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Rektor hinkommt, auch wenn es ohne Frau Oberin ist. Du wirst Dich wundern, wie schnell Herr Rektor schwierige Verhältnisse durchschaut. Gilt es einen Rat, so weiß er ihn besser dort als hier, und fürs Ganze ist’s doch ein ganz anderer Gewinn, wenn er dort war, als wenn Du hier mit ihm gesprochen. Also warte vorläufig noch. Die Stunde der Hilfe ist schon von Gott bestimmt, und jeder Tag bringt uns ihr näher. Wir sollen an der einen großen Erfahrung, die wir dies Jahr gemacht, das geduldige Warten gelernt haben. Meinst Du nicht? O was haben wir erfahren! Ich kann Dir’s nicht beschreiben, wie glücklich ich bin. Ich glaube es gewiß, auf der weiten Welt hätte es keinen Mann gegeben, der so von Gott für uns gemacht ist, als unser neuer Herr Rektor, dem auch bereits von Gott die Herzen zugeführt werden und dem auch die stolzen Geister sich anfangen zu beugen. Ich sag Dir, außer dem, daß er durch und durch Geistlicher ist, ist er auch ein überaus präziser, klarer, tatkräftiger Geschäftsmann. O nun sind wir nicht mehr allein. Laß uns anbeten und Gloria singen und Buße tun. Wie reich sind wir! Gestern war ich zu ihm bestellt wegen der Betsaalsrechnung. Da gab er mir u. a. ein von ihm wunderschön geschriebenes Buch mit vielen Litaneien und schönen Sachen. Ich solls ansehen und ihm dann sagen, wie es mir gefallen, aber es für mich behalten. Aus dem Buch merke ich, wie er ein Freund der Meditation ist und auch in dieser Beziehung einen leiten kann. Er sagt kein überflüssiges Wort, und man fühlt sich ganz im Untertänigkeitsverhältnis, wenn man so mit ihm zu tun hat. Aber alles weckt Vertrauen. Ich sagte vor dem Weggehen, ich wollte ihm gerne noch etwas sagen. „Das tun Sie doch ja.“ „Bitte, wenn noch einige Zeit vorüber ist, dann nehmen Sie sich doch auch meiner Seele an. Ich bin so verwildert.“ „Das will ich tun bei aller eignen Schwachheit. Aber es soll Sorge getragen werden, daß nicht Sie allein, sondern alle, die ein Bedürfnis haben sich aufzuschließen, dazu Gelegenheit finden.“ Zwischenhinein entstand eine Pause – da war’s ganz still. Dann reichte er mir die Hand. Morgen will schon Fräulein Döderlein und eine Schülerin beichten. Gott helfe uns. Die Konfirmandenstunden sind sehr schön – dabei nimmt er’s mit den Fragen und Antworten sehr genau. Zwischenhinein sagt

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Therese Stählin: Meine Seele erhebet den Herrn. Verlag der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1957, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Therese_St%C3%A4hlin_-_Meine_Seele_erhebet_den_Herrn.pdf/213&oldid=- (Version vom 20.11.2016)