Ἔκκλητος. 1) Mit und ohne πόλις, die nach einem zwischen zwei Staaten abgeschlossenen Vertrage in den zwischen Bürgern eben dieser Staaten entstandenen rechtlichen Streitigkeiten richtende Stadt. Es war üblich, daß zwei Staaten in strittigen Fällen, welche entweder sie selbst oder einzelne ihrer Bürger betrafen, die richterliche Entscheidung einer dritten Stadt überließen, die in diesem Sinne ἔ. hieß. Als die Athener und der Boiotische Bund unter einander einen Vertrag schlossen, wählten beide Parteien Lamia als ἔ. πόλις, welche alle zwischen Athenern und Boiotern aus diesem Vertrage entstehenden Streitigkeiten und Prozesse zu entscheiden berufen war, IG II 308 = Dittenberger Syll.2 227, vgl. dazu IG II 5 p. 83 nr. 308 b = Dittenberger Syll.2 228. In dem Brief des Königs Antigonos wegen des Synoikismos von Teos und Lebedos heißt es: die Teier und Lebedier sollen eine συνθήκη machen, dieselbe aufschreiben καὶ ἄν τι ἀντιλ[έγηται πρὸς τὴν συ]νθήκην. ἐπικριθῆναι ἐν τῇ ἐκκλήτῳ ἐξαμήνῳ · ἔκκλητον [δὲ πόλιν γενέσθαι] ἀμφότεροι συνωμολόγησαν Μιτυλήνην, Le Bas 86 = Dittenberger Syll.2 177. Auch Naxos und Amorgos hatten einen solchen Vertrag abgeschlossen, wonach Prozesse zwischen Bürgern beider Kontrahenten von einer dritten Stadt, deren Namen nicht überliefert ist, entschieden wurden. In dem Darlehnsvertrag zwischen Praxikles, einem Bürger von Naxos, und der Stadt Arkesine heißt es: καθάπερ δίκην ὠφληκότων ἐν τῇ ἐκκλήτῳ κατὰ τὸ σύμβολον Ναξίων καὶ Ἀρκεσινέων τέλος ἐχούσῃ (vielmehr ἔχουσαν), Bull. hell. VIII 23 = Dittenberger Syll.2 517 = Recueil des Inscriptions juridiques XV A Z. 28. 37, und in dem Darlehnsvertrag zwischen einem gewissen Alexandros und derselben Stadt Arkesine heißt es ὡς ὠφληκώς δίκην Ἀλεξάνδρῳ ἐξούλης ἐν τῇ ἐκκλήτῳ Recueil des inscriptions juridiques grecques XV B Z. 41 und ähnlich öfter. Auch in Symmachieverträgen wurde auf die Unterlassung der erbetenen Hülfsendung eine Strafe gesetzt, deren Betrag die dafür verantwortlichen Behörden abliefern sollten ἐν τῇ συναιρεθείσῃ ἐκκλήτῳ, so in den Verträgen, welche Antigonos Gonatas mit den kretischen Städten Eleutherna und Hierapytna schloß, Bull. hell. XIII 48. 53 B. Es ist begreiflich, daß Athen nach dem Peloponnesischen Kriege bei der Neubegründung des Seebundes in den mit den einzelnen Staaten abgeschlossenen Verträgen die Gerichtsbarkeit an sich zu ziehen und daher sich selbst zur πόλις ἔκκλητος zu machen suchte. In dem Eid, womit die Städte von Keos ihren Vertrag mit Athen beschworen, begegnet die Formel: τὰς δὲ δίκας καὶ τ[άς γραφάς τὰς κατ' Ἀθηναίων ποιήσομαι] πάσας ἐκκλήτος κ[ατὰ τὰς συνθήκας ὁπόσαι ἂν ὧσιν ὑπὲρ ἑ]κατὸν δραχμάς, IG II 5 p. 15 nr. 54 b = Dittenberger Syll.2 101. Hier ist allerdings nicht von einer πόλις ἔ., wie in allen obigen Fällen, die Rede, sondern von einer δίκη ἔ., und dies ist so zu verstehen, daß alle über 100 Drachmen hinausgehenden strittigen Rechtsfälle in Athen (nicht in einer Stadt von Keos) entschieden werden sollten. In diesen Zusammenhang zieht Szanto Athen. Mitt. XVI 35 auch die Inschrift von Arkesine, Bull. hell. XII 239 = Dittenberger Syll.2 511, wo das ἀστικὸν δικαστήριον entgegengesetzt wird dem Forum der πόλις ἔκκλητος · ταύτας μὴ εἶναι δικάσασθαι μήτε αὐτοῦ (sc. in Arkesine oder wie es weiter unten heißt ἐπὶ τοῦ ἀστικοῦ δικαστηρίου) μήτε ἐν ἐκκλήτῳ μηδαμοῦ. Das von Dittenberger Syll.2 72 in dem Vertrage zwischen Athen und Phaselis in Lykien hergestellte ἔ. sc. δίκη ist sehr unsicher, vgl. E. Meyer Forschungen zur alten Geschichte II 6, 1.