Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Eine am Hals getragene Kapsel
Band III,1 (1897) S. 10481051
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2) Eine am Hals getragene lederne oder metallene, bei Wohlhabenden goldene, in der Regel linsenförmige (φακοειδής Plut. qu. rom. 101) Kapsel, genannt nach der Ähnlichkeit mit einer Wasserblase. Man trug in ihr Amulete (praebia) zur Abwehr des Zaubers, Macrob. sat. I 6, 9; vgl. Varro de l. l. VII 108. Plin. n. h. XXVIII 39; auch das Gold selbst galt als zauberabwehrend, Plin. n. h. XXXIII 84. Jahn Sächs. Ber. 1855, 43. Die Sitte stammt aus Etrurien, wo die B. zur Königstracht gehörte (Fest. 322 b 1. Plut. Rom. 25), aber auch sonst, wie die Bildwerke und Gräberfunde (s. weiter unten) beweisen, wenigstens von den Vornehmen, Männern, Frauen und Kindern, allgemein getragen wurde, Bull. d. Inst. 1860, 186 (Aschenurnen von Volterra). Jahn Ficor. Cista 18. Daremberg et Saglio Dict. I 754. Als Etruscum aurum bezeichnet die B. Iuven. 5, 164, und von den Erzählungen über den Ursprung der Sitte führen zwei sie auf Tarquinius Priscus zurück, Plin. n. h. XXXIII 10. Plut. qu. rom. 101. Macrob. I 6, 8. 11. Als etruskischer Schmuck ist wohl auch die B. der Laren (Petron. 60. Mon. d. Inst. VI 13. Jordan Ann. XXXIV 1862, 312 F) zu erklären, nicht mit Jordan a. O. 338 aus der Sitte, ihnen die abgelegte B. zu weihen. B. als Attribut einer Muse Ann. d. Inst. XXX 1858, 332. XXXIV 1862, 130, 1. Clarac II 123, 52. Müller-Wieseler II 14, 152.

Als Teil der alten Königstracht wurde die goldene B. in Rom vom Triumphator getragen (Macrob. 16, 9). Namentlich aber gehörte sie zur Tracht anfangs der vornehmen, später aller freien Kinder, bei Knaben bis zur Anlegung der Toga virilis; dann wurde sie den Laren geweiht, Pers. V 31. Dass sie auch von Mädchen getragen wurde, darf aus Plaut. Rud. 1171 vermutet werden; denn wenn auch die Stelle aus dem griechischen Original stammt, so würde doch in der Übersetzung wohl ein anderes Wort gewählt worden sein, wenn die B. der Mädchentracht fremd gewesen wäre; sie werden dieselbe bis zur Verheiratung getragen haben.

[1049] Die goldene B. wurde anfangs nur von den Kindern patricischer, später senatorischer Familien (Macrob. I 6, 11), schon früh aber (nach Plin. n. h. XXXIII 10 von Anfang an) auch von Ritterkindern, und weiter von denen aller Freigeborenen, ingenui, getragen. Der Zeitpunkt dieser Ausdehnung des Gebrauchs ist nicht überliefert. Wenn aber (nach M. Laelius bei Macrob. I 6, 13; vgl. Liv. XXII 1, 17) im J. 217 v. Chr. infolge einer Feier, zu der auch Freigelassene beitrugen, deren Kindern die Toga praetexta und lorum in collo pro bullae decore gestattet wird, so war wenigstens die Meinung des Laelius, wie aus eben diesen Worten hervorgeht, dass damals die Söhne aller Freigeborenen die goldene B. zu tragen berechtigt waren. Sicher ist dies für die letzte Zeit der Republik; bei Cic. Verr. I 152 hat sie ein Knabe de plebe Romana gehabt. Aber auch den Söhnen der Freigelassenen ist bald der Gebrauch der Praetexta und der goldenen B. entweder gestattet oder von ihnen usurpiert worden; sie heissen insignia, ornamenta ingenuitatis, Val. Max. V 6, 8. Cic. Verr. I 113; ingenuus aber ist seit etwa 189 v. Chr. (Mommsen St.-R. III 73. 437) jeder Freigeborene; vgl. auch Suet. de rhet. 1, wo die Bekleidung mit Praetexta und (doch wohl goldener) B. der Freilassung gleichgesetzt wird. Wenn noch später (Iuv. 5, 164. Stat. silv. V 3, 120) die goldene B. im Gegensatz zum lorum als Zeichen besseren Standes erscheint, so bezieht sich dies nur auf den Gegensatz zwischen Reichen und Armen, Schol. Iuv. a. O.: antiquitus nobilium pueri bullas aureas habebant, pauperum de loris, signum libertatis.

Die zum Tragen der goldenen B. nicht berechtigten freigeborenen Kinder, später die, welche aus Armut von diesem Recht keinen Gebrauch machten, trugen einen Riemen um den Hals, in dem ein Knoten, der wohl auch ein Amulet enthalten mochte, die B. andeutete, Macrob. I 6, 14. Iuv. 5, 165. Eine lederne B. erwähnt Schol. Iuv. a. O. und Ps.-Ascon. Cic Verr. p. 199 Or.: bulla suspendi in collo infantibus ingenuis solet aurea, libertinis scortea, was wörtlich verstanden besagt, dass (nachdem das Recht der goldenen B. auf alle Freigeborenen ausgedehnt war) die als Kinder Freigelassenen eine lederne B. trugen. Möglich ist dieses; vgl. Schol. Iuv. a. O. signum libertatis. Es ist aber auch möglich, dass es sich hier nur um eine ungenaue Wiedergabe der auf ältere Zeit bezüglichen Angabe des Laelius handelt. Dass aber in der That auch lederne B. in Gebrauch waren, darf geschlossen werden aus der deutlichen Nachahmung derselben in Bronze, Nassauische Ann. III 3, 1844 Taf. 5, 4; ja auch die häufigste und offenbar dem Herkommen am meisten entsprechende Form der goldenen B. ist vielleicht nur eine Nachahmung einer ledernen B. (s. weiter unten).

Über die Berechtigung zum Tragen der B. handelt ausführlich M. Voigt Sächs. Ber. XXX 1878, 186, 128. 129, aber auf Grund einer irrtümlichen Definition der libertini und der Ingenuität; s. hierüber Mommsen St.-R. III 422, 2.

In Etrurien finden sich bronzene B. schon in Gräbern aus der Zeit der geometrischen Decoration, 7. Jhdt. v. Chr.; zwar nicht in der später gewöhnlichen Form, aber doch wesentlich gleichartig [1050] und ganz nach Art der späteren B. am Halsband getragen. Hierher sind auch zu rechnen ornamentierte runde Bronzescheiben, die ganz in derselben Weise getragen wurden. Bullenförmige Scheiben, an einem Draht aufgereiht, dienten als Armband, Mon. d. Inst. X 23 a 1. 6, dazu Helbig Ann. XLVII 1875, 222. Bull. d. Inst. 1874, 56, 4. Goldene B. aus etruskischen Gräbern späterer Zeit (3.-2. Jhdt. v. Chr.), zum Teil mit figürlichem Reliefschmuck, besitzt das etruskische Museum des Vatican, Mus. Greg. I 78 (123), 2. 3. 81 (126), 1. Reisch bei Helbig Führer II 356. 357. 358. Eine andere, aus Vulci, auch mit figürlicher Darstellung, in Paris im Cab. des médailles, Chabouillet Catal. 2551. Auch in dieser späteren Zeit wird das Motiv der B. ornamental verwendet, indem aus aufgereihten B. Halsbänder gebildet werden. Ein schönes Beispiel aus Tarquinii, Mon. d. Inst. VI 46 b; dazu Brunn Ann. XXXII 1860, 474.

Goldene B. aus römischer Kaiserzeit sind nicht selten in Aschenurnen von Kindern gefunden worden. Ihrer zwei besitzt das Museum in Neapel (eine, aus Pompeii, abgeb. Mus. Borb. II 14), eine aus der Sammlung Hamilton, also aus Italien stammende, das Brit. Museum (abgeb. Arch. Journ. VI 1849, 118). Zwei sind in London in Privatbesitz, beide aus römischen Gräbern, die eine von der Via Praenestina (Ficoroni Bolla d’oro 6, wo Abbildung. Arch. Journ. VIII 166), die andere von der Via Appia (Abbild. Arch. Journ. VIII 166). Diese letztere hat am Henkel die Inschrift HOST· HOS; d. i. Hostus Hostilius, der Name des Knaben, der nach Macrob. VI 6, 16 zuerst von Romulus die goldene B. erhielt. Dagegen hat eine in Rom im Besitz der Familie Chigi befindliche B. an derselben Stelle den Namen des Besitzers CATVLVS. Eine aus Pompeii stammende B. besitzt das germ.-röm. Centralmuseum in Mainz (Hattemer Aus d. Leben d. Kinder in Hellas u. Rom, Progr. Mainz 1865, 9), eine in einer Aschenurne bei Kreuznach mit einer Bronzelampe und Münzen Vespasians gefundene das Museum in Wiesbaden, Habel Nassau. Ann. III 3, 179 Taf. 5. Eine in Adria in Privatbesitz befindliche, aus dem Grabe eines Kriegers bei Adria, ist mit Haaren gefüllt, Heydemann Mitt. aus d. Antikensamml. in Ober- und Mittelital. 27. Ein Streifen Goldblech, vermutlich der Henkel einer B., wurde mit einer Münze Hadrians in England in der Aschenurne eines zwei- bis dreijährigen Knaben gefunden, Arch. Journ. VI 1849, 112. Zwei weitere, aus Arles und aus Portugal, letztere mit einem geschnittenen Stein verziert, beide in Aschenurnen gefunden, erwähnt R. Rochette 3e mém. sur les catacombes 101 (629).

Diese B. sind wesentlich gleicher Gestalt. Zwei convexe, runde, glatte Platten bilden, zusammengesetzt, eine Linse von 4–6 cm. Durchmesser; an dem Wiesbadener Exemplar umzieht ein schnurartiger Streif die Peripherie. Ein breiter ornamentierter Goldblechstreifen ist zusammengebogen, als Henkel zum Durchziehen der Schnur, mit jedem Ende an einer der Platten mit Nägeln befestigt. Sie sind grösstenteils aus so dünnem Blech gearbeitet, dass sie zu wirklichem Gebrauch nicht gedient haben können, sondern offenbar eigens zum Zweck der Beigabe zur Bestattung [1051] gemacht sind. Die drei in England befindlichen und die in Wiesbaden wiegen nur 18–22 g., dagegen die Chigische etwa 50 g.; diese wird also wohl wirklich getragen worden sein. Es ist wenig wahrscheinlich, dass diese Form für Metall erfunden sein sollte. Die Zusammenfügung aus zwei runden Scheiben, die Ornamentlosigkeit eben dieser Scheiben im Gegensatz zum Henkel, der schnurartige Streif an der Peripherie, alles dies macht den Eindruck einer Metallnachahmung einer Lederbulle. So auch sehr entschieden die B. des Halsbandes Mon. d. Inst. VI 46 b; hier und im Mus. Greg, ist auch die Schnur an der Peripherie.

Doch ist dies nicht die einzige erhaltene Form. Eine kleinere und einfachere goldene B. aus England Arch. Journ. VIII 1851, 168; ebenda eine halbmondförmige. Auch bronzene und silberne B. werden gefunden, Ficoroni Bolla d’oro 4. R. Rochette 3e mém. 630 (102). Nassau. Ann. III 3, 186, meistens rund und den Goldbullen ähnlich; bemerkenswert ist eine in Form eines Beutels mit vier Eckzipfeln, offenbar Nachahmung einer Leder-B. Ohne Zweifel sind dies von Unbemittelten getragene Surrogate der goldenen B.

Zu der nicht ganz klaren Angabe Macrob. I 6, 17 ut cordis figuram in bulla ante pectus adnecterent, ist zu bemerken, dass in der That auch mehr oder weniger herzförmige B. gefunden werden, Montfaucon Ant. expl. III 1, 37; vgl. auch das Halsband Mon. d. Inst. VI 46 b; eine b.-artige, mit Herzen in Relief verzierte Kapsel Montfaucon a. O. Auch auf Bildwerken kommen herzförmige B. vor: Münze der Söhne des Drusus, Cavedoni Ann. d. Inst. XXIII 1851, 233; ferner Ann. d. Inst. XXII 1850, 135. Arneth Cameen des Münzcabin. 17, 6.

Darstellungen von pueri bullati sind häufig. So die eben erwähnte Münze der Söhne des Drusus. Cohen Méd. imp. I² 217. 1; der jugendliche Reiter auf dem Denar Babelon Monn. de la rép. I, Aemilia 20–22. Zahlreiche Statuen und Reliefs. Drei Grabmonumente bei Montfaucon Ant. expl. III 1, 37. Ferner Visconti Mus. Pio-Clem. III 24; Iconogr. rom. 19*. Mus. Borb. VII 49 u. a. m. Gemalte Glasmedaillons: Yates Arch. Journ. VIII 170, wo eines mit der Beischrift M. CECILIVS, welches in die Zeit der Gordiane gesetzt wird, abgebildet ist. Das bei Ficoroni 11 abgebildete ist unecht.

F. de’ Ficoroni La bolla d’oro de’ fanciulli nobili romani e quella de’ libertini, Roma 1732. R.-Rochette 3e mémoire sur les antiquités chrétiennes des catacombes, in Mém. de l’Inst. de France, Ac. des inscr. XIII 1838, 628 (99). Becker-Göll Gallus II 70. Marquardt Privatl.² 84. Daremberg et Saglio Dict. I 754. Martha L’art étrusque 571.

[Mau. ]