Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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die ‚Aufnahme‘ der Himmelskugel, astronomische Projektion
Band I,2 (1894) S. 2052 (IA)–2055 (IA)
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Analemma (ἀνάλημμα), die ‚Aufnahme‘ der [2053] Himmelskugel auf einer Meridianebene, also eine Projection, und zwar die orthographische (so übersetzt Baltzer bei Hultsch, vgl. Delambre 485f.; ‚geometrischer Aufriss‘ Bilfinger 28). Es diente als Hülfsconstruction zur Anfertigung von Sonnenuhren. Bei Vitruv. IX 8 (vgl. c. 4 Anf. 7 p. 232, 5–7 Rose. 9 p. 237, 2f.) wird durch das A. die Aufgabe gelöst, bei gegebenem Verhältnis der Länge des Aequinoctialmittagschattens zum Gnomon (also der geographischen Breite) auf rein geometrischem Wege die Linien zu finden, die die Spitze des Schattens an den Aequinoctial- und Solstitialtagen – doch konnten solche Schattencurven auch für jeden anderen Monat construiert werden – auf horizontaler Ebene beschreibt, und zugleich diese Linien in die 12 Tagstundenteile zu teilen. G. Bilfinger Die Zeitmesser der antik. Völk. (Festschr. d. Eberh.-Ludw.-Gymn. Stuttgart 1886) 28–35 giebt eine Erläuterung und Ergänzung der Angaben des Vitruv und die bei diesem ganz fehlende praktische Anwendung, die Übertragung der Meridianprojection auf die als Auffangfläche, subiectio, der Sonnenuhr dienende Horizontalebene. Über die Verwertung solcher aus dem A. übertragenen Tag- und Stundenlinien als ‚Zifferblatt‘ bei Vitruvs Aufzug- (Wasser-) Uhr s. Vitr. p. 238, 25. 239, 6. Bilfinger 46. Eine besondere Schrift von Claudius Ptolemaeus de analemmate (vgl. seine Schrift über die stereographische Projection, das planisphaerium) ist nur in unvollständiger und fehlerhafter lateinischer Übersetzung erhalten, die F. Commandini überarbeitet, commentiert und herausgegeben hat (Romae 1562, 100 Bll. in 4⁰). Sein Verfahren ist genauer, aber auch viel complicierter und nicht rein geometrisch, sondern mit trigonometrischer Rechnung verbunden. Er geht entsprechend seiner Almagest II 5 Ende ausgesprochenen Ansicht direct von der Polhöhe aus, d. h. dem Winkel zwischen Weltaxe und Horizontebene, während durch jenes Verhältnis bei Vitruv der ihr gleiche Winkel zwischen erstem Vertical und Aequator (an der Spitze des Gnomons, s. die Figur bei Bilfinger und im Almagest) gegeben ist. Die Wende- und anderen Parallelkreise, die Teilung ihrer Tagbögen in 12 oder 6 Stundenteile sind natürlich auch hier nötig. Vgl. die von Bilfinger nach Vitruv entworfene Zeichnung mit der im wesentlichen übereinstimmenden bei Ptolem. de an. f. 48b. Aber eigentümlich ist die Art, wie die Hauptsache, die Richtung und Länge des Schattens für jeden Stand der Sonne, festgestellt wird. Dazu wird der Stand der Sonne in Bezug auf die Ebenen von Horizont, Meridian und erstem Vertical durch ein vollständiges System sphaerischer Koordinaten bestimmt. Sonach ist kein Zweifel, dass Ptolemaeus diese Lehre auch in seiner Schrift περὶ διαστάσεων (s. Cantor Vorles. üb. Gesch. d. Math. I 357. Günther in Iw. Müllers Handb. V 1, 41) behandelt hat, zumal die auch von Commandini citierten Worte des Simplicius (zu Arist. de cael. I p. 7 Karsten) über diese Schrift mit den einleitenden Bemerkungen des Ptolemaeus (f. 2) gut übereinstimmen. Jene drei Ebenen schneiden sich rechtwinklig in drei gleichfalls senkrecht auf einander stehenden Axen, der Mittagslinie meridiana (Endpunkte Nord-Süd), Aequatorlinie aequinoctialis [2054] (Ost-West), Scheitellinie verticalis oder gnomon (Zenith-Nadir). Dieselben Linien denkt sich Ptolemaeus als Durchmesser dreier zugleich durch den jedesmaligen Stand der Sonne gehender Kreise. Diese sind im Gegensatz zu jenen, den circuli manentes (s. u. μένειν im Index v. Hultsch Autolycus), beweglich, delati, κινούμενοι, s. auch Olympiod. zu Arist. meteor. III (f. 58b ed. Ald.) bei Commandini f. 6b. Sie führen besondere Namen hectemorios, horarius, descensivus (s. u.). Der Stand der Sonne ist dann bestimmt durch den Kreisbogen zwischen ihr und dem (ihr näher liegenden) Endpunkte jeder Axe und durch den (spitzen) Winkel oder Bogen, den die Ebenen des durch dieselbe Axe gehenden festen und beweglichen Kreises aus einem der anderen festen Kreise ausschneiden. Die Namen dieser Bögen oder Winkel sind gleich denen der Kreise, zu welchen sie gehören. So ergeben sich folgende Koordinaten (f. 4):

1) καταβατικός, descensivus (sc. angulus oder peripheria, circumferentia) ist der Bogen des ebenso genannten Kreises (heute ‚Höhenkreis‘) zwischen Sonne und Zenith, also der Zenithabstand. Die Ebene dieses Kreises schneidet mit der des ersten Vertikalkreises aus der Horizontebene den horizontalis, Horizontbogen oder -Winkel;

2) ἑκτημόριος, Abstand vom Ost- (oder West-)Punkt. Der diesen Bogen bildende Kreis ἑκτημόριος bildet mit der Horizontebene den (in der Meridianebene liegenden) meridianus, Meridian-Bogen oder -Winkel. Der Kreis heisst ἑκτημόριος, quia altitudinem ad sextam horam commonstrat (de an. f. 4), oder deutlicher nach Ptolemaeus bei Olympiodor a. a. O. wegen der sechs verschiedenen Stellungen der Sonne in den 12 Tagesstunden;

3) horarius, Abstand vom Süd- (oder Nord-)Punkt. Die Ebene des Kreises horarius bildet mit der Meridianebene den verticalis, Vertical-Bogen oder -Winkel, bei den Vorgängern des Ptolemaeus deutlicher in plano verticalis genannt. Den Namen circulus horarius erklärt Ptolemaeus quod singularum horarum spatio comitetur.

In 1 und 2 weicht Ptolemaeus von den ‚alten Mathematikern‘ ab. Erwähnenswert ist, dass diese in 1 die Komplemente nahmen, also die heutigen Horizontkoordinaten: Sonnenhöhe (mit demselben Namen καταβατικός und Azimut, den Winkel zwischen Höhenkreis und Meridianebene. Sie nannten ihn ἀντίσκιος (‚da er der Richtung des Gnomonschattens entgegengesetzt ist‘, Commandini). Das Verfahren, diese Koordinaten zu bestimmen, wird in der Schrift de analemmate an verschiedenen Beispielen dargelegt. Delambre Hist. de l’astron. ancienne II 458ff. hat die sehr umständlichen Methoden des Ptolemaeus durch moderne trigonometrische Rechnungen ersetzt. Durch die dreifache Bestimmung jedes Sonnenortes wird auch ihr jedesmaliger Schatten in dreifacher Beziehung bestimmt. So ergiebt sich die Möglichkeit, drei Arten von Sonnenuhren zu construieren. Nicht blos die Uhr mit horizontaler Auffangfläche (durch 1), sondern auch Verticaluhren mit nach Ost oder West (3) oder Süd (2) gerichteter Fläche. Ptolemaeus hat die Übertragung seiner Projection auf eine Grundfläche dieser Art ebensowenig gegeben, wie Vitruv. [2055] Darüber handelt Commandini in der De horologiorum descriptione betitelten Fortsetzung seines Commentars (f. 48). Dagegen fügte Ptolemaeus Tabellen bei, die die Grössen der Koordinaten für jede der sechs Tagstunden jedes Monats (Anfang jedes der zwölf Zeichen) in den sieben Hauptklimaten angaben. Erhalten ist nur die erste für den ‚Anfang des Krebses‘ und die geographische Breite des längsten Tages von 13 Stunden (Meroe 16° 27′, Almag. II 6), s. Delambre 471. Nach diesen Tafeln waren im A. die nötigen Winkel mit Winkelmass und Zirkel (norma und circinus, fol. 5) einzutragen. Ausserdem giebt Ptolemaeus die Vorschrift, das A. auf einer metallenen oder hölzernen Scheibe (tympanum) herzustellen, und zwar die für alle Breiten gleichbleibenden Linien des Netzes dauerhaft anzubringen, darüber, leicht zu entfernen, die von der Polhöhe abhängigen.

Vielleicht ist einer von den ‚alten Mathematikern‘, auf die Ptolemaeus gelegentlich hinweist, jener Diodor, dessen Schrift über das A. ebensowenig erhalten ist, wie der Commentar des Pappos dazu, Papp. IV 27 p. 246 ed. Hultsch und dessen praef. zu Bd. III p. IXff.

Schliesslich ist zu erwähnen, dass A. vielleicht doch auch eine Sonnenuhr selbst bezeichnen konnte, CIG II 2681. 2747. Möglich wäre es, da die Hülfsconstruction des A. vorwiegend, wenn nicht ausschliesslich, zur Verfertigung von Sonnenuhren diente, und da andererseits die sonstige Bedeutung des Wortes = suggestus, substructio, sich in die von subiectio, Auffangfläche der Sonnenuhr, verengen konnte. Vgl. Salmasius Plin. exerc. 740 D (ed. Paris. 1629). Lewis hist. survey of the astronomy of the ancients 242.

Nachträge und Berichtigungen

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Band S I (1903) S. 76 (EL)
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S. 2053, 28 zum Art. Analemma:

Die Schrift des Ptolemaios de analemmate ist bruchstückweise von J. L. Heiberg in einem Mailänder Palimpsest im Urtext gefunden und von ihm in Ztschr. f. Math. u. Phys. XL Suppl. (= Abh. z. Gesch. d. Math. Heft 7) 1–30 herausgegeben worden.

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Band R (1980) S. 24
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Analemma

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