Kunstketzereien/2.
[384] Kunstketzereien. Nr. 2. Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze. Meine Künstlerwerke, seufzt der theatralische Künstler, entstehen im Augenblick und vergehen mit ihm! Die Nachwelt kann sie nicht sehen, genießen und bewundern.
Und dieses Malheur – angenommen, es wäre eins – träfe nur den Mimen? Zunächst wenigstens theilt er es mit dem Virtuosen, und außerdem mit dem allergrößten Theil der Erdbewohner. Ruhmwürdige Leistungen liefert doch wohl nicht allem der Schauspieler; große, nützliche, bewunderungswürdige Thaten haben im Laufe der Zeiten gar viele Menschen vollbracht. Wie viele davon sind denn aber sinnlich wiederholbar vor den Augen der Nachkommen? Daran denkt aber der Bühnenkünstler nicht; er hat die Werke der Dicht- und Tonkunst, der Sculptur, Malerei, Architektur im Auge, die bleiben und zeigen die Kunst ihrer Schöpfer den folgenden Generationen.
Mit großen Einschränkungen! Malerwerke, Leinwand und Farben sind nicht unsterblich; sie erbleichen oder verdunkeln mit der Zeit, und gehen früher oder später ganz zu Grunde. Von den Werken der alten Bildhauer sind wenige übrig geblieben, und die meisten davon nur verstümmelt. Von anderen kennt man wieder die Namen der Verfertiger nicht! Wo sind so viele großartige Wunder der Architektur hin, Paläste und Tempel, ja ganze Städte, wie Palmyra, Babylon mit seinen schwebenden Gärten, Theben mit seinen hundert Thoren hin? Wegrasirt von der Erde sind sie ganz und gar, oder liegen in Trümmern verstreut da, als traurige Prediger von der Vergänglichkeit aller irdischen Größe. Allen diesen großen Künstlern früherer Zeiten ist es ergangen, wie es den theatralischen ergeht, ihre Werke sind nicht auf die Nachwelt gekommen. Schriften der Dichter, Denker, Componisten erhalten sich, besonders seit Erfindung der Buchdruckerkunst und des Notenstichs, länger, möglicherweise in alle Ewigkeit hinein. Aber wahrlich für die meisten Autoren meist mehr zum Nachtheil als zum Vortheil!
Für eine Unzahl von Dichtern, Schriftstellern, Musikern, Malern wäre es sicherlich ein Glück gewesen, wenn ihre Werke sie nicht überlebt hätten. Durchblättert die Kunst- und Literaturgeschichten, durchstöbert die Bibliotheken und Kunstarchive, welch eine Unmasse nachgelassener Werke wimmelt euch entgegen! Keiner wahrscheinlich von allen diesen Autoren, der nicht mit der süßen Ueberzeugung gearbeitet hätte, ein Product für die Bewunderung aller Zeiten geliefert zu haben. Bekümmert sich die Nachwelt darum? Und wenn es hier und da einmal einem Nachkommen einfällt, den Nachlaß eines Altvordern zu betrachten, was findet er oft? Verwundert ruft er aus: Wie, dieses geschmacklose, schwache, langweilige Ding hat seinen Zeitgenossen gefallen und dessen Verfertiger berühmt gemacht? Unter zehntausend erhaltenen Werken ist vielleicht eines, das einen relativen, und unter hunderttausend erst eines, das einen bleibenden Werth für alle Zeiten hat. Ach, die Nachwelt! Wie lange ist Klopstock todt? 59 Jahre erst. Wer liest seinen „Messias“ noch?
Aber sind solche Geister wirklich nichts gewesen? Mögen ihre Werke späteren Generationen wenig oder gar nicht mehr munden, ihr Verdienst wird deshalb um nichts geschmälert; sie genügten ihren Zeitgenossen, und bedurften und besaßen zur Hervorbringung ihrer Werke für den Standpunkt und Geschmack ihrer Zeit dieselben großen Fähigkeiten, welche die größten Geister späterer Epochen zu verwenden hatten. Ihren Ruhm haben sie sich mit Recht erworben, und mit Recht lebt ihr Name in der Geschichte fort.
Und nun ist es Zeit, an den Nachsatz in Schiller’s Spruch zu erinnern:
Denn wer den Besten seiner Zeit genug
Gethan, der hat gelebt für alle Zeiten.
Was will der Mime sich also ausnahmsweise beklagen. Die Geschichte seiner Leistungen und sein Name leben fort, das ist der Kranz, den die Nachwelt flicht. Roscius starb 61 Jahre vor Christus. Die Kunstgebilde dieses großen Mimen sind mit ihm verschwunden, aber die Vortrefflichkeit derselben und sein Ruhm leben fort in der Geschichte: er ist unsterblich. Eben so wenig werden sich ein Garrik, Talma, Schröder, Ekhof, Iffland, Ludwig Devrient, so wie ihre ebenbürtigen weiblichen Collegen über die versagten Kränze der Nachwelt beklagen, wenn sie da, wo sie jetzt sind, noch Nachrichten von der Erde empfangen können.