Land und Leute/Nr. 37. Familienfeste im Elsaß

Textdaten
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Autor: August Jäger
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Titel: Familienfeste im Elsaß
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aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 658–662
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Reisebericht aus der Artikelserie Land und Leute, Nr. 37
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Hochzeit im Elsaß.
Nach der Natur aufgenommen von Theod. Pixis in München.

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Land und Leute.


Nr. 37. Familienfeste im Elsaß.


Wir können diese Schilderungen elsässischer ländlicher Zustände nicht schließen, ohne einen Blick auch auf das Familienleben und den gegenseitigen Verkehr der Dorfbewohner geworfen zu haben.

Das Familienleben der Landbevölkerung ist ein durch die ununterbrochene Arbeit der Woche bedingt geregeltes und stilles. Nie wohnen zwei verschiedene Familien in einem Hause. Jeder, selbst der ärmste Tagelöhner, hat sein eigenes Häuschen. Wer sich kein Haus bauen oder kaufen kann, der wandert aus nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Dagegen sind in vielen Häusern der Bauern zwei Ehepaare beisammen, Eltern und Großeltern; dazu gesellt sich zuweilen ein Urgroßvater oder [660] eine Urgroßmutter. Das Verhältniß der verheiratheten Kinder zu ihren Eltern ist zuweilen kein sehr herzliches, aus folgenden Ursachen: Je reicher die Bauernjugend, desto früher tritt sie in die Ehe. Der Gebrauch will es, daß der Sohn vor der Tochter den Hof erhält. Er heirathet ein Mädchen, das wenigstens ebenso viel Güter besitzt, wie er selber einst erhält. Vor der Schließung der Ehe wird dem zukünftigen Ehepaare Haus und Hof mit „Schiff und Geschirr“ gegen eine mäßige Anschlagssumme zum Eigenthume übergeben. Die Eltern behalten sich nur ihre lebenslänglichen Rechte im Hause, Hof, Scheune, Stallung und Garten vor. Diese Anschlagssumme müssen die jungen Eheleute entweder den andern Kindern des Hauses, oder, sind sonst keine Kinder mehr vorhanden, den Eltern bezahlen, die im letztern Falle die Summe auf dem Hause stehen lassen und nur die Bezahlung des Geldes verlangen, wenn sie es brauchen. Dabei essen die jungen Eheleute, je nach der Uebereinkunft, mehrere Jahre umsonst mit ihren Eltern an deren Tische. Dies geschieht in der Absicht, daß die jungen Leute vorwärts kommen und sich für den Erlös ihres verkauften Viehes und ihrer Ernte Güter kaufen können.

Das wäre Alles ganz gut. Sind aber noch Geschwister des im Hause verheiratheten Bruders oder der Schwester vorhanden, so hört das „Hausen“, das heißt die unentgeltliche Lieferung der Kost von Seiten der Eltern an das junge Ehepaar im Hause eher auf, besonders wenn sie verheirathet sind. Dies ist der erste Anlaß zur Unzufriedenheit. Denn wenn die Eltern das Hausen aufgeben, so müssen die Jungen es anfangen, und da mögen nun die Eltern bei den jungen Leuten oder für sich hausen, immer entsteht Unzufriedenheit darüber, und ganz besonders suchen die liebreichen Kinder für die den Eltern zu liefernde Kost mehr Güter zu erpressen.

Das ist die Ursache, warum in sonst ganz ehrbaren Familien Zwistigkeiten ausbrechen. Die Eltern sind aber oft selbst schuld daran, wenn ihre Kinder allzu begehrlich sind. Sie haben selbst nicht anders gegen ihre eigenen Erzeuger gehandelt. Und da sie den Geist der Habsucht in ihren Kindern dadurch angefacht haben, daß sie dieselben antrieben, über deren Kräfte Güter zu kaufen, so suchen die jungen Eheleute sich dadurch zu entschädigen, daß sie übertriebene Forderungen an ihre Eltern stellen und sie nach und nach ganz ausziehen. Die Eltern, um den Frieden zu haben, geben meistens nach.

Viele Fälle kommen vor, daß, wenn die alten Eltern arbeitsunfähig sind, die Achtung der Kinder in dem Maße abnimmt, als sie weniger leisten können. Die Rolle der Großmutter im Hause beschränkt sich nach und nach darauf, Kindeswärterinnenstelle zu leisten und das Vieh zu füttern. Wenn sie aber gar nichts mehr leisten können, dann wehe ihnen! Sie sind übrig überall. Sie, die einstigen Gebieter ihres Hauses und Vermögens, ertragen aber auch das Loos, das sie einst vielleicht ihren eigenen Eltern bereitet haben, mit einer seltenen Ergebung. Diese Thatsache ist häufig genug, daß sie der Erwähnung verdient; sie ist aber weniger der Maßstab, den wir an die Sittlichkeit des elsässischen Bauernstandes legen dürfen, als das Ergebniß der mangelhaft geregelten Verhältnisse zwischen in einer „Hofraith“ wohnenden Eltern und verheiratheten Kindern.

Der elsässische Bauer ist äußerst sparsam, aber das nimmt man nicht wahr bei außerordentlichen Gelegenheiten, wie bei „Leichenimbsen“, Kindtaufessen, „Meßti’s“ oder Kirchweihen und Hochzeiten. Wie viel auch von wohlgesinnten Männern, die dem Volke näher stehen, gegen die Schmäuse bei Beerdigungen geeifert worden, – sie bestehen fast noch überall in den Dörfern. Es wird auch redlich, nach der Sitte der Ahnen, geschmaust und gezecht, und nach der eigenen Aussage der Hinterbliebenen geschieht das, um den Abgeschiedenen zu ehren. „Das wäre eine Schande,“ sagen die Leidtragenden, „wenn wir das Opfer nicht zu Ehren des Entschlafenen brächten.“ Denn auch die ärmeren Dorfbewohner thun das ihren Verstorbenen gegenüber.

Die Kindtauffschmäuse werden noch glänzender gehalten. Das hat auch seine Bewandtniß. Bevor das Tauffest gehalten wird, bringen die Taufpaten der Kindbetterin allerlei mehr oder weniger kostspielige Leckereien und Geschenke. Darum werden dieselben mit der ganzen Verwandtschaft einen oder zwei Tage anständig bewirthet durch allerlei Fleischspeisen, Gebackenes, Kuchen, Pasteten und Torten. Und die Mittelleute geben meistens den Reicheren in der Zahl der Gerichte und ihrer Zubereitung, so wie in der Menge des Weines nichts nach.

Aber ein wahrer Luxus in Kleidern, Speisen, Gebackenem aller Art, sowie in Wein, der, wenn der Herbst gut gerathen, in Strömen fließt, wird bei den Hochzeiten getrieben. Doch, ehe die Hochzeit gehalten wird, muß der „Handstreich“, d. h. der Ehecontract, abgethan sein, wo der Notar die Hauptrolle spielt. Nachdem die beiden Familienväter eins geworden, was sie ihren Kindern in die Ehe geben – eine kitzlige Verhandlung, die, bei der Zähigkeit der einen Partei, manchmal durch einen förmlichen Bruch endet – werden die Mitgift und sonstige besondere Bedingungen in dem Ehepacte zu Papier gebracht.

Hier ist es Sitte, daß, wenn es an der Braut ist, den Contract zu unterzeichnen, dieselbe ihre Unterschrift verweigert und entläuft. Der Hochzeiter aber weiß schon, was er zu thun hat. Er eilt dem Mädchen nach, und durch eine gewisse Summe Geldes macht er es willig zu unterschreiben. Ein ansehnlicher Schmauß, dem die näheren Verwandten, auch zuweilen der Pfarrer, beiwohnen, schließt diese Einleitungen des Hochzeitfestes.

Holt sich der Bursche eine Frau aus einem benachbarten Orte, so verfügen sich die jungen Leute dieses Dorfes in das Haus, wo der „Handstreich“ stattfindet, und überreichen dem fremden Hochzeiter einen mit flitternden seidenen Bändern gezierten Strauß. Der Bräutigam versteht den sinnigen Wink in Form eines Geschenkes. Es ist das Mädchen des Dorfes, das sie ihm, dem Fremden, durch die Gabe des Straußes überlassen, indem sie ihm Glück zu der Maid wünschen. Wehe dem Bräutigam, wenn er den Sinn der Gabe nicht versteht! Aber er kennt die Dorfgebräuche und drückt, zum Zeichen, daß er ihr Recht, die Gespielin zurückzuhalten ober freizulassen, einigermaßen anerkennt, Einem unter ihnen zwanzig bis vierzig Franken je nach seinem Vermögensgrade in die Hand. Dann trinkt er ihnen aus einer Flasche Wein, die sie mitgebracht, Versöhnung und Bruderschaft zu. Die jungen Burschen gehen, nachdem sie auch den Wein des Brauthauses hatten versuchen müssen, zusammen und verbringen zechend und singend einen lustigen Abend mit der Loskaufsumme des Hochzeiters.

Soll die Hochzeit bald vor sich gehen – und gewöhnlich dauert die Zeit des Brautstandes nicht lange – so beginnen die Vorbereitungen dazu. Ein junger Ochse, Kälber, Schweine, Federvieh werden dazu in Mästung gethan. Die Hochzeitkleider des Bräutigams werden verfertigt, sowie diejenigen der Braut, deren Garderobe außerdem noch so sehr vervollständigt wird, daß sie mit den zwanzig bis vierzig rothen, blauen und grünen Röcken, die sie erhält, meistens für ihr ganzes Leben versorgt ist.

Der Bräutigam wählt unter seinen Cameraden den Brautführer, die Braut ihre zwei Braut- oder Traujungfern. Der Erstere beginnt mit dem Brautführer vierzehn oder acht Tage vor der Hochzeit die Gäste zum Feste zu laden. Die auswärtigen Verwandten und Freunde werden zu Pferde geladen. Die beiden Hochzeitslader haben neue blaue Mäntel an. Ihr dreieckiger Hut wird von der Braut mit Bändern, Rosmarin und künstlichen Blumen geschmückt. Die Reitpeitsche und der Zaum der Pferde sind mit bunten Bändern geziert. Vor jedem Hause einer Familie, die eingeladen wird, ertönt ein Pistolenschuß. Feierlich, und wie betend, wird vor der vollständig versammelten Familie durch den Brautführer mit vorgehaltenem Hute und gefalteten Händen in Reimen die Einladungsformel hergesagt. Dann wird der Hochzeiter mit seinem Cameraden bewirthet.

Zu Fuß laden die Letzteren die Gäste im Heimathsdorfe selber. Sie müssen gute Magen haben, um der in allen Häusern angebotenen Bewirthung Ehre anzuthun. Nichts genießen, hieße geradezu die Freunde nur zum Schein einladen.

Eine große Hochzeit wird nur am Dienstage gehalten. Kommt die Braut von einem andern Dorfe, so wird der aus verschiedenen mit Hausrath versehenen Hochzeitswägen bestehende Zug im zukünftigen Heimathsorte mehrmals durch über den Weg gespannte Ketten oder Seile aufgehalten. Der Brautführer muß der vorn zwischen den Brautjungfern sitzenden Braut durch ein Geldstück freien Paß verschaffen.

Ist die Braut aus dem Orte selbst, so muß sie am Vorabende der Hochzeit mit den Traujungfern und dem Brautführer [661] noch die üblichen Gänge zu ihren Gespielinnen machen, um ihnen zum Abschiede Kuchen und Torten zu bringen; auch in’s Pfarrhaus, vor dem der Brautführer zuerst den gebräuchlichen Pistolenschuß losknallt.

Nachts schlafen die Traujungfern bei ihrer jungfräulichen Freundin. Am andern Morgen, nach einem den schon theilweise anwesenden Gästen gereichten Frühstücke, begiebt sich der Brautführer mit einer der Brautjungfern, nach dem üblichen Pistolenschusse, wieder in das Pfarrhaus. Er trägt eine Flasche mit Wein, seine Begleiterin einen mit beiden Händen an die Hüfte gestützten Korb mit der „Brautsuppe“, worin ein gewaltiges Stück Rindfleisch liegt, und daneben ein Viertel Weißbrod. Oben auf dem Tische des Korbes liegt das für den Pfarrherrn bestimmte Schnupftuch, in dem sich ein herausragender Stengel Rosmarin befindet. Sie kündigen zugleich an, daß das Brautpaar zur Kirche gerüstet sei. „Möge der Pfarrherr aber zuvor sich das gebrachte Frühstück wohlschmecken lassen,“ sagen sie.

Vorher aber müssen sich die Hochzeitsleute zur bürgerlichen Trauung auf die Mairie begeben. Dieses geschieht nicht in festlicher Tracht, weil man, trotz der Gesetzlichkeit dieses Actes und trotz dessen Wichtigkeit, die kirchliche Trauung bei weitem höher hält.

Die Glocken ertönen bald; der Pfarrer erscheint im Hochzeitshause, um das Brautpaar in die Kirche zu führen. Auf den dreieckigen Hüten und den scharlachrothen Pelzkappen der sämmtlichen männlichen Jugend werden Sträuße künstlicher Blumen und Rosmarin angebracht. Alles ist festlich gekleidet. Die Hochzeiterin und ihre beiden Traujungfern kommen im schwarzen Abendmahlskleide. Nur das bunte Brusttuch mit seinem Gold- und Silberflitter blinkt zwischen dem schwarzen Wamse hervor. Auf dem Haupte trägt die Braut mit allen ihren Gespielinnen ein von Goldflitter verfertigtes Häubchen, das, auf dem Wirbel sitzend, einer goldenen Krone gleichsieht, mit welcher sie die von allen Seiten hinaufgekämmten Haare verbirgt. Um das Kopfstück der Krone wird ein rothes seidenes Band geschlungen, das hinten mit seinen beiden Enden weit über den Rücken hinabwallt. Vorn ist am Fuße der Krone das von bunten Glaskorallen mit feinem Drahte geflochtene Jungfernkrönlein angebracht, welches bis zum Beginn der Stirn reicht.

Nach einer kleinen Anrede des Pfarrers begiebt man sich zur Kirche. Der Bräutigam geht mit dem Pfarrer; dann folgen die beiden Väter, die Taufpathen, die im Elsaß sehr hoch gehalten werden, und die älteren Verwandten, alle in schwarzen Leibröcken mit scharlachenem Brusttuche und dem dreieckigen Filzhute, der am Kopfende mit einer breiten dicken Schnur umgeben ist. Dann kommen die Bursche in hellerer Kleidung mit Sträußen auf den Hüten. Darauf folgt der Brautführer mit der Braut, der sich unmittelbar die Traujungfern, die Mädchen und Weiber paarweise anschließen.

Frisch und lieblich in der so reichen Tracht geht der Hochzeitszug unter dem Läuten der Glocken in das Gotteshaus. Auf dem Kirchhofe stehen junge Bursche des Dorfes, die beim Herannahen des Zuges sich mit ihren Flinten und Pistolen in Bereitschaft setzen. Eine Salve ertönt zuerst zu Ehren des Hochzeiters. Wenn aber die Braut kommt, dann kracht es erst gewaltig, also daß die Weibsleute erschrecken und furchtsam auseinander stieben, woran die jungen Bursche große Freude haben.

Innen an der Kirchthür stehen die Hirtenweiber des Dorfes. Sie harren auf die Braut und wollen sie nicht eher einlassen, als bis der Brautführer ihnen für die Braut den gebührenden Einstand entrichtet hat. Denn die jungen Eheleute sollen ja jetzt ein eigenes Haus bilden. Während der Mann schon im Felde „zackert“, läßt ja die Frau auf das Zeichen des schallenden Hirtenhorns und das schrillende Pfeifen des Schäfers das ihnen von den Eltern geschenkte Vieh auf die Weide; somit mahnen die Hirtinnen durch einen kurzen Spruch an den ihnen gebührenden Tribut.

Der Brautführer löst die ihm anvertraute Braut durch ein Stück Silbergeld, und der Weg in die Kirche steht offen.

Wir übergehen die jetzt stattfindenden religiösen Gebräuche. Nach Gesang und Predigt folgt, wie überall, die kirchliche Einsegnung. In dem Augenblicke, wo der Bräutigam der Braut den Trauring an den Finger steckt und die Seegensworte über den Ehebund gesprochen werden, wird draußen vor der Kirche wieder eine donnernde Gewehrsalve abgefeuert. Bald ist die Feier zu Ende. Unter einem lebhaften Marsche, den der Herr Schulmeister von der Orgel spielt, tritt die Festgesellschaft in derselben Ordnung, wie sie gekommen, aus der Kirche. Dieselben Ehrenschüsse erschallen wieder. Jetzt treten vor dem Kirchhofe vier bis fünf Musikanten heran und eröffnen mit schallender Musik den Festzug, der dem Hochzeitshause zugeht.

Bevor der „Hochzeitimbs“ beginnt, erhalten die Männer des Dorfes, in deren Stand der Neuvermählte eintritt, einen Ohm Wein mit einigen Laiben Weißbrod als Einstand. Das Nämliche erhalten ihrerseits die ledigen Bursche, von denen der Bräutigam scheidet. Die Gaben, welche die Männer und die Burschen von dem Hochzeiter empfangen, genießen sie nicht im Hochzeitshause, sondern von einander abgesondert, ja in einer beliebigen Wohnung eines der Empfänger, oder im Wirthshause.

Auch die Armen und Kranken werden nicht vergessen: sie erhalten Jeder eine Portion Suppe, Fleisch und Brod. Sogar die Kinder des Dorfes, reich wie arm, stellen sich an der Thür des Hochzeitshauses ein, um das übliche Fleisch und Brod zu holen. So nimmt fast die ganze Gemeinde an der Freude Theil.

Es ist leicht begreiflich, welche Massen von Speisen und Getränken eine solche Hochzeit kostet, wo, neben den besonderen Gaben, zehn bis sechszehn Tische voll Gäste wenigstens drei Tage lang und noch länger sollen vollständig genährt und getränkt werden. Ich habe mir sagen lassen, daß eine Hochzeit achthundert bis zwölfhundert Pfund Fleisch verschiedener Art kostet, sowie zwölf bis achtzehn Hektoliter Weizen. Wenn der Wein geräth, so fließt er in Strömen. Es werden sechs bis zwölf Hektoliter (zwölf bis vierundzwanzig Ohmen) getrunken und verschenkt. Und doch ist bei solchen Gelagen über Unfug selten zu klagen.

Wenn es an das Essen geht, so ziehen die Mannsleute ihre Sonntagsröcke aus, legen die Hüte bei Seite, nehmen die mit Marder- oder Iltispelzen besetzten rothen Mützen, Kappen genannt, hervor, ziehen kurze, auf beiden Seiten mit einer Reihe heller Knöpfe besetzte Wämser an und binden um ihre Lenden ein weißes, bis auf die Kniee gehendes, unten mit Spitzen besetztes weißleinenes Schürzlein. Auch der Hochzeiter und der Brautführer wechseln ihre Costüme. Sie müssen in den Häusern noch einmal die Gäste herbeiladen. Letztere kommen außerordentlich langsam daher. Es wird als ein Zeichen von Frechheit und Heißhunger angesehen, wenn man sich im Gehen nur ein wenig beeilt. Der weibliche Theil der Gäste hat sich in helle Farben, grün, blau, roth gekleidet. Das Wams wird ausgezogen und selbst die Kälte hindert die Weibsleute nicht, hemdärmelig, wie sie sagen, zum Mahle zu erscheinen. Die Mädchen tragen jetzt blendend weiße leinene Fürtücher oder Schürzen.

Nun geht’s nach langem Warten und Complimentiren zum Essen. Es dauert lange, bis alle Gäste an ihrem Platze sitzen. Keiner will der Erste sein, und doch schreibt eine gewisse Etiquette Allen ihre Platze vor. Die Hochzeiterin sitzt am Ehrentisch, zwischen den beiden Traujungfern; der Hochzeiter darf, so ist es der Gebrauch, sich nicht zu Tische setzen, sondern er hilft mit dem Brautführer zum Theil aufwarten, zum Theil wandelt er von einem Tische zum andern, um den Gästen zuzutrinken und sich auf seine Gesundheit zutrinken zu lassen.

Soll ich die Gerichte alle aufzählen, die auf den Tischen in ziemlich langen Zwischenräumen erscheinen, um das Mahl recht lange auszudehnen und Jedem Zeit und Muße zum Essen zu lassen? Fleischsuppe, ungeheure Stücke Rindfleisch, die nur vor dem wackeren Appetite der Schmausenden weichen, gewaltige Schüsseln mit Sauerkraut oder Spinat, auf dem bedeutende Stücke Schweinefleisch, umwunden mit Bratwürsten, ruhen; wohlschmeckende Markklöße. Dann kommen die Pasteten, junges Kalbfleisch oder Geflügel enthaltend, allerlei Fleisch in einer Sauce, welch’ letztere die Bauern besonders mit Brodschnitten auszutrinken lieben, wenn sie des Fleisches müde sind; mächtige Kalbs- und Schweinebraten mit Salat.

Wenn die Eßlust gestillt ist, und der Pfarrer sich wegbegeben hat, dann wird die Jugend lebendiger; die Musik läßt sich hören. Und bald geht es zur Tanzstube, wo sich auch nach und nach die nicht eingeladene männliche und weibliche Jugend einfindet.

Jetzt führt auch der Bräutigam die Braut zum Tanze. Die Musik geht voran. Der Brautführer hat die zwei Brautjungfern am Arme; die gesammte Jugend folgt. Jeder junge [662] Bursche hat eine Weinflasche mit darüber gestürztem Glase in der Hand, mancher einen Rosmarinstengel im Munde. Einige hüpfen, springen und juchheien, daß die Alten froh sind, wenn die Jugend fort ist, und sie ruhig noch beieinander sitzen und trinken können.

Auf der Tanzstube angelangt, reiht sich die ganze Gesellschaft an den Wänden hin; denn der Hochzeiter hat das Recht, mit seiner Braut allein den Vortanz zu machen. Dann wird für den Brautführer aufgespielt, der mit jeder der Brautjungfern einen besondern Tanz vollführt. Wenn diese Ehrentänze vorüber sind, dann dürfen alle Burschen ihre Begleiterinnen an den Walzern und Hopsern teilnehmen lassen.

Abends zur Nachtglockezeit begiebt sich der Brautführer zur Hochzeiterin, bittet sie zum Tanze, ergreift sie bei der Hand und, nachdem sie an der seinigen sich einige Male nach der Sitte im Kreise umgedreht, bindet er stillstehend ihr das Jungfernkrönlein von Glaskorallen und Flittergold, das sie an der Stirn trägt, ab und windet es sich mit Beihülfe der Freunde um die eigene Stirn. Der Brautführer ist ja Stellvertreter seines Freundes, und das Krönlein muß ja einmal errungen werden – ein Gebrauch, der ein Zeichen von Derbheit und wunderlichem Zartgefühl der elsässischen Sitten zugleich ist.

Jetzt wird noch einige Zeit getanzt. Dann geht es wieder im Zuge unter Vorantritt der Musik dem Hochzeitshause zu, wo die homerische Mahlzeit bereitet ist. Der Tanz hat dem jugendlichen Appetite wieder Vorschub geleistet. Reisbrei, Fleisch von allen Sorten, Kugelhopf, Torten und alle Arten Kuchen werden aufgetragen. Herz, was begehrst du noch mehr? Bald läßt sich das ländliche Musikcorps wieder hören. Aber die wackeren, tüchtig in Anspruch genommenen Musikanten wollen dafür auch ihre Gebühren. Einer derselben macht die Runde an den Tischen mit einem Teller, worauf ein mit einem Bande gezierter Rosmarinstrauß liegt. Er hält den Teller einem Jeden der Gäste mit der Bemerkung hin, daß die Hälse und Instrumente der Musikanten „verlächt“ (ausgetrocknet) wären. Jeder legt ein Geldstück darauf. Aber noch dürfen sich die Beutel der Gäste nicht schließen. Auch die Köchin tritt am Arme des Brautführers, des vielfach in Anspruch genommenen, herein mit ihrem großen Kochlöffel, woran ein Bund befestigt ist. Sie behauptet, den Löffel noch nicht bezahlt zu haben. Jeder zieht wieder den Beutel, was natürlich mit allerlei Späßen begleitet wird.

Nach dem Essen geht’s wieder zum Tanze bis zum Morgen, und was der erste Tag gebracht hat, das wird an den beiden folgenden fortgesetzt, bis endlich sogar diese Kraftnaturen es satt haben und ihr von der schweren Arbeit des Tages widerspenstiger Magen sich nach Ruhe sehnt.

Wenn obige Bilder, die mein Freund Pixis durch die drei hier bereits veröffentlichten prächtigen, wahrheitsgetreuen Zeichnungen illustrirt hat, Anklang gefunden haben sollten, überlasse ich die Schilderung des Meßti oder der Kirchweih, der Majstuben und anderer originellen Gebräuche im lieben Elsaß einer spätern Mußezeit und scheide mit freundlichen Grüßen aus dem schönen Elsaß von dem freundlichen Leser.

August Jäger.