Messina (Meyer’s Universum)

CCCXI. Erfurt Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band (1840) von Joseph Meyer
CCCXII. Messina
CCCXIII. Rudolstadt
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MESSINA

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CCCXII. Messina.




Das Paketboot fuhr sehr spät von Reggio ab. Es war der schönste Abend, als es die Meerenge durchschiffte. Der Sirocco wehte nur eben stark genug, um die Segel anzuschwellen und die Strudel der Charybdis, die allein beim Südwind sichtbar werden, anzudeuten. Die Sonne sank hinter den Bergen Siciliens und vergoldete das auf vorspringenden Felsen liegende Schloß von Scylla. Delphine umkreisten in Schaaren das Schiff, wälzten sich im Rad und schnellten sich mit mächtigem Sprunge in die Luft. Der Aetna winkte den Gruß des Wilkommens aus der Ferne, verschwand dann in seinem eigenen Schatten und statt seiner leuchtete die ewigsprühende Flammengarbe des Stromboli den Reisenden durch die sternhelle Nacht. Beim Leuchtthurme (Faro), der an der Spitze des Molo steht, war der Anblick von Messina sehr überraschend. Ich wußte, wie reizend er vom Hafen aus ist, wenn die Morgensonne hinter den calabrischen Gebirgen heraufsteigt und die Forts auf den Höhen und der Stadt obersten Theil vergoldet. Bei Nacht konnte ich nichts erwarten. Aber aus dem Dunkel der Häuserreihen, welche eine über die andere amphitheatralisch und im Halbkreise um den sichelförmigen Hafen sich lagern; aus den Klöstern und Forts auf den Höhen funkelten tausende von Lichtern und die Contour Messina’s lag auf dem dunkeln Grunde wie eine Stickerei mit silbernen Flittern. –

Messina’s Lage war wegen ihrer Schönheit von jeher berühmt. Die Castelle: Gonzaga, Griffona und Salvador; Kapellen, Kirchen und Klöster, einige in Ruinen, schmücken die Berge umher und die Höhenzüge des Hintergrundes, die nicht so fern sind, daß man das Eigenthümliche ihrer Formen nicht genau unterscheiden könnte, sind umwaldet. Ihre grotesken Formen, ihr zerrüttetes Ansehen deuten die Erschütterungen an, die sie zu verschiedenen Perioden erlitten haben. –

Messina ist eine Gründung ionischer Griechen und blühete schon ein halbes Jahrtausend vor der christlichen Zeitrechnung. Carthago zerstörte es zur Zeit des ältern Dionys, der es neu erbaute. Der erste punische Krieg brachte Messina unter die Herrschaft Roms. Nach dem Sturze des Weltreichs mehrmals verheert, erhob es sich doch immer wieder, und im langen Kampfe des christlichen Siciliens gegen die Sarazenen war es diejenige Stadt [98] der Insel, welche zuletzt unterlag. Royer, der Norman, Graf von Calabrien, befreite es im Jahre 1060. Seitdem hat es das Schicksal der Insel und deren häufigen Wechsel der Herrschaft getheilt. Nach der sicilianischen Vesper war Messina von den Franzosen zum ersten Sühnopfer außersehen; aber an seinem heldenmüthigen Widerstande scheiterte jedoch Anjou’s Racheplan. Die Messenierinnen trugen ihren Männern und Söhnen Waffen und Steine auf die Wälle, die immer wiederholten Stürme abzuschlagen, und die Mütter brachten die Säuglinge herbei, um durch den Anblick der hülflosen Lieblinge den sinkenden Muth und die ersterbende Kraft der Vertheidiger neu zu beleben. Das spanische Befreiungsheer erschien noch zur glücklichen Stunde. – Unter der spätern neapolitanischen Herrschaft genoß Messina einer langen Ruhe; sein Handel blühete; es erreichte Palermo an Größe und Bevölkerung (1740 hatte es 100,000 Einwohner), und übertraf es an Reichthum und äußerer Pracht. Da raffte, 1741, eine schreckliche Pest zwei Dritttheile seiner Bevölkerung hin; auf den Straßen wuchs Gras, 3000 Häuser standen leer, und ehe es sich wieder erholt hatte, stürzte, 1783, ein Erdbeben die Hälfte der Stadt ein und begrub viele Tausende unter ihren Trümmern. Seitdem ist es wieder aufgebaut worden, aber ohne den frühern Glanz zu erreichen. – Messina’s Häuser sind zwar noch Paläste, aber verstümmelte. Sie haben nämlich nur 2 Stockwerke, statt ehemals 4 bis 6, und da man die beim Erdbeben stehen gebliebenen Erdgeschosse benutzt hat, so geht ihnen ein schönes Verhältnis ab. Die alten Geschosse, die gewölbt sind, werden meistens als Waarenmagazine benutzt. – Der Adel, hier nie zahlreich, zog nach dem Erdbeben fort, nach Neapel oder Palermo. Die schönste Parthie des alten Messina war die Palazata an dem Gestade hin; gerade sie liegt noch größtentheils in Trümmer. Sie bestand aus einer Reihe gleichgebauter Paläste von 4 Stockwerken. Unverständigerweise forderte die Regierung von Neapel ein halbes Jahrhundert lang, daß, wer hier bauen wolle, die Gebäude eben so prächtig und hoch aufführen müsse, als sie ehedem gewesen; so unterblieb der Aufbau bis man vor einigen Jahren das dumme Gesetz zurücknahm. Reizend sind die Spaziergänge (La Marina) am Meere hin, bis zur Citadelle am Molo. Auf der Mitte des Letztern steht die Quarantaine (il Lazaretto) mit ihren großen Gebäuden und weithin die Batterien, die den Fuß des Leuchtthurms umgeben und den Eingang zum Hafen vertheidigen.

Messina’s gegenwärtige Bevölkerung übersteigt nicht 40,000 Einw. Die schönsten Gebäude sind öffentliche oder gehören der Kirche. Der Gouvernementspalast, die Cathedrale, der Palast des Erzbischofs sind großartig und ersterer im edelsten Styl. Die hiesige Geistlichkeit ist sehr zahlreich und begütert; auch die Menge der weltlichen Beamten ist groß; der eigentliche Charakter des Orts bleibt jedoch der einer Handelsstadt. Englische und französische Etablissements, deren da mehre sind, treiben sehr große Geschäfte. Messina verführt alle Produkte der Insel, hauptsächlich Getreide, Oel, Wein, Seide, Pottasche, Schwefel, Pommeranzenschalen etc.; am wichtigsten aber ist die Exportation frischer Südfrüchte: süßer Orangen und Citronen. Nur nach England werden davon jährlich [99] für mehre Millionen Gulden versendet. Seitdem der Verbrauch von Citronensaft, als dem besten antiscorbutischen Mittel, in der englischen Marine allgemein wurde, wird jener im Großen bereitet und jährlich zum Belaufe von 300,000 Gulden ausgeführt.

Der Kunstfreund findet in Messina geringe Ausbeute. An alten Gemälden und Sculpturen ist wenig da, und was da ist, gehört der Mittelmäßigkeit an. Die auf öffentlichen Plätzen stehenden vielen Statüen der Könige mit ihren pomphaften Inschriften haben blos Metallwerth. Leer geht auch der Alterthumsforscher aus; doch dieser findet reiche Entschädigung für das ihm so langweilige in einer Handelsstadt in den Ruinen des nahen Taormia.