Liebesfrühling im Herbst
(1883.)
Nun weht es rau und scharf aus Norden,
Und immer früher kommt die Nacht;
Die Welt ist seltsam ernst geworden,
trotz ihrer bunten Laubespracht,
Die weiß die Dächer überreift
Und von den Büschen, von den Bäumen,
Die letzten welken Blätter streift.
Es ist still – nur eine Meise
Durch das Gezweig und flüstert leise
Und sträubt wie fröstelnd ihren Flaum.
Kein Falter irrt, ein Spiel der Luft,
Und andre Blumen ohne Duft.
Durch dürres Laub verfolgt der Rüde
Im Wald des flücht’gen Wildes Spur.
Das ist die Zeit, da legt sich müde
Der Rede Fluß beginnt zu stocken,
Die Lider schließt ein sanfter Druck
Und ihren Händen, ihren Locken
Entfällt der Blumen bunter Schmuck.
Den Wald, mein grünes Reich, gesehn,
Schien mir ein scheues, irres Klagen
Durch seinen Säulensaal zu gehn,
Und meinem Lauschen wollt’ es scheinen,
Ein leises, unterdrücktes Weinen,
Ein banges Schluchzen weit und breit.
Ich habe dieses trübe Wähnen,
In Trauer selber, nicht gescheut;
War Auge mir und Wange feucht.
Mir war, sah ich auf allen Wegen
Im Wirbeln welkes Laub sich drehn,
Als müßt’ ich still mich niederlegen,
Auch er ist wehmuthweckend still –
Wie kommt es nur, dass keine Trauer
In meiner Brust sich regen will?
Nur diesmal unberührt den Sinn?
Was ist mit mir, in mir geschehen,
Daß ich so froh und muthig bin?
Ich muß es vor der Welt verschweigen,
Du giebst mit einem leichten Neigen
Des Hauptes deinem Freunde recht?
Du weißt, es ward dem Friedelosen
In dir der herrlichste Gewinn,
Mit himmlisch-stillem Lächeln hin.
Der Winter kommt und wir frohlocken,
Und haben’s weislich überdacht,
Denn tanzen in der Luft die Flocken,
Und muß nach reichem Liebesmahle
Dein Freund hinaus in Nacht und Reif,
So dämmert nicht im Ost der fahle,
Der immer unwillkommne Streif.
Hinein in Kuß und Liebeswort,
Wenn halbe Stunden lang wir scheiden,
Es weckt kein: „Horch, nun mußt du fort!“
So hat im Schnee die Spur der Tritte
Der Wind bedächtig zugeweht.
Du drohst mir scherzend und voll Güte:
„Wo bleibt dein Vorsatz? halte ein!
Ja aller Welt verborgen sein!
Nun giebst du selbst der argen, schlechten
Die Fülle unsres Glückes kund?“ –
Und einen Finger deiner Rechten
Anmerkungen (Wikisource)
Zuerst erschienen in:
- Illustrirte Zeitung für Gabelsberger’sche Stenographen, 1882, Nr.4, Seite 45, unter dem Titel „Herbst“.
Ebenfalls abgedruckt in:
- Die Neue Welt. Nr. 4 (1883), S. 111.
Dieser Quellentext existiert auch als Audiodatei, gesprochen von Carpe Peom (Künstlername). (Mehr Informationen zum Projekt Gesprochene Wikisource) | |||
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