Ἀστυνόμοι,[WS 1] Name einer städtischen Polizeibehörde, welche inschriftlich vom 4. Jhdt. vor bis zum 3. Jhdt. n. Chr. für griechische, besonders ionische Städte nachweisbar ist: so für Athen Dittenberger Syll. 337 (320 v. Chr.). Bull. hell. XIII (1889) 162, 3 (284 v. Chr.); Tenos CIG 203—206; Koresia auf Keos CIA II 546 (350 v. Chr.); Iasos Dittenberger Syll. 77 (367-55 v. Chr.); Kyzikos unedierte Inschrift, copiert von Dr. Heberdey (224—187 v. Chr.); Rhodos CIG 2524; Blaudus Le Bas III 1044; Ankyra CIG 4019. 4026. 4032. 4069; Pessinus CIG 4085; Bostra CIG 4067; im ganzen sind es elf Städte, wozu noch mehrere hundert Henkelinschriften kommen, die sich auf Rhodos, Knidos, besonders aber auf die Städte am Pontos beziehen; s. Becker Jahrb. f. Philol. Suppl. IV und V. Nachrichten der Schriftsteller ergeben das Vorhandensein dieses Amtes wenigstens für Athen schon für das 5. Jhdt. v. Chr. Aeschyl. Sept. 271f.; Agam. 87f. Grote Hist. of Gr. V 371 meint, die ἀ. seien nach den Perserkriegen eingesetzt worden. Andere Namen für dieselbe Behörde sind: πολιανόμοι in Herakleia am Siris (CIG 577f. = Kaibel IGI 645) und Syrakus (Plat. epist. 13); τελέαρχος in Theben (Plut. praec. ger. reip. 15); πατέρες in Korinth (Ulpian zu Dem. XXIV 112 und Diog. Laert. VI 78). Die Zahl derselben richtet sich meist nach der der Phylen oder Unterabteilungen des Volkes: in Athen waren 10, und zwar 5 in der Stadt, 5 im Peiraieus (Aristot. Ἀθην. πολ. 50); in den Ephebeninschriften der Kaiserzeit CIA III 1114. 1119. 1147. 1199 erscheinen jedoch nur mehr 2, wie auch die Zahl der ἀγορανόμοι von 10 auf 2 vermindert worden war. In Tenos waren 3, zu Iasos 2, in Kyzikos wohl nur 1; die Zahl der πολιανόμοι zu Herakleia betrug 2. Zu Athen wurden sie durch das Los bestellt, Aristot. Ἀθην. πολ. 50. Dem. XXIV 112. Die Amtsdauer betrug in Athen ein Jahr, in Tenos sechs Monate. Iteration und Continuation war in Athen verboten. Dem. XXIV 150; prooim. LV p. 1461. Über ihren Wirkungskreis im allgemeinen vgl. Aristot. pol. VII (VI) 8. Plat. leg. VI 758 E. 759 A. 763; es ist die cura urbis et viarum, wie die ἀγορανόμοι die cura fori haben. Genauer kennen wir ihre Geschäfte in Athen, Aristot. Ἀθην. πολ. 50 giebt an 1) Aufsicht über die Flötenspielerinnen, Tänzerinnen und Kitharaspielerinnen, dass sie nicht mehr als zwei Drachmen erhalten, Harpokr. u. Suid. Bekker Anecd. 455, 24; diese erweiterte sich wohl zu einer Sittenpolizei, von der Diog. Laert. VI 90 ein Beispiel berichtet. 2) Aufsicht über die Reinhaltung der Strassen, daher ihnen die κοπρολόγοι, Strassenkehrer, unterstehen, Ulpian zu Dem. XXIV 112. Schol. Aischin. III 25, wo aber fälschlich das Lemma ὁδοποιοί steht. Diese Sorge bezeugt auch Dittenberger Syll. 337, 17f. In Theben hatte der τελέαρχος die Aufsicht über die Reinhaltung der Strassen nach Plut. praec. ger. reip. 15. 3) Die [1871] Aufsicht, dass die Strassen nicht verbaut würden, dass die Thüren sich nicht nach der Strasse öffneten; darauf bezieht sich auch FHG II 209, das von einigen auf den Areopag, von Philippi D. Areopag u. d. Epheten 159 auf die ὁδοποιοί bezogen wurde. Die Festsetzung einer Bauordnung weist auch Platon leg. VI 779 C seinen ἀ. zu. 4) Sie haben auch die auf der Strasse Gestorbenen wegschaffen zu lassen; in Korinth intervenieren in einem solchen Falle (Diog, Laert. VI 78) die πατέρες. Ausser diesen Functionen haben sie in Athen auch eine Art Festpolizei und die Sorge für gewisse religiöse Feierlichkeiten. Dittenberger Syll. 337, 17f. Bull. hell. XIII 1889, 162 nr. 3, die Foucart (ebd. 166) als mit ihrer Aufsicht über die Flötenspielerinnen zusammenhängend erklärt. Als Zweige der ἀστυνομία erklärt Aristot. pol. VII (VI) 8 die Aufsicht über den Mauerbau, über die Quellen und die Häfen (vgl. auch Plat. leg. VI 758 E); in Athen bestanden dafür besondere Beamte, τειχοποιοί, κρνῶν ἐπιμεληταί und ἐμπορίου ἐπιμεληταί. Zur Durchführung ihrer Befehle unterstanden ihnen Staatssclaven (Aristot. Ἀθην. πολ. 50); dann hatten sie das ius edicendi (ein Teil eines solchen Edicts mag Pollux VII 167 = Kock Com. Att. I 471 frg. 306 sein), das Recht der ἐπιβολή und den Vorsitz in den Gerichten, die Processe aus ihrem Amtsbereiche verhandelten. In Athen und auch wohl in anderen Städten hatten sie ein Amtslocal, ἀστυνόμιον (Plat. leg. XI 918 A). Es erübrig noch, einiges über ihre sonstige Thätigkeit zu sagen: in Athen besassen sie eine ,freiwillige Gerichtsbarkeit‘, indem bei ihnen Testamente deponiert wurden, Isai. I 15 u. ö. Wenn Demosthenes XXIV 112 sagt, dass nur niedere Leute ἀ. werden, so war das nicht immer und überall so; einen hohen Rang muss der ἀστυνόμος in Kyzikos gehabt haben, der in einer zu Seleukeia am Kalykadnos gefundenen, von Dr. Heberdey copierten Inschrift des 3. Jhdts. v. Chr. beauftragt wird ἐπιμεληθῆναι, ὅπως ἀναγραφῇ εἰς τὴν στήλην τῶν προξένων (sc. Εὔδημος). Wir können dies daraus erklären, dass die ἀ. die Aufsicht über den Exporthandel hatten; damit stimmt die Bestimmung zu Koresia auf Keos, CIA II 546, und das Vorkommen der ἀ. auf den Gefässhenkeln, s. o. Artemidor oneirocr. II 30 schreibt ihnen Sorge für das δημόσιον das Staatseigentum, zu; zu Iasos (327—355 v. Chr.) erscheinen unter den Beamten, welche eingezogene Güter verkauften, auch die zwei ἀ. (Dittenberger Syll. 77), und zu Herakleia am Siris führen die πολιανόμοι nebst den σιταγέρται die Aufsicht, dass die Pächter der heiligen Ländereien, deren Verpachtung die πολιανόμοι besorgt hatten, ihren Verpflichtungen nachkommen, CIG 5774f. = Kaibel IGI 645. Aus der cura urbis erklärt sich auch die Verwendung des Wortes ἀστυνόμος für aedilis, wie dies in den Inschriften aus Galatien anzunehmen ist und besonders in dem ἀστυνομικός des Papinianus, Dig. XLIII 10, wo unter den ἀ. trotz Mommsen gegenteiliger Ansicht Municipal-Aedilen zu verstehen sind, s. O. Bd. I S. 462. In Athen waren die Geschäfte der ἀ. einige Zeit den ἀγορανόμοι übertragen, Dittenberger Syll. 337.
Litteratur. Caillemer in Daremberg et Saglio Diction. I 504 Boeckh Staatshaushalt [1872] I³ 257f. 262. II 313. G. Gilbert Handb. d. gr. Staatsaltert. I² 287f. II 332. Haederli Die hellenischen Astynomen und Agoranomen (besonders in Athen), Leipzig 1886, dazu Schulthess Wochenschr. f. cl. Philol. V 1888, 33. 39. 120f. Meier-Schömann Att. Process² 105—108.