Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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aus Attalia, Berühmter Arzt in Rom
Band II,2 (1896) S. 2034 (IA)–2036
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21) Athenaios aus Attalia (in Pamphylien ?), einer der berühmtesten Ärzte zu Rom, aus der Zeit des Claudius und Nero, Begründer einer eigenen Schule (Gal. XIV 699), welche wegen der hohen Bedeutung, die er im Anschluss an die Stoa dem Pneuma zuwies, die pneumatische genannt wurde. Für sein hohes Ansehen spricht der grosse Kreis von Schülern: ὁ τῶν ἀπ’ Ἀθηναίου χορός. οἱ ἀπ’ Ἀθηναίου τῶν Ἀτταλέως (Gal. VII 295. VIII 749), von denen Agathinos (s. d.) und Magnus (s. d. Nr. 8) die bedeutendsten waren. Vgl. M. Wellmann Die pneumatische Schule bis auf Archigenes, Phil. Unters. XIV 8ff. Seine Physiologie, insbesondere seine Lehre von den Elementen, vom Pneuma und von der εὐκρασία beruhen auf stoischer Grundlage, vornehmlich nach den Grundsätzen des Chrysippos (M. Wellmann a. a. O. 131ff.), seine Entwicklungslehre ist von Aristoteles abhängig [2035] (M. Wellmann 148f.). Gesundheit und Krankheit des menschlichen Organismus sind abhängig von der Beschaffenheit des Pneuma und der Mischung des Warmen, Kalten, Trockenen und Feuchten im Körper. Als Grundbestandteile der Lebewesen betrachtete er das Warme, Kalte, Trockene, Feuchte, d. h. nicht die Qualitäten, sondern die vier Elemente, die er nach der für sie bezeichnenden Qualität benannte (Gal. I 457. XIV 698. XIX 356, 6). Aus ihnen sind die gleichteiligen Körper (ὁμοιομερῆ) wie Fleisch, Knochen, Haar, Fett und aus diesen wieder die übrigen Teile des Körpers zusammengesetzt (Gal. I 466). Das Warme und Kalte sind die wirkenden (ποιητικὰ αἴτια), das Trockene und Feuchte die leidenden Ursachen (ὑλικὰ αἴτια, vgl. Gal. XIV 698). Das Pneuma wohnt dem Menschen von Natur inne (πνεῦμα σύμφυτον Gal. VIII 936), während die innere Wärme (ἔμφυτον θερμόν) sich aus dem inneren Pneuma infolge seiner durch Reibung verursachten mannigfachen Bewegung entwickelt (Ruf. 166, 9. Orib. I 461, 5). Beide, Pneuma und innere Wärme, haben ihren Sitz in den beiden Herzventrikeln (Ps.-Gal. XIX 360, 4f.). Herz und Lunge stehen im gegenseitigen Austausch zu einander; wie das Herz die Lunge mit eingepflanzter Wärme versieht, erhält es von ihr neues Pneuma, das die Lunge von aussen durch die Atmungsorgane in sich aufnimmt (Ps.-Gal. XIX 459, 16). Die Atmung (ἀναπνοή) dient zur Abkühlung der inneren Wärme, sowie zur Vermehrung des innerorganischen Pneuma, die διαπνοή zur Verteilung der atmosphärischen Luft im Körper durch die Schlagadern und zur Aussonderung der unrein gewordenen durch die Poren (Orib. II 304). Die Leber hat das Geschäft der Blutzubereitung, die Milz das der Reinigung, der Magen das der Umwandelung der Nahrungsstoffe, dass ihre brauchbaren Bestandteile zum Übertritt in das Blut geeignet werden. Das Blut wird zugleich mit dem Pneuma vom Herzen aus den übrigen Teilen des Organismus durch die Arterien und Venen zugeführt, von denen die ersteren mehr Pneuma, die letzteren mehr Blut enthalten. Die Spannung (τόνος) des Pneuma fördert die Gesundheit, die Verderbnis desselben führt Erkrankungen herbei. Hervorgerufen wird sie durch eine Dyskrasie der sog. Qualitäten. Als normal (εὔκρατον) galt ihm die gleichmässige Mischung des Warmen und Feuchten (Gal. I 522). Die Dyskrasie entsteht dadurch, dass eine oder mehrere der sog. Qualitäten überwiegen, so Fieber durch das Vorherrschen von Wärme und Trockenheit, die Wassersucht durch das Übermass von Kälte und Feuchtigkeit u. s. w. (Gal. a. a. O.). Aus den vier möglichen Qualitätenverbindungen erklärte er die Verschiedenheit alles Seienden: die beiden Geschlechter, die vier Lebensalter und Jahreszeiten haben ihre charakteristischen Qualitätenverbindung (M. Wellmann a. a. O. 146f.). Seine Therapie war im wesentlichen darauf gerichtet, die vorherrschende Qualität zu bekämpfen, wobei er auf eine vernunftgemässe Diät besonderes Gewicht legte (Gal. I 519). Daraus erklärt sich sein hohes Verdienst um die Ausbildung der Diätetik; er äusserte sich über den Nutzen und Schaden verschiedener Getreidearten (Oribas. I 2, 10. 9, 24. 11, 26), stellte bestimmte Grundsätze auf über die Beschaffenheit [2036] der atmosphärischen Luft (Oribas. IX 5, 291) und der verschiedenen Lage der Wohnungen (Oribas. IX 12, 302), gab Mittel zur Reinigung des Trinkwassers an (Oribas. V 5, 337), gab Vorschriften über die Lebensweise des Weibes (Oribas. LIV 5, 97), empfahl ihnen Enthaltung vom Weingenuss wegen ihrer schwachen Natur und vor allem körperliche Bewegung, damit sie mit Appetit ässen und einen gesunden Teint bekämen. Vortrefflich sind seine Vorschriften über Erziehung (Orib. III 161). A. verfasste ein umfängliches Compendium der Medicin in mindestens 30 Büchern (Orib. I 9, 24), dessen Titel uns leider nicht erhalten ist. Galen spendet diesem Werke grosses Lob (Gal. I 457) und bezeugt ausserdem, dass es voll von Definitionen gewesen (XIX 347; vgl. seine Definition der Lethargie bei Cael. Aur. M. A. II 1, 53). Im dritten Buch gab er eine ausführliche Begründung seiner Lehre von den Elementen (XIX 356) und polemisierte gegen Asklepiades mit Benützung der Ansichten des Aristoteles, Chrysipp und anderer (I 486). Doxographisches Interesse geht durch sein ganzes Werk; ausser den genannten benützte er den Plato, Empedokles, Theophrast, Straton von Lampsakos, Herakleides Pontikos, Hippokrates Diokles, Andreas (M. Wellmann a. a. O. 10). Die Pulslehre hat er ebenfalls ausführlich behandelt. Er erklärte den Puls aus der natürlichen und unfreiwilligen Ausdehnung der Wärme in den Schlagadern und im Herzen, die sich von sich weg und zu sich hin bewegt und zugleich dem Herzen und den Schlagadern die Bewegung mitteilt (Gal. VIII 756), oder als die abwechselnde Zusammenziehung und Ausdehnung der Schlagadern und des Herzens infolge der Anziehung und Ausscheidung des πνεῦμα (Gal. VIII 750. 757). Der starke Puls galt ihm als Ausfluss der hinlänglich wirkenden Lebenskraft (Gal. VIII 646). Ferner hat er sich um die Fieberlehre, die Aetiologie und Entwicklungslehre verdient gemacht. Er behauptete, daß die Eierstöcke des Weibes nur der Symmetrie wegen vorhanden seien wie beim Manne die Brüste (Gal. IV 599), dass die Weiber in Wirklichkeit gar keinen Samen hätten, dass der Stoff zum Embryo in der Menstruation enthalten sei, während der männliche Same die Form hergäbe (Gal. IV 612). Zur Begründung führte er die von Aristoteles herrührende Behauptung an, dass in ein- und demselben Wesen nicht Form und Stoff zugleich enthalten sein könne (Gal. IV 621). Über die Veränderung und Gestaltung des Embryo hat er genaue Beobachtungen angestellt (Oribas. XXII 9, 78 D.), er billigt die Ansicht des Diokles, dass sich am siebenundzwanzigsten Tage beim Embryo in einer schleimigen Membran schwache Spuren des Rückgrats und Kopfes zeigen, und beruft sich für die Behauptung, dass der männliche Embryo sich schneller gestalte als der weibliche, auf das Zeugnis des Empedokles (Oribas. a. a. O.). Seine Fragmente aus Oreibasios bei Ch. F. Matthäi Medic. graec. var. opusc., Moskau 1808. K. Sprengel Gesch. der Arzneiwiss. II³ 98f. M. Wellmann Die pneumatische Schule bis auf Archigenes, Philologische Untersuchungen, XIV 1895.