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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Und wir haben tatsächlich schon eine Reihe mustergiltiger Beispiele. Eng damit verbunden ist die Frage des Gemeindegasthauses und der Gasthausreform.

Mit den ländlichen Festen und der Trachtenfrage sind wir aber schon mitten in dem Gebiet der „Heimatpflege“, zu der sich, wie eingangs gesagt, die ländliche Wohlfahrtspflege sofort erweitern musste, als sie von dem Nordosten nach dem Westen, von den Kreisen der Landarbeiter in die bäuerlichen übergriff. Mit dieser Heimatpflege hängt aufs engste zusammen der „Heimatschutz“ – diese jüngste, so ausserordentlich rasch zu Ausbreitung und wachsender Bedeutung gelangte Kulturbewegung, die an anderer Stelle behandelt ist (s. Abschnitt (64, II).

Hier sei nur die Frage noch beantwortet: Ist diese Bewegung der Heimatpflege und des Heimatschutzes, bei der es sich, wie dort gezeigt, im letzten Grund darum handelt, dem Kapitalismus Zügel anzulegen, ja auch die der ganzen ländlichen Wohlfahrtspflege, nicht „reaktionär“ und „romantisch“, dem Fortschritt feindlich und darum doch aussichtslos? Die Frage liegt nahe, und man muss, wenn man sie verneinen will, sich allerdings über Prinzipienfragen, und zwar so ziemlich die wichtigsten unserer ganzen Volkswirtschaft und Kultur, klar werden. Es ist die Frage nach der Zukunft unserer Landwirtschaft gegenüber der Entwicklung des industriellen Kapitalismus. Sie kann aus technischen, nationalen und soziologischen Gründen nur dahin beantwortet werden, dass Erhaltung der Landwirtschaft und besonders des Bauernstandes, ja bedeutende Vermehrung des letzteren durch eine umfassende Kolonisation im deutschen Nordosten, eine Notwendigkeit für unser Volk und unsere Volkswirtschaft ist. Deutschland darf immer nur „Agrar“- und „Industriestaat“ sein und bleiben, nie reiner Industriestaat werden. Will man aber die Landwirtschaft und vor allem den Bauernstand nicht nur erhalten, sondern vermehren, dann muss man ländliche Wohlfahrtspflege, Heimatpflege und Heimatschutz wollen und treiben. Denn eben die soziale, richtiger soziologische Bedeutung des Bauernstandes hat dieser nur, solange er wirklich ein besonderer Stand mit besonderer Eigenart bleibt. Er soll darum technisch nicht rückständig sein, er muss gewiss den landwirtschaftlichen Mittel- und Kleinbetrieb ganz modern ausbilden, aber seine besondere Standesart muss er dabei erhalten und mehren. Es handelt sich also bei diesen Fragen wahrlich nicht um romantische Spielerei, sondern um die letzten und grössten Lebensfragen unserer Volkswirtschaft und unseres Volkes. Noch immer „spriesst der Stamm der Riesen“ – d. h. jetzt der Industrie, des Handels und der Städte – „aus Bauernmark hervor“.





72. Abschnitt.


Organisation des Arbeitsmarktes.
Vom
Geheimen Rat Dr. Georg von Schanz,
Reichsrat der Krone Bayern, o. Professor der Staatswissenschaften an der Universität Würzburg.


Literatur:

G. Schanz, Art. Arbeitsnachweis im Wörterbuch der Volkswirtschaft 3. Aufl. Berlin 1911 I S. 211 bis 221, wo reiche Literaturangaben gemacht sind.
Dazu kommt jetzt als wertvolle Publikation das in mehreren Bänden jährlich erscheinende Bulletin trimestriel de l’association internationale pour la lutte oontre le chômage, Paris 1911, 1912, 1913.

Auf dem Arbeitsmarkt wollen sich alle diejenigen treffen, welche Arbeit anbieten und welche solche bedürfen.


Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/93&oldid=- (Version vom 14.11.2021)