Textdaten
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Autor: Aischylos
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Titel: Prometheus in Fesseln
Untertitel: deutsche Nachdichtung und Kommentar von Achtsnicht
aus: Neue Thalia. 1792–93.
1792, Zweyter Band,
S. 52–93
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1792
Verlag: G. J. Göschen'sche Verlagsbuchhandlung
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: UB Bielefeld bzw. Scans auf Commons
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[52]
8.
Prometheus in Fesseln.
Erste Scene.

Kratos und Bias, (1) Sklaven Jupiters bringen den Prometheus zu einem im europäischen Scythien gelegenen, dem Meere angränzenden Felsen. Vulkan (2) mit Hammer und Ketten. Prometheus verhält sich die ganze Scene durch schweigend und leidend.

 Kratos.
So sind wir denn einmal am fernen Eyland,
Am scythischen Klooß, in unwegbarer Oede!
Und dir, Vulkan! liegt’s ob, genau des Vaters
Befehle zu vollziehen, diesen da
Den Waghals! an den schrofferhabnen Fels,
Mit unzerbrechbar starkem Eisen anzuschmieden.
Des Feuers Strahl, den Urquell jeder Kunst,
Dein eigen Antheil, stahl er Göttern, bracht’ ihn
Den Sterblichen. Und dafür soll er nun
Den Frevel mit der Götterrache büßen,
Soll wohl Kronidens Herrschaft ehren lernen,
Vergessen, Menschen Göttern vorzuziehn!

[53]

 Vulkan.
Wohl angebracht an euch ist Zevs Befehl,
Kratos und Bias! Nichts hält euch zurück.
Nur ich nicht hart genug, den mir verwandten Gott
Gewaltsam an den wintergrauen Felsen
Zu ketten. Und doch muß es schon gewagt seyn.
Denn Zevs Befehl nicht achten, ist gefährlich.
Dich schlauen Sohn der Recht beschirmenden Themis!
Dich soll ich hier mit unzerreißbarn Banden
Zuwider dir und mir zuwider fesseln,
An diesen menschenleeren Felsen, wo
Kein Menschenlaut, nicht einer ihrer Blicke
Dir wird, wo deiner Körperschönheit Blume
Von Feuerflammender Sonne ausgedörrt,
Wo zwar nach deinem Wunsch das Sterngewand der Nacht
Das Licht verdunkeln, doch bald wiederum
Den Morgenthau die Sonne theilen wird.

[54]

Erneuern wird die jetz’ge Quaal sich immer
In einer andern, nirgends ist ein Retter.
Das hast du nun von deiner Menschenliebe!
Denn da, ein Gott, den Götterzorn du nicht
Gescheut und Menschen rechtlos Ehre brachtest,
So mußt du schon den wüsten Felsen da
Geradestehend, schlaflos, nimmer ruhend,
Vergebens ächzend, Jammer tönend, hüten.
Denn unerbittlich ist Kronidens Wille,
Und hart ein jeder neue Zepterführer.

 Kratos.
Ja, ja – mags seyn! Was säumst du und bemitleidst
Vergebens ihn, den Götterfeind? du hassest
Ihn nicht, der dein Geschenk den Menschen brachte?

 Vulkan.
Zu enge knüpft uns Freundschaft und Verwandschaft.

[55]

 Kratos.
Mags seyn – Doch nicht befolgen den Befehl
Des Vaters! Kannst du dessen dich erkühnen?

 Vulkan.
Du bist auch immer grausam und voll Härte.

 Kratos.
Was kann es helfen hier, ihn zu beweinen?
Laß nur dein thörigtes unnützes Jammern!

 Vulkan.
Wie hass’ ich doch des Eisens Hammerkunst!

 Kratos.
Du hassest sie? Die Kunst, so viel wir wissen,
Hat keine Schuld an gegenwärt’ger Quaal.

 Vulkan.
Und doch wünsch’ ich, es hätte sie ein andrer.

[56]

 Kratos.
Die Götter theilen alles, nur die Herrschaft
Mit Zevs nicht. Er allein vertheilt die Gaben.

 Vulkan.
Ja freylich. Und dawider hab’ ich nichts.

 Kratos.
Doch eilst du nicht, ihm Fesseln anzulegen?
Daß nur dich Zaudernden nicht Zevs gewahre!

 Vulkan.
So säh’ er ja die Ketten in Bereitschaft.

 Kratos.
So nimm sie! und gewaltig ihm die Hände
Umhammert und dem Felsklooß angeschlagen!

 Vulkan.
Es ist geschehn und fest hält jeder Ring.

[57]

 Kratos.
Nur fester angezogen! Laß nicht ab.
Er weiß selbst unauflösbares zu lösen.

 Vulkan.
Mit diesem Arme dürft’ es kaum geschehn.

 Kratos.
Nur diesen festgekettet! Lern’s der Klügling:
Er sey doch schwächer noch als Jupiter.

 Vulkan.
Auch könnte dieser nur mit Recht mich tadeln.

 Kratos.
Des eisernen Keiles scharfe Spitze nun
Gewaltsam mitten durch die Brust geschlagen!

 Vulkan.
Prometheus! ach! wie jammert mich dein Schmerz.

[58]

 Kratos.
Schon wieder zögerst du, bejammerst ihn
Den Götterfeind? Daß du nur nicht einmal
Dich selbst bejammern mußt!

 Vulkan.
Du siehst ja, welch ein unerträglich Schauspiel!

 Kratos.
Ich seh’ ihn wohl verdientes Unglück tragen
Doch auf! umringe noch mit Ketten seine Seiten.

 Vulkan.
Das muß doch so geschehn. Befiehl nur nicht.

 Kratos.
Befehlen will ich; ja dazu auch schreyn – Nach unten!
Die Schenkel auch mit Ringen fest umschlungen!

[59]

 Vulkan.
Auch das ist schon geschehn mit wenig Mühe.

 Kratos.
Jezt schlage noch die Nägel durch die Ketten,
Daß nichts der strenge Zevs zu tadeln finde.

 Vulkan.
Gleich rauh ist deine Bildung, deine Zunge.

 Kratos.
Zerschmilz nur in Gefühl! Nur meinen festen Sinn
Und meines Muthes Rauhheit tadle nicht.

 Vulkan.
Nun komm. Die Glieder liegen ja in Ketten.
 (ab.)

 Kratos. (zum Prometheus.)
 Ha! frevle noch und stiehl der Götter Gabe,
Und bring sie Staubgebornen! Werden wohl
Die Sterblichen von dieser Quaal dich retten?
Den Schlauen nennen dich die Götter falsch.

[60]

Gerade hier bedarfst du selbst der Schlauheit,
Aus solchem Labyrinth den Weg zu finden.


(1) Kratos und Bias, nach mythischer Ueberlieferung, Söhne der Styx, und des Pallas. Sie sind immer um Jupiter, haben ihre Wohnung nicht ferne von ihm. Hesiod. Theog. v. 385 etc.
(2) Vulkan abgeschreckt durch die Härte des Jupiter, der ihn vom Himmel stürzte, mahnt die Juno von ihrer Widersetzlichkeit ab. Il. α. 590. wird sein Diener, verfertigt die Waffen und Geräthschaften des Vaters.


 Zweyte Scene.

Prometheus allein am Felsen.
 
 Weitschauender Himmel!
Schnellfliegende Winde!
Ihr Ströme den Quellen
Entstürzend! Der Wellen,
Der stürmenden Wellen
Unzählbare Fluten!
Allmutter, o Erde!
O Sonne, die ringsum
Das Weltall erleuchtet!

[61]

 Euch, euch ruf’ ich an.
 O seht, was ich leide
 Von Göttern, ein Gott!

 O schaut, von welchen Quaalen
Ich langsam hingemartert
Der Jahre lange Reihen
Durchkämpfen muß – o sehet!
In solche Bande schlägt mich
Zu meiner Schmach der Neue,
Der Götterfürst! In solche
Schmähliche Bande!

 Ach, ach! Das gegenwärtige preßt
Mir Seufzer ab. Und was wird nicht die Zukunft noch! –
Und werden diese Quaalen
Wohl je ihr Ziel erreichen?

 Doch, o! was red’ ich da? ich weiß ja alles
Genau was kommen wird, und keine Quaal
Ist unerwartet mir. Das zugeworfne Looß
Muß man durch Dulden zu erleichtern wissen;

[62]

Nicht abzuwälzen ist des Schicksals Joch.
Und doch vermag ich nicht zu schweigen, auch
Nicht auszudrücken dieses Schicksals Härte.
Den Menschen bring’ ich ein Geschenk und dafür
Drückt unvermeidlich Elend mich, den Armen!
Der Sonne jag’ ich heimlich einen Funken
Des Feuers ab. Ihn birgt ein Zunderrohr.
Fortan wird er die Quelle jeder Kunst,
Entdeckt den Menschen nie betretne Bahnen;
Und das ist mein Vergehen. Dafür büß’ ich
Hier unterm freyen Himmel angekettet!
Ach, ach! ach, weh!


 Dritte Scene.
Prometheus. Die Töchter des Ocean[1].

 Prometheus.
 Ha! welch ein Laut, was für
ein unsichtbarer Duft fliegt zu mir her?
Von Göttern, Menschen oder Oreaden?

[63]

Führt Neugier sie an diesen Felsenstein
Mein Leiden anzusehn?
Was kann sie sonst hieher geladen haben?
Seht den gefesselten Gott!
Seht mich Unglücklichen!
Den Götterfeind, gehaßt von allen Göttern,
So viel derselben Jovis Haus bewohnen,
Weil er so sehr geliebt die Sterblichen.
Weh mir! was ists? was hör ich wieder?
Ein näher Vogelgeschwirr.
Es säuselt wieder die Luft
Vom Schlagen der schnellen Gefieder.
Ach! alles was sich nähert ist mir schrecklich.

 Chor der Oceaniden.
 O fürchte nichts! Denn diese gesellige Schaar
In wechselseitig schnellem Fluge
Ereilte diesen Felsenabhang,
Das kaum vom Vater gewähret war,
Getragen von schnellbeflügelten Lüften.
Denn das Gehämmer des Eisens drang
Bis tief hinunter zu unsern Grotten,
Verscheuchte die jungfräuliche Schaam;

[64]

Und ohne Socken eil ich her
Auf einem beflügelten Wagen.

 Prometheus.
 Ach, ach, ach!
O ihr der fruchtbarn Thetys Töchter!
O Kinder des Vater Ocean!
Der rings das ganze Erdenrund
Umströmt mit rastloser Meereswoge
O schaut und seht, von welchen Banden wund
Des Felsenabhangs höchste Klippe
Ich unbeneidet hüten muß!

 Chor.
 Ich seh’s, Prometheus, und es dränget sich
Aus meinen Augen eine Thränenwolke
Von Schrecken ausgepreßt. Denn sie erblicken
In Wunden schlagenden Eisen deinen Leib,
Schier ausgedörrt an diesen Felsenstücken.
Denn neue Herrscher thronen im Olymp.
Durch Neuerung und wider alles Recht
Gebietet Zevs, vergißt das große Urgeschlecht.

[65]

 Prometheus.
Ja, hätt’ er mich tief in der Erde Schooß,
Tief zu des Orkus schattenvollen Gründen,
Geschleudert in die gränzenlose Nacht,
Und dort, wo weder Sterbliche noch Götter,
An meiner Quaal sich weiden, mich in Bande,
In unlösbare Bande mich geschlagen!
Nun aber leid’ ich Elender! den Feinden,
Dem Aether selbst zum Schauspiel hingegeben!

 Chor.
Wer von den Göttern wäre hart genug,
An deiner Marter sich zu weiden – Wer
Als Zevs, der unerbittlich stets gewüthet?
Noch bändigt er das himmlische Geschlecht,
Und rastet eher nicht, bis sich sein Zorn
Gestillt, bis ihm, was kaum ausführbar ist,
Ein Mächtiger das Zepter ihm entwendet.

 Prometheus.
Fürwahr auch meiner, wenn gleich jedes Glied
In starken Banden schmachvoll jezt verschmachtet,
Wird einst benöthigt seyn der Götterfürst,

[66]

Ihm jene neuen Feinde zu verrathen
Die ihm das Zepter zu entwinden drohn,
Gewiß. Mich soll sein honigsüßes Schmeicheln
mich seines Zornes Drohung nicht berücken,
Ihm dieses zu enthüllen, bis er mich
Nicht rettet blos aus diesen rauhen Banden,
Nein auch die Schmach mir noch vergütet hat.

 Chor.
Noch bist du kühn an diesem grausen Felsen,
Beugst deinen Nacken nicht von soviel Quaal geschreckt;
Mir graut – Ich fürchte deine künft’gen Leiden.
Wenn wirst du denn das Ufer dieser Quaal
Des hohen Unglücksmeeres finden!
Wer kann Kronidens Sinn erspähn?
Wer einen Weg zu seinem Herzen finden?

 Prometheus.
Ich weiß. Unbeugsam und voll Eigensinn
Ist Kronos Sohn. Doch endlich beugt ihn doch
Erweicht ihn doch das mächtigere Schicksal.
Und hat sein langer Zorn einst ausgezürnt,

[67]

So wird von ihm ein Bund mit mir gestiftet,
Und wie ichs wünsche, Liebe mir gezollt.

 Chor.
Enthüll’ uns alles, nenn’ uns jeden Grund,
Für welch Vergehen Zevs so schwer dich peinigt,
So hart, so schimpflich dich verschmachten läßt.
Belehr’ uns, wenn dein Schmerz es dir verstattet.

 Prometheus.
Zwar schmerzlich ist’s mir, dieses zu erzählen.
Doch schmerzt auch Schweigen. Ringsum ist nur Elend.
Kaum war der Götterzwist entstanden, kaum
Empörten gegen Götter sich die Götter,
So wollten einige Saturn vom Throne stürzen,
Und herrschen sollte Zevs – und wieder andre
Verhinderten Kronidens Thronbesteigung.
Ich rieth hierauf das Beste, doch umsonst!
Nie konnt ich die Titanen überreden.
Sie spotteten des mildern Raths, und wähnten
Mit leichter Müh die Herrschaft zu erzwingen.
Doch mehr als einmal hatte Mutter Themis

[68]

Der Zukunft Schleyer mir enthüllt, vorher
Gesagt: Gewalt und Härte könnten nie
Nur List die künftgen Herrscher überwinden.
Und dieses legt’ ich ihnen deutlich vor.
Doch würdigten sie keines Blickes mich.
Nach vielem hin und wieder sinnen schien es
Mir und der Mutter Themis doch das Beste,
Dem Zevs, der’s gern sah, gerne beyzustehen,
Wie ich’s ihm rieth, verbirgt der schwarze Grund
Des tiefen Tartarus den Ahnen Kronos,
Sammt seinen Mitgenossen. So viel Vortheil
Benutzt der Götterherrscher erst von mir
Und denn vergilt er’s mir mit solcher Marter.
Denn leider ists einmal der Herrscher Sitte,
Den Freunden nicht viel Gutes zuzutrauen.
Nun fragt ihr mich, warum er diese Schmach
Auf mich gehäuft. Auch dies sollt ihr erfahren.
Er hatte kaum den väterlichen Thron
Bestiegen; gleich ertheilt er Göttern Gaben,
Und jedem andere. So wußt’ er sich
Die Herrschaft zu versichern. Nur die Schwächern
Die Menschen übergeht er, will das ganze
Geschlecht vertilgen und ein neues schaffen.

[69]

Und diesem widersezte niemand sich als ich,
Ich kühn genug, beschützte die Verlaßnen
Und dafür beugt mich dieses Elend nieder,
Dem Dulder schmerzlich, kläglich selbst dem Anblick.
Ich, der ich Mitleid für die Menschen fühlte,
Bin selbst nicht mitleidswerth geachtet, bin
So ohne alles Mitgefühl gequält.
Für Jupiter kein ehrebringend Schauspiel!

 Chor.
O marmorhart und eisern muß er seyn
Der ungerührt, der ohne Mitleid dich
Gemartert sieht – ach! ich vermags nicht zu ertragen!

 Prometheus.
Ja, Freunden bin ich wohl ein Jammeranblick.

 Chor.
Und weiter schrittst du nicht in deiner Kühnheit?

[70]

 Prometheus.
Ich hemmte ihre Blicke in die Zukunft.

 Chor.
Was fandst du gegen diese Sucht für Mittel?

 Prometheus.
Ich ließ die Hoffnung täuschend sie umgaukeln.

 Chor.
Fürwahr, ein groß Geschenk für Sterbliche!

 Prometheus.
Und dazu bracht’ ich ihnen noch das Feuer.

 Chor.
Und scheint den Irrdischen des Feuers Flamme noch?

 Prometheus.
Ja wohl, und wird sie viele Künste lehren.

[71]

 Chor.
Und solch Vergehen läßt dich Kronos Sohn
So schmählich büßen, rastet nie mit Quaalen?
Siehst du auch nirgends deines Elends Gränze?

 Prometheus.
Nur denn, wenn’s ihm einmal belieben wird.

 Chor.
Und wann? Und welche Hoffnung? Fühlst du nicht
Daß du gefehlt? Ach! Dieses eben schmerzt mich
Und schmerzen muß es auch dich selbst – Doch still
Davon! Nur einen Retter suche auf!

 Prometheus.
Ja, wer den Fuß von keinem Ungemach
Gefesselt fühlt, kann warnen, kann wohl rathen
Dem Elenden. Doch alles dieses wußt’ ich.
Ich habe gern gefehlt, ich läugn’ es nicht.
Ich brachte Menschen Rettung, und mir Quaalen.
Doch dafür glaubt’ ich nicht zermartert, nicht

[72]

An solch ein unwirthbares Felsgerippe
Verbannt zu werden. Doch bejammert nicht
Mein jetziges Verhängniß – hört vielmehr
Der Zukunft höhre Quaal, bis zur Vollendung.
O senkt euch zu mir nieder, schenkt mir Mitleid,
Mir, der ich soviel dulde! Denn das Unglück
Schwärmt unstät bald zum einen, bald zum andern.

 Chor.
Uns rufest du, als hörten wir es nicht:
Hinunter denn von dem beflügelten Wagen
aus der reinen ätherischen Luft
In diese fürchterliche Felskluft hinunter
Zu hören deine Quaal und deiner Leiden Menge.


[73]
Bemerkungen
über
die erste Scene des Prometheus.


Die Größe des Gegenstandes, das Wunderbare der Handlung dieses Stücks erfordert große Charakterzüge, kühne Darstellung. Es sind Götter, die einen Gott fesseln, Nymphen, die an seinem Leiden Antheil nehmen, Diener Jupiters seine Feinde, Zevs selbst vom hohen Olymp wird sein Verfolger. Das Stück hat den Stoff mit einer epischen, den Dialog mit einer dramatischen Handlung gemein. Der Plan ist einfach, der Ort unverändert bis dahin, wo die beflügelte Rache des Vaters ihn hinabstürzt. Die Beschlüsse seines Schicksals geschehen im Olymp, die Folgen und die Ausführung sehen wir auf einem Felsen im europäischen Scythien.

[74] Bias, die Gewalt, eine personifizirte Idee und nach der Vorstellung des Aeschylus, Jupiters Sklave, spielt in der ersten Scene eine stumme Rolle und ist blos ein mechanischer Arm des strengen Beherrschers. Kratos, die Stärke. Rauhheit, Unempfindlichkeit, Hohnsucht und Unterwerfung sind die Hauptzüge des Charakters dieser dramatischen Person. Vulkan, gleichfalls ein Sklave, aber wider seinen Willen. Zu schwach, sich dem Befehle zu widersetzen, zu gut, um an der Marter seines Freundes Vergnügen zu finden, darf er nichts als ihn bemitleiden und sein ihm vom Jupiter aufgetragenes Geschäft verwünschen. Dem Unempfindlichen ist selbst das theilnehmende Mitgefühl des Vulkan zur Last. Personen von ungleichen Gesinnungen lassen sich eher vereinigen als Charaktere mit contrastirenden Empfindungen. Das Gefühl der Wehmuth und des Mitleids sucht sich anzuschmiegen, die rauhen Empfindungen stoßen von sich. Eteokles [2] [75] kann auf den zärtlichen Ausruf seiner Mutter: „ich Unglückseelige! was werdet ihr thun?“ kalt erwiedern: „das wird sich zeigen.“ Der eigenmächtige Wille des Despoten wird auch der Wille des devoten Sklaven. Prometheus, ein Feind Jupiters ist auch von Kratos gehaßt. An ihm sobald als möglich seine Rache zu üben, sich an seiner Quaal zu weiden, und ihn darob zu verhöhnen, sehnt sich sein gefühlloses Herz. Die Leidenschaft der Rache will bald befriedigt seyn. Mit der kleinen Lust der Schadenfreude ist auch der Hang zum Hohn verbunden. In seiner Einbildung ist es die höchste Wonne, den Leidenden seine Standhaftigkeit verlassen zu sehen, sein Jammergeschrey zu hören, und gerade aus dem Ausdruck des Schmerzes Stoff zum Spott zu ziehen. Die Klagen des Polynices geben seinem ungerechten Bruder nur Gelegenheit, ihn zu verhöhnen [3]. Wie Kratos seine Erwartung getäuscht sieht, wie der große Dulder keinen [76] Laut von sich giebt, was war natürlicher, als wenigstens am Ende ihn persönlich anzureden und auf eine spöttelnde Art durch Mißdeutung seines Nahmens (ein bedeutender Zug einer hohnsüchtigen Gemüthsart!) an ihm die Rache zu kühlen? So spinnt Eteocles aus dem Nahmen seines Bruders den Faden zum Spott:

Fürwahr. Vorher schon ahndend deinen Zankgeist
Hieß dich mit Recht dein Vater Polynices [4].

Getäuschte Erwartung erwekt Unzufriedenheit. Durch das feste Anziehen der Ketten, durch das Treiben des Keiles mitten durch die Brust hofft der Unempfindliche ihm desto eher ein Stöhnen und Klagen auszupressen; und da dies nicht erfolgt, so wendet sich sein Unwille gegen den Vollzieher der Befehle Jupiters. Verfehlt die unzufriedene Gemüthsart ihren Zweck, so muß auch der Schuldlose zum [77] Gegenstande ihrer Laune dienen. Es scheint also, daß der Tragiker, ausserdem, daß sich Kratos als einen getreuen und pünktlichen Diener des Zevs charakterisirt, auch auf noch etwas mehr, auf die sich entschädigende Rache der ihren Zweck verfehlenden Begierde habe hindeuten wollen. Die Bitterkeit der letzten Worte sollte den Leidenden seine Ohnmacht um desto tiefer empfinden lassen, jemehr er sonst auf Schlauheit und List Anspruch machte.

Wir bemerken hiebey: daß der Ausdruck des Vulkan kürzer, der des Kratos um eine Strophe länger sey. Die Pünktlichkeit, mit der letzterer die Befehle Jupiters befolgt haben will, erfordert eine umständliche und daher wortreiche Anweisung des individuellen Geschäftes. Der Beschäftigte hingegen und der zugleich tief gerührt ist, ist nicht beredt. Die Antwort, die der Freund des Prometheus giebt, ist ihm mehr von dem rauhen Peiniger abgedrungen. Nur da, wo er dem Sohne der Themis seine künftige Bestimmung [78] zeichnet und ein rührendes Gemählde seines ihm bevorstehenden Unglücks entwirft, spricht er viel [5]. Des Freundes theilnehmende Vorstellung des zu erwartenden Schicksals bringt das Herz eher zur Sprache, vorzüglich denn, wenn der büssende sich seine Leiden selbst zugezogen hat und die Zukunft noch etwas Herberes befürchten läßt. Denn mit der theilnehmenden Empfindung des Vulkan vermischt er einen gelinden Vorwurf des gar zu kühnen Unternehmens. Es mit dem Gotte der Götter aufzunehmen, einem nur jüngst zur Herrschaft gelangten Oberherrn zu trotzen, einem schwachen Geschlechte zu gut soviel aufzuopfern! Alles dieses scheint ihm tollkühn vom Prometheus, ob wohl zugleich hart vom Bestrafer. Er wagt es nicht, sich dem Auftrage zu entziehen und wird durch die Drohung des Kratos zur Vollziehung gezwungen; – der Charakter eines gutherzigen Sklaven. Aeschylus hat hier zwey Charaktere contrastiren [79] lassen, und dieser Contrast wirft ein lehrreiches Licht auf den Helden der Bühne. Von Kratos lernt der Zuschauer durch Erfahrung, daß Prometheus die Götter zu Feinden habe, und von Vulkan, daß es ihm unter seinen Verwandten doch nicht gänzlich an Theilnehmern fehle. Zugleich eine Vorbereitung zum Nachfolgenden.

Prometheus, schlau und groß verachtet die Sklaven Jupiters [6], haßt alle Götter [7]. Die Ungerechtigkeit eines Einzelnen ist der Leidende geneigt, dem ganzen Geschlechte zuzuschreiben. Er ist kein stoischer Gigante, er empfindet Schmerzen [8]; aber zu schlau, um sich durch Klaggeschrey dem Hohn auszusetzen, und zu stolz, einem Sklaven etwas zu entgegnen. Wir erblicken an ihm nicht den rohen Helden, der seinen Schmerz verbeißt, [80] weil er sich dessen schämt, sondern der die Leidenschaft veredelt; den zurückgehaltenen Ausdruck des Schmerzes. Die Diener eilen zum Olymp und Jupiter soll erfahren, daß die Strafe ihn nicht niederbeugen könne; der Zuschauer soll einen Vorbegriff von dem Charakter des Gottes erhalten und sein zukünftiges Benehmen voraus ahnden. Man vergleiche die letzte Scene. Schweigen deutet bey einer großen Seele nicht selten auf Verachtung. Der griechische Held erwiedert entweder den Hohn mit gleichem Hohn, oder, wo er diesen unter seiner Würde hält, ist Schweigen und Dulden ein Charakterzug der Größe. Prometheus ist ein großer Mensch mit veredelten Leidenschaften.

Und nun denke man sich diese Scene auf öffentlichem Schauplatz, unter freyem Himmel, angeschaut von Griechen! Das hohe Pathos des Dulders, seine, Schmerz und Erhabenheit ausdruckende Miene mußte, wenn der Schauspieler sich bis zur schönen Natur zu erheben vermochte, die [81] reitzbare Seele des Griechen mit den größten Vorstellungen erfüllen; Mitleid und Bewunderung mußten abwechselnd Thränen erpressen und den Geist der eigenen Größe und Unabhängigkeit erwecken. Der Grundsatz: Grieche! trage lieber Ketten und dulde Quaalen, ehe du einem eigenmächtigen Herrscher den Nacken beugst und vor dem Mächtigern kriechest! mußte bey der Vorstellung lebhaft in ihnen werden. Und der Uebergang zur zweyten Scene, wo der Halbgott gleichsam Athem holt und durch Klagen und Seufzer seinem beklemmten Herzen Erleichterung verschafft, mußte eben so die Empfindungen der Zuschauer verändern und das hohe aber kalte Gefühl der Bewunderung zu dem sanftern und wärmern des Mitleids herabstimmen.


[82]
Ueber
die zweyte Scene.

Ουκ αν γενοιτο χωρις ἐσθλα και κακα Αλλ` εςω τις συγκρασις.
 Eurip. Aeol. Fragm. VI. ed. Beck.

Seine Peiniger haben den großen Leidenden verlassen. Jetzt hängt er einsam. Rings um ihn die freye Natur. Sein Herz ist in Arbeit, die Phantasie wird geschäftig, dringt in die Zukunft, und wird nichts als Elend gewahr. Keine Gränze der Quaal. Er vergißt auf einen Augenblick seiner Kräfte, doch bald ruft er seine Größe zurück, ordnet die sich aufdringenden Gefühle seinem höhern Charakter unter, dem nichts unerwartet kommen kann. Prometheus ist ein Gott, er kennt die Zukunft; aber er ist auch ein leidender Mensch. Die Natur fordert den ihr gebührenden Tribut. Das Uebermaaß der Schmerzen, der verlassene Zustand, in dem er sich befindet, das Gefühl [83] des Unrechts dringen ihm Klagen und Seufzer ab. Wir sehen ihn mit sich selbst im Kampf, den höhern Theil mit dem niedern, den wechselseitigen Sieg beyder; denn er ist eine tragische Person, und soll unser Mitleid erwecken. Wir gewinnen ihn lieb, denn er ist unser Wohlthäter, leidet für uns. Wir bemitleiden ihn; er leidet schuldlos und einsam.

Der einsame Zustand hat etwas Schreckliches. Philoctet leidet

Nur von Winden umgeben,
Sonder festen Tritt,
Ohne einen nachbarlichen Freund,
Der Theil an seinem Unglück nimmt,
Mit dem in wechselseitigen Klagen
Er seiner eiternden Wunde
Kaum erträglich Elend
Beweinen darf [9].

Das Herz muß sich ergießen. Dem Leidenden ist es Bedürfniß, sich bey dem [84] gänzlichen Mangel der Gesellschaft an leblose Gegenstände zu wenden. Wald und Flur, Himmel und Erde müssen Zeugen des Jammers seyn. In solcher Lage trägt der Kampf der Empfindungen und des Verstandes das Siegel der Natur. Die Unvermeidlichkeit des Schicksals fordert Geduld, die Größe der Schmerzen preßt Seufzer aus. Der Gott entwirft sich Grundsätze, der Mensch aus Schmerz gedrungen opfert sie auf; aber keine abgesonderte Zeichnung des Gottes oder des Menschen, sondern immer eine unzutrennende Verbindung der Kräfte beyder, nach griechischer Vorstellung von einem Halbgotte und dem tragischen Zweck gemäß. Prometheus erwähnt der Art seines Vergehens und seiner Verdienste um die Menschen. Das tragische Interesse des Stücks gewinnt, daß Aeschylus den Bestraften blos als den Beglücker des Menschengeschlechts, und nur von dieser Seite als Verbrecher vorstellt. In der Hesiodischen Fabel [10] erscheint [85] Prometheus weniger schuldlos, mehr als Betrüger, Jupiter zu sehr als Betrogener. Er soll Mitleid und Theilnahme erwecken, und muß sich nicht, der dramatischen Absicht zuwider, von einer verächtlichen Seite zeigen.


Ueber
die dritte Scene.

Die herrschende Vorstellung, die sich durch das ganze Stück verwebt, ist: Prometheus leidet schuldlos. Dies hören wir in seinen letzten Worten am Ende der Handlung, dies ist der Hauptinhalt der gegenwärtigen Scene. Um seine Unschuld noch in ein helleres Licht zu stellen, zeigt er sich auch als einen Wohlthäter Jupiters, und den Vater als einen Undankbaren. Er will die rebellischen Titanen zu friedlichern Gesinnungen bringen, tritt auf die Seite des neuen Herrschers, räth ihm, seine Feinde in den Tartarus hinab zu stürzen; und doch nimmt dieser bey seinem nachmaligen [86] Erkühnen hierauf gar keine Rücksicht, vergißt die vorherigen Freundschaftsdienste. Hieraus und aus der angethanen Schmach, die er dulden muß, erklärt sich der Haß des Prometheus gegen jenen, die Rache, die er an ihm nehmen will, und die in seiner Gewalt steht. Ueberhaupt ist es Charakter des griechischen Helden, einem Feinde nicht zu verzeihen und ihm Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Nach der Vorstellungsart der Alten ist Zevs dem nothwendigen Schicksal (αναγκη) eben so unterworfen wie der Mensch und jeder andere Gott. Prometheus hat vor dem Vater die Vorhersehungskraft jenes ihm noch bevorstehenden Schicksals voraus. Daher sein Trotz. Er kennt seine Gewalt über den Sohn des Kronos, wirft eine dunkle Erklärung hin und reitzt dadurch nur noch mehr die Neugierde der Oceaniden. Man sollte jetzt erwarten, der Chor werde wissen wollen, wodurch bewogen Jupiter ihm seine Freundschaft anbieten werde. Allein, statt dessen verlangt er von dem Vorgange der Strafe und der Ursache seines Leidens belehrt [87] zu seyn. Mir scheint es: dies ist kein bloßer Dichterbehelf, um den Leidenden desto bequemer seine Geschichte erzählen zu lassen. Furcht und Schrecken hatte den Chor übernommen, da sie den Kühnen in solchem Elende noch trotzen sahen. Diese Empfindung erfüllte noch ihre Seele, während Prometheus bey seiner Behauptung standhaft beharrt. Sie sind schüchterne Mädchen, die sich nicht erkühnen, dem mächtigen Oberherrn Trotz zu bieten, sondern lieber ihr Daseyn froh genießen, und seine Freundschaft durch Opfer und Weihe erhalten wollen [11]. Die Behauptung des Gottes, selbst Jupiters Eigensinn zu beugen, mußte ihnen viel zu gewagt scheinen. Während daß sie also die Auflösung dieser räthselhaften Aussage zu erfahren neugierig sind, und schon das παντ` εκκαλυψον über die Zunge lispeln, so übermannt sie wieder ein Schauer. Sie denken an den strengen Jupiter, den sie durch ihre gar zu große Neugierde zu beleidigen fürchten, sie kennen die Unbiegsamkeit des Prometheus, [88] befahren von ihm einen härtern Verstoß gegen Kronion, und finden es überhaupt unausführbar, dem Vater seine Herrschaft zu entreissen, lenken also lieber ihre Neugierde auf die vorigen Begebenheiten. Ist diese Vermuthung ohne Grund, so hat Aeschylus den Faden abgerissen, um ihn später bey der Erscheinung der Jo wieder anzuknüpfen [12]. –

In den beyden ersten Auftritten erschien Prometheus duldend und einsam, jetzt kann sich sein Herz ausschütten und er darf Theilnahme hoffen. Aber es ist dem Leidenden eigen, an Theilnahme zu zweifeln. Bey dem Halbgotte ist dieses um so natürlicher, da er von Göttern gehaßt, von Menschen unbemerkt, der Luft und den Elementen ausgesetzt schmachtet. Daher sein Erstaunen beym Anblick der Oceaniden, sein flehend Rufen um Mitgefühl. Dem Chore dünkt dieses Mißtrauen hart. Sie wollen nicht nur Zuschauerinnen seines Elends seyn, sondern kommen, um mit ihm gemeinschaftlich zu klagen; [89] ihre Thränen sollen bürgen für ihr gefühlvolles Herz. Die Vorstellung von der Freude, welche seine Feinde bey dem Anblick des Leidens empfinden dürften, haftet noch lange in ihm. Und wie nun sich der Chor als einen Tadler Jupiters zeigt, ihm Gefühllosigkeit und unbiegsamen Sinn zuschreibt, sich zu der Parthey der Titanen schlägt, so wird der Held wieder sichtbar. Hier ist der Uebergang des schmerzlichen Gefühls und der bangen Besorgniß zu dem Gefühle eigener Kraft redend gemahlt, hier Trotz gegen Härte, Bestand gegen Bedrückung.

Noch auf eine andere Art wird das Herz des Zuschauers für den Helden eingenommen, und zwar durch den Gesichtspunkt, aus welchem wir, nach der Darstellung des Dichters, den Jupiter erblicken. Er ist entschlossen, das ganze Menschengeschlecht zu vertilgen, ohne daß irgend ein Grund angegeben wird, der ihn hiezu bewegen kann; er erscheint also als der eigenmächtige Despot. Die Gefahr, in die wir unser eigenes Ich durch diesen Entschluß gesetzt [90] sehen und die Betrachtung, daß der bloße Wille das Gesetz ist, welches ihn bestimmt, erhöht unser Interesse für den Bestraften. Er vereitelt den Plan eines Despoten, macht unser Interesse zu dem seinigen, unterwirft sich den traurigsten Folgen, und des Anblicks der Menschen beraubt, darf er nicht einmal auf Dankbarkeit und Mitleid eines Geschlechts rechnen, welches er glücklich gemacht hat. Jupiter ist also nicht nur der Undankbare, er ist auch der Ungerechte. So weiß Aeschylus den Helden der Bühne zum Gegenstand unsers Mitleids zu machen und die Regeln des Stagiriten erhalten auch durch dieses Stück das Gepräge der Wahrheit und Gültigkeit. Indessen kann Zevs als der Oberherr des Olymps auf die Nichtkränkung seiner Rechte, die ihm doch selbst von den neuen Göttern verliehen sind, Anspruch machen. Seinen Thron zu sichern ertheilt er den Göttern Geschenke, und muß das Unternehmen eines Halbgottes um desto eher bestrafen, je mehr gleich Anfangs seine Herrschaft in Gefahr geräth. Dazu kommt noch, daß die Entwendung [91] des Sonnenfeuers als eine allgemeine Beleidigung aller Götter anzusehen ist. Dieser Vorwurf, der auf Prometheus fällt, wird ihm auch vom Chor und Vulkan gemacht, und hat, ohnerachtet er den Oceaniden unabsichtlich zu entfahren scheint, auf ihn den Einfluß, daß er ihm ein Geständniß seines Vergehens erpreßt, und seinen Starrsinn beugt. Aber nur auf einen Augenblick. Der Ocean kömmt zum Felsen und der Kühne wird wieder sichtbar.

So viel zur Probe über den Charakter. –

Was die Schürzung und Auflösung des Knotens, die Episode der Jo, den Fortgang der Handlung betrift, so verräth das Stück die Kindheit der dramatischen Poesie, ob es gleich mehr Plan enthält, als einige andere Trauerspiele des Aeschylus. Das Epische leuchtet vorzüglich aus der Erzählung der Götterfaktion, der den Menschen ertheilten Geschenke, und dem olympisch Feyerlichen des Beschlusses hervor. Wir würden hievon um so viel eher urtheilen [92] können, wenn die beyden andern Stücke Π. πυρφορος und λυομενος auf uns gekommen wären. Jetzt noch eine Darstellung des Ganzen.

     Ein Gott, gequält von Göttern, hängt er da
An Himmelanstarrenden Felsenstücken!
Ein Freund der Sterblichen. Ungekannt
Von Sterblichen. Ein Held!
Durch Kampf und Blut kein Held.
Ein Feind der Götter und selbst ein Gott.
Verachtend weichliche Gefühle
Und selber tief das Elend fühlend.
Beherrscht vom Vater der Götter
Und er ihn wieder beherrschend.
Es fließen für ihn der Wehmuth Zähren;
Der Meeresgott verläßt sein Fluthenreich;
Es kömmt ein Gott, dem Gott zu rathen.
Doch er bedarf des Mitleids nur.
Jo von Wahnsinn getrieben
Schwärmet den Felsen hinan;

[93]

Und er enthüllt ihr größeres Elend.
Hohn und beissenden Spott
Verhauchen Sklaven des Zevs.
Es schweigt der Leidende,
Zevs schickt seinen Boten ab,
Bietet durch schlaue Kunst
Ihm seine Rettung an.
Er spottet der goldnen Sklavenketten.
Empört droht die ganze Natur
Des Felsen Zusammensturz. Stürme
Wälzen staubigte Wolken.
Zevs donnert vom Himmel herab.
Der Felsen erbebet vom Donner.
Hinunter stürzt er. Es beugt
Den Nacken nicht Prometheus.
Ein schuldloser Gott!

 Achtsnicht.



  1. Ocean erzeugte mit der Thetys die Meernymphen, deren gegen dreytausend sind. Sie bewohnen die Flüsse und Seen.
  2. Eurip. Phoeniss. v. 626. ed. Beck.
  3. Phoeniss. Act. 2.
  4. Ph. v. 640.
  5. Prom. v. 18. etc.
  6. v. 976–78.
  7. v. 983.
  8. Sc. 2. und v. 988.
  9. Sophocl. Philoct. v. 691–95. ed. Brunk.
  10. Theog. v. 521.
  11. Pr. v. 526 etc.
  12. v. 770 etc.