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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Eine interessante Ausgestaltung hat der öffentliche Arbeitsnachweis in Luxemburg erfahren, insofern die Poststellen Filialen für die paritätisch eingerichtete Zentrale bilden. Nicht minder beachtenswert ist das Vorgehen in England, wo ein Gesetz v. 30. Juli 1909 die staatliche Einrichtung und Verwaltung von Arbeitsnachweisen vorsieht. Ende des Jahres 1912 waren nicht weniger als 414 Arbeitsnachweise, welche 8 Verwaltungsbezirken angeschlossen sind, eingerichtet; 17 Beratungsausschüsse wurden gebildet, die unter der Leitung eines unparteiischen Vorsitzenden aus einer gleichen Zahl vom Handelsamt ernannter Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter bestehen.[1] Für die gegen Arbeitslosigkeit obligatorisch versicherten arbeitslosen Arbeiter ist die Benutzung des staatlichen Arbeitsnachweises obligatorisch. Diejenigen, welchen Arbeit an einem anderen Ort nachgewiesen wird, erhalten die Reisekosten auf Verlangen vorgeschossen. Vermittelt wurden 1912 785 239 Stellen dauernder und 266 622 vorübergehender Natur.

Von keiner zahlenmässig sehr ins Gewicht fallenden Bedeutung, aber sehr heilsam sind die charitativen Arbeitsnachweise. Es gibt Stellenlose, welche nur unvollkommen ausgebildet oder schwach begabt, unfallverletzt, invalide, rekonvaleszent sind; andere kommen aus Gefängnissen; solche Kategorien finden schwer Arbeit, und es bedarf besonderer individueller Bemühungen, um sie entsprechend unterzubringen. Wieder andere, wie Mädchen in ihnen fremden Orten, haben einen besonderen Schutz nötig. Es gibt zahlreiche Vereine und Organisationen, die sich auf diesem Felde betätigen. Auch die Nachweise der Arbeiterkolonien und Wanderarbeitsstätten können zum Teil zur Gruppe der charitativen Nachweise gerechnet werden.

Schwierige Probleme stellt der Arbeitsnachweis für Lehrlinge dar, weil sich mit ihm die Berufsfrage verknüpft und der Gegensatz von Handwerk und Industrie hereinspielt;[2] der öffentliche Arbeitsnachweis hat, besonders in Süddeutschland, vielfach auch diesem Zweig seine Aufmerksamkeit gewidmet; aber auch Innungen und andere Organe beteiligen sich an dieser Vermittlung, eine gewisse Gegensätzlichkeit der Auffassungen zeigt sich auch hier.

Von allen Formen der Arbeitsvermittlung weist die meisten vermittelten Stellen der gemeinnützige Arbeitsnachweis auf, ihm steht aber wenig nach der Arbeitsnachweis der Arbeitgeber.[3] Im Ganzen wird die Entwicklung wohl im Lauf der Zeit zu einer grösseren Zentralisation und zu einem allmählichen Sieg der Unparteilichkeit führen. Es muss einmal eine Zeit kommen, in der der Arbeitsnachweis aufhört, ein Kampfmittel zu sein, und lediglich ein Verkehrsmittel wird, das Arbeitgebern und Arbeitnehmern den Weg zum Arbeitsvertrag ebnet. Aufgabe des öffentlichen Arbeitsnachweises ist es, dieses Prinzip festzuhalten und ihm zum Sieg zu verhelfen.




  1. In Baden hat man mit Recht schon länger die Naturalverpflegstationen zu Filialen des Arbeitsnachweises gemacht u. in Württemberg hat man in dieser Richtung gute Erfolge erzielt; ein preussisches Ges. v. 29. Juni 1907 sieht die Verbindung der Wanderarbeitsstätten mit der Arbeitsvermittlung u. einen staatlichem Kostenzuschuss vor.
  2. Vgl. besonders Bulletin trimestriel 2 (1912) S. 1 fg. Über die Mitwirkung der Schulbehörden bei den staatlichen Arbeitsnachweisen in England, siehe ebenda 3 (1913) S. 761 fg.
  3. Nach der Erhebung über Arbeitsnachweise im Deutschen Reich nach dem Stande von Ende 1912 (Sonderbeilage zum Reichsarbeitsblatt Nr. 6, Juni 1913) wurden 2224 Arbeitsnachweise testgestellt. Von den 1985 berichtenden kamen 321 auf Nachweise der Gemeinden usw. mit 1 298 977, 103 auf Arbeitgebernachweise mit 1 203 613, 517 auf Innungsnachweise mit 162 579, 71 auf Nachweise der Landwirtschaftskammern usw. mit 98 369, 521 auf Arbeiternachweise mit 353 309, 79 auf Angestelltennachweise mit 47 053, 116 auf Nachweise von Arbeitgebern und Arbeitern mit 152 028, 184 auf Nachweise der Herbergen u. Wanderarbeitsstätten mit 112 243, 73 auf sonstige Arbeitsnachweise mit 166 331 vermittelten Stellen; Im ganzen haben die 1985 Nachweise 3 594 502 Stellen vermittelt. Eine paritätische Mitwirkung von Arbeitgebern und Arbeitern wurde, abgesehen von den 119 Arbeitsnachweisen in Händen der Arbeitgeber und -nehmer, bejaht von 199 gemeindlichen, 86 Innungs-, 22 Angestellten- und 5 sonstigen Arbeitsnachweisen.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/98&oldid=- (Version vom 14.11.2021)