Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Spinnentiere“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 15 (1889), Seite 153155
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Spinnentiere. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 15, Seite 153–155. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Spinnentiere (Version vom 23.07.2024)

[153] Spinnentiere (Arachniden, Arachnida, hierzu Tafel „Spinnentiere“), Klasse der Gliederfüßler (Arthropoden), meist kleine Tiere von sehr mannigfacher Gestalt. Kopf und Brust sind bei ihnen gewöhnlich zu Einem Stück, dem sogen. Cephalothorax, verschmolzen. Die vordern, als Kiefer verwendeten Gliedmaßen des Kopfes, die Kieferfühler, entsprechen vielleicht den Fühlern der Insekten, dienen aber nicht als solche, sondern als Kiefer und enden oft mit einer Schere (Skorpione) oder Klaue (Spinnen); auch das zweite Gliedmaßenpaar, die Kiefertaster, hat im allgemeinen ähnlichen Bau und ähnliche Verwendung. Es folgen dann vier Paar Beine, von denen nur selten das erste als Taster und Kiefer zugleich fungiert, gewöhnlich jedoch gleich den übrigen zum Laufen dient. Diese Beine bestehen aus sechs oder sieben Gliedern. Der Hinterleib ist äußerst verschieden und hat seine Zusammensetzung aus Ringen (Segmenten) nur noch bei den Skorpionen und ihren nächsten Verwandten bewahrt, ist bei den Spinnen einfach rundlich und durch einen dünnen Stiel mit dem Cephalothorax verbunden, bei den Milben sogar mit diesem verschmolzen. Er trägt keine Beine. Auch der innere Bau ist bei den einzelnen Ordnungen der S. sehr verschieden. Das Nervensystem ist meist in Gehirn und Bauchmark geschieden, letzteres auch wohl in eine Reihe Nervenknoten (Ganglien) getrennt, gewöhnlich jedoch zu einer einzigen Nervenmasse verschmolzen. Die Augen sind unbeweglich und stehen, 2–12 an der Zahl, auf der Oberseite des Cephalothorax; Gehörorgane sind nicht mit Sicherheit bekannt; zum Tasten dienen die Kiefertaster und die Enden der Beine. Der Darmkanal läuft meist geradlinig vom Mund zum After und zerfällt in eine engere Speiseröhre und einen weitern, meist mit seitlichen Blindsäcken versehenen Darm; häufig läßt sich an letzterm der Anfang als Magen unterscheiden. Speicheldrüsen, Leber und Harnorgane in verschiedener Form sind fast immer vorhanden. Kreislaufsorgane fehlen nur bei den niedersten Milben, bei den übrigen liegt das Herz gewöhnlich als mehrkammeriges Rückengefäß im Hinterleib; es besitzt seitliche Spaltöffnungen zum Eintritt des Bluts und häufig Arterienstämme am vordern und hintern Ende. Besondere Atmungsorgane fehlen gleichfalls bei manchen Milben völlig und sind im übrigen Tracheen (s. d.), in welche die Luft durch Luftlöcher (Stigmen) eintritt. Mit Ausnahme der Tardigraden (s. unten) sind die S. getrennten Geschlechts. Die Männchen, oft durch äußere Merkmale unterschieden, besitzen paarige Hodenschläuche, aber in der Regel keine eignen Begattungsorgane, so daß mitunter so entfernt gelegene Gliedmaßen wie die Kiefertaster der Spinnen die Übertragung des Samens auf das Weibchen übernehmen. Letzteres hat einen unpaaren oder paarige Eierstöcke, deren Eileiter meist gemeinschaftlich am Anfang des Hinterleibs ausmünden. Die meisten S. legen Eier, die sie zuweilen in Säcken bis zum Ausschlüpfen der Jungen mit sich herumtragen. Letztere haben meist schon die Form der ausgewachsenen Tiere; wenige durchlaufen eine wahre Metamorphose. Die Lebensdauer der S. ist nicht wie die der Insekten eine beschränkte; sie häuten sich auch noch nach Eintritt der Zeugungsfähigkeit in bestimmten Zeiträumen und sind zu wiederholten Malen fortpflanzungsfähig. Sie besitzen ein zähes Leben, so daß manche monatelang ohne Nahrung existieren können, und eine bedeutende Reproduktionskraft, welche sich z. B. im Wiederersatz verlorner Beine äußert. Sie nähren sich meist vom Raub andrer Gliedertiere, besonders der Insekten, die sie meist nur aussaugen; unter den niedrigsten Formen leben einige parasitisch an Wirbeltieren; wenige nähren sich von pflanzlichen Säften. Fast sämtlich sind sie Landtiere, welche sich vielfach am Tag verborgen halten und nur nachts auf Raub ausgehen. Sie sind über den ganzen Erdkreis verbreitet, doch finden sich in den heißern Zonen die meisten und größten Arten. Die nicht besonders zahlreichen fossilen Arten gehen bis in das Steinkohlengebirge zurück (z. B. die Skorpiongattung Cyclophthalmus, s. Tafel „Steinkohlenformation I“).

Man teilt die S. in sechs oder mehr Ordnungen ein (die früher hierher gestellten Krebsspinnen, Pantopoda

[Ξ]

Spinnentiere.
1 2 3 4 6
7 8 10 5
9 11
12 13 14
[WS 1]

[1] Krätzmilbe des Menschen (Sarcoptes scabiei). 80/1. (Art. Milben.)
[2] Violettroter Holzbock (Ixodes reduvius). 5/1. (Art. Zecken.)
[3] Bekränzte Webspinne (Theridium redimitum). nat. Gr. a Eier, b Augenstellung. (Art. Spinnentiere.)
[4] Ufer-Spindelassel (Pycnogonum littorale). 3/1. (Art. Ufer-Spindelassel.)
[5] Bücherskorpion (Chelifer cancroides), stark vergrößert. (Art. Bücherskorpion.)
[6] Feldskorpion (Scorpio occitanus). a sein Bauch mit den Kämmen u. Luftlöchern. Nat. Gr. (Art. Skorpione.)
[7] Männchen der Gestreckten Strickerspinne (Tetragnatha extensa), nat. Gr. a Augenstellung. (Art. Spinnentiere.)
[8] Haarbalgmilbe (Demodex folliculorum) 600/1. (Art. Milben.)
[9] Käsemilbe (Tyroglyphus siro). 50/1. (Art. Milben.)
[10] Männchen der Apulischen Tarantel (Tarantula Apuliae). Nat. Gr. (Art. Tarantel.)
[11] a Weibliche Kreuzspinne (Epeira diadema), nat. Gr. b Augenstellung, c Fußspitze der Hausspinne, d der linke Kieferfühler der Kreuzspinne mit der Giftdrüse, vergr. (Art. Kreuzspinne.)
[12] Weibchen der Hausspinne (Tegenaria domestica), nat. Gr. a Augenstellung. (Art. Spinnentiere.)
[13] Gemeine Wasserspinne (Argyroneta aquatica), etwas vergrößert, a Nest, b Augenstellung. (Art. Spinnentiere.)
[14] Weibchen der Umherschweifenden Krabbenspinne (Thomisus viaticus), im Hintergrund Fäden schießend. 5/2. (Art. Spinnentiere.)

[154] oder Pycnogonidae, sind als selbständige Gruppe nicht mit eingerechnet), nämlich: 1) Gliederspinnen (Arthrogastra), welche durch ihren gegliederten Hinterleib und auch den innern Bau noch am meisten der ursprünglichen Form der S. zu entsprechen scheinen, während alle übrigen S. mehr oder weniger abgeändert sind. Zu ihnen gehören unter andern die Skorpione (s. Gliederspinnen). 2) Echte Spinnen oder Spinnen im engern Sinn (s. unten). 3) Milben (Acarina), schon stark rückgebildete Formen, die aber noch deutlich ihre Zugehörigkeit zu den Spinnentieren verraten. 4) Tardigraden. 5) Zungenwürmer, beides, namentlich aber die letztern, Ordnungen von eigentümlichstem Bau.

Die Tardigraden (Tardigrada) sind kleine, sich langsam bewegende Tiere mit wurmartigem Körper, der nicht in Cephalothorax und Abdomen geschieden ist, mit saugenden und stechenden Mundteilen und vier Paar kurzen, stummelförmigen Beinen. Herz und Tracheen fehlen ganz. Sie sind Zwitter und legen

Fig. 1. Pentastomum taenioides. Fig. 2. Pentastomum denticulatum.

die Eier während der Häutung in die abgeworfene Haut ab; sie leben zwischen Moos und Algen, auf Ziegeln in Dachrinnen, zum Teil auch im Wasser, nähren sich von kleinen Tieren und können nach langem Eintrocknen durch Befeuchten wieder ins Leben gerufen werden. Hierher gehören nur wenige Arten, unter andern das Bärtierchen (Arctiscon tardigradum).

Die Zungenwürmer oder Pentastomiden (Linguatulidae), früher allgemein zu den Eingeweidewürmern gerechnet, sind durch Parasitismus außerordentlich rückgebildete, milbenartige S. mit wurmförmigem, geringeltem Körper, verkümmerten Mundwerkzeugen und Beinen, an deren Stellen zwei Paar Klammerhaken getreten sind, ohne Augen und ohne besondere Atmungs- und Kreislaufsorgane, mit einfachem Darm. Beide Geschlechter (das Weibchen ist bedeutend größer als das Männchen) hausen im erwachsenen Zustand in den Luftwegen von Warmblütern und Reptilien. Das hierher gehörige Pentastomum taenioides Rud. (Textfig. 1), dessen Männchen 8 cm und dessen Weibchen nur 2 cm lang wird, lebt in den Nasen-, Stirn- und Kieferhöhlen des Hundes und Wolfs; seine Embryonen gelangen mit dem Nasenschleim auf Pflanzen und von da in den Magen der Kaninchen, Hasen, Ziegen, Schafe, seltener Rinder und Katzen, auch wohl des Menschen; sie schlüpfen aus, durchbohren die Darmwandungen, gehen in die Leber, kapseln sich hier ein und durchlaufen nach Art der Insektenlarven eine Reihe von Verwandlungen, durchbohren später die Kapsel und gelangen in die Leibeshöhle ihrer Wirte, kapseln sich aber, wenn sie daraus nicht bald befreit werden, wieder ein und sterben ab (sie sollen indes auch durch Lunge und Luftröhre auswandern). Gelangen sie mit dem Fleisch ihres Wirtes in die Rachenhöhle des Hundes, so dringen sie in die benachbarten Lufträume und werden in 4–5 Monaten geschlechtsreif. Mit zahlreichen Pentastomen behaftete Hunde zeigen oft starke Anfälle von Tob- und Beißsucht, die leicht mit Tollwut verwechselt werden können. Der junge Zungenwurm, früher als eigne Art (P. denticulatum, Textfig. 2) beschrieben, kann in Lunge und Leber seines Wirtes furchtbare Verheerungen anrichten, auch bei zahlreichem Auftreten den Tod veranlassen.

Die Spinnen oder Webspinnen (Araneina) haben einen ungegliederten, gestielten und stark hervortretenden Hinterleib. Ihre großen Kieferfühler enden mit einer wie die Klinge eines Taschenmessers einschlagbaren Klaue, an deren Spitze der Ausführungsgang einer Giftdrüse mündet, deren Saft in die durch die Klaue geschlagene Wunde fließt und kleinere Tiere fast augenblicklich tötet. Die Unterkiefer tragen einen mehrgliederigen Taster, beim Weibchen von der Form eines verkürzten Beins, beim Männchen mit aufgetriebenem, als Begattungsorgan dienendem Endglied. Die vier meist langen, übrigens bei den einzelnen Gattungen sehr verschieden gebauten Beinpaare enden mit zwei kammartig gezahnten Krallen, oft noch mit kleiner unpaarer Afterkralle oder einem Büschel gefiederter Haare. An der Bauchseite des Hinterleibs liegt die Geschlechtsöffnung, und seitlich von ihr befinden sich die beiden Spaltöffnungen der sogen. Lungensäckchen, öfters auch noch ein zweites Stigmenpaar. Den After umgeben am Ende des Hinterleibs vier oder sechs Spinnwarzen, aus denen die Absonderung der Spinndrüsen hervortritt. Letztere sind birnförmige, cylindrische oder gelappte Schläuche; ihr Sekret gelangt durch Hunderte feiner Röhrchen nach außen, erhärtet an der Luft schnell zu einem Faden und wird unter Beihilfe der Fußklauen zu dem bekannten Gespinst verwebt. Das Nervensystem besteht aus dem Gehirn und aus einer gemeinsamen Brustganglienmasse. Hinter dem Stirnrand stehen acht, seltener sechs kleine Punktaugen in einer nach den Gattungen und Arten verschiedenen Anordnung. Der Darmkanal zerfällt in Speiseröhre, Magen mit fünf Paar Blindschläuchen und Darm, in welchen die Lebergänge und zwei verästelte Harnkanäle münden. Der Lebersaft wirkt ähnlich dem der Bauchspeicheldrüse der höhern Wirbeltiere. Die Atmungsorgane sind meist eigentümliche sogen. Fächertracheen oder Tracheenlungen (s. Tracheen), auch Lungensäckchen genannt; doch finden sich außerdem auch wohl noch gewöhnliche Tracheen. Das Blut fließt aus einem pulsierenden, im Hinterleib gelegenen Rückengefäß durch Arterien nach den Gliedmaßen und dem Kopf, umspült zurückkehrend die Lungensäckchen und tritt durch drei Paar seitliche Spaltöffnungen in das Rückengefäß zurück. Alle Spinnen legen Eier und tragen sie häufig in besondern Gespinsten mit sich herum. Die Männchen haben einen Hinterleib von geringerm Umfang als die Weibchen; das verdickte [155] Endglied der Kiefertaster ist löffelförmig ausgehöhlt und enthält einen spiralig gebogenen Faden nebst hervorstreckbaren Anhängen. Bei der Begattung füllt das Männchen dies Glied mit Samen und führt es in die weibliche Geschlechtsöffnung ein, wo sich ein besonderes Behältnis zur Aufbewahrung des Samens (Samentasche) befindet. Zuweilen leben beide Geschlechter friedlich nebeneinander in benachbarten Gespinsten oder selbst eine Zeitlang in demselben Gespinst; in andern Fällen stellt das stärkere Weibchen dem schwächern Männchen wie jedem andern Tier nach, und selbst bei der Begattung ist dieses gefährdet. Die Entwickelung im Eie ist insofern interessant, als der Embryo eine Zeitlang einen deutlich aus 10 bis 12 Segmenten bestehenden Hinterleib besitzt, an dem sich auch die Anlagen von Gliedmaßen zeigen, die aber im weitern Verlauf samt der Gliederung wieder verschwinden. Die ausschlüpfenden Jungen erleiden keine Metamorphose, bleiben aber bis nach der ersten Häutung im Gespinst der Eihüllen. – Alle Spinnen nähren sich vom Raub: die vagabundierenden überfallen die Tiere im Lauf oder Sprung; andre bauen Gespinste, welche bei den verschiedenen Gattungen sehr wesentlich voneinander abweichen und zum Fang von Insekten dienen; oft finden sich in der Nähe derselben röhren- oder trichterartige Verstecke zum Aufenthalt der Spinnen. Die meisten Spinnen ruhen am Tag und jagen in der Dämmerung. Junge Spinnen erzeugen im Herbst lange Fäden (sogen. Alterweibersommer, s. d.), mittels welcher sie sich hoch in die Luft erheben, vielleicht um sich zur Überwinterung an geschützte Orte tragen zu lassen.

Man kennt mehrere tausend Arten Spinnen; fossil finden sie sich namentlich in Bernstein eingeschlossen vor. Man ordnet sie in zwei größere Gruppen: 1) Vierlunger (Tetrapneumones), mit 4 Lungensäcken und 4 Stigmen, 4, selten 6 Spinnwarzen. Hierher nur die Familie der Vogelspinnen (Theraphosidae), s. Vogelspinne. 2) Zweilunger (Dipneumones), mit 2 Lungensäcken und 2 oder 4 Stigmen (in diesem Fall führt das hintere Paar zu Tracheenstämmen), stets 6 Spinnwarzen. Sie zerfallen in mehrere kleinere Gruppen: a) Springspinnen (Saltigradae), b) Wolfsspinnen (Citigradae), unter andern mit der Gattung Lycosa (Tarantel, s. d.), c) Krabbenspinnen (Laterigradae), unter andern mit der Gattung Thomisus (umherschweifende Krabbenspinne, T. viaticus C. L. Koch), d) Röhrenspinnen (Tubitelariae), zu denen Tegenaria (Hausspinne, T. domestica L.) und Argyroneta (gemeine Wasserspinne, A. aquatica L.) gehören, e) Webspinnen (Retitelariae) mit der Gattung Theridium (bekränzte Webspinne, T. redimitum L.), f) Radspinnen (Orbitelariae) mit der Gattung Tetragnatha (gestreckte Strickerspinne, T. extensa Walck.) und Epeira (Kreuzspinne, s. d.).

Vgl. Walckenaer und Gervais, Histoire naturelle des Insectes aptères (Par. 1836–47, 4 Bde.); Walckenaer, Histoire naturelle des Aranéides (das. u. Straßb. 1806); Hahn und Koch, Die Arachniden (Nürnb. 1831–49, 16 Bde.); Koch, Übersicht des Arachnidensystems (das. 1837–50); Lebert, Bau und Leben der Spinnen (Berl. 1878).


Ergänzungen und Nachträge
Band 17 (1890), Seite 767768
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[767] Spinnentiere. Der Gesichtssinn dieser nur mit Punktaugen, wenn auch oft in größerer Zahl, versehenen Tiere ist nicht so scharf, wie man früher annahm, sofern man meinte, daß die Jagdspinnen ihre Opfer in weiten Sprüngen sicher ergriffen. Forel überzeugte sich 1886, daß sie wohl 50mal vergeblich sprangen, ehe sie eine der auf Mauern und Baumstämmen sitzenden Fliegen oder Mücken erhaschten, und Dahl beobachtete 1884, daß eine solche Sprungspinne (Attus arcuatus) wohl schon auf lebhaft bewegte Insekten aufmerksam wurde, wenn sie noch [768] 20 cm entfernt waren, dieselben aber erst deutlich erkannte, wenn sie auf 2 cm nahe gekommen waren. Die letztere Thatsache stellte er dadurch fest, daß er ihr eine Biene darbot, der sie sich bis auf 2 cm näherte, und dann erschreckt zurückfuhr, als sie erkannte, daß sie es nicht mit einer Fliege, sondern mit einem wohlgewappneten Gegner zu thun habe. Eine unschuldige Blumenfliege vom Aussehen einer Wespe, wie sie auf der Tafel zum Artikel „Mimikry“ dargestellt sind, erregte denselben Schrecken, ein Beweis, daß die Verkleidung auch Spinnen gegenüber ihre Vorteile hat. Manche Raubspinnen, wie z. B. Attus tardigradus, beschleichen ihre Opfer mit kaum merklichen, katzenartigen Bewegungen, andre lauern unbeweglich und in unkenntlicher Verkleidung auf ihre Beute. So bildet Forbes in seinem 1885 erschienenen Reisewerk[WS 2] eine indische Spinne ab, die, auf ihrem kleinen Gespinste auf dem Rücken liegend, einem auseinander geflossenen Vogelkot auf den Blattoberflächen gleicht und so selbst ihre schärfer sehenden Opfer täuscht, und Göldi entdeckte unlängst eine auf Orangenbäumen lebende brasilische Raubspinne, die täuschend einer halberschlossenen alabasterweißen Orangenknospe gleicht, aus der schon die gelben Staubfäden herausblicken. Plateau hat 1886–87 genaue Beweise von ihrer Kurzsichtigkeit erlangt, indem er sie mit kleinen, an Fäden bewegten Kunstinsekten aus Daunenfederstückchen oder mit kleinen, schwarzen Wachsbällchen neckte. Die Sprung- und Wolfsspinnen ließen sich durch diese beweglichen Kunstinsekten immer wieder täuschen, erkannten ihren Irrtum erst bei Annäherung auf 1 cm und verloren ruhende Gegenstände schon bei 3 cm Entfernung aus den Augen. Kreuz- und Winkelspinnen scheinen sich gar nicht mehr auf ihr Gesicht zu verlassen und brachten dem Kunstinsekt, solange es sich bewegte, bis zu 20 Bisse bei, lernten aber nach einiger Zeit, daß sie getäuscht wurden, und kamen dann nicht mehr aus der Tiefe ihres Nestes hervor. Besonders hartnäckig beißen sie, wie B. C. Boys beobachtete, auf Insekten, die man durch Berührung mit einer Stimmgabel scheinbar brummen läßt, und ließen sich nicht abhalten, selbst auf Insekten zu beißen, die mit scharf riechenden Flüssigkeiten getränkt waren, wenn er sie nur brummen ließ. Es scheint also auch der Geruchssinn wenig entwickelt zu sein. Die bekannten Weberknechte (Phalangiden) der Mauern und Baumstämme, die durch ihre scherenförmigen Kiefertaster den Übergang zu den Skorpionen darstellen, geben kein Zeichen, daß sie mit ihren beiden Augen die Annäherung kleinerer oder größerer, langsamer oder schneller bewegter Dinge wahrnehmen, und scheinen für ihre Ernährung und Sicherheit nur auf das feine Tastgefühl ihrer langen, strahlenförmig nach allen Seiten ausgestreckten Füße angewiesen zu sein, mit denen sie einen Kreis von 6 cm Durchmesser umspannen. Ergreift sie irgend ein Feind an einem Bein, so lassen sie es meist in seinem Besitz.

Über eine kleine, sehr gefährliche Giftspinne (Lathrodectes tredecimguttatus), die in den russischen Steppen als „schwarzer Wolf“ oder Karakurd sehr gefürchtet ist, da sie viel Weidevieh durch Bisse in Lippen und Zunge töten und jährlich einen nach Millionen rechnenden Schaden verursachen soll, sind in jüngster Zeit mehrere wissenschaftliche Untersuchungen angestellt worden, die ergeben haben, daß diese Nachrichten nicht übertrieben waren. Auch Menschen sterben infolge des Bisses, wenn nicht sorgfältige Behandlung der Wunde eingeleitet wird, und auch dann bleiben häufig noch für längere Zeit Lähmungserscheinungen zurück. Das schwarze, wenig über 1 cm lange Tier, welches mit 13 roten Flecken geziert ist, enthält in allen seinen Teilen den scharfen Giftstoff, welcher 25 Proz. vom Gewicht des Tiers ausmacht und selbst in den Eiern bereits nachweisbar ist. Das Gift gehört nach Professor Brieger zu den eiweißartigen Fermentstoffen, wird durch Berührung mit Alkohol und Erhitzen auf 60° unwirksam, ist im Magen nicht schädlich, übertrifft aber bei der Einführung in die Blutbahn die heftigsten Pflanzengifte, wie Blausäure und Strychnin, so daß es nur den Schlangengiften vergleichbar erscheint. Von dem in einer Drüse gesammelten Gift genügt schon 1/30 mg pro Kilogramm Körpergewicht, um den Tod eines Menschen oder irgend eines warmblütigen Tiers herbeizuführen. In Rußland glaubt man, daß nur Rinder, Pferde und Ziegen getötet werden, Schafe aber giftfest seien; allein bei Impfversuchen erlagen Schafe ebenfalls. Diese Spinne ist auch in Südeuropa und Nordafrika unter dem Namen Malmiguatte bekannt und gefürchtet; auf Corsica hält man den Aufenthalt in einem geheizten Backofen für das einzige sichere Heilmittel für gebissene Menschen. Die Untersuchung deutscher Spinnen ergab auch das Vorhandensein eines Giftstoffes bei der Kreuzspinne und zwar in ihrer Jugend, dagegen erwiesen sich eine in Rußland ebenfalls als giftig gefürchtete Tarantel (Trochosa-Art) sowie ein Weberknecht oder Kanker (Phalangium-Art) als giftfrei.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Die Nummerierung der Figuren ist in der Vorlage nicht vorhanden und wurde zur Orientierung eingefügt.
  2. Henry O. Forbes: A Naturalist’s Wanderings in the Eastern Archipelago, London 1885, Abb. S. 64 Biodiversity Heritage Library