Junge Leiden
Der leichte Sinn, der seine Schwinge
Im Blau des Aethers freudig wiegt
Und unter dem der Erdendinge
Trübsel’ges Wirrsal dämmernd liegt –
Und trotzig hat von Anbeginn
In uralt-ew’ge Räthselfragen
Sich eingewühlt der finstre Sinn.
Von banger Schwermuth war umnachtet
Als Andre frisch und rasch getrachtet
Nach Vollgenuß der Jugendlust;
Mysterien für den schönen Schein,
Mich in sein düstres Reich hinein.
Der Jugend Schlummer floh mein Kissen,
War auch das Auge müd und heiß;
Es suchte Rath und Trost im Wissen
Ein Fleiß, der bis zum Morgendämmern
Bei ernsten Büchern rege blieb,
Bis mich zur Ruh’ der Schläfe Hämmern
Und in der Stirn das Zucken trieb.
Auf Trauriges und Trübes nur –
In Menschenleben und Geschichte
Und selbst im Walten der Natur.
Es war kein Laut dem Ohr zu leise,
Doch liebt’ ich sie auf meine Weise
Und nicht nach andrer Menschen Art.
Im Wald verschmolz mit meinen Träumen
Voll stiller, weicher Traurigkeit
Das leise Flüstern weit und breit,
Der Sonnenlichter irres Gaukeln
Auf Laub und Stamm, das Vogellied,
Und der Libelle leises Schaukeln
Und wie ein Blatt im Winde schwimmt,
Der Käfer, der im Moose hastet,
Und an des Grases Halmen klimmt,
Mich an aus sanften Augen schaut,
Und ohne Furcht mir näher schreitet,
Sie wurden lieb mir und vertraut.
Ich sah am See der fernen Wellen
Ich sah sie am Gestein zerschellen,
Daß flock’ger Schaum mich überflog;
Ich sah, wie eine grüne Welle
Die andre hastig übersprang,
Aufs sand’ge Ufer zischend schwang; –
Ich sah, wie, matt schon vor dem Strande,
Mit leisem, monotonem Schlag
Sich an dem Steingeröll im Sande
Und wie es über weiße Kiesel
Mit murrendem Gegurgel dann,
Und dann mit plätscherndem Geriesel
Zur Seite ins Geröhricht rann.
Es trieb mich fort, so oft sich fahl
Durch schwarzer Wolken Riß der Schimmer
Des Mondes auf Minuten stahl,
Und wieder dann sich barg in dichte,
Nur matt gesäumte Wolkenwand.
Ich wanderte dem Wind entgegen
In banger, wetterschwüler Nacht,
In wirren Wirbeln aufgemacht,
Ich starrte, keinen Blick verwendend,
Im Schreiten in die Finsterniß,
Bis flammend sie und grell und blendend
Mir war Musik des Regens Rauschen
Und das verhaltene Gegroll,
Zu dem allmälig meinem Lauschen
Erstarb das dröhnende Geroll,
In Blut den Horizont getaucht,
Und nur ein hastig zuckend Glühen
Mit mattem Roth ihn überhaucht.
Tiefathmend ließ ich es geschehen,
Er hat mit seinem frischen Wehen
Der bleichen Stirne Brand gekühlt,
Und eher nicht aus Nacht und Dunkel
Lenkt’ ich den Schritt zurück zur Stadt,
Ein ferner Stern geleitet hat.
Und brachte weiche, laue Luft,
Und junges Grün und Lerchenlieder,
Dann pochte schwer mir und verzagend
Das Herz in der bedrängten Brust,
Und müde senkte sich und klagend
Der Blick vor all der Werdelust.
Mir die Natur in jedem Mai,
Doch jeder mahnte, daß verloren
Ein Jahr des kurzen Lebens sei;
Es steht die Welt in frischem Prangen,
Doch was für uns dahingegangen,
Das ist dahin auf immerdar.
Die weihevollste Zeit im Jahre,
Die ganz das Herz gefangen nahm,
Sie war, wenn mit dem Herbst die klare,
Wehmüthig-ernste Stille kam,
Tiefklares Blau kein Wölkchen ging,
Und der Marienfäden feines
Geweb’ an Strauch und Zweigen hing;
Wenn sich vor rauer Lüfte Wehen
Wenn seine dunkelblauen Schlehen
Gereift der Busch am Waldessaum,
Den letzten Brombeerbüschel fand,
In kahlen Wiesengründen stand.
Und wenn das hastig-wirre Lärmen
Der Wind zu mir herübertrug,
Von all’ den bunten Vogelschwärmen,
Dann ward die Seele von dem Walten
Verwandten Dranges übermannt,
Als müsse Schwingen sie entfalten
Zum Fluge in ein bessres Land.
Ins dunkle Auge der Natur
In ihm von Todesangst und Grauen,
Von Krampf und Marter keine Spur.
Ich forschte in den stillen Zügen
Doch war mir nur, als ob sie trügen
Den Stempel tiefer Müdigkeit.
Ich nannte diese klaren Tage
Der eignen Todesstunde Bild –
Mit einem Lächeln sanft und mild;
Ich wollte, schweigend und ergeben,
Ein Glück im Schlafendürfen sehn,
Und ruhig-heiter aus dem Leben
Anmerkungen (Wikisource)
Ebenfalls abgedruckt in:
- Deutscher Jugendschatz, 1879 Nr.26 Titelblatt