daran, dass der Neubau des J. 6 n. Chr. gar nicht mehr der von beiden Brüdern geplant gewesene ist. Der von Drusus wirklich bei seinen Lebzeiten mit Tiberius zusammen vovierte ist beim Brande des Forums zwei Jahre nach Drusus Tod zu Grunde gegangen. Und auf ihn lassen sich allein, wie mir scheinen will, die Worte des Dichters ohne Zwang beziehen; jedenfalls ist wenigstens die Möglichkeit solcher Beziehung schon hier zuzugeben. Wenn zweitens die Consolatio auch mit Tristien und ex Ponto mehrfach schlagende Ähnlichkeit aufweist, ganze Verse mit ihnen gemein hat (Wieding 21ff.; namentlich 120 = tr. I 3, 42. 362 II 426. 104 accusatque annos ut diuturna suos V 5, 24 consumatque annos sed diuturna suos. 385 = P. III 4, 108. 471 II 8, 48), so scheint es zunächst natürlich, den schwächern Dichter auch als den Nachahmer anzusehen, zumal er seinem Ausdruck durchweg mit Reminiscenzen aus grossen Vorgängern und insbesondere auch den älteren Werken Ovids aufhilft (vgl. Haupt 335f. Hübner 151ff.). So wird Benutzung Tibulls erwiesen allein schon durch das Distichon 281f. hunc Aurora diem spectacula tanta ferentem quam primum croceis rosida portet equis Tib. I 3, 93 hunc illum nobis Aurora nitentem Luciferum roseis candida portet equis; für Vergil s. cons. 133 Aen. I 253, für Properz (für den Hübner 160ff. die Sache sehr übertreibt) namentlich v. 330 IV 11, 102. v. 466 ebd. 60; den Ausdruck testis Isargus 386 wird man wohl aus Hor. carm. IV 4, 38 herleiten, sowie man bedenkt, dass es sich an beiden Stellen darum handelt quid debeat Roma Neronibus. Aber weit stärker als diese alle ist Ovid ausgebeutet, dermassen, dass die Consolatio vielfach fast den Eindruck eines ovidischen Cento macht 4 (Adler 6ff. Hübner 151ff.). Selbst wo der Consolator Stellen anderer Dichter benutzt, contaminiert er sie womöglich mit einer ovidischen, wie er z. B. die eben angeführte Tibullstelle offenbar unter dem Einfluss von am. II 11, 55 haec mihi quamprimum caelo nitidissimus alto Lucifer admisso tempora portet equo zugestutzt hat; auch Eigentümlichkeiten, wie die Bildung des fünften Pentameterfusses durch Hyperbaton von que (v. 20. 172. 286. 336. 466; ebso eleg. in; Maec. I 8. 94. II 12) und die Endung des Gerundivs (v. 32. 126. 188. 284. 370. 444. Maec. I 126) mögen vorzugsweise Ovid abgesehen sein. Bei solcher Abhängigkeit des Consolators, namentlich auch von Ovid, scheint es ja bedenklich, ihn andererseits wieder als Ovids Vorbild anzusehen. Man hat das Gewicht dieses allgemeinen Bedenkens noch dadurch zu verstärken gesucht, dass man finden wollte, die Verse, die die Consolatio mit den Tristien und ex Ponto gemeinsam hat, fügten sich bei Ovid glatter in den Zusammenhang. Aber diese Argumentation scheint mir – um ganz abzusehen von den Fällen, wo der Text der Consolatio nicht sicher steht (z. B. 362) – nicht zwingend: ,er wusste nicht was Perlen sind, drum nahm ich sie ihm weg – so sprach der Dieb‘. Man sagt nun freilich, Ovid citiere sonst ganze Verse anderer Dichter nur gewissermassen in Gänsefüsschen. [942] Das wird aber nicht blos durch eine Bemerkung, wie die des Vaters Seneca controv. II 2, 8 unwahrscheinlich, sondern direct widerlegt durch Ovids Verhältnis zu Lygdamus. Denn dass er den Lygdamus ausgeschrieben hat, nicht umgekehrt, muss (gegen Marx o. Bd. I S. 1325f.) annehmen, wer sich nicht in unlösbare chronologische Schwierigkeiten verstricken will. Einmal ertappen wir sogar, glaube ich, den Plagiator noch auf der That. In den oben zum erstenmal verglichenen Versen cons. 104 trist. V 5. 24 ist beim Consolator alles glatt, insbesondere das ut tadellos. Wenn nun an sich unwahrscheinlich ist, dass durch Veränderung dieser einen Silbe der ovidischen Wendung ein so durchaus sinngemässer Ausdruck zu stande gekommen ist, so kommt hinzu, dass bei Ovid gerade das sed gar nicht wohl passt, ja das sed diuturna geradezu im Widerspruch steht mit suos (die ihr gehörigen, zugemessenen Jahre). Irre ich hierin nicht, so macht dies eine Moment schon die Wagschale zu Gunsten der Priorität der Consolatio sinken. Ein weiteres wird im folgenden noch hinzukommen. Wenn dann drittens der Consolator sich von Seneca abhängig zeigen soll, so wird es darüber jetzt nicht mehr viel Worte brauchen; was die beiden miteinander gemein haben, stammt vielmehr, wie oben gezeigt, aus der gemeinsamen Quelle der philosophisch-rhetorischen Tradition. Gewiss war es ein höchst unglücklicher Gedanke, die im ganzen wohlgeordneten straffen Gedankenreihen Senecas aus dem oft vagen und klarer Disposition entbehrenden Gedichte herleiten zu wollen. Aber auch die umgekehrte Ansicht kann nicht richtig sein; denn so wenig alle consolatorischen Argumente Senecas in der Consolatio stehen (Gercke a. O. 54, 1), so wenig die der Consolatio alle bei Seneca (s. die obigen Zusammenstellungen). Eine wörtliche Übereinstimmung hat man nur zwischen Ov. 361ff. und Senec. Polyb. 1, 2 angemerkt: ,das All wird zusammenbrechen, i nunc et rebus tanta impendente ruina in te solam oculos et tua damna refer‘ und hoc universum dies aliquis dissipabit: eat nunc aliquis et singulas comploret animas. Ich stehe nicht an, sie für nicht beweisend zu erklären. Der Ausdruck i nunc ist so geläufig (s. Jahn zu Pers. IV 19 und zuletzt E. B. Lease Amer. Journ. of Philol. XIX 59ff.), dass er in diesem Zusammenhang beiden Schriftstellern ganz unwillkürlich kommen konnte, zumal er dem Consolator aus dem von ihm viel geplünderten Ovid her in den Ohren liegen musste (Hübner 179f.) und Seneca ihn auch sonst öfter verwendet, so a. a. O. noch ein zweitesmal, dann z. B. Helv. 6, 8. 10, 10; de brev. vitae 12, 8; qu. nat. I 16; ep. 88, 38. Umsomehr ist natürlich die o. S. 938 unter 3) angeführte Übereinstimmung des Ausdrucks nur durch die Gemeinsamkeit des Gedankens gegeben. Nicht besser geglückt als diese Bestimmung eines Terminus post quem für die Consolatio sind die letzten Versuche, einen Terminus ante quem zu gewinnen. Wenn Beziehungen zwischen dem Consolator und Lucan (Hosius Rhein. Mus. XLVIII 396; besonders 185f. I 260), Statius (s. o. zu v. 7 und Wieding 54f.), dem Sapphobrief (besonders 106 154. 204 54), vielleicht auch Martial vorliegen, so sind diese alle derart, dass erst auf Grund anderweitiger chronologischer [943] Bestimmung der Consolatio ausgemacht werden kann, wer hier der Nachahmer ist; Mart. XII 3, 16 ist freilich ungeschickter als 232 (Wieding 56), aber Martial ahmt hier nicht die Consolatio nach, sondern etwa Ovid tr. I 1, 28.

Auch was sonst noch über die Form der Consolatio zu sagen wäre, lässt (abgesehen etwa von der durchgehenden Erhaltung des auslautenden langen ō: ambō 452, erō 467) einen ziemlich grossen Spielraum frei, spricht aber jedenfalls auch nicht mit Entschiedenheit gegen das J. 9. v. Chr. Cinīs 163 ist entweder durch die Kraft der Arsis entschuldigt oder, wie mir wahrscheinlicher, Analogiebildung nach sanguīs wie doch wohl auch ignīs bei Hor. od. I 15, 36 und vielleicht pulvīs bei Verg. Aen. I 478. Elisionen sind auffallend häufig, etwa wie bei Vergil, viel reichlicher als in Ovids Distichen, aber die von Haupt beanstandete Härte deae inmitis v. 375 hat selbst bei letzterem (met. VIII 810 viro inspirat) eine Parallele. Was die Caesuren im Hexameter angeht, so haben 88% der Verse die männliche im dritten Fuss; der Rest zeigt die weibliche im selben Fuss regelmässig von beiden männlichen Nebencaesuren begleitet (Ausnahmen nur 307, 35 und 449; 379 wohl verderbt). Die Pentameter schliessen durchaus auf iambische Worte, zu denen natürlich wie bei Ovid ubi’s 122. 124, ope’s 426 zählt (Pannonii 390 ist durch den Eigennamen entschuldigt), d. h. sie sind so streng behandelt wie bei Ovid in den vorexilischen Dichtungen. Sprachlich ist für die augusteische Zeit auffallend functus 393 (übrigens nicht einstimmig überliefert) im Sinn von ,verstorben‘ ohne weiteren Beisatz, was sonst vor Senec. Med. 999; Thy. 749. Anthol. epigr. 1057, 9 nicht vorzukommen scheint; doch ist eine solche Einzelheit natürlich belanglos, wenn ihr gewichtigere Argumente widersprechen.

Solche sind vorhanden im Sachlichen. Der Verfasser giebt an (v. 202), eques zu sein und als solcher dem Begräbnis des Drusus beigewohnt zu haben. Diese schlichte Nachricht sieht nicht nach Fiction aus; wer sich für Ovid ausgeben wollte, hätte das wahrhaftig deutlicher thun müssen. Die laudatio des Augustus auf Drusus hat der Consolator gekannt; die Worte v. 211f. Tu (Augustus) letum optasti par tibi, die an die Erwähnung der Leichenrede anschliessen, entsprechen einer thatsächlichen Äusserung des Augustus in der laudatio: deos precatus est, sibi tam honestum quandoque exitum darent quam illi dedissent, Suet. Claud. 1. Von Toten aus dem augusteischen Hause werden 67ff. nur Agrippa, Marcellus, Octavia, nicht die nach 9 v. Chr. gestorbenen Angehörigen erwähnt. Von mehr Bedeutung ist anderes. Ein so specielles Interesse an einer Person des iulisch-claudischen Hauses wie Livia oder Drusus setzt wohl voraus, dass dies Haus noch existiert; ja meines Erachtens ist sogar Hirschfelds Frage durchaus berechtigt, ob nach der Regierung des Sohnes des Drusus noch jemand auf den Gedanken habe kommen können, einen solchen Stoff dichterisch zu verwerten (a. a. O. 1151f.). Den Ausschlag zu geben scheint mir endlich v. 245f., auf dessen Bedeutung merkwürdigerweise bisher nur Lindenbrog aufmerksam geworden war (s. die oben genannte Amsterdamer Ausgabe zur St.). Mars spricht: ,dem Orcus ist [944] entgangen Romulus auf meinen Wunsch, mox Veneri Caesar promissus uterque; hos debet solos Martia Roma deos‘. Unter wie vielen Kaisern hat man wohl in Rom so sprechen können – selbst wenn man fingierte, im J. 9 v. Chr. geschrieben zu haben? Tiberius freilich hat sich 25 n. Chr., als ihm Hispania ulterior göttliche Ehren antrug, so ausgesprochen wie Mars: effigie numinum sacrari ambitiosum, superbum; et vanescet Augusti honor, si promiscuis adulationibus vulgatur (Tac. ann. IV 37, vgl. Mommsen St.-R. II³ 758, 1). Aber schon unter Gaius und Claudius ist die Wendung der Consolatio kaum mehr denkbar. Denn wenn auch weder Tiberius noch Gaius consecriert worden sind, so hat doch letzterer schon bei Lebzeiten göttliche Verehrung verlangt (Suet. Calig. 22), und sowohl unter seiner wie unter Claudius Regierung ist die Consecration anderer Mitglieder des Kaiserhauses erfolgt (vgl. O. Hirschfeld S.-Ber. Akad. Berl. 1888, 842ff.). Dabei ist noch in Betracht zu ziehen, dass im Dichterstile ja nicht blos jeder consecrierte Kaiser, sondern überhaupt jeder Kaiser ein Gott ist. Sonach ist – zumal man schon aus prosodischen Gründen (s. o.) schwerlich über die neronische Zeit wird hinausgehen wollen – durchaus wahrscheinlich, dass die Consolatio entweder unter Augustus oder unter Tiberius geschrieben ist. Entschliesst man sich aber erst einmal, nicht weiter hinunterzugehen, so ist es das Natürliche, die Consolatio auch zu Lebzeiten der Livia († 29) anzusetzen. Und nicht nur am Leben, sondern, wenn es sich um die Regierungszeit des Tiberius handelt, auch noch auf gutem Fuss mit dem Herrscher (schon wegen v. 416. 471f. u. dgl.) wird man sich die Frau denken wollen, der in dieser Weise Interesse und Huldigung dargebracht wird. So präsentiert sich das Verhältnis zwischen Tiberius und Livia nach aussen hin noch im J. 22 (Tac. ann. III 64); bald wurde seine Lockerung auch der Öffentlichkeit kenntlich. Aber nicht einmal bei diesem Terminus ante quem kann man sich beruhigen. An sich wäre ja denkbar, dass der Livia das Gedicht auf den Sohn lange nach dessen Tode überreicht worden ist; wir wissen, dass sie non desiit Drusi sui celebrare nomen, ubique illum sibi privatim publiceque repraesentare, libentissime de illo loqui, de illo audire (Senec. Marc. 3, 2). Aber nicht nur geschmack-, sondern sinnlos wäre in einem ihr nach dem Tode des Gatten überreichten Gedicht die Schlusswendung: est coniunx tutela hominum quo sospite vestram, Livia, funestam dedecet esse domum. Ist sie also wirklich die Empfängerin des Gedichtes, dann hat auch Augustus noch gelebt, als sie es empfing, und damit schwindet nun völlig die Möglichkeit, Ovids Briefe ex Ponto als Vorbild des Consolators anzusehen. Denn wären sie das, so datierte sich die Consolatio zwischen 13 und 14 n. Chr. – ein Ergebnis, das schon wegen seiner Genauigkeit nicht richtig sein kann.

Bei Lebzeiten des Augustus, vor Ovids ex Ponto – so ist denn wohl alle Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Consolatio, da sonst nichts dagegen spricht, wirklich 9 v. Chr. geschrieben ist. Dass wir uns mit der blossen Wahrscheinlichkeit nicht zu begnügen brauchen, verdanken wir den zwei Elegien auf Maecenas, die zuerst Scaliger demselben [945] Verfasser zugeschrieben hat, wie unsere Consolatio. Diese beiden Gedichte sind überliefert in solchen Hss. der kleineren ,vergilischen‘ Gedichte, die Culex Dirae Copa Moretum enthalten, so besonders einem Bruxellensis s. XII, dann mehreren Münchener und einer Pariser aus saec. XI (Ribbeck Vergil. IV p. 24ff. Baehrens PLM I 124ff.), so dass die Notiz in zwei Hss. des 15. Jhdts., Enoch von Ascoli habe die Elegien in Dacia gefunden (Ty. Mommsen Rh. Mus. VI 626), für die Überlieferungsgeschichte kein weiteres Interesse hat. Die erste der Elegien beklagt in 72 Distichen das Hinscheiden des Maecenas und sucht ihn gegen Vorwürfe in Schutz zu nehmen; die zweite, zuerst von Scaliger abgetrennt (die Hss. geben beide als ein Stück mit dem Titel Maecenas oder Vergilii Maecenas), enthält in 17 Distichen Worte des sterbenden Maecenas. Die Beziehungen dieser Elegien zur Consolatio hat nach Scaligers Vorgang Haupt 347f. dargelegt: Caesaris illud opus von Drusus cons. 39. eleg. II 6; illa rapit iuvenes von Charons Kahn cons. 372. eleg. I 7; cons. 47f. eleg. I 15f. (s. o.); besonders wichtig ist eleg. I 1f. defleram iuvenis tristi modo carmine fata, sunt etiam merito carmina danda seni. Denn Maecenas starb ein Jahr nach Drusus (Vahlen Herm. XXXIII 245); dass aber letzterer wirklich unter dem iuvenis gemeint ist, ergiebt die sichere Verbesserung von II 3: Maecenas klagt mene . . . iuvenis primaevi ante Drusi (bruti die Hss.) angustam non cecidisse diem. Auch die Elegien bis in die Renaissance hinab zu drücken, geht wegen des Alters ihrer Handschriften nicht an; wer also nicht zu einer abenteuerlichen Hypothese wie Haupt seine Zuflucht nehmen will, muss schon aus diesem Grunde auch die Consolatio als antik anerkennen. Aber die angebliche Senecanachahmung hat auch hier gespukt und als eine innerliche Berechtigung dafür gelten müssen, wenn man wenigstens innerhalb des Altertums die Elegien so weit herunter datierte wie die Consolatio, also ins 2. oder 3. Jhdt.; in derselben Rhetorenschule wie das Trostgedicht sollte auch der Maecenas gefertigt sein (Hübner 243). Die Abhängigkeit von Seneca ist indessen hier wenn möglich mit noch geringerem Recht als dort behauptet worden. Nach Haupt ist nämlich die erste Elegie eine Verteidigung des Maecenas gegen Senecas 114. Brief (§ 4ff.). Aber den einzigen Vorwurf, gegen den der Dichter Maecenas in Schutz nimmt, die tunicae solutae (I 21. 25f.), brauchte er wahrhaftig nicht erst beim Seneca zu lesen, er war ja so gut wie sprichwörtlich (Friedländer zu Iuven. XII 39; auch den Maltinus bei Hor. sat. I 2, 25 bezog ja ein Teil der alten Erklärer auf Maecenas). Aber mehr: der Dichter braucht den Seneca nicht blos nicht gelesen zu haben, er hat ihn nicht gelesen. Selbst wenn richtig sein sollte, was die Hss. I 21 geben quod discinctus eras, animo quoque, carpitur unum (Bücheler überzeugend animo, quod carpitur unum), der Dichter verteidigt den Maecen jedenfalls nur gegen den Tadel der Kleidung, während der doch wie ein Lob aussieht gegen das, was Seneca sonst dem Maecen vorrückt; sollte dieser gerade gegen den 114. Brief in Schutz genommen werden, so durfte doch wohl unbedingt nicht totgeschwiegen werden, was dort gleich nach den tunicae solutae zu lesen [946] steht: hunc esse cui . . . comitatus hic fuerit in publico, duo spadones, magis tamen viri quam ipse; hunc esse qui uxorem miliens duxerit cum unam habuerit.

Form und Inhalt der Elegien weisen denn auch übereinstimmend daraufhin, dass Hübners Datierung unmöglich und selbst Seneca als Terminus post quem schwerlich denkbar ist. Die metrische Technik der Elegien zunächst stimmt im ganzen vortrefflich zur Consolatio und mithin zur augusteischen Zeit. Auch hier ist auslautendes langes ō durchweg erhalten und zwar in noch mehr Fällen als in der Consolatio (L. Müller a. O. 35f.). Der Gebrauch der Caesuren entspricht in der ersten Elegie genau dem für die Consolatio oben nachgewiesenen, in der zweiten ist die männliche im dritten Fuss etwas häufiger. Auch die Pentameterbildung ist völlig dieselbe, nur iambische Worte am Schluss (als solches gilt natürlich auch sat est II 12). Die einzige Verschiedenheit zwischen Consolatio und Elegien betrifft die Elisionen. Die Elegien sind viel strenger, sie haben in ihren 178 Versen nur ein Dutzend Elisionen, nur zwei davon im vierten Fuss des Pentameters, alle übrigen im ersten Fuss; nur zweimal wird kurzer Vocal + m elidiert, sonst blos ǎ und ě. Der Zahl nach sind es kaum weniger Elisionen als in Ovids Distichen, aber Ovid ist nicht so ängstlich hinsichtlich der Stelle der Elision. Immerhin ist zwischen der Strenge der Elegien und etwa der des Calpurnius (o. Bd. III S. 1402) noch ein erheblicher Unterschied, die Entwicklung eines Dichters von der Freiheit der Consolatio zur Behutsamkeit der Elegien für die augusteische Zeit also wohl denkbar. Properz, Ovid u. s. w. sind in den Elegien ähnlich ausgenutzt wie in der Consolatio (s. z. B. I 37f. Prop. III 2, 23f. – Ovid. a. a. I 292 und Baehrens PLM I 123).

Deutlicher noch zeigt der Inhalt, wie nahe der Dichter den geschilderten Ereignissen gestanden hat. Jemand, der in der Rhetorenschule später Zeit den Maecenas hätte feiern wollen, würde in erster Reihe das hervorgehoben haben, wovon die Elegien kein Wort sagen, nämlich was er für die grossen Dichter seines Zeitalters gewesen ist. Überhaupt aber findet sich Rhetorisches, Declamatorisches auffallend wenig in beiden Elegien. Viel mythologische Gelehrsamkeit, namentlich wo sich’s darum handelt, zu zeigen, dass man sich nach grossen Thaten Bequemlichkeiten verstatten darf (I 49ff.), im übrigen schlichte Sachlichkeit, wo von des Maecenas Abstammung, seinen Kriegsthaten, seiner cura urbis, seinen geistigen Interessen die Rede ist (I 13ff. 27ff. 31ff. 41ff.), ebenso erfreuliche Einfachheit in seinen Abschiedsworten und auffallende Zartheit, wo er (II 7) des unglücklichen Verhältnisses zur Terentia (Gardthausen Augustus I 776f.) gedenkt. Die Hervorhebung all dieser Dinge, an denen eine spätere Zeit doch wahrlich kein grosses Interesse mehr haben, die sie sich, namentlich was das Verhältnis zur Terentia angeht, schwerlich noch so lebendig machen konnte, scheint dafür zu sprechen, dass der Dichter mit der geschilderten Person auf directerem Wege als durch Seneca und sonstige Lectüre bekannt war. Dafür giebt auch die erste Elegie noch einen ganz bestimmten Fingerzeig: ich bin [947] nicht mit Maecenas selbst in Verkehr gewesen, sagt der Dichter v. 9, Lollius hoc ergo conciliavit opus, d. h. Lollius hat mich veranlasst, dies Gedicht zu schreiben. Hier schliesst die nüchterne Sachlichkeit dieser Mitteilung, das Fehlen jedes weitern Beisatzes bei dem Namen Lollius den Gedanken rhetorischer Erfindung aus. Wir können in solchem Zusammenhang nur an einen Lollius denken, und andererseits ist der doch nach der augusteischen oder wenigstens der frühesten Kaiserzeit gewiss nicht mehr so bekannt gewesen, dass ein später Rhetor ihn hier so richtig hätte einführen oder gar glauben können, ihn für seine Hörer oder Leser mit dem blossen Namen Lollius genügend zu bezeichnen. Es ist das M. Lollius, Consul 20, gest. 1 v. Chr., der Augustus Vertrauen in höchstem Masse genoss und also jedenfalls auch wohl zu Maecenas in Beziehungen gestanden haben wird (vgl. Kiessling zu Hor. carm. IV 9. Prosopogr. II 295 nr. 226). Noch weniger waren natürlich späterhin andere Lollier der frühen Kaiserzeit bekannt, der jüngere, an den Horaz epist. I 2 und 18 richtet (Prosopogr. II 295f. nr. 232), oder der Verfasser griechischer Epigramme auf den Tod des Germanicus (Anth. Pal. VII 391); bei beiden haben wir zudem keine Spur davon, dass sie jemals dem Maecenas irgendwie nahe getreten sind.

Es muss also wohl bei M. Lollius bleiben. Dann ist aber nicht nur, wie gesagt, klar, dass die Elegien nicht gar lange nach dem geschilderten Ereignis anzusetzen sind, sondern auch, dass die Consolatio nicht erst nach 13 n. Chr. geschrieben sein kann. Denn in diesem Fall müsste, da sie den Elegien vorausgegangen ist, die Anregung durch Lollius wenigstens vierzehn Jahre im Dichter geschlummert haben – eine Unwahrscheinlichkeit, die sich selbst richtet.