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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Um zum Ziele zu gelangen, ergreifen die Beteiligten verschiedene Mittel. Bei den Arbeitnehmern findet man zuweilen noch, dass sie sich an öffentlichen Orten aufstellen, was bei den französischen Maurern häufig sein soll. Die sog. Gesindemärkte, wie sie in manchen Gegenden Frankreichs vorkommen, führen an einem bestimmten Tag Landwirte und Dienstboten zusammen und erleichtern ersteren die Anwerbung, letzteren die Erlangung einer Stelle. In der Industrie und dem Gewerbe war früher sehr üblich das persönliche Nachfragen nach Arbeit seitens der Arbeiter, das sog. Umschauen. Dieser Modus kostet aber viel Zeit und Mühe, wirkt auch leicht lohndrückend und demütigend, führt manchmal zur Vagabondage, bei den Arbeiterinnen zur Prostitution. Mit der fortschreitenden Ausdehnung der Presse lag es nahe, auch dieser sich zu bedienen, und in der Tat spielt das Inserat bei gewissen Kategorien persönlicher Dienste und bei Berufen mit grösserer Berufsbildung eine grosse Rolle. In Wien brachten am Palmsonntag 1909 19 Tagesblätter 3690 Stellenangebote und 1504 Gesuche. So erfolgreich oft dieser Weg ist, so ist er doch auch ziemlich kostspielig und für den, der die Angebote zu sichten hat, umständlich.

All diese Formen reichen heute nicht mehr aus. Die Massen der Arbeitnehmer sind zu gross, die Fähigkeiten zu differenziert, die Verhältnisse zu mannigfach. Es machte sich das Bedürfnis nach besonderen Organisationen des Arbeitsmarktes geltend, um Angebot und Nachfrage möglichst rasch, billig und wirksam sich treffen zu lassen, was im Interesse der Beteiligten und der ganzen Volkswirtschaft liegt.

Frühzeitig bemächtigte sich der Erwerbssinn dieses Zweigs und schon im 16. Jahrhundert begegnet uns in den grösseren deutschen Städten die gewerbsmässige Stellenvermittlung; sie erweiterte sich im Laufe derZeit erheblich. Besonders städtische Dienstboten und gewisse Berufe, wie Gast- und Schankwirtschaft, Bühnenangehörige usw. fallen in ihr Bereich. Es lässt sich nicht leugnen, dass die Leiter oft grosse Erfahrung haben, ausgedehnte persönliche Kenntnisse besitzen und infolgedessen ausgezeichnet zu individualisieren verstehen. Doch auch viele Ausartungen kommen vor, so dass die Gesetzgebung immer schärfer gegen die gewerbsmässige Stellenvermittlung vorzugehen sich genötigt sah. In Deutschland geschah dies durch die Gesetze vom 1. Juli 1883, 1. Okt. 1900, 2. Juni 1902 und 2. Juni 1910. Der Geschäftszweig wurde der Konzession unterworfen, diese muss versagt werden nicht nur, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Nachsuchenden in bezug auf den beabsichtigten Gewerbebetrieb dartun, sondern auch wenn ein Bedürfnis nach Stellenvermittlern nicht vorliegt. Um der Ausbeutung der Stellensuchenden entgegen zu treten, hat man einerseits behördliche Taxen eingeführt, die sichtbar auszuhängen sind, andererseits den Vermittlern verboten, Wirtschaften, gewerbsmässige Vermittlung von Wohn- oder Schlafstellen, Handel mit Kleidungs-, Genuss- oder Verzehrungsgegenständen, Lotterielosen, das Barbier-, Geldwechsler- oder Pfandleihergewerbe zu betreiben oder betreiben zu lassen. Solche Geschäfte waren besonders häufig bei den Heuerbaasen, welche den zurückgekehrten Matrosen keine Stelle vermittelten, bis diese ihren Verdienst bei ihnen ausgegeben hatten. Infolge der Gesetzgebung ist ein Rückgang der gewerbsmässigen Stellenvermittlung zu beobachten.[1]

Viele Berufe haben überhaupt von der gewerbsmässigen Stellenvermittlung sich ferne gehalten und den Arbeitsmarkt für ihre Branche selbst organisiert. Es entstanden so die Berufs- oder Facharbeitsnachweise der Arbeiter und Arbeitgeber.

Bereits in der Zeit des Zunftwesens haben die Handwerksgesellen eine den damaligen Verhältnissen entsprechende Einrichtung geschaffen; in ihren Herbergen gaben sie über die freien Stellen der Zuwandernden Bescheid; diese erhielten daselbst auch Obdach und wenn kein Bedarf nach Gesellen bestand, das Geschenk. Als seit dem 16. Jahrhundert das Institut immer mehr der Arbeitsscheu und Trunksucht Vorschub leistete und das Auftreiben (Boykottieren) missliebiger Meister


  1. Die bisherigen Wirkungen des deutschen Stellenvermittlungsgesetzes v. 2. Juni 1910, Bulletin trimestriel de l’ass. intern. pour la lutte contre le chômage 1 (1911) Nr. 2 S. 227. Vgl. auch O. Becker u. E. Bernhard, Die gesetzliche Regelung der Arbeitsvermittlung in den wichtigsten Ländern der Erde, ebenda 3 (1913) Nr. 3 S. 901 und Schrift mit gleichem Titel Berlin 1913, sowie Hellm. Wolff, Der Ausbau des Arbeitsnachweises, Jahrb. f. Nationalök. u. Statistik, 3. F. 41 (1911) S. 329.
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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/94&oldid=- (Version vom 14.11.2021)