Meine Seele erhebet den Herrn/c) Lehrerin der Blauen Schule unter Meyer

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c) Lehrerin der Blauen Schule unter Rektor Meyer 1872–1883


Aus der Chronik des Mutterhauses


1872 Missionsinspektor Friedrich Bauer wird Rektoratsverweser.
1872 14. Juli: Ferdinand Weber wird Pfarrer von Neuendettelsau.
1872 13. August: Pfarrer Friedrich Meyer wird zum Rektor gewählt.
1872 31. Oktober: Einsetzung von Rektor Meyer.
1873 6. Juni: Einweihung des neuerbauten Rektorats.
1873 Juli: Johannes Deinzer, 1866–1872 Löhes Vikar, gibt den 1. Band der Löhe-Biographie heraus.
1873 10. September: Enthüllung der Büste Löhes.
1874 Heimgang von Missionsinspektor Friedrich Bauer.
1874 Erster Schwesterntag.
1875 Eröffnung der Bahnlinie Nürnberg-Ansbach.
1875 Übernahme der Pflegearbeit im Städtischen Krankenhaus Nürnberg.
1876 Eintritt von Pfarrer Draudt als Diakonus (später Konrektor bis 1897).
1877 Einweihung des Feierabendhauses.
1878 Einweihung der Industrieschule.
1878 Dr. Dietlen tritt an Stelle von Dr. Riedel.
1880 Ankauf des Hospizes. Übernahme der Postverwaltung.
1883 11. März: Heimgang von Frau Oberin Amalie Rehm.
1883 7. April: Wahl von Schwester Therese zur Oberin.


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Zur Einführung


 Nach Löhes Heimgang am 2. Januar 1872 galt es, die schwere Frage der Nachfolgerschaft zu lösen. Es war von vornherein klar, daß infolge des Wachstums der Diakonissenanstalt das Rektorat derselben vom Pfarramt des Dorfes abgetrennt werden müßte. Das letztere übernahm Pfarrer Ferdinand Weber, der einstige Vikar Löhes (1859–1863), eifriger Freund der Judenmission. (1876–1879 Pfarrer in Polsingen, wo er starb; sein Grab ist auf dem Dorffriedhof in Neuendettelsau.)

 Für das Amt des Rektors richteten sich die Augen zunächst auf den früheren Konrektor des Hauses, Ernst Lotze, der jedoch aus wohlerwogenen Gründen die Berufung ablehnte[1]. In einer zweiten Wahl fiel die Mehrzahl der Stimmen auf Friedrich Meyer, Pfarrer in Michelstadt im Odenwald. Er gehörte der streng lutherischen Richtung der hessischen Kirche an und stand schon als Student in Verbindung mit Löhe. Am 24. Oktober 1872 zog er in Neuendettelsau ein mit seiner Familie: Frau Karoline geb. Martin, den fünf Kindern – Elisabeth, Clotilde, Gertrud, Mila, Ernst – und der Großmutter.

 Wie unter der Leitung des neuen Rektors das Werk der Diakonissenanstalt sich innerlich und äußerlich in gesunder Weise weiter entwickelte, zeigen die nachfolgenden Briefe.


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Briefe von 1872–1883


An ihre Schwester Marie.
Neuendettelsau, den 10. Juli 1872
 Meine liebe Schwester, so, nun ist’s geschehen, das große Ding: Dettelsau hat wieder einen Pfarrer, die verwaiste Gemeinde einen Hirten. Der 10. Juli 1872 soll uns unvergeßlich bleiben. Die Anstalt übernahm es, das Haus zu schmücken. Wir holten also Eichen- und Buchenlaub und wanden Girlanden und Bögen. Bruder Michel machte alles sehr schön. Noch ein letztes Mal durchging ich die leeren, geliebten Räume – und diesen Abend ist schon reiches Leben darinnen. Ein Teil der Gemeinde zog dem neuen Pfarrer bis Lichtenau entgegen; die Schuljugend und die übrigen empfingen ihn an der „Markung“ auf dem Weg nach Schlauersbach. Ein Kind überreichte einen Blumenstrauß. Die Brüder posaunten das bekannte Ordinationslied. Herr und Frau Pfarrer saßen im offenen Wagen, eine große Kutsche barg die Kinder mit der Tante Ottilie Schmidt. Sechs Reiter von Dettelsau ritten voraus, und etwa sechs Bauernwägelein fuhren hinterher. In feierlichem Zuge schritt Herr Missionsinspektor Bauer mit Herrn Verweser Fleischmann, Herr Konrektor Deinzer mit Herrn Schaudig etc. Wir Anstaltsleute standen nur so in der Ferne, um etwas zu sehen; wir gehörten nicht mehr zum Zuge. Ich stand mit meiner Schule im Pfarrstadel, und wir verstanden beinah alles, was geredet wurde. Herr Pfarrer stieg aus und redete die große Versammlung an. Was er sagte, ging aus einem tiefen Gefühl des eigenen Unvermögens hervor und ging drum so tief zu Herzen. „Herr, ich bin nicht wert, in dies Haus zu gehen; ich bin nicht wert, da zu wandeln, wo ein Heiliger Gottes gewandelt hat.“ Nach der Rede wurde wieder gesungen und posaunt (aus dem gleichen Liede), dann betete Herr Pfarrer: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen mir Hilfe kommt. Herr, sei mir allewege nahe, mir, dem Zagenden. Laßt uns zusammen beten!“ Ein lautes, vielstimmiges und einmütiges Vaterunser stieg in dieser feierlichen Stunde zu Gott auf. Die Glocken, die den Einzug mit ihrem Geläute geleitet hatten, waren verstummt; aber viel Seufzer und Bitten werden aufgestiegen sein. Herr Pfarrer dankte dann allen denen, die ihn eingeholt hatten,| reichte mehreren die Hand, gab Herrn Inspektor Bauer den Bruderkuß und ging dann auch in das, in sein Pfarrhaus. Ich wollte gerade noch so lange bleiben, bis er die Schwelle überschritten hatte, und kehrte dann auch heim.

 Es ist alles wie ein wunderlicher Traum. Der lange Zug, der sich ins Dorf bewegte, die freudige Erregung der ganzen Gemeinde, das umgewandelte Pfarrhaus, alles, alles ist so unglaublich, daß man denken könnte, die Sinne seien nicht ganz klar. Aber Gott sei tausendmal Dank, daß die Gemeinde einen Hirten und diesen Hirten hat! Hast Du gehört, daß vor vielen Jahren, als Weber noch Gymnasiast war, er durchnäßt und erfroren ins Pfarrhaus kam und sich hinterm Ofen wärmte und trocknete? Herr Pfarrer bekam Besuch, und das Gespräch kam zufällig auf den Nachfolger, den dereinstigen, unsers Herrn Pfarrers. Wer das wohl werden würde, fragte man. Herr Pfarrer wandte sich um und sagte: „Dort hinterm Ofen, dort „hockt“ er.“ – Wie wunderbar!

 Säße nur unser Hirte auch hinter irgend einem Ofen und sagte auch jemand mit prophetischem Wort: „Dort hockt er!“

 Neuerdings sind die Augen wieder sehr auf Herrn Pfarrer Meyer in Michelstadt gerichtet, so daß wahrscheinlich Schritte geschehen werden, daß er hieher kommt und man ihn sehen und hören kann. Gott walts in Gnaden!

 In inniger Liebe

Deine Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 16. Oktober 1872

 Meine liebste Mutter, ...den Tag der Ankunft unseres neuen Rektors wissen wir noch nicht. Doch wird er wohl längstens bis nächsten Montag hier sein. O wie sehne ich mich nach einem ordentlichen Regiment! ...In inniger Liebe

Deine Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 23. Oktober 1872
 Liebste Mutter, morgen steht der Engel Raphael im Kalender, der Reiseengel, und im Losungsbüchlein steht: „David| hielt sich klüglich in allen Stücken, und der Herr war mit ihm.“ Das lautet doch alles recht verheißungsvoll.

 In dankbarer Liebe

Deine Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 7. November 1872

 Meine liebste Mutter, für Deinen lieben Brief herzlichen Dank. Bald komme ich zu Dir, ich freue mich so darauf. Da muß ich mir dann beim neuen Herrn Rektor die Erlaubnis geben lassen. Er wird schon so eine Geburtstagsfeier begreifen, denn er hat auch eine Mutter, deren einziges Kind er ist. Die war todkrank, so daß Herr Pfarrer Meyer dachte, sie würde sterben, während er eingeführt wurde vorigen Donnerstag. Es geht ihr aber gottlob wieder besser. Neulich habe ich bei ihr gewacht. Da kam mir’s so schön vor, wie am Abend ihr Sohn ihr noch die Arzenei reichte, ihr dann ganz kurz einige Sprüche, die gerade treffen mußten, sagte und sie dann mit dem Friedensgruß als ein Diener Gottes verließ.

 O so froh und dankbar bin ich, daß Gott so gnädig mit uns gehandelt! Ich glaube wirklich, daß niemand so kenntlich von Gott für uns prädestiniert sein konnte als unser neuer Herr Rektor. Er vereinigt mit den Gaben, die er als Geistlicher hat, auch die eines außerordentlich präzisen, die Sache zum Ziele führenden Geschäftsmannes. Ich will Dir recht viel erzählen, wenn ich komme. Die eine große Erfahrung wird mir eine Glaubensstärkung sein für mein ganzes Leben. O der wunderbare, gnädige Gott – ER sei hochgelobt in Zeit und Ewigkeit!

 Bitte, sage Adolf mit herzlichem Gruß, daß bis Weihnachten der 1. Band von Herrn Pfarrers Biographie erscheinen soll.

 In inniger, dankbarer Liebe

Deine Therese.


An ihre Schwester Marie.
Neuendettelsau, den 8. November 1872
 Liebe Marie, eine Erledigung der Polsinger Angelegenheit läßt sich nicht forcieren, weil es ja nicht in unserer Macht und Möglichkeit liegt. Auch ist es viel besser, wenn Herr| Rektor hinkommt, auch wenn es ohne Frau Oberin ist. Du wirst Dich wundern, wie schnell Herr Rektor schwierige Verhältnisse durchschaut. Gilt es einen Rat, so weiß er ihn besser dort als hier, und fürs Ganze ist’s doch ein ganz anderer Gewinn, wenn er dort war, als wenn Du hier mit ihm gesprochen. Also warte vorläufig noch. Die Stunde der Hilfe ist schon von Gott bestimmt, und jeder Tag bringt uns ihr näher. Wir sollen an der einen großen Erfahrung, die wir dies Jahr gemacht, das geduldige Warten gelernt haben. Meinst Du nicht? O was haben wir erfahren! Ich kann Dir’s nicht beschreiben, wie glücklich ich bin. Ich glaube es gewiß, auf der weiten Welt hätte es keinen Mann gegeben, der so von Gott für uns gemacht ist, als unser neuer Herr Rektor, dem auch bereits von Gott die Herzen zugeführt werden und dem auch die stolzen Geister sich anfangen zu beugen. Ich sag Dir, außer dem, daß er durch und durch Geistlicher ist, ist er auch ein überaus präziser, klarer, tatkräftiger Geschäftsmann. O nun sind wir nicht mehr allein. Laß uns anbeten und Gloria singen und Buße tun. Wie reich sind wir! Gestern war ich zu ihm bestellt wegen der Betsaalsrechnung. Da gab er mir u. a. ein von ihm wunderschön geschriebenes Buch mit vielen Litaneien und schönen Sachen. Ich solls ansehen und ihm dann sagen, wie es mir gefallen, aber es für mich behalten. Aus dem Buch merke ich, wie er ein Freund der Meditation ist und auch in dieser Beziehung einen leiten kann. Er sagt kein überflüssiges Wort, und man fühlt sich ganz im Untertänigkeitsverhältnis, wenn man so mit ihm zu tun hat. Aber alles weckt Vertrauen. Ich sagte vor dem Weggehen, ich wollte ihm gerne noch etwas sagen. „Das tun Sie doch ja.“ „Bitte, wenn noch einige Zeit vorüber ist, dann nehmen Sie sich doch auch meiner Seele an. Ich bin so verwildert.“ „Das will ich tun bei aller eignen Schwachheit. Aber es soll Sorge getragen werden, daß nicht Sie allein, sondern alle, die ein Bedürfnis haben sich aufzuschließen, dazu Gelegenheit finden.“ Zwischenhinein entstand eine Pause – da war’s ganz still. Dann reichte er mir die Hand. Morgen will schon Fräulein Döderlein und eine Schülerin beichten. Gott helfe uns. Die Konfirmandenstunden sind sehr schön – dabei nimmt er’s mit den Fragen und Antworten sehr genau. Zwischenhinein sagt| er etwas Frappantes, und manchmal muß man lächeln: Wozu hast du deine Augen? Wozu deine Ohren? (Gottes Wort lesen und hören.) Wozu deinen Mund? – zum Schweigen. Am ersten Montag, als für die Diakonissen gebetet wurde, betete er u. a. um ein stilles Herz, einen schweigenden Mund und einen geistlichen Sinn. Ich könnte Dir noch viel erzählen, aber ich will’s dann mündlich tun.

 Danket, singet und lobet! Auch Polsingen wird die Hilfe schauen in kurzem. Frau Oberin ist auch sehr zufrieden, und die Schreiberinnen wundern sich, wie schön und bündig und vollständig er alles erledigt. Und so präzis ist er in den Gottesdiensten und Stunden, ich sag Dir, man muß auch noch pünktlich werden. In inniger Liebe

Deine Therese.


An ihre Schwester Mina.
Neuendettelsau, den 10. Dezember 1872

 Liebste Schwester, von hier könnte ich viel erzählen, wenn ich nur die Zeit hätte; aber ich muß für Schwester Adelheid auch bei der Grünen Schule vikarieren und bin deshalb sehr in der Arbeit. Aber ich bin ganz gesund dabei und froh und dankbar über Gottes Güte, die über Dettelsau ein neues Füllhorn des Segens ausgeschüttet hat. Unser neuer Herr Rektor ist uns eine rechte Gabe Gottes, für die wir ohne Unterlaß danken möchten. Gott hat weit über unser Bitten getan. Die Gemeinden sind nun getrennt; wir werden ganz von Herrn Rektor Meyer pastoriert. Er geht mit einer großen Zartheit den Spuren des seligen Herrn Pfarrers nach und hat längst seine Seele in dessen Geist und Sinn tief eingetaucht. Dabei ist er aber doch ganz er selbst ohne alle knechtische Nachahmung, die uns nur wehmütig oder komisch berühren würde. Unter anderem ist er ein außerordentlich präziser Geschäftsmann, in allen Stücken so pünktlich, daß man sich fast fürchten muß. Mit dem Glockenschlag ist er überall am Platze.

 Meinen ersten Tadel aus seinem Munde zog ich mir zu, weil am Betpult in der Sakristei eine Kleinigkeit nicht in Ordnung war – für ein anderes Auge als das seinige kaum bemerkbar, aber er zeigte mir’s, reichte mir die Hand und sagte freundlich: „Weil doch hier nichts in Unordnung sein soll.“

|  Marie ist auch bereits sehr glücklich. Sie konnte ihm alles von Polsingen sagen, und er hat auch ein teilnehmendes Herz für ihr Ergehen. Er fragte mich gestern so genau nach ihr – ob sie schon von jeher alles ein wenig schwer genommen hätte etc. Gleich nach Neujahr will er selbst nach Polsingen. O wie froh und dankbar sind wir! Solch eine Zeit des unablässigen Schreiens und Rufens zu Gott wie diesen Sommer habe ich freilich noch nicht erlebt.

 Grüße die Kinder herzlich! Also Freude ins neue Lebensjahr hinein!

Deine Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 25. Juli 1873

 Meine liebste Mutter, zwei liebe Briefe von Dir habe ich immer noch nicht beantwortet, und Du wirst gar nicht wissen, was Du nur von Deiner vorjüngsten Tochter denken sollst. Aber sie lebt und ist gesund und frisch, wenn auch natürlich das zunehmende hohe Alter sich geltend machen will. Also ich danke Dir für Deine Briefe von Ansbach und von Reutti.

 Vom 2. Juli wird wohl Marie Hauser schriftlich oder mündlich erzählt haben. ...Bald nach dem 2. Juli verreiste Herr Rektor mit Frau Oberin, um in Kempten, Memmingen und Lindau zu visitieren und auch Fräulein Escher in Zürich zu besuchen. Die Reise war vom schönsten Wetter begünstigt, und Herr Rektor, der zum erstenmal die vielgerühmte Schweiz sah, war entzückt über all die Gottesherrlichkeit. Es konnte so eingerichtet werden, daß unsere Vorstände gerade zur Einweihung des neuen Hauses kommen konnten, das Fräulein Escher oberhalb Zürich gebaut und das sie gern auch von Dettelsauer Diakonissen, die der Erholung bedürfen, benutzt haben möchte. Es ist eine so reine, selbstlose Herzensgüte sehr rührend. Das Haus soll ganz entzückend schön sein, freilich auch 200000 fr. gekostet haben. Im Rückweg ging Herr Rektor über Augsburg, damit er dort auch die Freunde kennen lernte. Er hat natürlich dabei immer sehr stark das Gefühl, daß man nun ihn betrachtet, beurteilt etc. Das bringt eben die Neuheit seiner Stellung mit sich. „Ich ließ mich anschauen.“ Es war Paramentenverein bei Fräulein Doris Laible. Da hat auch Ida ihn gesehen. Frau Rektorin holte| die Reisenden in Ansbach ab und blieb während der Wartezeit bei unsern Schwägerinnen. Wir gingen ein Stück entgegen und führten im Triumph die geliebten Vorstände, die nun ausstiegen, vollends heim, wo die ganze Anstalt vor dem Haus versammelt war. ...Herr Pfarrer Weber ist noch in Reichenhall, doch geht es ihm gottlob besser.

 Am 13. August wird wieder Generalversammlung sein. Wie ganz anders gehen wir doch diesmal dem Tag entgegen als im vorigen Jahr! Es soll zu dem Tag auch das Monument für unsern seligen Herrn Pfarrer kommen.

 Wir haben jetzt immer ziemlich viel akute Kranke hier, weil wir alle Eisenbahnarbeiter zwischen Ansbach und Nürnberg, die erkranken oder verunglücken, aufnehmen. Da bekommt man großes Mitleid mit den armen Menschen, die sich so viel Gefahr aussetzen müssen um des lieben täglichen Brotes willen.

 Heute ist nun endlich der 1. Band von Herrn Pfarrers Leben erschienen. Er kostet 2 fl. Zwei weitere Bände werden nachfolgen. Ich habe schon ein wenig darin genascht. Manchmal kommt eine rechte Sehnsucht ins Herz nach dem vielgeliebten Hirten, und es kommt mir dann alles, was sich ereignet, wie ein Traum vor. Aber bei der Sehnsucht, die ja nie erlöschen wird, bin ich auch tief dankbar für das, was wir jetzt haben. Wie ist uns doch unser Herr Rektor in der kurzen Zeit schon so unendlich teuer geworden! Und auch ihm ist es wohl unter uns. Als er nach der schönen Reise, auf der er viele Seelen glücklich gemacht hat, zurückgekehrt war und wieder unterm Diakonissenhaus stand, sagte er: „Hier ist’s doch am allerschönsten“, und von einer früheren Reise in seine Heimat schrieb er als Erwiderung auf einen Scherz, den ich beim Abschied gemacht, Schwester Therese dürfte gar keine Sorge haben, daß er sich im Odenwald wieder einlebe; es sei nirgends so schön wie in Dettelsau. Das ist uns ein großer Trost. Es war ihm viel Schlimmes von den Dettelsauer Diakonissen gesagt worden, und ich hörte zufällig, daß er sich so wundere, alles ganz anders zu finden. Es werde ihm ja ein Gehorsam entgegengebracht, der ihn in Erstaunen setze. Siehst Du, das freut mich so, besonders auch deswegen, daß wir doch dem lieben Herrn Pfarrer keine so arge Schande machen.| Oft muß ich an Moses und Josua denken und wie sich Moses so arg hat plagen müssen und dafür dem Josua selbst viel Trost und Ermutigung entgegenkam.

 Nun leb’ wohl, liebe Mutter!

Deine dankbare Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 10. September 1873

 Meine liebste Mutter, ...denke Dir nur, ich reise morgen nach Berlin. Du wirst Dich freilich wundern, aber es ist wirklich so. Ich soll in das St.-Elisabeth-Krankenhaus der ehemaligen Goßner’schen Stiftung, durch welche ja eigentlich die ganze Diakonissensache der neuen Zeit wieder ins Leben gerufen worden ist. Die Oberin dort ist Gräfin Arnim, und der Pastor der Anstalt war schon mehrmals hier. Besonders befreundet aber ist mir die dortige Probemeisterin Sophie Hupfeld. Seit Jahr und Tag bin ich eingeladen, und nun endlich soll es ausgeführt werden. Herr Rektor selbst wollte mich begleiten, aber weil sonst während der Ferien kein einziger von den geistlichen Herren hier wäre, so muß es unterbleiben. Er hätte nämlich die Visitation auf den norddeutschen Stationen damit verbunden...

 Ich hätte Dir so gerne ausführlich erzählt, was wir am 13. und am 22. August erlebt haben.

 Am 13. wurde die Büste unseres lieben seligen Herrn Pfarrers enthüllt, und die steht nun so wohl gelungen, als es nur irgend sein kann, vor unserm Haus. „Komm und siehe!“ möcht’ ich da auch sagen. Herr Professor von Zezschwitz hielt eine Rede, die anderthalb Stunden dauerte; aber man merkte es kaum, daß sie so lange dauerte, so war man hingenommen, und so ging die Seele mit hinein in die Gedanken des Redners.

 Und am 22., da hat uns voll Huld und Leutseligkeit unsere liebe Landesmutter[2] besucht. Ein pures Privattelegramm von Darmstadt aus meldete Herrn Rektor durch Freundeshand, daß allerhöchster Besuch zu erwarten sei. Es kam nämlich die Schwester der Königin, Prinzessin Karl, von Darmstadt| mit und ein Herr von Zangen und die Oberhofmeisterin Gräfin von der Mühlen. Wir waren alle vor dem Haus versammelt, und ein unbeschreibliches Gefühl von Freude und Ehrfurcht durchbebte doch meine Seele, als wirklich die königlichen Wagen anfuhren, die hohen Damen ausstiegen und wir unter Posaunenbegleitung anstimmten: „Nun danket all und bringet Ehr...“ Herr Rektor hieß dann die Herrschaften mit herzlichen Worten willkommen und geleitete sie ins Haus. Sie tranken Kaffee. (Der Lakai zeigte einer Schwester genau, wie die Butterbrötchen gestrichen sein müssen.) Die Königin sah sich dann alles ganz genau an, sprach mit den Einzelnen, auch mit ein paar blöden Mädchen, die sie mit „Sie“ anredete. Es war ein offenbares warmes Interesse bei ihr für alles, was sie sah und hörte. Abends ging sie in den Gottesdienst. Die Einzelheiten sage ich Dir, wenn ich zu Dir komme. Es wurde natürlich viel gesungen, und die Bauern waren auch lebendig und riefen ein ums andere Mal ein „Hoch!“ – Ein Geschenk von 1000 fl. hat sie uns zurückgelassen. Es ist doch etwas Schönes, wenn tief im Herzen solch eine Ehrfurcht vor der Majestät ist. Ich hab das nie so empfunden wie an jenem Tage, obwohl ich vor lauter Verlegenheit keinen Knix gemacht, als die Königin einige Worte mit mir sprach. Sie hat die Frau Oberin beim Kommen und Gehen geküßt und war überaus einfach und herzlich.

 Übermorgen sind’s 365 Tage, daß Gott es entschieden hat, daß wir unsern lieben Herrn Rektor haben. Gott sei tausendmal gelobt!...

 In herzlicher Liebe

Deine dankbare Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 28. Januar 1874
 Meine liebste Mutter, ...ich fahre nächsten Sonntag in höchster Gesellschaft über Ansbach nach Polsingen. Herr Rektor und Frau Oberin visitieren, und Herr Rektor ist so überaus gütig, daß er mir befohlen hat mitzugehen. Er ließ die Bedenken, die ich meiner Schule wegen habe, nicht gelten, sondern erinnerte mich an meinen Handschlag des Gehorsams bei seinem Amtsantritt. Nun es ist ja freilich kein schwerer Gehorsam, wenn nicht eben gerade die Güte, die man von| Gott und Menschen erfährt, einen drückt, da ich mir sagen muß, daß „ich täglich viel sündige und wohl eitel Strafe verdiene.“ – Wir wollen, wenn Gott auch so will, am Sonntag nachmittag um 2 Uhr hier fortfahren und dann um 5 Uhr mit dem Eilzug nach Oettingen weiter reisen. Da wird übernachtet und dann Lichtmeß in Polsingen gefeiert, am Dienstag Visitation gehalten und am Mittwoch wieder heimgekehrt.

 Am Freitag nachmittag um 2 Uhr ist noch in der Blauen Schule gefürchtete Visitation, und dann kommt die große Freude.

 Gott behüte Dich, meine liebe, teure Mutter! – Du weißt es doch, auch wenn ich’s Dir nicht sage, daß ich so glücklich und zufrieden bin, als man eben auf Erden sein kann. Ich wüßte nicht, was ich begehren sollte außer dem Einen, von der Sünde frei zu werden. Aber das wird auch einmal geschehen.

 Herr Pfarrer Blumhardt gibt auch Blätter heraus. Ich weiß nicht, ob Ihr sie lest. Herr Rektor zeigte mir heut einen Aufsatz darin über Rechtfertigung und Heiligung, der sehr schön ist.

 Grüße die Geschwister herzlich.

Deine Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 22. Februar 1874
 Meine liebste Mutter, ...wir sind hier seit dem vorigen Donnerstag tief ergriffen und bewegt von einem Vorfall, der vielleicht auch schon zu Euren Ohren gedrungen ist. Ein Rabbiner von Nürnberg kam mit einem andern Juden mit einer Legitimation vom Oberrabbiner in Odessa und von der Mutter unserer beiden Judenkinder, um diese abzuholen. Herr Pfarrer Weber, der nun einmal die Judensache in der Hand hat, entschied, man müsse die Kinder ziehen lassen. So geschah’s denn auch, uns aber blieb der jammervolle Gedanke, die armen Kinder, von denen das eine doch getauft ist, den Juden ausgeliefert zu haben. Der Fehler war von Anfang an gemacht worden, da sie Herr Pfarrer Weber hier behalten, während ihr Bruder sie auf unrechtmäßige Weise entführt hat. Es ist nun geschehen, was geschehen ist, und läßt sich nicht| mehr ändern. Wir werden ohne Unterlaß für sie bitten, bis wir wissen, daß sie wieder bei Christen geborgen sind...

 Vorigen Donnerstag hatten wir zum erstenmal die Gebetsvereinigung, die Herr von Harleß in der Luthardtschen Zeitung vorschlägt. Das hat etwas sehr Erhebendes, so im Verein mit vielen Gott die Not der Kirche vorzutragen...

 Gestern waren wir am Grabe unseres lieben seligen Herrn Pfarrers. Es war sein Geburtstag. Wunderschöne Hyazinthen und Veilchen dufteten auf der teuren Gruft...

Deine Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 7. April 1874

 Meine liebste Mutter, nur einen herzlichen Gruß Dir und allen Lieben in Ansbach. Es war mir Idas lieber Besuch wie ein schöner Traum. Aber wie froh war ich, daß sie gestern fortging, denn heute hätte sie unsern großen Schreck miterleben müssen. Unser Waschhaus hat gebrannt. Es war ein furchtbarer Tumult, aber gottlob ist kein Mensch dabei beschädigt worden und auch sonst beinah alles gerettet. Nur das Haus steht wie eine halbe Ruine da. Der ganze Dachstuhl ist abgebrannt. Wie gnädig hat uns aber Gott bewahrt, daß es nicht bei dem argen Sturm geschehen ist! Vom Kamin aus scheinen Funken in dürres Zinnkraut gefallen zu sein...

Deine Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 5. Mai 1874

 Meine liebste Mutter, ...vorige Woche ist eine Empore in unsern Betsaal gebaut worden, und heute erwarten wir die Orgel. Nächsten Samstag wird sie, so Gott will, geweiht werden. Da ist es gerade zwanzig Jahre, daß unsere Anstalt eröffnet wurde. Welch eine lange Gnadenzeit!

 Es ist wieder so kalt geworden nach diesen Frühlingstagen. Das wird Dir auch empfindlich sein, liebste Mutter. Doch wirds nach kurzem wieder schön werden – und über ein| Kleines, o über ein Kleines, da ist der ewige Frühling da, der keinem Winter mehr weicht. Nur selig, nur selig mache Er uns durch Sein teures Blut! Wie gering werden uns die Leiden dieser Zeit dann erscheinen!

 Meine Blauen Schülerinnen in diesem Semester waren leider zum Teil so geringe, unfähige Leute, daß wir sie wieder aus der Schule getan und fürs erste in die Arbeit gestellt haben. Unsere Grüne Schule ist so groß wie seit Jahren nicht mehr, aber fürs Diakonissentum gibt’s immer nur wenige. Nächsten Sonntag ist eine Einsegnung. Anna Lutz, die nach Amerika geht, wird zur Diakonissin eingesegnet...

 In inniger Liebe

Deine Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, im August 1874
 Meine liebste Mutter,... am 12. August haben wir ein fröhliches Fest gefeiert. Es fand die jährliche Generalversammlung des Vereins für weibliche Diakonie statt. Vormittags war Gottesdienst und dann die geschäftlichen Verhandlungen. Nachmittags zog man mit Sang und Klang in den Wald, wo neben dem Kruzifix eine Kanzel errichtet war, die von drei Rednern bestiegen wurde: Herrn Pfarrer Volk, Herrn Pfarrer Wucherer und Herrn Pfarrer Müller aus Hessen, einem Freunde unseres Herrn Rektors. Um drei Uhr sollte die Feier beginnen; als man aber vom Diakonissenhaus wegziehen wollte, war kein Herr Pfarrer Volk da. Es war sehr komisch, als nun Herr Rektor in die große Versammlung hineinrief: „Eine große Belohnung demjenigen, der Herrn Pfarrer Volk auffindet!“ Als er herbeigebracht war, zeigte ihm Herr Rektor die Uhr, auf der es schon einige Minuten über drei Uhr waren, – eine große Sache für Herrn Rektors Pünktlichkeit! Eine Menge Bänke waren in den Wald geschafft worden. Man hörte zu und sang zwischenein und war fröhlich im Waldesgrün, durch das Sonnenstrahlen mild und warm leuchteten, die wir uns extra von Gott erbeten hatten, obwohl es am Morgen noch regnete. – Am 10. und 11. September soll nun zum erstenmal ein „Schwesterntag“ sein, an welchem so viel als möglich Diakonissen zusammenkommen zu allerlei Besprechungen| und geistlicher Erfrischung. Am 13. darauf ist dann eine Einsegnung von zehn Schwestern...

 Wir gehen in Herrn Rektors Abwesenheit ins Dorf, wo Herr Vikar Pöschel predigt, der sehr treu ist und auch für die Kranken in der Gemeinde mit viel Hingabe sorgt. Herr Pfarrer Weber wird heute aus Bad Salzungen zurückerwartet. Es scheint ihm nicht viel besser zu gehen, aber es muß eine tiefe Sehnsucht in ihm sein, wieder gesund zu werden. Auch Herr Inspektor Bauer ist erkrankt. Er hat ein ausgesprochenes Herzleiden. So rührt Gottes Hand bald diesen, bald jenen, und einmal kommt’s auch an uns selber. Der liebe Herr Rektor hat mir einen geistlichen Tagesplan gemacht; darauf steht auch eine tägliche kurze Todesbereitung. Dafür bin ich so dankbar. – Gott behüte Dich, meine liebe Mutter!

Deine dankbare Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 11. September 1874

 Meine liebste Mutter, ...mir steht nun eine große Freude bevor. Denke nur, ich darf nächsten Montag mit Herrn Rektor und Frau Oberin in den Odenwald reisen. Ich dachte zuerst, ich dürfte so etwas nicht annehmen, und habe dafür gedankt. Aber über eine Weile tauchte der Gedanke aufs neue auf, und der liebe, gütige Herr Rektor hat es so gewollt. Das Reisegeld hat mir der liebe Gott so in den Schoß geworfen, daß das auf keinen Fall ein Hindernis ist, und auch meine sonstigen Bedenken erscheinen nicht mehr unüberwindlich. Neben der Freude ist mir schon auch zuweilen ein wenig bang, und ich bitte Dich, liebe Mutter, daß Du doch an mich denken möchtest, daß mich Gott an Leib und Seele behüten möge.

 Heut und gestern hatten wir hier wunderschöne Tage. Es war Schwesternvereinigung und kamen die Schwestern von nah und fern; wir haben miteinander gefeiert und gebetet und auch allerlei besprochen, was fürs Ganze nötig war. Gestern morgen wehte zu unser aller Überraschung eine weiße Fahne vor dem Haus, die Sara in aller Heimlichkeit gemacht hatte. Unser Diakonissenwappen war mächtig groß darauf gemalt und mit blauen Lettern stand darauf: Siehe, der Bräutigam kommt, gehet aus, Ihm entgegen!...

|  Schrieb ich Dir schon, daß für den nächsten Kurs vierzehn Blaue Schülerinnen angemeldet sind, darunter sieben Pfarrerstöchter? Ich freu mich so über all den Gottessegen, den wir erfahren dürfen...

 Ich weiß, Du freust Dich mit mir über meine völlig unverdiente Freude.

Deine dankbare Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 14. Dezember 1874

 Meine liebste Mutter, ...heute traf uns die erschütternde Nachricht, daß Herr Inspektor Bauer heute nacht um 12 Uhr selig heimgegangen ist. Wiederum geht damit ein Stück alter Dettelsauer Zeit zu Grabe, und wenn auch zuweilen manche Differenz hervortrat, so werden wir ihn doch schmerzlich vermissen. Und wie groß wird die Lücke sein, die er bei dem Missionswerk zurückläßt! Aber ich denke mir’s auch herrlich und schön, daß er nun mit dem lieben Herrn Pfarrer in seliger Harmonie Weihnachten feiert. Gott schenke uns, wenn unsere Stunde kommt, auch einmal eine selige Heimfahrt! Ach, nur dies Eine! Alles andere ist im Grunde einerlei.

Deine dankbare Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 23. Dezember 1874

 Meine liebste Mutter, zum Feste sende ich Dir einen herzlichen Gruß und wünsche und erbitte Dir eine von Gottes Segen triefende Weihnachtszeit. Für Deine Gaben und Brief und Zettelein sage ich Dir herzlichen Dank. Ich möchte Euch auch gerne eine kleine Freude machen. Der Schreibkasten sieht zwar sehr schulmäßig aus, aber ich denke, Du hast ihn doch gern, Deine Sachen hineinzulegen. Für Adolf habe ich das Buchzeichen beigelegt. Er kann’s ja wieder verschenken, wenn er eine zu große Sammlung von Buchzeichen bekommt. Für ihn weiß man ja nichts anderes...

 Es kommt mir diesmal alle äußerliche Bereitung zum Fest so gar nichtig vor. Aber inwendig hab ich Frieden, und da ist alles gut. Zum Geburtstag habe ich ziemlich viel Briefe bekommen.| Herr Rektor hat mir zum Geburtstag so etwas Schönes geschrieben, etwas fürs Leben. Das hat mich so arg gefreut. Er hat mich auch gleich gefragt, ob ich auch einen Brief von meinem Mütterlein bekommen hätte. Es ist mir diesmal eine Hauptsorge, daß bei all den äußeren Geschäften doch das Herz recht stille bleibt.
Deine Therese.


An ihre Mutter.
Neuendettelsau, den 24. Februar 1875

 Meine liebste Mutter, heute ist der Todestag unseres seligen Vaters. Damals war Buß- und Bettag, als ich zur Leiche heimreiste, und den folgenden Buß- und Bettag brachte ich schon hier zu. Das war mir damals ein so unbeschreiblich schöner Tag. Leonhard war von Erlangen aus als Student hier, und wir waren nachmittags beim lieben seligen Herrn Pfarrer eingeladen. Wie alt man doch in aller Schnelle wird, und immer näher geht’s dem Sterbestündlein. Ich schaue oft hinaus zu meinem kleinen Fensterlein, und da geht der Blick gerade auf unsern Kirchhof. Es wird wohl nicht von ungefähr sein, daß ich gerade so wohnen darf.

 Dieses Frühjahr muß der Kirchhof erweitert werden – und noch etwas Großes wird in Angriff genommen. Es soll nun ein Feierabendhaus gebaut werden, dort unten hin neben das Rektorat. Es werden doch nach und nach der invaliden Schwestern mehr, und da wird’s zu eng im Mutterhaus und ist auch nicht still genug. Es ist recht wunderbar gegangen. Eine neu eingetretene Schwester hat ihr ganzes Vermögen hingelegt, und davon baut man nun das Haus.

 Die Blöden von Polsingen haben eine Menge Strohdecken für unsern Betsaal gearbeitet. Sie wollen nach und nach den ganzen Betsaal belegen. Da gibt’s immer allerlei nette Geschichtchen mit den dortigen Blöden. Einer ist krank, fühlt aber seine Schmerzen nicht und fragt den Doktor, wenn er ihn untersucht: Tut’s weh?

 Bitte, grüße die lieben Geschwister herzlich, und sei Du mit allen Sorgen und Kümmernissen Deines Herzens dem befohlen, der gesagt hat: Ich will dich nicht verlassen noch versäumen.

Deine dankbare Therese.


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An die Mutter.
Neuendettelsau, den 15. Juli 1875

 Meine liebste Mutter, ...unsere Gemüter sind gegenwärtig sehr erfüllt von den Verhandlungen des Magistrats in Nürnberg mit uns wegen der Übernahme des großen Nürnberger Spitals. Vorigen Montag war wieder ein Magistrat hier, der über alles eingehend sprach. Man hatte im Anfang Bedenken, weil doch eine feindliche Partei da ist, die die Sache erschweren könnte, und von unserer Seite könnten so viele Schwestern (vorläufig 17, später 20) doch nur mit den größten Opfern geliefert werden. Nun aber, da der Magistrat die Bedenken niederlegte und den großen Mißstand schilderte mit den bezahlten Wärterinnen, die eine ganz greuliche Wirtschaft führen, glaubten unsere Vorstände in Gottes Namen Zusage geben zu sollen, und so wird denn diesen Herbst noch wenigstens ein Teil des Hospitals übernommen.

 Vorige Woche ist unser Kirchhof erweitert, das heißt das neue Stück Land, das hinzugefügt werden mußte, geweiht worden. Es war ein besonder schöner Abend, der Himmel war bedeckt mit lichten Wolken, man sang und redete von Auferstehung, und nun ist unser einstiger Ruheplatz auch schön hergerichtet, mit Bänken versehen und mit einem Brunnen, daß die Gräber immer ordentlich in Stand erhalten werden können; nur die schattigen Bäume fehlen noch.

 Dieses Jahr ist wieder ein Kaiserswerther Tag. Frau Oberin wird mit Herrn Rektor hin reisen. Ich denke noch mit viel Freude der schönen Reise vor 10 Jahren...

 Ich möchte Dir noch viel erzählen, meine liebste Mutter, weil ich weiß, daß Dein Mutterherz sich für alles interessiert, was mein armes, kleines Leben bewegt. Doch ist meine Zeit schon wieder zu Ende.

 Mit herzlichen Grüßen

Deine dankbare Therese.

 Nächstens gibt’s hier auch eine Telegraphenstation.


An die Mutter.
Polsingen, den 13. September 1875
 Meine liebste Mutter, nun schreibe ich Dir von Polsingen aus, wo ich seit Freitagabend mich befinde und von treuer Schwesternliebe aufs sorgfältigste gepflegt werde. Es ist so| gar schön hier, und ich freue mich, daß ich einige stille Tage hier zubringen darf. Nächsten Samstag geht Marie, so Gott will, mit nach Dettelsau. Nächste Woche am 16. und 17. ist Schwesterntag und am 19. Einsegnung von acht Schwestern. Herr Rektor und Frau Oberin sind in dieser Woche in Kaiserswerth, wo Generalkonferenz ist.

 Am Donnerstag ist das berühmte Waldfest mit den Blöden. Da müssen wir uns noch auf Spaß und Unterhaltung besinnen. Adele[3] hat nun ihren taubstummen Bruder mit hier, und es hatte mir heute etwas unbeschreiblich Rührendes, als ich dem Unterricht von zwei Taubstummen ein wenig beiwohnte und in dem Heft des einen das Evangelium vom Taubstummen las.

 Die Wälder fangen nun schon an ein wenig herbstlich zu werden. Ich sitze so gern ein wenig allein unter den Eichen und Buchen und freue mich der Stille. Nach Stille verlangt meine ganze Seele, und wie schön wird’s sein, wenn auch der ewige Jubel durch tiefe Stille unterbrochen wird. Aber hier auf Erden machen die Sünden und Sorgen uns so oft unruhig, daß wohl die Minuten selten sind, da man inwendig ganz still ist. –

 Ich habe den Brief in Polsingen nicht vollendet und eile nun, daß er doch endlich fortkommt. Das Waldfest war ganz schön und vereinigte Scherz und tiefen Ernst, und weil sich doch Leib und Seele freuen sollen in dem lebendigen Gott und bei den Blöden ersteres ja nicht zu kurz kommen darf, so wurden große Eimer voll Schokolade hinausgetragen und mächtige Stücken Kuchen dazu verzehrt. Wir sangen Psalmen und Lieder, ein Blinder, der dabei war, machte zwischenein Musik auf seiner Harmonika, Katz und Maus wurde auch gespielt, dann wieder eine Rede gehalten, die wenigstens sehr gut gemeint war. Mir hatte die „Schloßfrau“ aufgetragen, die Beschreibung von Polsingen vorzulesen, die einmal unser lieber seliger Herr Pfarrer in einem Kalender hat drucken lassen und die mit ihrem idealen Charakter sich wohl nirgends so gut ausnahm, als unter diesem Waldesgrün bei den himmelanstrebenden| Tannen und schattigen Buchen. „Das Gedächtnis des Gerechten bleibet im Segen“ – das Wort soll doch wahr bleiben auch in Bezug auf unseren Herrn Pfarrer, und all das Gute, das er uns getan, soll ein Geschlecht dem andern sagen, bis auch für unsere Anstalten einmal die Zeit vorüber sein wird. Es ist doch eine ganz besondere Welt, die Blödenwelt, und man kann so mitten unter Blöden, Geisteskranken, Epileptischen, Stummen usw. so recht einen Eindruck bekommen von dem Kampf der guten und bösen Geister, von dem wir ja überhaupt mehr umgeben sind, als wir zu bedenken pflegen.

 Denke nur, was wir noch für eine besondere Freude hatten: Herr Rektor schrieb uns einen Brief von Düsseldorf aus, einen so treuen, väterlichen Brief. Was ist doch das für eine Güte – mitten in der Unruhe der Reise, bloß um jemand eine Freude zu machen, eine besondere Zeit auf einen Brief wenden. Gottlob sind auch beide, Herr Rektor und Frau Oberin, ganz wohlbehalten von ihrer großen, weiten Reise zurückgekommen. Es hat ihnen sehr wohl in Kaiserswerth gefallen, und das Ganze muß wohl noch interessanter gewesen sein als damals vor zehn Jahren. Die eingehende Erzählung empfangen wir aber erst am Schwesterntag...

 Marie schläft bei mir im Stüblein und soll sich diesmal recht ausruhen. So schön kann ich ihr’s freilich nicht machen, wie sie mir. Aber wir durften auch schon manche Liebe erfahren. Die Liebe macht doch das Leben golden. Ach, wenn ich lieben könnte, so recht aus tiefster Seele! Es war so feierlich und schön, als am Samstagabend Herr Rektor den ersten Abendgottesdienst hielt und uns grüßte und segnete und mit großem Ernst uns das Wort in die Seele legte: „Kindlein, liebet euch unter einander!“

 Während der Abwesenheit unserer Vorstände ist unser Bauwart vom Gerüst heruntergestürzt, das an der Blödenanstalt einer Reparatur wegen aufgerichtet war. Gottlob hat er sich keinen besondern Schaden getan. Auch wurde in einer Nacht die Mutter von unserm Herrn Rektor todkrank, und es war ihr ein tiefes Leid, daß sie nun doch ohne „ihren Sohn, ihren lieben Sohn“ sollte sterben müssen. Doch setzte sie ihren Gebeten mit Ergebenheit hinzu: „Herr, wie du| willst!“ Und Gott hat die Gefahr in Gnaden wieder schnell gewendet...

 Gott behüte Dich, meine liebe, liebe Mutter! In dankbarer Liebe

Deine Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 2. Advent 1875

 Meine liebste Mutter, draußen ist tiefer Schnee. Dennoch will ich’s versuchen, ob man nach Haag gehen kann. –

 Da bin ich wieder umgekehrt, es war keine Möglichkeit durchzukommen. Man sank so tief hinunter, und im Heimweg hätten wir uns vielleicht gar verirrt. Ich kann mir kaum solch hohen Schnee erinnern. Oft fällt mir beim Schnee eine Szene aus dem Weiltinger Hof ein. Die älteren Geschwister hatten einen Tisch und Sofa in den Schnee gebaut und Grüblein in den Tisch gemacht und das beliebte Malz hineingetan. Ludwig und ich wurden dann geholt und durften im Schneesofa Platz nehmen und das Malz herausessen. Das ist lange her! Ich hätte freilich mit den Haagern gerne heute das ernste Evangelium gelesen. Wir durften eine ernste, tief ins Herz dringende Predigt darüber hören. Herr Rektor will in diesem Jahr an der Handleitung der Evangelien über die Geschichte des menschlichen Herzens predigen. Ach, liebe Mutter, ich meine oft, es ginge mir jetzt erst, nachdem doch Gottes guter Geist so lange Jahre an mir gearbeitet, ein wenig Licht auf über die Tiefe meines Verderbens und was es heißt, sich bei seinem Sündenjammer ans Kreuz allein klammern. Ich weiß aber, daß es noch viel mehr in die Tiefe muß. Es ist ein großer Unterschied zwischen dem gelernten und dem erfahrungsmäßigen Glauben. ...Die heilge Adventszeit ist immer besonders schön. Im Abendgottesdienst am Sonntag singt einem der Schwesternchor immer so was Schönes in die Seele hinein, und wir Blauen und Grünen sitzen nach dem Essen und repetieren die Predigt und arbeiten dabei für unsere Armenbescherung. Heute gab mir Adelheid 15 M dazu, die die Mutter einer Grünen geschickt... Das sind immer Freuden.

 In herzlicher Liebe

Deine Therese.


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An die Mutter.
Neuendettelsau, den 17. März 1876

 Meine liebste Mutter, ich hatte vorigen Samstag Prüfung und bin froh, daß dieses schwere Semester zu Ende ist. Ich habe schon mehrere neue Schülerinnen, die sich jetzt einleben müssen. Der Kurs war so besonders schwer, weil wir so viele Schülerinnen hatten, denen ’s noch gar kein Ernst mit dem Diakonissentum war, und der Kampf mit einem rohen Magdsinn ist recht hart und schwer. Es hat mir auch recht oft an der nötigen Geduld und Liebe gefehlt. Vielleicht gibt Gott ein besseres Semester, aus dem dann auch mehr Frucht fürs Diakonissentum hervorgeht, denn wir konnten nur wenige behalten, und doch sind immer so viele Stellen zu besetzen. Vor wenig Tagen kam auch die Anfrage von Memmingen, ob wir zwei Schwestern für die Gemeindepflege dort abgeben könnten, es sei eine Stiftung zu diesem Zweck gemacht worden...

 Heut feiern wir den Geburtstag unseres lieben Herrn Rektors. Gott wolle ihn uns gnädig noch lange erhalten. Seine Mutter fragt immer oder doch fast immer nach Dir, wenn ich sie besuche. Ich hab ihr am Sonntag Schneeglöckchen gebracht. Vorigen Sonntag war doch das unvergleichlich schöne Evangelium vom kananäischen Weib. Das habe ich so besonders gern. Da stand am Nachmittag eine herrliche weiße Hyazinthe in meinem Zimmer, und auf dem Topf war aufgeklebt: „Ja, Herr, aber doch!“ – Wir haben’s jetzt so besonders gut in der schönen heiligen Passionszeit. Jeden Mittag versammeln wir uns zur Stillen halben Stunde. Herr Rektor gibt immer das Thema für die stille Betrachtung, und nachher spricht er uns ein Gebet vor, das wir satzweise nachsprechen...

 Gott behüte Dich, meine liebe Mutter.

Deine Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 4. April 1876,
meinem Aussegnungstag vor 19 Jahren
 Meine liebe Mutter, vorigen Sonntag hatten wir leider keinen Gottesdienst im Betsaal, weil Herr Rektor heftiges Katarrhfieber hatte... An unserm Feierabendhaus wird eifrig gearbeitet. Es wird ein wenig schwer sein, wenn die ersten| Schwestern da einziehen sollen, denn sie werden sich im Anfang wie abgeschnitten vom Mutterhaus fühlen. Und doch ist der Bau ja eine Notwendigkeit, da unser Platz immer so sehr beschränkt ist...
Deine dankbare Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 26. April 1876

 Meine liebste Mutter, ...nächsten Freitag, so Gott will, abends fünf Uhr wird die Grundsteinlegung unseres Feierabendhauses sein. Da werden wir also unsere alten Tage zubringen, wenn Gott es nicht anders fügt, daß wir direkt aus der Arbeit ins himmlische Feierabendhaus dürfen.

 Vorgestern abend durfte ich Fräulein Escher in Kloster abholen. Sie wird acht Tage hier bleiben.

 Hier schicke ich Dir, liebe Mutter, meine Photographie. Ich habe mich neulich, als ich bei Euch war, ganz heimlich photographieren lassen. Man sagt, es sei greulich; aber ich denke, man kann kein anderes Gesicht abkonterfeien, als man eben hat. Du wolltest ja ein anderes Bild, weil Du das Deine weggegeben...

 In dankbarer Liebe

Deine Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 14. Juni 1876

 Meine liebste Mutter, ...denke Dir, ich habe jetzt mit meinen Blauen die Pflege des Kirchhofs übernommen; da darf ich wieder gießen, was mich lebhaft an den Weiltinger Garten erinnert. Herr Rektor geht morgen nach Polsingen; da werden sie dort schöne Tage haben...

 Unser Feierabendhaus wächst sehr schnell empor. Mitte Juli soll schon das Gebälk aufgerichtet werden. Da kommen dann Deine beiden Jüngsten hinein, wenn sie ausgedient haben, und reisen von da aus gen Himmel. „Herz, freu dich, du sollst werden vom Elend dieser Erden und von der Sünden Arbeit frei“, haben wir neulich am 200jährigen Todestag Paul Gerhardts gesungen zum Schluß der schönen Feier, die wir hatten. Ja, eine solche Feier auszudenken und ins Werk zu setzen, das versteht unser lieber Herr Rektor.

|  Ich bin so froh, daß er auch darin so treulich in Herrn Pfarrers Fußtapfen tritt. Er legte uns Gerhardts Lebenslauf in Abschnitten vor, und wir sangen zwischenein eins seiner Lieder, das gerade zum betreffenden Abschnitt paßte.

 Ich muß so viel an Kaiserswerth denken. Herr Pastor Disselhoff ist schwer krank. Und nun diese große, große Kaiserswerther Sache! Wir klagen und jammern zwar oft, daß nicht mehr Schwestern bei uns eintreten, aber Gott ist sehr gnädig, daß er unser Werk nicht so groß werden läßt. Ach, nur keine so großartigen Anstalten! Besser ist’s, man zweigt immer beizeiten ab.

 Gott behüte Dich!

Deine dankbare Tochter Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 17. Juli 1876

 Meine liebste Mutter, ...Marie sieht recht dunkel in die Zukunft, weil Herr Pfarrer Weber, immer noch ein ausgezeichneter Prediger, doch so kränklich ist, daß sie fürchtet, sie könnten nicht ordentlich versorgt sein[4]. Ich denke aber, das muß man jetzt ganz ruhig Gott überlassen. Wir haben das doch nicht gemacht, und es ist doch treulich um den rechten Pfarrer gebetet worden. Was nun wohl aus Dettelsau wird?

 Nächste Woche will Herr Rektor mit unserer Grünen Schule eine Partie nach Eichstätt machen. Ich bin diesmal nicht dabei, überhaupt nur etwa der dritte Teil von Menschen.

 In dankbarer Liebe

Deine Therese.


An die Kulmbacher Schwestern.
Neuendettelsau, Juli? 1876
 Liebe Schwestern, ein großes Ereignis ist fast wie ein Traum, den ich immer nicht recht fassen wollte, an meiner Seele vorübergegangen, ich meine den Weggang von Herrn Pfarrer Weber. Es muß doch alles in Gottes Plan und Weg eingeordnet sein, aber wie hat man wohl den Aufenthalt, den kurzen, von Herrn Pfarrer Weber aufzufassen, und was sollte er für die hiesige Gemeinde? Daß Gott seinem Dettelsau noch immer gnädig ist, dafür ist, meine ich, auch der gegenwärtige| Verweser ein Beweis, der so treu und fromm ist, so herzlich für die Gemeinde sorgt, unsere Abendgottesdienste so fleißig besucht etc. Er ist aber bereits designierter Pfarrer von Dürrenmungenau und kann deswegen nicht Pfarrer von Dettelsau werden, was die hiesige Gemeinde so sehr wünschte. Wer aber hieher kommen wird, das weiß außer Gott niemand, vielleicht der selige Herr Pfarrer noch, wenn’s dem der liebe Gott anvertraut hat, aber unter den Sterblichen niemand, und es meldet sich auch niemand, und Herr von Eyb kann dem Konsistorium niemand vorschlagen. Gott wird’s ja in Gnaden versehen. Betet auch darum. Wunderbarerweise fühlen sich Webers sehr wohl und glücklich in Polsingen, was ja in Dettelsau nicht der Fall war, und hinwiederum sind die Anstalten und die Gemeinde unbeschreiblich glücklich über der neuen Zeit der Gnadenheimsuchung, die für Polsingen durch Herrn Pfarrer Weber gekommen ist. – Am letzten Sonntag, den Herr Pfarrer Weber hier zubrachte, war gerade das Evangelium vom Jüngling zu Nain, und am Nachmittag weihte Herr Pfarrer das neue Stück Gottesacker, das dem alten eingefügt worden ist. Das war seine letzte Amtshandlung – und dann ging er fort und erfuhr selbst erst beim Abschied, wie schmerzlich ihm das Scheiden war...
Eure Schwester Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 1. September 1876

 Meine liebste Mutter, ...gestern hatte ich Prüfung. Es war ein recht geringes Semester, zum Teil sehr unbegabte Leute, mit denen sich im Lernen nicht viel anfangen ließ. Ich bin oft recht müd und möchte mich so wehren gegen das innerliche Altwerden, da es an Lebenssaft und freudigem Lebensmut gebrechen will. Man sollte sich mehr freuen können, im rechten Sinn freuen, dann wäre alles besser. Es hat einmal ein Freund den andern gefragt: „Hast Du noch Jugend?“ Das Wort fällt mir manchmal ein. Gott erhalte Dich, liebe Mutter, in Deinem Alter frisch und lasse auch Deine alternde Tochter wieder frisch und jung werden. Sind wir doch zu einer ewigen Jugend bestimmt.

 In herzlicher, dankbarer Liebe

Deine Therese.


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An die Mutter.
Neuendettelsau, den 12. Dezember 1876

 Meine liebste Mutter, ...denke nur, was ich Marie schenke. Mir fuhr’s neulich so durch den Sinn, ob ich nicht jemand auftreiben könnte, der unser Pfarrhaus auch für sie malt, wie mir’s Vetter Joseph einmal so schön gemacht. Dann hab ich aber der Kürze der Zeit wegen doch kein Fortschicken mehr gewagt, und ich hab mein eigenes Bild herausgenommen, es frisch aufkleben lassen auf weißen Karton, und nun steht oben drüber wunderschön gemalt: „Wir haben hier keine bleibende Stadt“ und darunter: „In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen“. Neben herum kleb ich gepreßte Gräslein etc. von unsern Gräbern in Weiltingen. Wir haben ja hier eine Schülerin vom Herrn Doktor in Weiltingen. Ich denke, Marie freut sich darüber.

 Denke nur, was ich für eine Freude habe: ich unterrichte seit gestern täglich eine Stunde lang drei kleine Kinder: Herrn Rektors Ernst, Herrn Doktors Mariele und ein kleines Rettungshausmädchen. Heute haben wir das „r“ lesen und schreiben gelernt. Ich komme mir ganz komisch vor, da ich in meinem Leben noch nicht so kleine Kinder unterrichtete. Ich tue es auch nur aushilfsweise, weil leider Marie von Werder krank ist, deren Beruf es sonst ist. Aber Kinder zu unterrichten ist etwas Reizendes. Herr Doktor ist immer wie in einem Paroxismus von väterlichem Entzücken, wenn er von seinem Mariele und ihrem gemeinsamen Unterricht mit Ernst spricht, und dieser hat neulich daheim erzählt: Das Mariele hat mehr Gabe als ich zum Schreiben, es macht die Buchstaben so schön wie Schwester Marie.

 Ich habe diesmal eine so besonders gesegnete Adventszeit, kann mich über alles so freuen, über den Sonnenglanz und die milde Luft, über den Sternenhimmel und das grüne Moos, über jede neue Gabe zu unserer Armenbescherung etc. Die liebe selige Auguste schrieb einmal so etwas Tiefempfundenes über die Fähigkeit sich zu freuen. An der liegt’s eben. Wenn Gott uns die geschenkt, weil Er der Mittelpunkt unsrer Freude ist, dann gibt’s viele Freuden auch außerdem.

Deine Therese.


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An die Mutter.
Neuendettelsau, den 25. Januar 1877

 Meine liebste Mutter, ...ich habe mich dieser Tage über etwas so arg gefreut: Seit Jahren ist es von Mathilde Lichtenberg und mir ein Lieblingsgedanke, in dem kleinen Dörflein Haag einmal eine Betglocke zu sehen. Wir verfolgten so in der Stille unser kleines, liebes Ziel. Man schenkte mir wohl einmal, etwa am Geburtstag, einen kleinen Beitrag zum Haager Glöcklein etc. Nun faßte ich mir neulich ein Herz und schrieb an die Glockengießerei in Nürnberg, wie hoch solch ein Glöckchen zu solchem Zweck käme. Da schrieb man mir eine Berechnung, die nicht ganz die Summe erreicht, die wir schon beisammen haben mit dem, was die Gemeinde selbst beiträgt. Wie mich das freute! Es sind mir diese Sonntagsgänge und die Stunden unter den Bauern eine wirkliche Erquickung, und ich bin so dankbar, daß mir das Gott erlaubt. Wenn ich nicht so gesund wäre, könnte ich’s ja nicht. Ich könnte Dir manchen schönen Zug aus dem Leben in Haag erzählen, und Gott wird es wissen, daß ja doch noch viel Gutes in der armen hiesigen Gemeinde ist, die ein Hirte so viele Jahre lang auf treuem Herzen getragen...

 In inniger, dankbarer Liebe

Deine Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 17. April 1877

 Liebste Mutter, ...ich bin sehr fröhlich und dankbar. Es ist mir zuweilen, wie wenn’s wäre wie in der ersten Zeit, da mir hier eine neue Welt aufgegangen ist, aber es ist doch anders, als es damals war, da ich den Ernst des Christentums noch nicht kannte; es ist ernster, aber schöner. Wenn ich nur gar nichts mehr begehrte als Ihn ganz allein, den Schönsten unter den Menschenkindern...

 Fast haben wir auch im Diakonissenhaus keinen Platz mehr, aber es freut mich, daß unter den vielen Menschen auch eine Schar Kinder ist. Es ist zu nett, das kleine Volk so fröhlich herumspringen zu sehen. Vorigen Samstag begegnete ihnen Herr Rektor und fragte sie, ob sie denn auch wüßten, was jetzt für ein Sonntag käme. Da sagten sie, daß es ja der Sonntag vom Guten Hirten wäre. Da machte Herr Rektor mit| ihnen aus, daß er am andern Tag nach der Christenlehre zu ihnen kommen und mit ihnen das Liedchen singen wolle: „Weil ich Jesu Schäflein bin.“

 Gott behüte Dich, liebste Mutter, es ist wieder so kalt geworden.

Deine dankbare Therese.


An die Kulmbacher Schwestern.
Neuendettelsau, den 2. Juni 1877
 Liebe Schwestern, wir haben arg viel erlebt in der letzten Zeit, da laßt mich halt erzählen, auch auf die Gefahr hin, daß Ihr manches schon wißt. Das ist wohl noch nicht dagewesen in der Geschichte unseres Hauses, daß an drei neuen Häusern zugleich gearbeitet wurde. Zum Blödenbau wurde der Grundstein am 11. Mai gelegt. Da ging es sehr schön und feierlich zu. Wie meisterlich versteht es doch die liebe Kirche, das Wort Gottes auf alles anzuwenden. Wir müssen doch auch in dem Stück recht treue Kirchenkinder werden, daß wir Gottes liebes heiliges Wort allenthalben in unser Leben und Tun mit hereinnehmen und unser ganzes Leben darein legen. – Es war jener 11. Mai der Tag nach Himmelfahrt. Da hielt Herr Rektor eine kurze Ansprache über die Worte: „In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre...“ – Am 22. fand die Grundsteinlegung der Industrieschule statt. Natürlich wurde über die liebe heilige Tabea gepredigt, und außer den üblichen Lektionen wurde ein Stück aus Sprüche 31 gelesen: „Sie gehet mit Wolle und Flachs um, sie streckt ihre Hand nach dem Rocken und ihre Finger fassen die Spindel“. – Heut (es ist stiller Samstagabend) konnte schon das erste Gebälk am Blödenhaus aufgerichtet werden, welche Station natürlich mit Bier und Käse und Brot nachdrücklich bezeichnet wird. Leider gibt es jetzt eine Unterbrechung auf einige Zeit, weil Wenigs Backsteinvorrat ausgegangen ist. Dagegen geht’s im Feierabendhaus sehr rührig zu. Ich sag Dir, Julchen, es muß ein rührender Anblick sein, wenn Du einmal, noch gekrümmter als jetzt (!), in solch einem netten Stüble herumhumpelst und stellst Dein Töpfle Kaffee oder sonst was in die Nische der reizenden Öfelein, die eben jetzt gesetzt werden. Wir Blauen trippelten neulich die neugelegte Stiege hinan und sangen| zu den Fensteröffnungen des Betsaals hinaus: „Gloria sei Dir gesungen.“ Der Blick gegen Süden hin ist wunderschön, so frei und weit und – hoffnungsreich. Ja, hoffnungsreich lasse uns der treue Heiland aus diesem Hause einmal hinaus- und hinüberschauen noch auf andere Auen als die, die jetzt so prächtig im Frühlingsschmucke prangen. Am 10. August, so Gott will, wird das Feierabendhaus geweiht.
Eure Schwester Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, Jubilate 1877

 Meine liebste Mutter, ...unserer lieben Frau Oberin geht’s gar nicht gut gegenwärtig, sie ist so arg erkältet, hat überhaupt einen schweren Winter gehabt; sie muß recht viel verborgene, innere Kraft haben, um bei so viel Angegriffenheit immer so ruhig und freundlich sein zu können.

 Herr Rektor war diese Woche verreist in Nürnberg, Fürth und Erlangen. An letzterem Orte wurde sehr in ihn gedrungen, eine Station zu übernehmen, deren Übernahme neulich schon abgeschlagen wurde, weil man es nicht für tunlich hält, Schwestern in solch schwierige Lagen zu bringen. Es handelte sich nämlich um die dortige Entbindungsanstalt, – ich weiß nun nicht, was geschehen wird.

 In herzlicher Liebe

Deine dankbare Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 16. August 1877
 Meine liebe, liebe Mutter, ...heute abend schreibe ich Dir in Herrn Rektors Studierzimmer, wo ich mit Sara zur Leichenwache seiner lieben Mutter bin. Herr Rektor hat mir’s extra aufgetragen, es Dir zu schreiben. Heute nachmittag um drei Uhr durfte die liebe Großmama sanft und stille heimgehen nach vielem und schwerem Leiden. Schon seit mehreren Wochen konnte man merken, daß es mit ihr abwärts gehe für dies irdische Leben, und wir sagten es uns wohl manchmal, daß der liebe Gott unseren Herrn Rektor durch sein Leiden mehr ans Haus fesseln wollte, um ihn seiner teuren Mutter in ihren letzten Lebenswochen immer nahe sein zu| lassen. Sonst ist er ja durch seinen Beruf genötigt, viel abwesend zu sein. Seit einigen Tagen nun und schon länger litt die liebe Großmama viel Qual und Not, besonders in der Nacht. Da konnte sie nicht im Bette bleiben, das Herz machte ihr so viel Unruhe, und die Schwäche des Gehirns brachte allerlei schwere Zustände. Oft lag sie still da wie im Schlummer. Wenn sie dann aber die lieben, freundlichen Augen aufschlug, kannte sie jedermann und redete noch manches Wort der Liebe mit den einzelnen. Wenn Herr Rektor ihr Gottes Wort sagte oder betete, war sie immer ganz klar und betete mit. „Du bist mein treues liebes Kind, du bist gut, ich aber bin nicht gut“, hat sie gestern noch zu ihrem Sohn gesagt. Er ist ihr einziges Kind, und es wird wohl nicht oft zwischen Mutter und Sohn ein solch inniges Verhältnis sein wie zwischen diesen beiden. Er ist auch außer den sechs Jahren, die er Hofmeister war, niemals lange von ihr fern gewesen. Auch auf die Universität ist sie mit ihm gegangen. Und nun muß das herbe Weh der Trennung durchgemacht werden. „Ich kann nur dankbar sein“, sagte heute Herr Rektor, nachdem alles vorüber war, „aber der Tod ist bitter.“ Ja, wahrlich, er ist bitter, und wie sollten wir ihn ertragen ohne die Hoffnung des ewigen Lebens!

 Ich bin froh, daß ich etwas mehr Glauben empfangen habe, als ich früher hatte, und mich nicht mehr so wie sonst vor dem Tode fürchte, obwohl ich nicht sagen kann, daß ich kein Grauen mehr habe; einmal, als ich Herrn Pfarrer sagte, unserm lieben seligen Herrn Pfarrer, daß ich mich so vor dem Sterben fürchte, da antwortete er mir sehr bestimmt: „Du wirst in der Todesstunde überrascht werden von Seiner Güte.“ – Samstag nachmittag um vier Uhr wird das Begräbnis sein. Herr Rektor hat nun bald sechs Wochen nicht mehr gepredigt wegen dieser Lähmung der Gesichtsnerven, die so plötzlich über ihn gekommen. Es geht ja schon besser, aber recht langsam. Oft durfte ich während der Krankheit zu ihm kommen und etwas schreiben oder auch etwas vorlesen, weil er seine Augen nicht viel anstrengen sollte. Das war mir schon eine Freude in diese ernste Zeit hinein.

 Nun geht auch unser Doktor Riedel fort. Er mußte natürlich seiner Familie wegen nach einer Bezirksarztstelle trachten.| Die hat er nun bekommen in Erbendorf in der Oberpfalz. Es haben sich schon viele Ärzte um die hiesige Stelle gemeldet.

 Bald sind unsere Prüfungen, dann kommt, so Gott will, der Schwesterntag und die Einsegnung von vierzehn Schwestern. Später gedenke ich ein wenig nach Polsingen zu gehen. Nicht wahr, es ist ein schönes Stücklein Erde dort? Wie freut es mich, daß Du dort warst! Ich glaube, es ist bei mir auch ein Stück unbewußtes Heimatgefühl, das mir den Ort so lieb macht, weil doch Westheim so nahe ist. Ja, was ist’s um das Heimatgefühl und die Heimat Wunderbares! Noch nie in meinem Leben habe ich so ein starkes Bewußtsein von meiner Heimatlosigkeit gehabt wie in den letzten Tagen. Du mußt mich recht verstehen – ich meine die Heimatlosigkeit in bezug auf diese ganze untere Welt. Heimatlos sind wir ja nicht, aber das Heimweh wird erst gestillt in den ewigen Hütten.

 Weißt Du, daß die alte Tante bei Lichtenbergs auch vor einiger Zeit heimgegangen ist? An diesem Sterbebette konnte man so recht den Eindruck bekommen, „ein Spott aus dem Tod ist worden“. Sie durfte so friedlich und still hinüberschlummern, aber ein Tränenstrom ergoß sich noch über ihr Gesicht, als sie den letzten Seufzer tat.

 Nach dem Schwesterntag wird wohl auch das Feierabendhaus bezogen werden. Das gibt große Veränderungen. Unsere liebe, kranke Schwester Käthe Hommel kommt dann auch hinein. Es kostet ihr einen schweren Kampf, da sie so ein geliebter Mittelpunkt im Mutterhaus ist, aber sie will doch still und gehorsam ihren Weg gehen. Kürzlich hat sie wieder ihren Herzkrampf gehabt. Auch die alte Schwester Karoline[5] kommt hinein, und aus besonderer Rücksicht darf sie ihre Schwester, Fräulein Döderlein, mitnehmen. Am 15. August hat die Schwester Karoline ihren 74. Geburtstag. Da hat ihr Herr Rektor das mitgeteilt, und die beiden alten Weiblein haben sich hoch gefreut.

 In dankbarer Liebe

Deine Therese.


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An die Mutter.
Neuendettelsau, den 31. Dezember 1877

 Meine liebe Mutter, da habe ich so schönes Briefpapier zum Geburtstag bekommen und benütze es nun gleich, Dir einen Neujahrsbrief darauf zu schreiben... Ich durfte so besonders viel Liebe erfahren, daß ich sehr beschämt war davon.

 Meine Schülerinnen sangen mir frühmorgens ein Lied von Johann Tauler, das ich so besonders gerne habe, und unser lieber Herr Rektor schickte mir durch den kleinen Ernst einen schönen Vers als Geburtstagswunsch; er ist von Paul Gerhardt und heißt: „Drum, frommer Christ, wer du auch bist, sei gutes Muts und laß dich nicht betrüben, weil Gottes Kind dich ihm verbindt, so kann’s nicht anders sein, Gott muß dich lieben.“... Nun haben wir viel gefeiert und Feste gehalten, und ich kehre sehr gerne nach dem 2. Januar zu der regelmäßigen Tätigkeit zurück, die doch für den äußeren und inneren Menschen eine große Wohltat ist. Gestern nachmittag war’s noch eine besonders liebliche Feier: im Feierabendhaus wurden der Altar und die kleinen neuen Gefäße zum Sakrament geweiht. Weißt Du, das Feierabendhaus macht so einen besonders feierlichen Eindruck, ich denke, ich will einmal recht gern all mein bißchen Arbeit hinlegen und darin kranken und sterben.

 Meine liebe Mutter, Du bekommst dies Brieflein an Neujahr. Der Herr Jesus gehe mit Dir und uns allen ins neue Jahr hinein, dann mag kommen, was da will, es kann uns nicht wirklich schaden...

 Ich danke Dir für alle Deine treue Mutterliebe von allem Anfang an. Gott vergelte Dir alles reichlich. Unser lieber seliger Herr Pfarrer pflegte den Spruch mit besonderm Nachdruck oft zu sagen: „Vergiß nicht, wie sauer du deiner Mutter geworden bist.“ – Gott schenke Dir ein friedvolles Jahr, voll tiefer Freude an Gott und der unsichtbaren Welt. Nochmals herzlichen Dank!

Deine Therese.


An die Mutter.
Neuendettelsau, den 4. Februar 1878
 Meine liebe Mutter, ...für Deinen letzten lieben Brief habe ich Dir noch nicht gedankt, ich tu es nun jetzt in später| Abendstunde in meinem kleinen warmen Stüblein, das mir so lieb und wert ist. Sara hat mir neulich auch einen schönen Spruch geschrieben, der jetzt über meinem Bette hängt. Es ist der, in dem die Worte vorkommen: „Abba, lieber Vater.“ Ja, wenn ich das gewiß weiß, daß ich Gottes Kind bin, dann ist alles gut... Wie gerne möchte ich, daß so viele als möglich von unseren Nichten hieherkämen, wo wir an Leib und Seele so wohl geborgen sind – nicht, daß hier nicht auch viel Schweres wäre, ach nein, ohne Druck und Kreuz wär’s uns doch gar nicht gut. ...

 Auch in unserer Schwesternschaft ist kürzlich der Tod eingekehrt. Am Hofer Krankenhaus starb ganz schnell eine Schwester am Typhus. Sie hatte manches an sich, was im Leben störend war, und manche Schwester hat nicht ganz leicht an ihr getragen, aber in ihrem Sterben trat ein sieghafter Glaube hervor. „Ach, man soll doch die Leute erst sterben lassen, ehe man ein Urteil über sie haben will“, sagte Herr Rektor neulich.

 Unsere liebe alte Frau Professor Lichtenberg wohnt nun mit ihrer Tochter in den kleinen Stüblein oben bei Stapfers. Es ist mir immer so heimlich bei ihr, und ich ergötze mich so an ihrem fröhlichen Glauben. Sie hat viel erlebt, viel wunderbare Gotteshilfe erfahren und kann drum andern auch so getrost zusprechen.

 In dankbarer Liebe

Deine Therese.


An Schwester Marie Preller.
Neuendettelsau, 2. Sonntag nach Trin. 1878
 Liebe Schwester Marie, es ist mir auf dem Weg zum Feierabendhaus oft ganz eigen zu Mut. Aber wie gut haben wir’s, daß wir eine solche Friedensstätte haben. Vor dem Ende noch ein Stücklein Leben im Feierabendhaus voll brennender Begier nach oben und stiller, friedvoller Bereitung, das muß auch ganz schön sein. Ihr glaubt nicht, wie traulich und heimelig immer die Gottesdienste am Sonntag nachmittag um vier Uhr sind. Jetzt nimmt Herr Rektor nacheinander den Wüstenzug durch. Am Sonntag nach Weihnachten hatten wir eine schöne| gesegnete Stunde im neuen lieben Betsaal: der Altar wurde geweiht und die neuen heiligen Gefäße. Mehrere von uns gingen mit den Feierabendschwestern zum Sakrament, und ich dachte dran, daß wir aus diesen heilgen Gefäßen wohl unsere letzte Wegzehrung empfangen werden, so es Gott gefällt.
Deine Therese.


An einige Schwestern.
Neuendettelsau, den 2. Juni 1882

 Meine lieben Schwestern, ...von dem großen Plan habt Ihr wohl schon gehört, daß wir eine neue Kapelle bauen wollen und die jetzige zum Schulhaus umbauen. Eine Erweiterung erschien im Vergleich zu dem Gewinn an Platz zu kostspielig. Das ist freilich was Großes, aber vielleicht will Gott das arme Dettelsau noch weiter hinaus reichlich segnen. Daß wir nur Seine heilige Sache nicht verderben!...

Eure Therese.



  1. Siehe: Lotze, Erinnerungen an Wilhelm Löhe. Buchhandlung der Diakonissenanstalt.
  2. Die „Landesmutter“ war Königin Marie. Sie war von Haus aus evangelisch.
  3. Schwester Adele Cullaz, siehe Korr.-Bl. 1911, Nr. 6/7.
  4. Pfarrer Weber wurde 1876 Pfarrer in Polsingen.
  5. Schwester Karoline Hoffmann geb. Döderlein, siehe Korr.-Bl. der Diakonissen 1886/4.


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Meine Seele erhebet den Herrn
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