Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Geschoß“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 7 (1887), Seite 212214
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Geschoß. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 7, Seite 212–214. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Gescho%C3%9F (Version vom 14.10.2024)

[212] Geschoß, alte Benennung für direkte Steuern.

Geschoß (franz. Étage), in der Baukunst s. v. w. Stockwerk. Je nach der Lage unterscheidet man, von unten nach oben fortschreitend, 1) das Kellergeschoß,

 
Dachgeschoß
3. Stockwerk
2. Stockwerk
1. Stockwerk
Zwischen- oder Halbgeschoß
Erdgeschoß
1. Kellergeschoß
2. Kellergeschoß
 
Bezeichnung der Geschosse des Hauses.

welches ganz oder teilweise unter der Erde sich befindet, 2) das Erd-, Unter- oder Bodengeschoß, 3) das Hauptgeschoß, die Bel-Etage oder das erste Stockwerk, 4) das zweite, dritte etc. G. und 5) das Dachgeschoß. Außer diesen Geschossen kommen noch vor 6) das Zwischen- oder Halbgeschoß (Mezzanine), ein niedriges, meist zwischen dem Erd- und Hauptgeschoß angebrachtes Stockwerk, 7) der Kniestock (Attika), welcher unten in das Gebäude, oben in das Dach hineinreicht, daher halb als Obergeschoß, halb als Dachgeschoß zu betrachten ist. Stellt man diese verschiedenen Geschosse zusammen, so ergibt sich obenstehende Figur mit den beigefügten Bezeichnungen derselben.

Geschoß, im allgemeinen jeder Wurfkörper, im besondern der mittels Fernwaffen nach einem entfernten Ziel fortgetriebene, geschossene Körper. Der mit der Hand geschleuderte Stein oder zugespitzte Stab bezeichnet die Anfänge solcher Fernwaffen. Aber auch die Handwaffen aller Art wurden, neben ihrem Gebrauch als Schlagwaffe, geworfen, so die Wurfkeule, das Wurfbeil (wie noch heute bei wilden Völkern), an welche später, um sie zu erneutem Wurfe verwenden zu können, ein langer Riemen oder eine Wurfleine befestigt wurde. Das römische Pilum (s. d.), der schwere, das Jaculum, der leichte Wurfspieß, die gallische Hakenlanze (saunium), die germanische Caja hatten eine solche Wurfleine, aus welcher in Spanien der Lasso hervorging. Ein kurzer Doppelriemen (amentum) im Schwerpunkt des Lanzenschafts diente den Griechen u. Römern zur Verstärkung der Wurfkraft. Das G. der Schleuder (s. d.),

Fig. 1.
Römisches Schleuderblei.

anfänglich ein rundlicher Bachkiesel, wurde, um Wurfweite und Treffsicherheit zu vermehren, später aus Blei in regelmäßiger Form (glans) gefertigt: Fig. 1, römisches Schleuderblei (FIR bedeutet firmiter, „wirf fest“). Die älteste Schußwaffe ist der Bogen (s. d.), sein G. der Pfeil, ein der Länge des Bogens entsprechend langer Stab aus Rohr oder Holz mit Spitze aus Metall, Knochen etc. und Feder am andern Ende, den Flug zu regeln.

Fig. 2. Fig. 3.
Fig. 2 Griechi­scher Pfeil, 3 Deutscher Drehpfeil.

Fig. 2, griechischer Pfeil, 0,60 m lang. Für die Armbrust (s. d.) mit ihrer größern Bogenkraft und Führungsrinne für das G. mußte der Pfeil verkürzt und widerstandsfähiger gemacht werden und wurde so zum Bolzen mit kurzem, starkem Schaft und eiserner Spitze. Als man die Erfahrung machte, daß die Drehung um die Längenachse seine Treffsicherheit erhöhte, gab man ihm hinten eigentümlich gebogene, die Drehung hervorrufende Federn (Fig. 3). Aber auch Kugeln aus Marmor, gebranntem Thon und Blei dienten als Geschosse für die Armbrust. Dem vorzüglich ausgebildeten Geschützwesen der Alten müssen ohne Zweifel gleichwertige Geschosse entsprochen haben. Die Gastraphreten (Bauchspanner), unsrer Wallbüchse und dem Gebirgsgeschütz vergleichbar, sowie die Katapulten, die Pfeilgeschütze, in ihren verschiedenen Größen hatten ein pfeilartiges G. von 0,60–1,75 m Länge, 18–40 mm Durchmesser und 0,25–2 kg Gewicht; die Palintonen, die Wurfgeschütze, warfen Steinkugeln bis zu 81 kg schwer auf etwa 1000 Schritt, die Katapulten schossen bis auf etwa 700 Schritt. Die Tormenta (Geschütze) der Römer entsprachen den griechischen.

In Deutschland und Frankreich ging das Geschützwesen, Ballisten, Rutten (der falarica entsprechend), Gewerfe, Antwerke (s. d.), eigne Wege; erstere schossen starke Pfeile, letztere warfen kugelförmige Steine bis zu 60 cm Durchmesser. Auch jene Zeit hatte ihre Riesengeschütze; vor Zara wurden 1346 Steine von 1431 kg, vor Nidau von den Bernern solche von 600 kg Gewicht geworfen; statt eines großen warf man auch eine größere Zahl kleiner Steine, Steinhagel; aber auch mit Nägeln beschlagene Balken, [213] mit Brennstoff gefüllte Fässer, Leichen, totes Vieh zur Erzeugung schlechter Luft, glühende Eisenstücke, Töpfe mit griechischem Feuer etc. dienten als Geschosse. Ebenso waren Brandpfeile (s. d.) gebräuchlich. Die Chinesen befestigten Schwärmer an Pfeilen, um größere Schußweiten zu erreichen, und benutzten diese, wie die um das Jahr 900 erfundenen Raketen, um die Elefanten der Feinde scheu zu machen.

Bei den in der ersten Hälfte des 14. Jahrh. auftretenden Feuergeschützen fanden neben den Steinkugeln auch noch die Pfeile und Balken der Kriegsmaschinen Anwendung; die kleinern Kaliber, wie die Handfeuerwaffen, schossen Bleikugeln, indessen schon 1326 wurden in Florenz eiserne Kugeln gegossen, doch fanden sie ihrer Kostspieligkeit wegen erst nach und nach Eingang; in Deutschland wurden sie erst gegen Ende des 15. Jahrh. in Massen beschafft. Glühende Eisenkugeln wurden schon seit Anfang des 15. Jahrh. geschossen. Diese Geschosse waren zunächst massive Kugeln (Stück-, Voll- oder Paßkugeln). Um 1500 taucht die Bombe (s. d.) als Sprenggeschoß an mehreren Stellen auf; die früher auch von Malatesta von Rimini erfundenen Hohlkugeln scheinen mehr mit Brandsatz gefüllte Blechhüllen gewesen zu sein; auch Handbomben, sogar aus Glas, wurden schon früh verwendet. Leuchtkugeln (s. d.) mit spießglanzhaltigem Leuchtsatz kamen schon 1445 in Gebrauch, sie haben sich, wie die Brandbomben und Brandkugeln (s. d.), bis in unsre Zeit wenig verändert gehalten. Zweck der Hohlkugeln war, dem Feinde durch die Sprengstücke größere Verluste zuzufügen als mit Vollkugeln; man lud deshalb auch eine ganze Anzahl kleinerer Kugeln mit einemmal, Wachtel- oder Rebhühnerwurf, oder lud Büchsen mit Eisenstücken, Nägeln etc., Hagelgeschoß genannt (Mitte des 15. Jahrh.); aus diesem ging in der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. die Kartätsche (s. d.), zunächst als Beutelkartätsche, hervor. Gustav Adolf führte die Büchsenkartätschen ein. Ende des 17. Jahrh. kamen die Trauben- und Tannzapfenkartätschen auf, bei denen die Kugeln durch in den Beutel gegossenes Pech festgelagert waren. Dieses G. eignete sich nur für geringe Schußweiten; die Kartätsche auf weite Entfernungen ist der Anfang des 19. Jahrh. eingeführte Schrapnell (s. d.); obgleich Fronsperger in seinem Kriegsbuch 1555 bereits mit Eisenschrot und Pulver gefüllte und mit Zünder versehene Hohlkugeln beschreibt und Dambach 1609 mit Flintenkugeln gefüllte Bomben erwähnt, wurde dieses G. doch erst durch den

Fig. 4.
Kettenkugel.

Schrapnell gebrauchsfähig. Jene Zeit des 16. und 17. Jahrh. ist ja reich an allerlei Kuriosa, zu denen man auch wohl die Ketten- u. Stangenkugeln (s. d.) zählen darf. Namentlich im Seekrieg versprach man sich große Wirkung von ihnen in der Takelage der Schiffe (Fig. 4).

Mit den gezogenen Geschützen trat eine neue Geschoßform, das Langgeschoß, auf; zwar waren schon früher mehrfach aus glatten Geschützen längliche Geschosse, so 1627 vor La Rochelle durch Clarner aus Nürnberg erfundene cylindrische Granaten, versucht worden, aber der Erfolg gab ihnen ebensowenig Dauer wie den eiförmigen, mit denen Robins 1756 in La Fère experimentierte, weil den Geschossen eine Drehung um ihre Längenachse fehlte. Diese gab ihnen zuerst Reichenbach, der 1816 aus einem gezogenen Rohr von 32 mm Kaliber ein Bleigeschoß in Form von Fig. 5 schoß. Der Holzspiegel h steckte mit einem Zapfen im G., wurde durch den Stoß der Pulverkraft in dieses hineingetrieben, erweiterte es und drückte es dadurch in die Züge. Diese Idee wurde später von

Fig. 5.  Fig. 6. 
Fig. 5. Reichenbachs Langgeschoß. Fig. 6. Turbinengeschoß.

Minié (s. unten) für die Handfeuerwaffen geistreich verwertet. Lancaster verfeuerte 1851 aus seinem Geschütz (s. d.) mit elliptischem Seelenquerschnitt ein langes G. in Form eines Ellipsoids, u. Preußen führte 1854 für die glatten 12- und 24-Pfünder 12/3 Kaliber lange cylindrische Geschosse, Turbinengeschosse, mit vier spiralförmigen Kanälen (Fig. 6), welche die Achsendrehung bewirken sollten, nach Hartmanns Vorschlägen ein. Eine neue Epoche für das G. der Artillerie begann erst mit Einführung der gezogenen Geschütze. Das G. erhielt die Form eines Cylinders mit

Fig. 10. Fig. 7. Fig. 11.
Ältere Spitzkugel.
Fig. 13.
Neßler-Geschoß. Plönnies-Geschoß (mit Durchschnitt).
  Lorenz’ Stauch­geschoß.  
Fig. 12. Fig. 9. Fig. 8.
Dreyses Langblei. Timmerhans-Geschoß. Minié-Geschoß.
Verschiedene Geschosse.

ogivaler oder konischer Spitze und eine Höhlung für eine Sprengladung; s. Granate und Schrapnell.

Weniger zahlreich sind die Wandlungen, die das G. der Handfeuerwaffen durchlaufen. Von der Rundkugel ging man zur sogen. Spitzkugel (Fig. 7) für [214] gezogene Vorderladungsgewehre über, welche in die Züge eingekeilt oder beim Thouvenin-Gewehr auf einen Zapfen gestaucht wurde, bis Minié 1849 bei seinem Expansionsgeschoß das Einpressen in die Züge durch das Kulot b (Fig. 8), welches die Pulvergase in den Kanal drücken, erreichte. Timmerhans machte das Kulot durch den Zapfen a (Fig. 9), Neßler durch eigentümliche Form der Höhlung (Fig. 10) und Plönnies (Fig. 11) durch Scheidewände in Kreuzform entbehrlich. Beim Zündnadelgewehr Dreyses (Fig. 12) tritt der Pappspiegel c in die Züge und gibt dem Langbleigeschoß d die Drehung. Beim Lorenz-Gewehr in Österreich wurde sie durch Stauchung des Geschosses (Fig. 13) bewirkt. Schon der schweizerische Oberst Würstemberger machte darauf aufmerksam, daß lange Bleigeschosse kleinen Kalibers sich beim Schuß ohne jedes Hilfsmittel genügend stauchen, um Führung in den Zügen zu erhalten. Das G. der neuern Handfeuerwaffen ist daher ein 2–4 Kaliber langer Cylinder mit ogivaler Spitze, und seitdem man weiß, daß die Stauchung dieser Geschosse viel zu groß ist und die Fluggeschwindigkeit der letztern beeinträchtigt, hat man nach dem Vorschlag des preußischen Artillerie-Oberstleutnants Bode Kupfer- und Stahlhautgeschosse hergestellt, die aus kupfernen oder stählernen, fingerhutartigen Kapseln mit eingelötetem Bleikern bestehen.

Die Massenanfertigung der Geschosse geschieht in Geschoßfabriken, die für Artilleriegeschosse meist mit den Geschützgießereien oder Artilleriewerkstätten, für Gewehrgeschosse mit den Gewehr- und Munitionsfabriken verbunden sind; erstere (staatlich) befinden sich in Deutschland zu Spandau (bei der Geschützgießerei), Siegburg und Ingolstadt. Von Privatfabriken liefern Hartgußgranaten: Gruson in Buckau bei Magdeburg, Ganz u. Komp. in Ratibor, Gute-Hoffnungshütte bei Wesel, Rheinböllerhütte bei Bacharach, Steinmig in Danzig u. a. Die Gewehrgeschosse werden in den Munitionsfabriken zu Spandau, Danzig, Erfurt und Amberg hergestellt. Eines Weltrufs in der Anfertigung von Gewehrgeschossen aller Art erfreut sich die Fabrik von Lorenz in Karlsruhe. Frankreich hat eine großartige Geschoßgießerei in Ruelle eingerichtet. Vgl. Geschütz und Handfeuerwaffen.