Βίβλινος οἶνος.[WS 1] Ihn empfahl Hesiodos (op. 589) bei starker Hitze zur Zeit des Sirius zu trinken; ihn nennt Philyllios, ein Dichter der alten Komoedie (bei Athen. I 31 a); bei Theokritos (XIV 15) spendet ihn ein einfacher Gastgeber auf Sicilien seinen Gästen, wobei gesagt wird, dass er wohl dufte und trotz seiner vier Jahre sich so erhalten habe, wie wenn er frisch von der Kelter komme; ferner wird ein Βίβλινον πῶμα von Euripides (Ion 1195) und ein Βιβλίνου ἔκπωμα von Achaios (bei Athen. I 31 a) erwähnt, und von einem unbekannten Komiker (im Etym. M. 197, 32) ist uns der Vers Ὕδωρ δὲ πίνει, τὸν δὲ Βίβλινον στυγεῖ erhalten. Seinen Namen sollte er von einer Gegend (Suid.), nach Epicharmos den bimblinischen (Hesych. s. Βίμβλινος) oder biblinischen Bergen in Thrakien erhalten haben (Athen. Hesych. Etym. M. aa. OO. Anecd. Bekk. I 225; vgl. Steph. Byz. s. Βιβλίνη). Freilich zweifelt Meineke, ob nicht bei Athenaios wie I 30 d Ἐπαρχίδης zu lesen sei und dieser Fehler sich bei den späteren Grammatikern wiederholt habe. In der That leitete der Grammatiker Semos von Delos den Namen von dem am Flusse Βίβλος (Steph. Byz. s. Βιβλίνη) oder Βιμβλίνη (Etym. M. a. a. O.) auf Naxos wachsenden Wein her, und nach Proklos (Schol. Hes. op. 589, wo οἱ Νάξιοι statt ἄξιοι gelesen wird) sollte der von Euripides erwähnte Wein unter dem Namen Βύβλινος an einem Flusse auf Naxos gebaut werden und von diesem oder einer thrakischen Stadt benannt sein. Den Wein sollte ferner ein König Πόλλις von Sikyon oder Syrakus (Etym. M. a. a. O.), der nach einer Vermutung C. Müllers (FHG II 15) vorher in Kalauria oder Anthedon gewohnt zu haben scheint, oder ein Argeier Πόλιος (Poll. VI 16), vielleicht nach Thuk. II 67 zur Zeit des peloponnesischen Krieges, nach Sicilien gebracht haben und jener daher auch Πόλλιος genannt sein (Etym. M. a. a. O. Ael. v. h. XII 31), während der Rheginer Hippys (bei Athen. I 31 b) zwar auch sagt, dass ein Argeier Πόλλις, König von Syrakus, eine ἄμπελος βιβλία nach Syrakus gebracht habe, aber aus Italien, und dass diese Rebe auch εἰλεός genannt werde. Der letztere Umstand hat V. Ηehn (Kulturpfl. u. Haustiere⁶ 553) zu der Vermutung veranlasst, dass der Name davon herrühren könne, dass die Reben sich an Byblosstricken fortrankten, indem er sich auf Varro de r. r. I 8, 2 beruft, wo aber nur von restes die Rede ist, an denen die Reben bei Brundisium gezogen würden; auch ist vielleicht Πολιάν statt εἰλεόν zu lesen. Von einer βυβλία und von eine βυβλίνα μασχάλα, also wohl von einer Rebenpflanzung, ist nun auch in einer Inschrift von Heraklea in Lucanien zu Ende des 4. Jhdts. v. Chr. die Rede (CIG III 5774 Z. 58. 92), und darunter wird [405] eine Rebe verstanden, welche von der phoinikischen Stadt Byblos (= phoinik. Gú̆bĕl, s. O. Schrader bei Hehn a. a. O. 554) dahin verpflanzt war und die auch Archestratos (bei Athen. I 29 b) gekannt haben muss, da sein Βύβλιος οἶνος schwerlich ‚Palmwein‘, d. h. aus Datteln gepresster Wein gewesen ist. Freilich ist nun wiederum dieser von dem β. unterschieden (Etym. M. 197, 32. 216, 42). Da aber der phoinikische Vokal in βίβλος oder βύβλος = Bast der Papyrusstaude sowohl durch ι als durch υ wiedergegeben werden kann, so dürfte die Rebe von Heraklea und, da Hippys als guter Gewährsmann gelten muss, die Siciliens wohl aus Phoinikien stammen. Denn wenn auch Naxos ein hervorragender Sitz des Dionysoskults gewesen ist und nach einer bei Hyginus (astron. I 17) erhaltenen Fabel dieser Kult nach Etrurien verpflanzt sein soll, so ist dies doch kein genügender Grund, als Herkunftsort der Rebe diese Insel anzusehen. Anders steht die Frage um den sonst erwähnten Wein. Philyllios nennt ihn neben dem von Thasos und Mendai, wohl weil er eine Gegend Thrakiens im Auge hat; ja Armenidas (bei Athen. I 31 a), dessen Zeit allerdings nicht genauer bekannt ist, wusste sogar, dass das thrakische Βιβλία auch Antisare und Oisyme benannt worden sei; der Erotiker Achilles Tatios (II 2) nennt ihn neben dem maroneischen, also einem thrakischen, und andern seit alters bekannten Sorten. Dazu kommt, dass als Ausgangspunkt der antiken Weinkultur sowohl aus sprachlichen Gründen als nach der Überlieferung die dem eigentlichen Hellas nördlich vorgelagerten Landschaften nach O. Schrader (Sprachvergleichung u. Urgeschichte² 470) anzusehen sind, dass nach den Überlieferungen der Alten der Kult des Dionysos auf der ganzen nördlichen Balkanhalbinsel, selbst bei den thrakischen Völkerschaften verbreitet war, und dass Thrakien in der ältesten Zeit ein Hauptausfuhrland des Weins war (Hom. Il. IX 72; Od. XI 196; vgl. Plin. XIV 53. 54). Übrigens giebt Athenaios (I 31 a) für die thrakische Herkunft auch den Grund an, dass Thrakien ἡδύοινος sei; nach Plinius (XIV 54) sollen die dortigen Weine so stark gewesen sein, dass sie einen achtfachen Zusatz von Wasser vertrugen, ferner von schwarzer Farbe und wohlriechend, aber im Alter fett gewesen seien.