Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Aus Abdera, Philosoph u. Mathematiker
Band III,1 (1897) S. 485 (IA)–487 (IA)
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11) Aus Abdera, Philosoph und Mathematiker, hat nach Diog. Laert. IV 58 der Schule des Demokrit angehört und teils im ionischen, teils im attischen Dialekte geschrieben. Von der Beobachtung ausgehend, dass, je weiter man nach Norden kommt, um so länger im Sommer die Tage und im Winter die Nächte werden, schloss er, dass es einen Ort auf der Erdkugel geben müsse, wo [486] auf das ganze Jahr nur ein Tag und eine Nacht von je 6 Monaten kommen: πρῶτος εἶπεν εἶναί τινας οἰκήσεις, ἔνθα γίνεσθαι ἓξ μηνῶν τὴν νύκτα καὶ ἓξ τὴν ἡμέραν (Diog. a. a. Ο. Hesych. Miles. FHG IV 160, 12). Wie B. zuerst diese Beobachtung gemacht, so hat er auch die nach ihm in allgemeinen Gebrauch gekommene Ausdrucksweise geschaffen, dass nämlich die an jedem Orte Wohnenden die Verschiedenheiten der Tag- und Nachtlängen beobachten, und diesen Ausdruck hat er auch für die Polargegend beibehalten, unbekümmert um die Frage, ob diese bewohnbar sei. Denn dass ihm als der Ort des sechsmonatlichen Tages und der ebenso langen Nacht der Nordpol vorgeschwebt hat, ist nicht zu bezweifeln. Folgte dies doch unmittelbar aus der Beobachtung, dass man von den verschiedensten, noch so weit von einander entfernten Orten gleicher Breite nach Norden vorschreiten kann, um in solche Zonen zu gelangen, wo die Unterschiede zwischen dem längsten und dem kürzesten Tage immer mehr sich vergrössern. Alle diese Wanderungen und Seefahrten nach Norden mussten aber zuletzt am Nordpol zusammentreffen. Also auch dahin verlegte er οἰκήσεις, und dieses Wort oder die verbalen Bildungen ὑπὸ τὸν ἰσημερινόν, ὑπὸ τὸν πόλον οἰκεῖν und ähnliche haben dann die Späteren beibehalten. Die davon handelnde, leider bisher noch unedierte Schrift des Theodosios von Tripolis ist περὶ οἰκήσεων betitelt; sie stellt die Überarbeitung einer älteren Schrift gleichen Inhalts und wahrscheinlich auch gleichen Titels dar. In dieser älteren Schrift nun, die wir ebenso wie die ältere Sphaerik, die Vorgängerin der σφαιρικά des Theodosios (Hultsch Ber. Gesellsch. d. Wissensch. Leipzig 1886, 128ff. Tannery Rech. sur l’histoire de l’astronomie ancienne, Paris 1893, 37f.), möglichst nahe an die Zeit des Eudoxos heranzurücken haben, war höchst wahrscheinlich schon dieselbe genauere Berechnung von Tag- und Nachtlänge unter dem Pol aufgestellt worden, die uns in der 10. Proposition des Theodosios mit ausführlichen Beweisen erhalten ist. Der vollständige, hsl. beglaubigte Text liegt dem Unterzeichneten vor; die Proposition ohne Beweis ist von Dasypodius Sphaericae doctrinae propositiones, Argentor. 1572, 24 und von Eyssenhardt Jahrb. f. Philol. 1868, 244 veröffentlicht worden. Danach steht unter dem Nordpol die Sonne etwas länger als 6 Monate über dem Horizont, die übrige Zeit aber unter dem Horizont, und die daselbst Wohnenden (τοῖς ὑπὸ τὸν βόρειον πόλον οἰκοῦσιν) haben während eines Jahres etwa sieben Monate Tag und fünf Monate Nacht. Die Beweise werden geführt nach den Fundamentalsätzen der Sphaerik und der Lehre von den Auf- und Niedergängen der Gestirne. Von einer solchen Beweisführung hat freilich der Demokriteer B. noch nichts gewusst, sonst würde er sich nicht damit begnügt haben, Tages- und Nachtlänge unter dem Pol schlechthin gleich der Jahreshälfte zu setzen. Das war der Standpunkt des mathematischen Wissens vor der Epoche des Eudoxos, und wir haben demnach die Blütezeit des B. gegen Anfang des 4. Jhdts. anzusetzen. Identisch mit ihm ist wahrscheinlich Βίων ὁ ἀστρολόγος (Poseidonios bei Strab. I 103). Von Poseidonios wird er als eine Autorität [487] in der Lehre vom Winde neben Aristoteles und Timosthenes genannt. Nach Strabons Berichte zu urteilen hat er zwar noch nicht die Zurückführung aller Winde auf eine nördliche und eine südliche Hauptströmung erkannt, doch aber die nahe Verwandtschaft gewisser Windrichtungen und deren Einfluss auf die Bewölkung des Himmels untersucht.