Organisation des Arbeitsmarktes

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Autor: Georg von Schanz
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Titel: Organisation des Arbeitsmarktes
Untertitel:
aus: Handbuch der Politik Dritter Band: Die Aufgaben der Politik, Dreizehntes Hauptstück: Selbsthilfe und Sozialschutz, 72. Abschnitt, S. 77−82
Herausgeber: Paul Laban, Adolf Wach, Adolf Wagner, Georg Jellinek, Karl Lamprecht, Franz von Liszt, Georg von Schanz, Fritz Berolzheimer
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Dr. Walther Rothschild
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Erscheinungsort: Berlin und Leipzig
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72. Abschnitt.


Organisation des Arbeitsmarktes.
Vom
Geheimen Rat Dr. Georg von Schanz,
Reichsrat der Krone Bayern, o. Professor der Staatswissenschaften an der Universität Würzburg.


Literatur: Bearbeiten

G. Schanz, Art. Arbeitsnachweis im Wörterbuch der Volkswirtschaft 3. Aufl. Berlin 1911 I S. 211 bis 221, wo reiche Literaturangaben gemacht sind.
Dazu kommt jetzt als wertvolle Publikation das in mehreren Bänden jährlich erscheinende Bulletin trimestriel de l’association internationale pour la lutte oontre le chômage, Paris 1911, 1912, 1913.

Auf dem Arbeitsmarkt wollen sich alle diejenigen treffen, welche Arbeit anbieten und welche solche bedürfen.

[78] Um zum Ziele zu gelangen, ergreifen die Beteiligten verschiedene Mittel. Bei den Arbeitnehmern findet man zuweilen noch, dass sie sich an öffentlichen Orten aufstellen, was bei den französischen Maurern häufig sein soll. Die sog. Gesindemärkte, wie sie in manchen Gegenden Frankreichs vorkommen, führen an einem bestimmten Tag Landwirte und Dienstboten zusammen und erleichtern ersteren die Anwerbung, letzteren die Erlangung einer Stelle. In der Industrie und dem Gewerbe war früher sehr üblich das persönliche Nachfragen nach Arbeit seitens der Arbeiter, das sog. Umschauen. Dieser Modus kostet aber viel Zeit und Mühe, wirkt auch leicht lohndrückend und demütigend, führt manchmal zur Vagabondage, bei den Arbeiterinnen zur Prostitution. Mit der fortschreitenden Ausdehnung der Presse lag es nahe, auch dieser sich zu bedienen, und in der Tat spielt das Inserat bei gewissen Kategorien persönlicher Dienste und bei Berufen mit grösserer Berufsbildung eine grosse Rolle. In Wien brachten am Palmsonntag 1909 19 Tagesblätter 3690 Stellenangebote und 1504 Gesuche. So erfolgreich oft dieser Weg ist, so ist er doch auch ziemlich kostspielig und für den, der die Angebote zu sichten hat, umständlich.

All diese Formen reichen heute nicht mehr aus. Die Massen der Arbeitnehmer sind zu gross, die Fähigkeiten zu differenziert, die Verhältnisse zu mannigfach. Es machte sich das Bedürfnis nach besonderen Organisationen des Arbeitsmarktes geltend, um Angebot und Nachfrage möglichst rasch, billig und wirksam sich treffen zu lassen, was im Interesse der Beteiligten und der ganzen Volkswirtschaft liegt.

Frühzeitig bemächtigte sich der Erwerbssinn dieses Zweigs und schon im 16. Jahrhundert begegnet uns in den grösseren deutschen Städten die gewerbsmässige Stellenvermittlung; sie erweiterte sich im Laufe derZeit erheblich. Besonders städtische Dienstboten und gewisse Berufe, wie Gast- und Schankwirtschaft, Bühnenangehörige usw. fallen in ihr Bereich. Es lässt sich nicht leugnen, dass die Leiter oft grosse Erfahrung haben, ausgedehnte persönliche Kenntnisse besitzen und infolgedessen ausgezeichnet zu individualisieren verstehen. Doch auch viele Ausartungen kommen vor, so dass die Gesetzgebung immer schärfer gegen die gewerbsmässige Stellenvermittlung vorzugehen sich genötigt sah. In Deutschland geschah dies durch die Gesetze vom 1. Juli 1883, 1. Okt. 1900, 2. Juni 1902 und 2. Juni 1910. Der Geschäftszweig wurde der Konzession unterworfen, diese muss versagt werden nicht nur, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Nachsuchenden in bezug auf den beabsichtigten Gewerbebetrieb dartun, sondern auch wenn ein Bedürfnis nach Stellenvermittlern nicht vorliegt. Um der Ausbeutung der Stellensuchenden entgegen zu treten, hat man einerseits behördliche Taxen eingeführt, die sichtbar auszuhängen sind, andererseits den Vermittlern verboten, Wirtschaften, gewerbsmässige Vermittlung von Wohn- oder Schlafstellen, Handel mit Kleidungs-, Genuss- oder Verzehrungsgegenständen, Lotterielosen, das Barbier-, Geldwechsler- oder Pfandleihergewerbe zu betreiben oder betreiben zu lassen. Solche Geschäfte waren besonders häufig bei den Heuerbaasen, welche den zurückgekehrten Matrosen keine Stelle vermittelten, bis diese ihren Verdienst bei ihnen ausgegeben hatten. Infolge der Gesetzgebung ist ein Rückgang der gewerbsmässigen Stellenvermittlung zu beobachten.[1]

Viele Berufe haben überhaupt von der gewerbsmässigen Stellenvermittlung sich ferne gehalten und den Arbeitsmarkt für ihre Branche selbst organisiert. Es entstanden so die Berufs- oder Facharbeitsnachweise der Arbeiter und Arbeitgeber.

Bereits in der Zeit des Zunftwesens haben die Handwerksgesellen eine den damaligen Verhältnissen entsprechende Einrichtung geschaffen; in ihren Herbergen gaben sie über die freien Stellen der Zuwandernden Bescheid; diese erhielten daselbst auch Obdach und wenn kein Bedarf nach Gesellen bestand, das Geschenk. Als seit dem 16. Jahrhundert das Institut immer mehr der Arbeitsscheu und Trunksucht Vorschub leistete und das Auftreiben (Boykottieren) missliebiger Meister [79] epidemisch machte, entzog eine Reichspolizeiordnung von 1530 den Gesellen das Recht, den Wanderern Arbeit zu besorgen und sprach dasselbe dem jüngsten Meister, dem sog. Zunftwirt zu.

In der Industrie haben die organisierten Arbeiter sich gleichfalls bemüht, den Arbeitsnachweis an sich zu ziehen, um möglichst ihre Mitglieder in die freien Stellen zu bringen, ihre Unterstützungskassen zu entlasten und die Arbeitgeber mit dem Damoklesschwert der Arbeitersperre, im Schach zu halten. In England ist dies den Gewerkvereinen teilweise gelungen; in Deutschland ist dies weniger der Fall.[2] Wohl aber betätigen sich in ausgedehntem Masse auf dem Gebiet der Stellenvermittlung die Handlungsgehilfen, ohne dass sie aber darin von den Prinzipalen bekämpft werden.

Als die Arbeitgeber sich bewusst wurden, welche Gefahr die Beherrschung des Arbeitsmarkts seitens organisierter Arbeiter ihnen brachte, säumten sie nicht sowohl im Handwerk, als besonders in der Grossindustrie energisch sich zu wehren. Sie wollten sich die Möglichkeit verschaffen, kontraktbrüchige und unruhige Arbeiter auszuschalten, und zu verhindern, dass streikende Arbeiter bei anderen Arbeitgebern eingestellt werden. Der Arbeitsnachweis sollte ihnen als eine Art Massregelungsinstitut dienen. Der Anstoss dieser Bewegung ging von Hamburg aus, wo der Verband der Eisenindustriellen 1889 einen Arbeitsnachweis in Form eines Kontrollbureaus einführte. Mit der raschen Zunahme der Arbeitgeberverbände fassten auch deren Arbeitsnachweise immer festere Wurzel und dehnten sich rasch aus.[3] In der Metall- und Textilindustrie, im Bergbau, auch im Verkehrs- und Baugewerbe spielen sie eine grosse Rolle. Man spricht von einem Berliner und einem Hamburger System: nach ersterem dürfen die Arbeitgeber unmittelbar Arbeitsuchende anstellen, doch müssen diese einen Nachweisschein vorher oder nachher erheben, der ausgestellt wird, wenn der Arbeiter sich über Art und Dauer seiner bisherigen Tätigkeit genügend ausweisen konnte; Arbeitsscheue, Trunkenbolde, Streikende können so ausgeschieden werden. Strenger ist das Hamburger System, das überwiegt. Die Mitglieder dürfen nur Arbeiter einstellen, welche der Arbeitsnachweis ihnen zuweist. Um die Mitglieder gut bedienen zu können, müssen sie detaillierte Angaben über die Art und das Alter der verlangten Arbeiter und der täglichen Arbeitszeit machen. Die Arbeitsuchenden müssen sich über ihre Kranken- und Invalidenversicherung ausweisen, den letzten Entlassungsschein und Zeugnisse vorlegen, Minderjährige ihr Arbeitsbuch. Über jeden sich meldenden Arbeiter wird eine Personalkarte geführt, welche Namen, Geburtsort und Geburtsdatum, sowie die Firmen ersehen lässt, bei denen er beschäftigt war und wann. Man kann sich also rasch über den Betreffenden orientieren. Bei der Zuweisung ist nicht die Reihenfolge der Anmeldung, sondern in erster Linie ihre Geeignetheit massgebend, unter mehreren Passenden wird aber der verheiratete, und unter diesen der am längsten Gemeldete berücksichtigt. Die Tüchtigsten haben also die besten Chancen. Die Arbeitgebernachweise haben das Verdienst, das leidige Umschauen eingeschränkt und Angebot und Nachfrage in ihrem Gebiet mehr zentralisiert zu haben. Die Leitung ist sehr fachkundig, den speziellen Bedürfnissen, die sich oft sehr differenzieren, weiss sie gerecht zu werden; man kommt mit wenigen technischen Beamten aus, da man es nur mit je einer Industrie zu tun hat. Die Arbeitgebernachweise wurden und werden aber noch stark angegriffen oder wenigstens mit Misstrauen angesehen; doch haben sie sich vielfach in neuerer Zeit dazu verstanden, eine unparteiische Handhabung zu versprechen und sogar paritätisch ausgestaltete Beschwerdeausschüsse zuzugestehen, auch die Sperre gegen einzelne (z. B. kontraktbrüchige) Arbeiter zeitlich zu beschränken. Im Zechenverband ist es der preussischen Regierung gelungen, den Beschwerden der Arbeiter abzuhelfen.

Im Handwerk sind als Arbeitgebernachweise die Innungsarbeitsnachweise anzusprechen. Sie können als eine Fortsetzung analoger Einrichtungen aus der Zunftzeit gelten. Seit 1881 ist der Nachweis von Gesellenarbeit und die Fürsorge für das Herbergwesen ihnen als obligatorische Aufgabe gestellt; eine Novelle von 1897 hat auch die Mitwirkung von Gesellenausschüssen vorgeschrieben. Eine grosse Bedeutung kommt im allgemeinen den zersplitterten Innungsnachweisen nicht zu; etwas [80] besser liegen die Dinge, wo Innungsverbände bestehen, wie bei den Bäckern; auch bei den Malern, Fleischern, Barbieren ist er relativ gut entwickelt. Die Handhabung ist bei kleinen Arbeitsnachweisen etwas primitiv, der sog. Sprechmeister findet sich oft erst in den Abendstunden in der Herberge ein; lieber, als dass die Gesellen den ganzen Tag warten, wandern sie oft weiter. Ist die Vermittlung dem Herbergswirt übertragen, ist die Sache vollends bedenklich. Manche Innungen haben sog. Verbandsbücher eingeführt, welche aber von sozialdemokratischer Seite sehr angefochten werden, indem behauptet wird, Verbandsbücher würden nur meistertreuen Gehilfen gegeben und bezweckten deren Bevorzugung.

Auch manche Veranstaltungen auf dem Gebiet des landwirtschaftlichen Arbeitsmarktes sind hier anzuschliessen.[4] Die bedauerliche Tatsache, dass unsere Landwirtschaft, namentlich die der Grossgüter, nur mit Zuhilfenahme ausländischer Arbeiter betrieben werden kann, hat dazu geführt, dass eine „deutsche Arbeiterzentrale“ mittels ausländischer Agenten und Grenzämter die von den Arbeitgebern gewünschten Arbeiter in der Hauptsache in Russland (Polen) und Oesterreich-Ungarn (Ruthenen) anwerben. Die ausländischen Arbeiter, die immer nur zeitlich beschränkt zugelassen werden, müssen an einem Grenzamt eine Legitimationskarte lösen, auf der der Arbeitgeber, für den sie angeworben sind, verzeichnet steht. Bei Nichtantritt oder Kontraktbruch erfolgt Ausweisung. Mit der Zentrale stehen die Landwirtschaftskammern in Verbindung, die auch ihrerseits, namentlich inländische Arbeiter zu gewinnen suchen. In Preussen hat der Etat 1913 eine Summe von 45 000 M. vorgesehen, um die Inlandvermittlung durch die Landwirtschaftskammern zu fördern; auch die Erträgnisse, die einzelne Landwirtschaftskammern aus der Vermittlung inländischer Arbeiter ziehen, müssen nach Anordnung des preuss. Landwirtschaftsministers für die Förderung des gemeinnützigen Inländernachweises verwandt werden.

Die Gegensätzlichkeit, die zwischen den Arbeitnehmer- und Arbeitgebernachweisen besteht, suchte man zu beseitigen durch Schaffung von paritätischen Facharbeitsnachweisen, so genannt, weil eine Kommission aus gleichviel Arbeitgebern und Arbeitnehmern über eine möglichst neutrale Verwaltung wacht. Bei den Brauern in Berlin und den Buchdruckern haben sie sich zuerst eingebürgert; im Zusammenhang mit den immer häufiger werdenden Arbeitstarifverträgen ist ihre Zahl rasch im Wachsen, da sie dazu dienen, die vereinbarten Arbeitsbedingungen zu kontrollieren. Aber die zuweilen versuchte Bevorzugung der Vereinigungen, die den Tarifvertrag abgeschlossen haben, verbunden mit Ausschliessung oder Zurückstellung anderer Arbeiter hat naturgemäss auch ihnen den Vorwurf der Parteilichkeit nicht erspart. Auch der bei ihnen vorkommende starre Nummernzwang und der Vermittlungszwang wird für anstössig gefunden,[5] was weniger für den Meldezwang gelten würde.

Mit den genannten Einrichtungen konnte die Organisation des Arbeitsmarkts nicht ihr Ende finden. Zu ihnen ist noch der allgemeine öffentliche Arbeitsnachweis hinzugetreten.[6] Es ist eine markante Erscheinung, wie hier sich ungeheuer rasch eine neue gemeinwirtschaftliche Aufgabe herausbildete. In Deutschland sind diese öffentlichen Arbeitsnachweise von gemeinnützigen Vereinen mit kommunaler Unterstützung oder von den Kommunen selbst errichtet worden. Der erste geht bis ins Jahr 1864 zurück, in den Jahren 1890–93 entstanden weitere, aber sie hatten noch nicht die rechte Methode gefunden; sie waren polizeilich im Nebenamt verwaltet und sollten und wurden auch nur von notleidenden Arbeitern in Anspruch genommen. Im Jahr 1893 regte der Vorsitzende des Stuttgarter Gewerbegerichts Regr. Lautenschläger eine neue Gestaltung an; er verlangte, dass der Zusammenhang mit der Armenpflege gelöst, eine neutrale unparteiische Leitung gewährleistet und deshalb Arbeiter und Arbeitgeber mit der Überwachung betraut, die Kosten von den Kommunen getragen werden. Die Sache kam nun rasch in Fluss. Es [81] bildeten sich auch bald Verbände[7] um den Ausgleich in grösseren geographischen Bezirken wirksamer zu erreichen. In Bayern hat man die verschiedenen Arbeitsämter in jedem der 8 Regierungsbezirke an eine Zentrale angeschlossen, welche, soweit der Ausgleich lokal nicht möglich ist, diesen unter sich und vielfach auch noch in den angrenzenden Gebieten durch Austausch von Vakanzenlisten und besonders telephonisch versuchen.

Im allgemeinen werden die Stellen nach der Reihenfolge der Anmeldungen zugewiesen, jedoch unter Rücksichtnahme auf die Tauglichkeit für die betreffende Stelle, auch unter Bevorzugung der Ortsansässigen, Verheirateten und Familienväter. Die Einhaltung der Reihenfolge hat den Vorteil, dass auch die älteren und etwas weniger tüchtigen Arbeiter mit unterkommen.

Die öffentlichen Arbeitsnachweise waren anfänglich in grosser Verlegenheit, wie sie sich Streiks gegenüber verhalten sollten. Vermittelten sie bei Streiks weiter, so beschuldigten die Arbeiter sie, dass sie Streikarbeit förderten; stellten sie die Vermittlung ein, so waren die Arbeitgeber ungehalten. Nach verschiedenen Versuchen, diesen Interessenkonflikt zu überwinden, kam man schliesslich zu dem Ausweg, dass das Arbeitsamt bei Streik oder Aussperrung seine Tätigkeit nicht einstellt, aber bei der Vermittlung darauf aufmerksam macht, dass in dem betreffenden Arbeitszweig oder bei dem betreffenden Unternehmer Streik oder Sperre besteht. Die Arbeitgeber waren und sind damit jedoch nicht zufrieden; sie geben zwar zu, dass dieser Modus praktisch sei, weil sonst Arbeiter, die in Unkenntnis einträten, kurz nach Eintritt wieder fortgingen; aber sie meinen, es müsse ihnen dann auch mitgeteilt werden, ob die ihnen zugehenden Arbeiter ausgesperrte oder streikende seien.[8] Die Arbeitsämter haben im Jahr 1898 zur Förderung der Probleme und Erörterung ihrer Aufgaben sich zu einem Verband deutscher Arbeitsnachweise zusammengeschlossen, von dem auch eine Zeitschrift „Der Arbeitsmarkt“, vom 1. Oktober 1913 ab unter dem Titel „Der Arbeitsnachweis in Deutschland“ herausgegeben wird. Die Arbeitsämter haben meist das Prinzip der Gebührenfreiheit, was in Verbindung mit staatlich gewährten Vergünstigungen im Telephonverkehr und Ermässigungen im Eisenbahnverkehr, wie sie zuerst in Süddeutschland üblich geworden sind, eine grosse werbende Kraft in sich schloss. Zweckmässig haben sich grössere Arbeitsämter noch andere soziale Einrichtungen angegliedert, so namentlich den Wohnungsnachweis für Arbeiter, Kostkindervermittlung, Rechtsauskunftstelle, Schreibstuben für stellenlose Kaufleute. Sehr häufig hat man auch Warteräume geschaffen, in denen sich die Arbeitsuchenden aufhalten und eventuell mit nachfragenden Arbeitgebern gleich verhandeln können.

In die eigentliche Grossindustrie vermochte der öffentliche Arbeitsnachweis in Deutschland bis jetzt nicht einzudringen, immerhin ist es ihm gelungen, neben den ungelernten Arbeitern, Dienstboten, Putzfrauen, auch gelernte Arbeiter ausserhalb der Grossindustrie und landwirtschaftliche Arbeiter in erheblichem Masse zu vermitteln. Eine gewisse Abneigung in den Unternehmerkreisen ist immer noch vorhanden, sie fürchten nicht entsprechend bedient zu werden, teils wegen des Prinzips der Reihenfolge, teils wegen der Rücksicht auf die Armenpflege, welche den einheimischen Arbeiter den auswärtigen vorziehen lassen; sie fürchten auch, dass wenn die Arbeiter die Mehrheit in den Gemeindevertretungen erhalten, die Unparteilichkeit nicht gewahrt bleibe. Aber eine Reihe Innungen haben im Interesse der Kostenersparnis und einsehend, dass unter heutigen Verhältnissen das ziellose Wandern nicht mehr zeitgemäss ist und dass die Einheitlichkeit und Übersichtlichkeit des Arbeitsmarkts sehr wertvoll sind, sich entschlossen, ihren Arbeitsnachweis, manchmal auch die Verabreichung des Geschenks, dem Arbeitsamt zu übertragen, so in München, Berlin, Köln, Stuttgart. Bei grossen Gewerbszweigen hat man ihnen zuweilen einen eigenen sachkundigen Leiter und eine eigene paritätische Überwachungskommission eingeräumt. Freilich haben andere auch wieder energisch eine Angliederung abgelehnt. Eine Reihe von Landwirtschaftskammern hat es ebenfalls für zweckmässig befunden, ihren Arbeitsnachweis einem öffentlichen anzugliedern und neuestens sind weitere Schritte durch Vereinbarung von Grundzügen für gemeinsames Arbeiten in Preussen geschehen. Die Gewerkschaften, früher den öffentlichen Arbeitsnachweisen abgeneigt, sind jetzt Befürworter derselben.[9]

[82] Eine interessante Ausgestaltung hat der öffentliche Arbeitsnachweis in Luxemburg erfahren, insofern die Poststellen Filialen für die paritätisch eingerichtete Zentrale bilden. Nicht minder beachtenswert ist das Vorgehen in England, wo ein Gesetz v. 30. Juli 1909 die staatliche Einrichtung und Verwaltung von Arbeitsnachweisen vorsieht. Ende des Jahres 1912 waren nicht weniger als 414 Arbeitsnachweise, welche 8 Verwaltungsbezirken angeschlossen sind, eingerichtet; 17 Beratungsausschüsse wurden gebildet, die unter der Leitung eines unparteiischen Vorsitzenden aus einer gleichen Zahl vom Handelsamt ernannter Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter bestehen.[10] Für die gegen Arbeitslosigkeit obligatorisch versicherten arbeitslosen Arbeiter ist die Benutzung des staatlichen Arbeitsnachweises obligatorisch. Diejenigen, welchen Arbeit an einem anderen Ort nachgewiesen wird, erhalten die Reisekosten auf Verlangen vorgeschossen. Vermittelt wurden 1912 785 239 Stellen dauernder und 266 622 vorübergehender Natur.

Von keiner zahlenmässig sehr ins Gewicht fallenden Bedeutung, aber sehr heilsam sind die charitativen Arbeitsnachweise. Es gibt Stellenlose, welche nur unvollkommen ausgebildet oder schwach begabt, unfallverletzt, invalide, rekonvaleszent sind; andere kommen aus Gefängnissen; solche Kategorien finden schwer Arbeit, und es bedarf besonderer individueller Bemühungen, um sie entsprechend unterzubringen. Wieder andere, wie Mädchen in ihnen fremden Orten, haben einen besonderen Schutz nötig. Es gibt zahlreiche Vereine und Organisationen, die sich auf diesem Felde betätigen. Auch die Nachweise der Arbeiterkolonien und Wanderarbeitsstätten können zum Teil zur Gruppe der charitativen Nachweise gerechnet werden.

Schwierige Probleme stellt der Arbeitsnachweis für Lehrlinge dar, weil sich mit ihm die Berufsfrage verknüpft und der Gegensatz von Handwerk und Industrie hereinspielt;[11] der öffentliche Arbeitsnachweis hat, besonders in Süddeutschland, vielfach auch diesem Zweig seine Aufmerksamkeit gewidmet; aber auch Innungen und andere Organe beteiligen sich an dieser Vermittlung, eine gewisse Gegensätzlichkeit der Auffassungen zeigt sich auch hier.

Von allen Formen der Arbeitsvermittlung weist die meisten vermittelten Stellen der gemeinnützige Arbeitsnachweis auf, ihm steht aber wenig nach der Arbeitsnachweis der Arbeitgeber.[12] Im Ganzen wird die Entwicklung wohl im Lauf der Zeit zu einer grösseren Zentralisation und zu einem allmählichen Sieg der Unparteilichkeit führen. Es muss einmal eine Zeit kommen, in der der Arbeitsnachweis aufhört, ein Kampfmittel zu sein, und lediglich ein Verkehrsmittel wird, das Arbeitgebern und Arbeitnehmern den Weg zum Arbeitsvertrag ebnet. Aufgabe des öffentlichen Arbeitsnachweises ist es, dieses Prinzip festzuhalten und ihm zum Sieg zu verhelfen.





  1. Die bisherigen Wirkungen des deutschen Stellenvermittlungsgesetzes v. 2. Juni 1910, Bulletin trimestriel de l’ass. intern. pour la lutte contre le chômage 1 (1911) Nr. 2 S. 227. Vgl. auch O. Becker u. E. Bernhard, Die gesetzliche Regelung der Arbeitsvermittlung in den wichtigsten Ländern der Erde, ebenda 3 (1913) Nr. 3 S. 901 und Schrift mit gleichem Titel Berlin 1913, sowie Hellm. Wolff, Der Ausbau des Arbeitsnachweises, Jahrb. f. Nationalök. u. Statistik, 3. F. 41 (1911) S. 329.
  2. O. Michalke, Die Arbeitsnachweise der Gewerkschaften im Deutschen Reich, Berlin 1912.
  3. Gerh. Kessler, Die Arbeitsnachweise der Arbeitgeber, Leipzig 1911. Die neuere Entwickl. der Arbeitgeber- und Arbeitnehmernachweise, Reichsarbeitsblatt 10 (1912) Nr. 11 u. 12.
  4. Vgl. die neuere Entwicklung der landwirtschaftlichen Arbeitsnachweise in Deutschland im Reichsarbeitsblatt 11 (1913) S. 42, 120, ausserdem le placement des ouvriers agricoles im Bulletin trimestriel de l’ass. intern. pour la lutte contre le chômage 2 (1912) Nr. 3 und K. Willecke, Die landwirtschaftliche Arbeitsvermittlung in Deutschland, Berlin 1912.
  5. P. Francke, Zur Geschichte des öffentlichen Arbeitsnachweises in Deutschland, Diss. Halle 1913.
  6. Siehe dazu Arbeitsmarkt 16 (1913) S. 151 f., 300 f.
  7. Die deutschen Arbeitsnachweisverbände (Bulletin trimestriel 1 (1911) Nr. 2 S. 231 f.
  8. Siehe über diesen Punkt auch die Erörterungen in der Sitzung des preuss. Abg.-Hauses v. 26. Febr. 1913.
  9. Vgl. Resolution des 8. Kongresses der Gewerkschaften Deutschlands vom Juli 1911 zu Dresden.
  10. In Baden hat man mit Recht schon länger die Naturalverpflegstationen zu Filialen des Arbeitsnachweises gemacht u. in Württemberg hat man in dieser Richtung gute Erfolge erzielt; ein preussisches Ges. v. 29. Juni 1907 sieht die Verbindung der Wanderarbeitsstätten mit der Arbeitsvermittlung u. einen staatlichem Kostenzuschuss vor.
  11. Vgl. besonders Bulletin trimestriel 2 (1912) S. 1 fg. Über die Mitwirkung der Schulbehörden bei den staatlichen Arbeitsnachweisen in England, siehe ebenda 3 (1913) S. 761 fg.
  12. Nach der Erhebung über Arbeitsnachweise im Deutschen Reich nach dem Stande von Ende 1912 (Sonderbeilage zum Reichsarbeitsblatt Nr. 6, Juni 1913) wurden 2224 Arbeitsnachweise testgestellt. Von den 1985 berichtenden kamen 321 auf Nachweise der Gemeinden usw. mit 1 298 977, 103 auf Arbeitgebernachweise mit 1 203 613, 517 auf Innungsnachweise mit 162 579, 71 auf Nachweise der Landwirtschaftskammern usw. mit 98 369, 521 auf Arbeiternachweise mit 353 309, 79 auf Angestelltennachweise mit 47 053, 116 auf Nachweise von Arbeitgebern und Arbeitern mit 152 028, 184 auf Nachweise der Herbergen u. Wanderarbeitsstätten mit 112 243, 73 auf sonstige Arbeitsnachweise mit 166 331 vermittelten Stellen; Im ganzen haben die 1985 Nachweise 3 594 502 Stellen vermittelt. Eine paritätische Mitwirkung von Arbeitgebern und Arbeitern wurde, abgesehen von den 119 Arbeitsnachweisen in Händen der Arbeitgeber und -nehmer, bejaht von 199 gemeindlichen, 86 Innungs-, 22 Angestellten- und 5 sonstigen Arbeitsnachweisen.