Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Geograph. Begriff im Zshg. mit d. Volksstamm d. Chaldaioi
Band III,2 (1899) S. 20432044
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Chaldaia (Χαλδαῖα, regelmässig ohne, aber z. B. Ptol. V 20, 3. Steph. Byz. s. Χαλδαῖoi auch mit χώρα, seltener ἡ Χαλδαϊκή) [z. B. Phil. de migr. Abrah. 32. Steph. Byz. u. Hesych. s. v.] oder im Anschluss an semitische Ausdrucksweise [ἡ] γῆ Χαλδαίων [z. B. Phil. quis rer. div. her. 20; de Abrah. 14. 15. Act. apost. 7, 4. Suid. s. Ἀβραάμ], Chaldaea, assyrisch māt Kaldi, hebraeisch ereṣ Kasdīm, kassitisch vielleicht kārdunjasch [vgl. Artikel Babylonia Bd. II S. 2709] d. h. Land der Chaldaioi) ist ein geographischer Begriff, der naturgemäss mit dem Vordringen des semitischen Volksstammes der Chaldaioi von Süden nach Norden an Umfang immer mehr zunehmen musste. Ursprünglich konnte als Land der Chaldaioi nur ein schmaler Küstensaum am Nordwestrande des persischen Meerbusens bezeichnet werden. Bei dem unaufhaltsamen Vorwärtsdrängen der hier heimischen Nomaden wurde der Name bald für die seit alters herrschende semitische Bevölkerung Babyloniens eine Bezeichnung des ganzen Südens und Südwestens [2044] ihres Landes, für die Assyrier im weiteren Verlaufe eine solche für Gesamtbabylonien, das Tiefland des Euphrat und Tigris von Hit und Samara nach Süden. In dieser letzten Bedeutung ist er zu den Bevölkerungen Syriens und Kleinasiens und von hier zu den Griechen und durch deren Vermittlung zu den Römern übergegangen. Ch. ist somit der geographischen Wissenschaft der beiden klassischen Völker von Hause aus Synonym zu Babylonia und wird als solches bis in späte Zeit gebraucht, so von Plin. V 90. Steph. Byz. s. v. Ja, indem der alte Gegensatz zwischen Norden und Süden des mesopotamischen Zweistromlandes den Griechen und Römern nicht genügend zum Bewusstein kam, konnte man so weit gehen, selbst Assyrien unter dem Namen Ch. mit zu begreifen. So setzt Etym. M. 157, 52 Χαλδαῖα, Hesych. s. v. ἡ Χαλδαϊκή ausdrücklich gleich Ἀσσυρία, und die nämliche Anschauung liegt zu Grunde, wenn bei Athen. XII 529f. 530 b Χαλδαϊκά und Ἀσσύρια γράμματα als das nämliche erscheinen. Doch spricht Winckler Untersuchungen zur altorientalischen Geschichte (Leipzig 1889) 64 mit Unrecht den Griechen und Römern jede Einsicht in die ursprüngliche Verschiedenheit der Begriffe Ch. und Babylonia ab. Die bessere Erkenntnis der mit den ethnographischen Verhältnissen des Ostens durch unmittelbare Berührung vertrauten hellenistischen Zeit hat den älteren Sprachgebrauch nicht selten modificiert und corrigiert. So ist nun den Geographen Ch. bald eine einzelne Landschaft von Babylonia (z. B. Strab. XVI 739. Ptol. V 20), bald ein von Babylonia zu unterscheidendes Gebiet im äussersten Süden Mesopotamiens (z. B. Strab. a. a. O. Oros. I 2, 20f. Iul. Honor. 5f.). Ausserhalb der specifisch geographischen Litteratur wird allerdings diese geschichtlich richtigere Anschauung niemals die herrschende gewesen sein. Dass sie aber auch hier – und zwar nicht vereinzelt – bekannt war, lehrt das Zeugnis einer so späten Quelle wie Ammian. Marc. XXIII 6, der Ch. ausdrücklich nur als eine Nachbarlandschaft des Gebietes um Babylon bezeichnet (hic prope est Chaldaeorum regio). Über die von Ch. ausgegangene Völkerbewegung und ihre wechselvolle Geschichte s. den Artikel Chaldaioi Nr. 1.